Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel und verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel ohne ärztliche Verordnung

Aktenzeichen  11 CS 16.80

Datum:
8.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 46 Abs. 1, Abs. 3
VwGO VwGO § 80 Abs.5 , § 146 Abs. 4
StVG StVG § 3

 

Leitsatz

Bei missbräuchlicher Einnahme eines psychoaktiv wirkenden Arzneimittels und verschreibungspflichtigen Betäubungsmittels (hier: Alvalin) wird die Fahreignung erst nach Entgiftung und Entwöhnung wieder erworben. (Noch) ausreichende Leistungen bei Reaktionstests trotz der Einnahme weiterer ärztlich verordneter Medikamente sind daher kein ausreichender Beleg für die Fahreignung des Antragstellers. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 6a S 15.4020 2015-12-15 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Der Antragsteller ist nach Verkehrsunfällen in den Jahren 1990 und 2002 aufgrund dabei erlittener Verletzungen erwerbsunfähig. Zur Behandlung chronischer Schmerzen und einer sekundären Schlafepilepsie nimmt er ärztlich verordnete Medikamente (u. a. Tramadol [nach eigenen Angaben inzwischen abgesetzt], Transtec-Pflaster, Carbamazepin und Zoplicon) ein. Mit Urteil vom 2. Dezember 2009 verhängte das Amtsgericht Rosenheim gegen ihn wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (Amphetamin) zum Eigenkonsum in Tatmehrheit mit drei tatmehrheitlichen Fällen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe und setzte eine Sperrfrist von 12 Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis fest, die ihm durch Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 22. Januar 2009 wegen einer Trunkenheitsfahrt entzogen worden war. Nach Vorlage mehrerer ärztlicher Atteste erteilte ihm das Landratsamt Rosenheim (im Folgenden: Landratsamt) am 29. November 2011 die Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A18, B, BE, L, M und S und verpflichtete ihn mit Bescheid vom 5. Dezember 2011 zu jährlichen verkehrsmedizinisch-neurologischen Nachuntersuchungen.
Mit Urteil vom 3. Februar 2014 sprach das Amtsgericht Rosenheim den Antragsteller unter anderem der Urkundenfälschung in fünf tatmehrheitlichen Fällen schuldig und verhängte eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe. Der Antragsteller habe ein Originalrezept seines Hausarztes verfälscht und eine Blankorezeptvorlage hergestellt. Auf diversen Rezepten habe er einen Namen, eine Adresse, einen ausstellenden Arzt und verschreibungspflichtige Medikamente ergänzt. In mindestens fünf Fällen habe er diese Rezepte bei Apotheken vorgelegt oder vorlegen wollen, um die verschreibungspflichtigen Medikamente Alvalin, Norditropin und Diazepam zu erhalten.
Mit Schreiben vom 29. Oktober 2014 forderte das Landratsamt den Antragsteller zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf. Das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten der TÜV Süd Life Service GmbH vom 30. März 2015 (Absendedatum) kommt zu dem Ergebnis, die in der psychologischen Zusatzuntersuchung gezeigten Leistungen genügten für ein verkehrsgerechtes Verhalten. Die aufgetretenen Abweichungen seien als kompensierbar einzustufen. Für die Einnahme von Alvalin und Norditropin sei allerdings keine medizinische Indikation ersichtlich. Es sei von einer Einnahme von Betäubungsmitteln und psychoaktiv wirkenden Stoffen/Arzneimitteln auszugehen, die die Fahreignung in Frage stellen.
Mit Bescheid vom 21. August 2015 entzog das Landratsamt dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds zur Abgabe des Führerscheins. Über die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Dezember 2015 abgelehnt. Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung sei der Antrag unzulässig, weil der Antragsteller den Führerschein rechtzeitig abgegeben habe und das Zwangsgeld daher nicht beigetrieben werde. