Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkoholabhängigkeit

Aktenzeichen  M 26 S 17.4476

Datum:
27.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 46 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine spätere Relativierung einer zunächst ärztlich festgestellten langjährigen Alkoholabhängigkeit ist unbeachtlich, wenn weitere Indizien für langjährigen Alkoholabusus sprechen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Hierbei darf auch berücksichtigt werden, dass die begutachtende Ärztin auch Behandlerin ist, weswegen denkbar ist, dass diese sich möglicherweise ein Stück weit von der Motivation hat leiten lassen, die ehemalige Patientin im Vertrauen an den Erfolg der durchgeführten Therapie zu entlasten. Wegen eines derartigen potentiellen Interessenkonflikts bestimmt § 11 Abs. 2 S. 5 FeV, dass der ein ärztliches Fahreignungsgutachten erstellende Facharzt nicht zugleich der den Betroffenen behandelnde Arzt sein soll. (redaktioneller Leitsatz)
3 Im Rahmen der Interessenabwägung ist – auch wenn eine hohe Therapiemotivation und Krankheitseinsicht und damit günstige Voraussetzungen für eine Wiedererlangung der Fahreignung bestehen – zugunsten der Sicherheit des Straßenverkehrs gleichwohl maßgebend, dass Blutalkoholkonzentrationen von 1,6 Promille und mehr ein Beleg dafür sind, dass der Betroffene an einer dauerhaften und ausgeprägten Alkoholproblematik leidet, was die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis regelmäßig rechtfertigt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf Euro 7.500,- festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3.
Laut einer bei den Akten befindlichen polizeilichen Mitteilung vom … April 2017 besuchte die Antragstellerin gemeinsam mit ihrer damals vierjährigen Enkelin am … April 2017 einen Märchenpark. Gegen 15:30 Uhr sei der dortigen Gaststättenbetreiberin aufgefallen, dass die Antragstellerin sich nur noch schwankend habe fortbewegen können und nach Alkohol gerochen habe. Die Antragstellerin habe angegeben, gemeinsam mit ihrer Enkelin mit dem PKW nach Hause fahren zu wollen. Daraufhin sei die Polizei verständigt worden. Die Antragstellerin habe sich unkooperativ verhalten und sich mit ihrer Enkelin zum PKW begeben wollen, was von der Polizei durch vorläufige Sicherstellung des Fahrzeugschlüssels unterbunden worden sei. Ein Atemalkoholtest, der erst nach mehreren Versuchen erfolgreich gewesen sei, habe einen Atemalkoholkonzentrationswert von 1,0 mg/l ergeben.
Nachdem das Landratsamt erfahren hatte, dass sich die Antragstellerin für sechs Wochen im A…Klinikum in A… befand, forderte es die Antragstellerin zur Vorlage des dort erstellten Entlassungsberichtes auf. Der Abschlussbericht des A…Klinikums … vom … Juli 2017 führt aus, dass sich die Antragstellerin vom … Mai 2017 bis … Juli 2017 in der dortigen stationären Rehabilitationsbehandlung befunden habe. Diagnostiziert wurden u.a. eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig in der Ausprägung einer mittelgradigen Episode, sowie eine Alkoholabhängigkeit. Nach einer ersten Alkoholentgiftung im B…Klinikum in B… sei die Antragstellerin entwöhnt worden und habe regulär die Alkoholentwöhnungstherapie nach 8 Wochen beendet. Sie sei therapiemotiviert und therapiefähig entlassen worden und werde eine ambulante, wohnortnahe Therapie absolvieren. Die Antragstellerin zeige Krankheitseinsicht und Einsicht in die Notwendigkeit einer anhaltenden Alkoholabstinenz, wobei eine hohe Motivation zum dauerhaften Alkoholverzicht erkennbar sei. Alle durchgeführten Drogen- und ETG-Kontrollen seien negativ verlaufen.
Das Landratsamt hörte die Antragstellerin daraufhin zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Hierauf übersandten die Bevollmächtigten der Antragstellerin ein weiteres Schreiben des A…Klinikums … vom … September 2017, das sich unmittelbar an das Landratsamt richtete und auf das Anhörungsschreiben Bezug nahm. Hieraus geht hervor, dass sich die mittelschwere depressive Episode (F33.1), unter der die Antragstellerin vermutlich seit Frühjahr 2017 gelitten habe, sukzessive unter Medikation derart gebessert habe, dass sie bzgl. ihrer Depression zum Zeitpunkt der Entlassung vollständig remittiert gewesen sei. Bezüglich der diagnostizierten Alkoholabhängigkeit lasse sich feststellen, dass die Antragstellerin die Kriterien für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit, soweit zu eruieren, zum ersten Mal, d.h. gleichzeitig mit Auftreten der mittelgradigen Episode im Frühjahr dieses Jahres erfüllt habe. Es liege somit keine langjährige Alkoholerkrankung vor. Zudem sei der vermehrte Alkoholkonsum eindeutig zeitgleich mit der Depression aufgetreten. Aus suchtmedizinischer Erfahrung sei bei generell und insbesondere im Vergleich zu sonst üblicherweise langjährigen Alkoholkranken von einem deutlich geringeren Rückfallrisiko auszugehen, zumal die Depression bei der Klägerin unter Medikation remittiert sei.
