Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkoholmissbrauchs – Anforderungen an eine Begutachtung

Aktenzeichen  M 26 S 16.3104

Datum:
18.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV§ 46 Abs. 1 Satz 1 VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Hat der Antragsteller ein im Fahrerlaubnisverfahren angefordertes Gutachten vorgelegt, kommt es auf die Rechtmäßigkeit der Beibringungsaufforderung nicht mehr an, da das Gutachten eine neue, selbstständige Beweistatsache darstellt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Verwertbarkeit muss das Gutachten allgemein verständlich, nachvollziehbar und nachprüfbar und  unter Berücksichtigung anerkannter wissenschaftlicher Grundsätze durchgeführt worden sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden. Das Gutachten muss zuletzt die Fragestellungen erschöpfend beantworten.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerpartei wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung ihrer Fahrerlaubnis u.a. der Klasse C1E.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2016 entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Antragstellerpartei die Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die unverzügliche Ablieferung des Führerscheins (Nr. 2) sowie die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an (Nr. 3). Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Antragsteller sei im Jahr 2013 wegen einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,02 Promille strafgerichtlich die Fahrerlaubnis entzogen worden. Nach Vorlage eines positiven Fahreignungsgutachtens vom 4. Dezember 2014 sei ihm die Fahrerlaubnis neu erteilt worden. Die Prognose der positiven Fahreignung sei im Gutachten von der Einhaltung eines Alkoholverzichts abhängig gemacht worden. Am 15. November 2015 sei beim Antragsteller anlässlich einer Polizeikontrolle im Straßenverkehr eine Atemalkoholkonzentration von 0,21 mg/l festgestellt worden. Der Antragsteller sei deshalb zur Beibringung eines weiteren Fahreignungsgutachtens aufgefordert worden. Dieses sei zu dem Ergebnis gekommen, dass zu erwarten sei, dass der Antragsteller zukünftig das Führen von Kraft fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen könne.
Mit Schriftsatz vom … Juli 2016 erhob die Antragstellerpartei Klage.
Sie beantragte gleichzeitig beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs wiederherzustellen.
Zur Begründung trägt ihr Bevollmächtigter im Wesentlichen vor, die Feststellung der Atemalkoholkonzentration am 15. November 2015 sei ohne ausdrückliche Zustimmung des Antragstellers erfolgt und deshalb rechtswidrig. Es sei nicht sichergestellt, dass das benutzte Gerät geeicht gewesen sei. Bei der Beibringungsaufforderung sei außer Acht gelassen worden, dass der Kläger nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen habe. Das Gutachten komme zu einem falschen Ergebnis, da beim Kläger keine Alkoholabhängigkeit vorliege, der Gutachter aber dennoch einen konsequenten generellen Alkoholverzicht als notwendige Voraussetzung zur Vermeidung künftiger Auffälligkeiten fordere. Gerade die Teilnahme am Straßenverkehr am 15. November 2015 mit einer (umgerechneten) Blutalkoholkonzentration unter 0,5 Promille belege, dass der Antragsteller in der Lage sei, kontrolliert mit Alkohol umzugehen. Zu Unrecht werde im Bescheid davon ausgegangen, dass der Antragsteller letztmals am 14. November 2015 Alkohol konsumiert habe, so dass die Feststellung einer Atemalkoholkonzentration am 15. November 2015 einen Rückschluss auf einen erheblichen Alkoholkonsum des Antragstellers am 14. November 2015 zulasse.
Die Antragsgegnerpartei beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss vom heutigen Tag wurde die Verwaltungsstreitsache auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der weitgehend zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Unzulässig ist der Antrag, soweit er sich gegen die Androhung eines Zwangsgelds für den Fall der Nichtablieferung des Führerscheins richtet. Denn der Antragsteller ist dieser Verpflichtung nachgekommen und es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsgegner das Zwangsgeld noch beitreiben wird. Vor diesem Hintergrund hat sich die Zwangsgeldandrohung erledigt.
Im Übrigen ist der Antrag zwar zulässig, aber unbegründet. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, die sich auch an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert. Danach bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Entziehungsbescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), auf dessen Begründung insoweit verwiesen wird (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene Begründung entspricht den an sie gemäß § 80 Abs. 3 VwGO zu stellenden Anforderungen. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die der Klage und dem Widerspruch grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Eyermann/Schmidt, VwGO, 14. Auflage 2014, § 80, Rn. 43). Hier hat der Antragsgegner unter Bezugnahme auf den Einzelfall ausreichend dargelegt, dass aus Gründen der Sicherheit des Straßenverkehrs die Anordnung der sofortigen Vollziehung geboten ist, um für den Fall der Einlegung eines Hauptsacherechtsbehelfs dafür Sorge zu tragen, dass der Ausschluss der weiteren Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr sofort wirksam wird.