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Der Antragsteller habe sich wegen der missbräuchlichen Einnahme von Arzneimitteln als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel daran, dass er sich die Medikamente Alvalin und Norditropin mit Hilfe von ihm gefälschter Rezepte als Psychostimulanzien für den Eigenbedarf besorgt und sie auch konsumiert habe. Für eine Wiedererlangung der Fahreignung bis zum Erlass des Bescheids habe er nichts Substantiiertes vorgetragen. Auch die Interessenabwägung falle zulasten des Antragstellers aus.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller im Wesentlichen vortragen, der Beschluss des Verwaltungsgerichts gehe nicht darauf ein, dass die im Rahmen der Begutachtung gezeigten Leistungen des Antragstellers trotz der bekannten Dauermedikation mit psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln ausreichend für ein verkehrsgerechtes Verhalten seien. Die Medikamenteneinnahme sei bereits im Vorfeld der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 29. November 2011 geprüft worden. Die damaligen ärztlichen Beurteilungen seien nach wie vor aktuell. Medikationsbedingte Ausfälle oder Beeinträchtigungen seien trotz des langen Zeitraums der Medikamenteneinnahme nicht dokumentiert und daher auch keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs aufgrund überdosierter Medikamenteneinnahme ersichtlich. Die Tatbestandsgrundlage des Strafurteils bedürfe einer kritischen Beurteilung. Der Antragsteller habe im Strafverfahren keine Veranlassung gehabt, die Annahme zu stützen, die Medikamente nicht zum Eigenverbrauch, sondern zur Abgabe an andere Personen erworben zu haben. Die Aufgabenstellung für das vorgelegte Fahreignungsgutachten habe sich auf aktenkundige Tatsachen beschränkt und somit dem Gutachter eine von der Aktenlage abweichende Beurteilung entzogen. Für den Antragsteller sei ersichtlich, dass die Medikamente hinsichtlich der Erforderlichkeit und der Dosierung ärztlich verordnet werden müssten und dass er sich strikt daran zu halten habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), lassen nicht erkennen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtswidrig wäre.
1. Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes [StVG] i. d. F. d. Bek. vom 5.3.2003 [BGBl I S. 310, 919], zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.6.2015 [BGBl I S. 904], § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 18.12.2010 [BGBl I S. 1980], zuletzt geändert durch Verordnung vom 2.10.2015 [BGBl I S. 1674]). Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Entziehung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Betroffenen anordnen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 2, Abs. 6 FeV).
Nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist im Regelfall ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer psychoaktiv wirkende Arzneimittel und andere psychoaktiv wirkende Stoffe missbräuchlich einnimmt (regelmäßig übermäßiger Gebrauch). Darüber hinaus erfüllt der Konsum eines verschreibungspflichtigen Betäubungsmittels ohne ärztliche Verschreibung den Tatbestand der Nr. 9.1 der Anlage 4 (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 11 CS 15.120 – juris Rn. 11 m. w. N.).
Dem Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 3. Februar 2014 zufolge hat der Antragsteller ärztliche Rezepte verfälscht, um die Medikamente Alvalin, Norditropin und Diazepam zu erhalten. Zwar hat Norditropin, das ein Wachstumshormon enthält, nach der Gebrauchsinformation des Herstellers keinen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit (www.medikamente-per-klick.de/images/ecommerce/02/42/02422886_2012-07_de_o.pdf). Allerdings kann es zu Wechselwirkungen mit Antiepileptika kommen. Alvalin ist ein Appetitzügler mit dem Wirkstoff Cathinhydrochlorid (Cathin), der einem chemischen Amphetamin entspricht. Cathin ist ebenso wie Diazepam in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes als verkehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel eingestuft; nur Zubereitungen, die lediglich geringe Dosen oder Mengen und keine weiteren Stoffe der Anlagen I bis III enthalten, sind von den betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften ausgenommen. Damit sind Fahrerlaubnisinhaber, die Alvalin und Diazepam ohne ärztliche Verschreibung einnehmen, nach Nrn. 9.1 und 9.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet.