Mit Bescheid vom 14. September 2017 entzog das Landratsamt der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 und forderte sie – ebenfalls sofort vollziehbar und unter Androhung eines Zwangsgeldes – auf, ihren Führerschein innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids abzugeben. Dem kam die Antragstellerin nach. Hiergegen ließ die Antragstellerin am … September 2017 Klage erheben.
Zugleich begehrt sie die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes; sie beantragt,
Die sofortige Vollziehung des Bescheides des Landratsamtes Traunstein vom 14. September 2017 wird ausgesetzt, die aufschiebende Wirkung der zeitgleich eingereichten Klage wird wiederhergestellt und dem Antragsgegner wird aufgegeben, den von der Antragstellerin beim Landratsamt Traunstein abgelieferten Führerschein vom … Dezember 1975 der Klassen 1 und 3, Nr. …, an die Antragstellerin zurückzugeben.
Zur Begründung wird ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht gerechtfertigt. Der Umstand, dass das Landratsamt nach dem Vorfall im April 2017 nicht reagiert habe, zeige, dass es offensichtlich keine Gefährdung für die Verkehrssicherheit gesehen habe. Die Antragstellerin habe sich freiwillig einer intensiven ärztlichen Behandlung unterzogen, die zu einer deutlichen Besserung des Gesundheitszustandes geführt habe. Im Schreiben vom … September 2017 bestätige die behandelnde Ärztin, dass die Antragstellerin die Kriterien für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit zum ersten Mal, d.h. gleichzeitig mit Auftreten der mittelgradigen Episode im Frühjahr 2017 erfüllt habe. Die Ärztin sei zu dem Ergebnis gekommen, dass somit keine langjährige Alkoholerkrankung vorliege. Der vermehrte Alkoholkonsum sei eindeutig zeitgleich mit der Depression bei der Antragstellerin aufgetreten. Nach ihrer Einschätzung als Suchtmedizinerin sei bei der Antragstellerin generell und insbesondere im Vergleich zu sonst möglicherweise langjährigen Alkoholkranken von einem deutlich geringeren Rückfallrisiko auszugehen, zumal die Depression unter Medikation remittiert sei.
Das Landratsamt hat den Verwaltungsvorgang vorgelegt und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 24. Oktober 2017 den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen (auch im Klageverfahren M 26 K 17.4475) sowie auf die beigezogenen Akten des Landratsamts Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Nach Auslegung des gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hinsichtlich der in Nummer 1 des Bescheids vom 14. September 2017 verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis und der in Nummer 2 enthaltenen Verpflichtung zur Ablieferung ihres Führerscheins begehrt. Hingegen wird nicht davon ausgegangen, dass auch die Zwangsgeldandrohung Gegenstand des Antrags ist. Denn insoweit wäre ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits unzulässig, da es der Antragstellerin hierfür am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Die Antragstellerin hat ihren Führerschein beim Landratsamt abgegeben und damit die Verpflichtung aus Nummer 2 des Bescheids erfüllt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das Landratsamt das Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes gleichwohl noch beitreiben wird.
Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Das Landratsamt hat insbesondere unter Beachtung der Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich in ausreichender Form begründet.
2. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der Entscheidung über den Antrag hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Hierbei ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen.
a) Diesen Grundsätzen folgend ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins vorliegend nicht wiederherzustellen, weil der streitgegenständliche Bescheid nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung insoweit voraussichtlich rechtmäßig ist und die Antragstellerin daher nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Gemäß Nr. 8.3 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV besteht bei Alkoholabhängigkeit keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betreffende im Straßenverkehr auffällig geworden ist. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt nach § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens.
