Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Gutachtens

Aktenzeichen  11 CS 21.2692

Datum:
5.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 204
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1, Anl. 4 Nr. 7

 

Leitsatz

1. Die Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens setzt nicht voraus, dass eine Erkrankung oder ein Mangel iSv § 11 Abs. 2 S. 2 FeV bereits feststeht (stRspr vgl. VGH München BeckRS 2021, 24901). Es genügt der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anl. 4 FeV (§ 11 Abs. 2 S. 1 und 2 FeV) bzw. ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG BeckRS 2001, 30191412; BeckRS 2014, 45803). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Gleiches gilt für den genauen Grad der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde gem. § 11 Abs. 6 S. 1 und 2 FeV festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss (BVerwG BeckRS 2015, 42542; VGH München BeckRS 2021, 16280). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 S 21.1200 2021-10-01 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen, soweit sie unzulässig ist, und im Übrigen zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.250,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der ihr am 4. November 2004 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, CE79, C1, C1E, L und M.
Anfang Mai 2020 wurde dem Landratsamt H. bekannt, dass die Antragstellerin am 14. März 2020 gegen 19:05 Uhr unter Alkohol- und Medikamenteneinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hatte. Der um 22:13 Uhr durchgeführte Atemalkoholtest hatte einen Wert von 0,99 mg/l ergeben, wobei die Antragstellerin nach ihren Angaben nach Ankunft zuhause ein bis zwei Bier getrunken hatte. Sie habe ferner vor ein bis zwei Stunden zwei Schlaftabletten eingenommen und nehme täglich Psychopharmaka zu sich.
Eine am 14. März 2020 um 22:56 Uhr entnommene Blutprobe wies nach dem Untersuchungsbefund des Universitätsklinikums B. vom 20. März 2020 eine Blutalkoholkonzentration von 1,74 ‰ auf. Eine am selben Tag um 23:45 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,59 ‰ auf. Nach dem rechtsmedizinischen Gutachten des Universitätsklinikums B. vom 19. April 2020 wurden darüber hinaus das Antidepressivum Mirtazapin in einer Konzentration von ca. 25,4 ng/ml sowie 14,3 ng/ml des Stoffwechselprodukts N-Desmethylmirtazapin und das Antidepressivum Sertralin in einer Konzentration von 64,1 ng/ml sowie 183 ng/ml des Stoffwechselprodukts Norsertralin festgestellt. Die Antragstellerin habe zum Zeitpunkt der Blutentnahme unter der Wirkung des zentral wirksamen Mittel Sertralin gestanden, das verkehrsmedizinisch relevante Nebenwirkungen wie Schwindelgefühl, Somnolenz, Kopfschmerzen, Aufmerksamkeits- und Sehstörungen habe. Alkohol und die hier nachgewiesenen Substanzen könnten sich gegenseitig beeinflusst haben. Nach einem weiteren rechtsmedizinischen Gutachten des Universitätsklinikums B. vom 17. Juni 2020 stand die Antragstellerin am 14. März 2020 mit einer Sertralin-Konzentration von 64,1 ng/ml zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 23:45 Uhr unter der akuten Wirkung dieses Medikaments. Unter Berücksichtigung des angegebenen Nachtrunks bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 ‰ zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 22:56 Uhr, einer festgestellten Sertralin-Konzentration von 64,1 ng/ml und der beschriebenen Fahrweise lägen deutliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt des Vorfalls am 14. März 2020 um 19:05 Uhr nicht mehr der Lage gewesen sei, ein Fahrzeug sicher zu führen. Sie sei somit relativ fahruntüchtig gewesen.
Nach einem Arztbrief eines Allgemeinmediziners vom 27. März 2020 wird die Antragstellerin wegen der Diagnosen mittelgradige depressive Episode (F32.1 G), Borderline-Persönlichkeitsstörung (F60.31 G), Anpassungsstörung (F43.2 G), Reaktion auf schwere Belastung, nicht näher bezeichnet (F43.9 G) und einer Angst- und Panikstörung (F41.9 G) behandelt. Nach einem weiteren allgemeinmedizinischen Arztbrief vom 25. Mai 2020 besteht bei ihr eine ausgeprägte depressive Symptomatik mit klassischem Morgentief, Inappetenz, Durchschlafstörungen und psychopathologischen Befunden (formales Denken gehemmt, von Grübeln überlagert, innerer Druck, der häufig zu selbstverletzendem Verhalten führt) sowie eine schwere Angststörung, insbesondere im Sinne einer sozialen Phobie. Die Antragstellerin sei in psychiatrischer Behandlung. Der Facharzt halte nach den Angaben der Antragstellerin eine stationäre Therapie für notwendig. Sie sei arbeitsunfähig.
Ein Strafverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr wurde nach mündlicher Verhandlung am 1. Oktober 2020 mit Beschluss des Amtsgerichts Bamberg gemäß § 153a StPO zunächst vorläufig und nach Erfüllung einer Geldauflage mit Beschluss vom 17. November 2020 endgültig eingestellt.
Am 27. Februar 2021 um 18:35 Uhr fand ein weiterer Polizeieinsatz am Wohnanwesen der Antragstellerin statt, bei dem sie angab, an der Krankheit „Borderline“ zu leiden und hierfür Tabletten einzunehmen. Ein Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,75 ng/ml. Mit ihrem Einsatzbericht bat die Polizei um Überprüfung der Fahreignung.