Zum Vorbringen in der Antragsbegründung wird folgendes ausgeführt: Nachdem der Antragsteller das geforderte Gutachten vorgelegt hat, kommt es auf die Rechtmäßigkeit der Beibringungsaufforderung nicht mehr an, da das Gutachten eine neue, selbstständige Beweistatsache darstellt (MüKoStVR/Koehl, § 3 StVG, Rn. 29 m.w.N.). Für das Gutachten (und seine Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit) gelten die Grundsätze, die sich aus der Anlage 4a zur FeV ergeben. Danach muss die Untersuchung vor allem unter Berücksichtigung anerkannter wissenschaftlicher Grundsätze durchgeführt worden und das Gutachten muss allgemein verständlich, nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden. Das Gutachten muss die Fragestellungen erschöpfend beantworten. Es muss unterschieden werden zwischen der Vorgeschichte und dem gegenwärtigen Befund. Wird ein beauftragter Gutachter von der Straßenverkehrsbehörde dahin befragt, ob zu erwarten sei, dass der Betroffene auch zukünf tig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird, hat der Gutachter die individuelle Wahrscheinlichkeit zu ermitteln.
Unter Anlegung dieser Grundsätze auf das hier streitgegenständliche Gutachten vom 16. Februar 2016 ist das dort gefundene Ergebnis aus gerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Forderung nach einem Alkoholverzicht setzt nicht zwingend das Bestehen einer Alkoholabhängigkeit voraus. Auch bei fehlender Alkoholabhängigkeit kann es im Fahrerlaubnisrecht geboten sein, die Forderung nach absolutem Alkoholverzicht zu erheben, wenn der Betroffene nicht die Willenskraft oder die Einsichtsfähigkeit besitzt, die Aufnahme von Alkohol an dem Punkt zu beenden, jenseits dessen dieses Rauschmittel Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit zeigt, bzw. ab dieser Schwelle vom Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr konsequent Abstand zu nehmen (VGH Mannheim, B.v. 8.10.2015 – 10 S 1491/15 – SVR 2016, 231). Dass diese Voraussetzung beim Antragsteller gegeben ist, lässt sich ohne weiteres der Tatsache des Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,21 mg/l entnehmen. Auswirkungen auf die Fahreignung kommen bei Alkohol bereits ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,3 Promille in Betracht (NK-GVR/Quarch, § 316 StGB, Rn. 6), auch wenn diese noch unterhalb der Schwelle der Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG liegen mag. Dass der Antragsteller (umgerechnet) eine Blutalkoholkonzentration von mehr 0,3 Promille erreicht hatte, ergibt sich ohne weiteres aus der festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,21 mg/l. Ausweislich der Kurzmitteilung der Polizeiinspektion … vom 15. November 2015 wurde diese Atemalkoholkonzentration mit dem geeichten Testgerät „Alkomat Evidential“ gemessen. Dagegen kann nicht die bloße Behauptung erhoben werden, es sei nicht sichergestellt, dass das Testgerät geeicht gewesen sei. In diesem Zusammenhang kommt es auch nicht darauf an, ob der Antragsteller diese Atemalkoholkonzentration durch einen Alkoholkonsum am Vortag oder einen solchen am gleichen Tag erreicht hat.
Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom … August 2016 Belege für einen dreimonatigen Alkoholverzicht des Antragstellers vorgelegt hat, kommt es hierauf ebenfalls nicht an. In entsprechender Anwendung von Nr. 8.4 der der Anlage 4 zur FeV muss der Antragsteller zwischen dem anlassgebenden Vorfall und dem Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung einen Abstinenzzeitraum von regelmäßig einem Jahr absolviert haben, zudem muss die Nachhaltigkeit des Einstellungswandels durch ein psychologisches Gutachten belegt werden. Bereits letztere Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, so dass es nicht darauf ankommt, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, die eine Ausnahme vom regelmäßig einjährigen Abstinenzzeitraum rechtfertigen würden; solche sind im Übrigen auch nicht ersichtlich.
Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der einstweiligen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
Rechtliche Bedenken gegen die im Bescheid enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen, noch sind solche sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14).


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