Vorliegend hat die Antragstellerin selbst den Arztbericht des A…Klinikums … vom … Juli 2017 vorgelegt, mit dem Alkoholabhängigkeit diagnostiziert wurde. Nach den Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung (Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, gültig ab 1.5.2014, Stand 28.12.2016, Abschnitt 3.13.2) soll die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ gemäß den diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der dort genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden waren (starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren; verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums; körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums; Nachweis einer Toleranz; fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums; anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind). Nicht erforderlich für die Diagnosestellung ist, dass diese Kriterien über einen längeren Zeitraum hinweg vorlagen. Auch wenn der Bericht nicht näher ausführt, welche dieser Kriterien hier erfüllt waren, bestehen an der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit keine begründeten Zweifel. Ausweislich des Entlassungsberichts vom … Juli 2017 handelt es sich bei der ausstellenden Klinik um eine Fachklinik für Entwöhnungstherapie. Das A…Klinikum … verfügt seinem Internetauftritt zu Folge über differenzierte Bereiche für die Behandlung von sucht- und gerontopsychiatrischen Erkrankungen und betreibt ein Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen sowie Drogenentzugsstationen. Es ist davon auszugehen, dass dieses Fachkrankenhaus deshalb über einen hohen Grad an Spezialisierung auf Suchterkrankungen verfügt. Attestiert eine hierauf spezialisierte Fachklinik einer Person, die sich dort im Anschluss an eine extern durchgeführte Entgiftung für acht Wochen stationär aufgehalten und einer Alkoholentwöhnungstherapie unterzogen hat, eine Abhängigkeitssymptomatik, kommt einer solchen Diagnose ein hoher Grad an Verlässlichkeit zu. Denn eine so lange Befassung mit einem Patienten verschafft den behandelnden Ärzten ein mehr als nur oberflächliches Bild von seinen Lebensgewohnheiten und Lebenseinstellungen, seiner psychischen Verfassung und seinen nutritiven Gewohnheiten und damit von Faktoren, die für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit von Bedeutung sind (BayVGH, B.v. 27.7.2012 – 11 CS 12.1511 – juris Rn. 27 ff.; B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 Rn. 11).
Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Antragstellerin ist nichts dafür ersichtlich, dass die Fachklinik die Diagnose nicht selbst gestellt hat. Vielmehr wird im Bericht deutlich zwischen eigenen und Vordiagnosen unterschieden. Vor dem Hintergrund der festgestellten Abhängigkeitserkrankung wird eine anhaltende Alkoholabstinenz für notwendig erachtet und die regelmäßige Teilnahme an Selbsthilfegruppen und Nachsorgeangeboten empfohlen.
Durchgreifende Zweifel an der Diagnose bestehen schließlich auch nicht angesichts des weiteren Schreibens des A…Klinikums vom … September 2017. Zunächst wird in diesem Schreiben die Diagnose Alkoholabhängigkeit nochmals bestätigt und wiederholt, dass die Antragstellerin die hierfür zu erfüllenden Kriterien im Frühjahr dieses Jahres erfüllte. Die Feststellung, dass keine langjährige Alkoholabhängigkeit vorliege, mag – wie die Ärztin im Bericht auch explizit ausführt – für die Beurteilung der Rückfallwahrscheinlichkeit und damit für die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung (dazu sogleich) von Bedeutung sein, lässt die Diagnose Abhängigkeit selbst und den damit einhergehenden Verlust der Fahreignung aber unberührt. Die weitere Aussage in dem Schreiben, dass der vermehrte Alkoholkonsum eindeutig zeitgleich mit der Depression aufgetreten und die Depression unter Medikation remittiert sei, vermag die Diagnose unter Berücksichtigung der gesamten Umstände ebenfalls nicht grundlegend in Frage zu stellen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass im Entlassungsbericht eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode) festgestellt worden war, was eine Einordnung der Aussage, dass der vermehrte Alkoholkonsum zeitgleich mit der Depression aufgetreten sei, erschwert. Ausweislich eines in den Akten befindlichen Attests des Hausarztes der Antragstellerin nimmt sie wegen der depressiven Störung seit mindestens 15 Jahren die beiden Medikamente Sertralin und Sulpirid ein. Der Umstand, dass im Frühjahr diesen Jahres sowohl eine stationäre Entgiftung als auch eine anschließende Entwöhnung durchzuführen waren, lässt jedenfalls nur den Schluss zu, dass die Antragstellerin über einen längeren Zeitraum hinweg in großen Mengen Alkohol konsumiert hat.
Zum anderen muss vor dem Hintergrund, dass die behandelnde Ärztin das Schreiben vom … September 2017 – anders als den Entlassungsbericht vom … Juli 2017, der sich an die weiterbehandelnden Ärzte richtete – in Reaktion auf die Anhörung des Landratsamts zur Entziehung der Fahrerlaubnis erstellt hat und sich damit explizit an das Landratsamt wendet, wohl auch in Rechnung gestellt werden, dass sich die Ärztin hierbei möglicherweise ein Stück weit von der Motivation hat leiten lassen, die ehemalige Patientin im Vertrauen an den Erfolg der durchgeführten Therapie zu entlasten. Wegen eines derartigen potentiellen Interessenkonflikts bestimmt § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV, dass der ein ärztliches Fahreignungsgutachten erstellende Facharzt nicht zugleich der den Betroffenen behandelnde Arzt sein soll.