Unter Bezugnahme auf die Ergebnisse des rechtsmedizinischen Gutachtens der Universität Bonn vom 19. April 2020, verschiedener polizeilicher Befragungen und des Arztbriefs vom 25. Mai 2020 forderte das Landratsamt die Antragstellerin mit Schreiben vom 20. April 2021 gestützt auf § 11 Abs. 2 FeV i.V.m. Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV auf, bis 15. Juni 2021 ein ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung zu den Fragen beizubringen, ob bei ihr eine (psychische) Erkrankung vorliege, die die Fahreignung infrage stelle, und wenn ja, ob sie (wieder) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 vollständig gerecht zu werden, ob eine ausreichende Adhärenz vorliege, ob Beschränkungen und/ oder (fachlich einzelfallbegründete) Auflagen und eine eventuelle Nachbegutachtung erforderlich seien.
Nachdem kein Gutachten vorgelegt worden war, entzog das Landratsamt der Antragstellerin nach Anhörung mit Bescheid vom 19. August 2021 die Fahrerlaubnis und forderte sie unter Androhung eines Zwangsgelds auf, ihren Führerschein spätestens innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids beim Landratsamt abzuliefern. Ferner wurde die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen angeordnet.
Mit E-Mail vom 24. August 2021 teilte die Antragstellerin dem Landratsamt mit, sie könne den Führerschein nicht aushändigen, da er entweder verloren oder entwendet worden sei.
Am 21. September 2021 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben, über die noch nicht entschieden ist, und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss vom 13. Oktober 2021 ab. Der Antrag sei wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit die Antragstellerin die unverzügliche Herausgabe des abgelieferten Führerscheins bzw. ggf. eine Neuausstellung beantrage, weil sie den Führerschein bisher nicht abgegeben habe und nicht ersichtlich sei, weshalb die Behörde eine Herausgabe bzw. Neuausstellung verhindern sollte. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet. Die Vollzugsanordnung sei gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausreichend begründet. Die Klage werde voraussichtlich in der Sache keinen Erfolg haben. Gemäß Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV sei bei bestimmten psychischen Störungen (z.B. Nr. 7.1, 7.5, 7.5.1, 7.6) die Fahreignung teilweise ausgeschlossen, teilweise von den Umständen des Einzelfalls bzw. der Schwere der Erkrankung abhängig. Mit den vorliegenden Erkenntnissen aus den Vorfällen vom 14. März 2020 und 27. Februar 2021 lägen hinreichende Tatsachen vor, die den Verdacht begründen könnten, dass bei der Antragstellerin vom eventuellen Vorliegen einer die Fahreignung ausschließenden psychischen Erkrankung auszugehen sei. Bei beiden Vorfällen habe sie jeweils angegeben, an einer psychischen Erkrankung (Depression, Borderline-Störung) zu leiden und deswegen medikamentös behandelt zu werden. Auch wenn eine Borderline-Persönlichkeitsstörung nicht explizit in der Anlage 4 zur FeV aufgeführt werde (Ausnahme Nr. 7.4.2 im Zusammenhang mit schweren chronischen organischen Psychosyndromen), so könnten Persönlichkeitsstörungen, die häufig gemeinsam mit anderen psychischen Störungen (insbesondere mit Störungen durch Konsum psychotischer Substanzen, depressiven Störungen sowie Angst- und Zwangsstörungen) aufträten, im Hinblick auf die Fahreignung relevant sein. Die Anlage umfasse häufiger vorkommende Erkrankungen und Mängel, die die Fahreignung längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben könnten. Die Aufzählung sei jedoch nicht abschließend. Die im Strafverfahren vorgelegten allgemeinärztlichen Berichte vom 27. März und 25. Mai 2020 zeigten, dass die Antragstellerin an diversen psychischen Erkrankungen leide, behandlungsbedürftig sei und zu selbstverletzendem Verhalten neige. In der entnommenen Blutprobe seien neben Alkohol auch die zentralwirksamen Medikamente Mirtazapin und insbesondere Sertralin festgestellt worden, das sie nach ihren Angaben am Morgen einnehme. Unter der Wirkung dieses Medikaments, verstärkt durch die Alkoholwirkung, habe die Antragstellerin auch am 14. März 2020 am Straßenverkehr teilgenommen. Zusammengenommen hätten diese Umstände hinreichend Anlass für die Annahme geboten, dass ihre Fahreignung infolge psychischer Erkrankung beeinträchtigt sein könne. Die Fahreignungszweifel hätten deshalb nach § 11 Abs. 2 FeV durch die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens einer Begutachtungsstelle abgeklärt werden können. Die Einwendungen der Antragstellerin griffen nicht durch. Beim Vorliegen krankheitsbedingter (Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV) Fahreignungszweifel komme es nicht auf die Teilnahme am Straßenverkehr an. Inwieweit eine Trennung einer Medikamenteneinnahme von der Teilnahme am Straßenverkehr erforderlich sei, sei im Rahmen der Begutachtung zu klären (etwa im Hinblick auf die Frage einer ausreichenden Adhärenz). Zwar bestehe bei der Antragstellerin möglicherweise auch eine Alkoholproblematik. Diese sei jedoch nicht