Der Antragsteller hat den Konsum von Alvalin ohne ärztliche Verschreibung, wenn auch mit unterschiedlichen Zeitangaben, mehrfach eingeräumt. Gegenüber der Begutachtungsstelle für Fahreignung hat er beim ärztlichen Untersuchungsgespräch angegeben, Alvalin 2009 einmal genommen zu haben. Dem im Strafverfahren erstellten psychiatrischen Gutachten vom 26. November 2013 zufolge hat er bei seiner Befragung erklärt, im Jahre 2012 ein halbes Jahr lang morgens Alvalin „als Psychostimulanz“ eingenommen zu haben. In der Sitzung des Amtsgerichts Rosenheim am 13. Februar 2014 gab er (sinngemäß) an, das Alvalin habe er benötigt, um nach dem Konsum von Diazepam, das er regelmäßig genommen habe, wieder fit zu werden. Der Senat hat daher keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller, der sich an seinen Angaben festhalten lassen muss, zumindest Alvalin und damit ein psychoaktiv wirkendes Arzneimittel und verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel missbräuchlich ohne ärztliche Verschreibung eingenommen hat. Entgegen der Beschwerdebegründung stützt sich das vom Antragsteller vorgelegte Fahreignungsgutachten auch nicht lediglich auf die Aktenlage, sondern auch auf die Angaben des Antragstellers im Rahmen des ärztlichen Untersuchungsgesprächs. Gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller das Alvalin entgegen seinen Angaben nicht selbst konsumiert hat, sind nicht ersichtlich. Dass beim Antragsteller, der bereits zuvor mehrfach durch Substanzmissbrauch aufgefallen war, von einem Opioidabhängigkeitssyndrom auszugehen ist, ergibt sich bereits aus dem psychiatrischen Gutachten vom 26. November 2013 (S. 20), das im Strafverfahren eingeholt wurde und im vorgelegten Fahreignungsgutachten zitiert wird (S. 4). Von einem verantwortungsbewussten Umgang mit Substanzen, die die Fahreignung beeinträchtigen, kann daher nicht ausgegangen werden.
Die bei der Untersuchung durch die Begutachtungsstelle für Fahreignung festgestellten, noch ausreichenden Leistungen des Antragstellers in den Tests zur Messung der Belastbarkeit und des Reaktionsvermögens, der visuellen Wahrnehmungsleistung sowie der Aufmerksamkeit und Konzentration sind nicht geeignet, den Befund der Ungeeignetheit wegen der missbräuchlichen Einnahme eines psychoaktiv wirkenden Arzneimittels und verschreibungspflichtigen Betäubungsmittels zu entkräften. Die Leistungstests bilden das Wahrnehmungs- und Reaktionsvermögen des Antragstellers bei der Untersuchung am 7. Januar 2014 ab. Dass er Alvalin in engem zeitlichem Zusammenhang mit dieser Untersuchung eingenommen hat, ist nicht ersichtlich und wurde ihm auch nicht unterstellt. Bei missbräuchlicher Einnahme eines psychoaktiv wirkenden Arzneimittels und verschreibungspflichtigen Betäubungsmittels wird die Fahreignung jedoch erst nach Entgiftung und Entwöhnung wieder erworben (Nr. 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung). (Noch) ausreichende Leistungen des Antragstellers bei den Tests am 7. Januar 2014 trotz der Einnahme weiterer ärztlich verordneter Medikamente sind daher kein ausreichender Beleg für die Fahreignung des Antragstellers.
Schließlich kann der Antragsteller auch nicht mit Erfolg einwenden, die nunmehr erhobenen Befunde seien bereits bei der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis im Jahre 2011 bekannt gewesen und die in diesem Zusammenhang vorgelegten Atteste nach wie vor aktuell. Das trifft lediglich für die Medikamente zu, die dem Antragsteller zur Behandlung der Unfallfolgen ärztlich verordnet wurden, nicht jedoch für die eingenommenen Medikamente ohne ärztliche Verschreibung und ohne medizinische Indikation.
2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14).
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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