Die Antragstellerin hat die Fahreignung im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Entziehungsbescheids noch nicht wiedererlangt. Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung setzt die Wiedererlangung der Fahreignung nach Alkoholabhängigkeit voraus, dass die Abhängigkeit nach einer Entwöhnungsbehandlung nicht mehr besteht und in der Regel eine einjährige Abstinenz nachgewiesen ist. Dabei hat der Betroffene bei Alkoholabhängigkeit den Verzicht auf jeglichen Konsum von alkoholischen Getränken zu belegen, weil die Fähigkeit zu kontrolliertem Trinken gemindert ist (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrer-eignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, Rn. 3.11.2.3, S. 164). Zur Beurteilung, ob die Verhaltensänderung des Betroffenen hinsichtlich des Umgangs mit Alkohol hinreichend stabil ist, ist darüber hinaus grundsätzlich auch eine psychologische Untersuchung erforderlich (§ 13 Satz 1 Nr. 2 e) FeV). Da zum Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheids seit dem Abschluss der Entwöhnungsbehandlung gerade einmal zwei Monate verstrichen waren, ist eine derartige Beurteilung noch nicht möglich.
Da sich die Entziehung der Fahrerlaubnis nach alledem voraussichtlich als rechtmäßig erweist, verbleibt es auch bei der in Nummer 2 des Bescheids verfügten Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV). Der Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO bleibt daher ebenfalls ohne Erfolg.
b) Darüber hinaus räumt das Gericht auch bei einer ergänzenden, von den Erfolgsaussichten der Klage unabhängigen Interessenabwägung dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung den Vorrang vor dem privaten Interesse der Antragstellerin ein, einstweilen weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. Zwar attestieren die Ärzte des A…Klinikums der Antragstellerin im Entlassungsbericht vom … Juli 2017 glaubhaft eine hohe Therapiemotivation und Krankheitseinsicht und damit günstige Voraussetzungen für eine Wiedererlangung der Fahreignung. Andererseits ist allerdings zu konstatieren, dass die bei der Antragstellerin am … April 2017 festgestellte Atemalkoholkonzentration zwar für sich genommen kein sicheres Anzeichen für eine Alkoholabhängigkeit, sehr wohl aber eine massive Alkoholproblematik belegt. Es entspricht gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen – die sich unter anderem in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV widerspiegeln -, dass das Erreichen von Blutalkoholkonzentrationen von 1,6 Promille und mehr ein Beleg dafür ist, dass der Betroffene an einer dauerhaften und ausgeprägten Alkoholproblematik leidet. Nach wissenschaftlich belegter Einschätzung ist es der durchschnittlich alkoholgewöhnten Bevölkerung nicht möglich, durch eigenes Handeln Blutalkoholkonzentrationen von 1,6 Promille und mehr zu erreichen (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, a.a.O., Rn. 3.11.1, S. 132). Blutalkoholkonzentrationen ab 1,6 Promille sprechen nach dem derzeitigen Stand der Alkoholforschung für eine besonders ausgeprägte Alkoholgewöhnung des Betroffenen (vgl. BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 3 C 32.07 -BVerwGE 131, 163). Darüber hinaus ist vor dem Hintergrund der am Nachmittag des … April 2017 festgestellten Atemalkoholkonzentration von 1,0 mg/l mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Antragstellerin bei der Fahrt zum Märchenpark bereits nicht unerheblich alkoholisiert war. Dass sie mit der Festgestellten Alkoholkonzentration und trotz Anwesenheit der Polizeibeamten dann noch zusammen mit dem ihr anvertrauten kleinen Mädchen die Heimfahrt antreten wollte, zeugt von einer Verantwortungslosigkeit ohne Beispiel und einem Verlust der Kontrolle über sich selbst.
Liegen somit jedenfalls gravierende, derzeit nicht ausgeräumte Zweifel an der Eignung der Antragstellerin zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr vor, besteht wegen der von der Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers ausgehenden erheblichen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit anderer ein dringendes öffentliches Interesse an der sofortigen Unterbindung seiner weiteren Teilnahme am Straßenverkehr. Die mit dieser Entscheidung für die Antragstellerin verbundenen Nachteile für ihre private Lebensführung und eine etwa noch ausgeübte berufliche Tätigkeit müssen von ihr im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Verkehrssicherheit und der hier in Rede stehenden hochrangigen Rechtsgüter hingenommen werden.
3. Der Antrag war daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Nrn. 1.5, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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