vorrangig abzuklären gewesen, sondern vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankung zu sehen, sodass vorliegend § 13 Nr. 2 Buchst. a FeV (Alkoholmissbrauch) und die Frage nach einer hinreichenden Trennung von Alkoholkonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen nicht vorrangig veranlasst gewesen sei. Eine Bindung an die strafrechtliche Entscheidung in Form des Einstellungsbeschlusses nach § 153a StPO bestehe nicht (§ 3 Abs. 4 StVG). Die Begutachtungsordnung sei somit hinreichend veranlasst und die Fragestellung sachdienlich und verhältnismäßig gewesen. Das Landratsamt habe das ihm gemäß § 11 Abs. 2 FeV eingeräumte Ermessen ausgeübt, eine ausreichende Beibringungsfrist gesetzt und die Antragstellerin auf die Folgen der Nichtbeibringung hingewiesen. Die Antragstellerin habe keinen ausreichenden Grund angegeben, das Gutachten nicht beizubringen, insbesondere ihre finanziellen Verhältnisse nicht dargelegt. Der Hinweis darauf und die geltend gemachten Begutachtungskosten seien deshalb vor dem Hintergrund der zu schützenden Sicherheit der Allgemeinheit im Straßenverkehr vor ungeeigneten Kraftfahrern kein hinreichender Grund, um von einer Begutachtung abzusehen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, der der Antragsgegner entgegentritt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens sei unverhältnismäßig. Die Blutentnahme anlässlich des Vorfalls am 14. März 2020 sei erst ca. vier Stunden nach der Fahrt mit dem Kraftfahrzeug erfolgt. Die entsprechenden Beruhigungs- und Schlafmittel habe die Antragstellerin erst nach der Fahrt eingenommen, sodass die im Rahmen der Blutprobe festgestellten Medikamente, insbesondere das Mirtazapin, nicht zur Bewertung herangezogen werden könnten. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Vorfall mehr als ein Jahr zurückgelegen habe. Aus den im März und Mai 2020 diagnostizierten Erkrankungen könne nicht ohne weiteres der Rückschluss erfolgen, dass nach wie vor dasselbe Krankheitsbild in derselben Intensität vorliege. Tatsächlich habe sich der Gesundheitszustand zwischenzeitlich erheblich verbessert. Die Antragstellerin sei relativ beschwerdefrei. Bis auf Mirtazapin als Schlafsicherung seien alle anderen „psychischen Medikamente“ abgesetzt worden. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit wäre zunächst eine Klärung durch Stellungnahme des behandelnden Arztes geboten gewesen, inwieweit das Krankheitsbild noch vorliege. Die Antragstellerin sei bereit, den behandelnden Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Da ihr hierzu nicht vorab Gelegenheit gegeben worden sei, sei die Gutachtensanordnung unverhältnismäßig. Mit Schriftsatz vom 25. November 2021 ließ die Antragstellerin rügen, dass die Vollziehungsanordnung nicht mit einer auf den konkreten Fall abgestellten und nicht lediglich formelhaften schriftlichen Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung versehen sei. Vorliegend beschränke sich die Begründung auf eine Verweisung auf die eigentliche Begründung des Verwaltungsakts. Eine ausführliche Interessenabwägung hinsichtlich der Umstände, dass der Vorfall im Jahr 2020 bereits lange zurückgelegen habe und zum damaligen Zeitpunkt von einem Nachtrunk und der Medikamenteneinnahme nach der Fahrt auszugehen gewesen sei, habe nicht stattgefunden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.
1. Soweit die Antragstellerin geltend macht, die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO, ist dies nicht innerhalb der einmonatigen Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO geschehen und die Beschwerde insoweit unzulässig. Neue oder bisher nicht ausreichend dargelegte Beschwerdegründe – und seien es – wie hier – auch „nur“ weitere als die bereits ausgeführten Beschwerdegründe – werden nach Ablauf dieser Frist nicht mehr gehört (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 19). Die Beschwerdebegründung kann dann lediglich noch ergänzt werden, soweit der konkrete zu ergänzende Grund innerhalb offener Frist bereits ausreichend, insbesondere also unter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Beschluss (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO), ausgeführt ist (Happ, a.a.O.).
Im Übrigen trifft die Rüge der Sache nach nicht zu. Das Landratsamt ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses geändert durch Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), zum Teil in Kraft getreten am 2. August 2021, davon ausgegangen, dass der Antragstellerin die Fahreignung fehlt, und durfte daher ihren sofortigen Ausschluss vom Straßenverkehr im Interesse der Verkehrssicherheit bzw. des Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer für erforderlich halten. Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es nicht an, da § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung normiert (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 80 Rn. 246; Hoppe in Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 54 f.; Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 80 Rn. 81). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin weist ihr Fall keine Besonderheiten auf, die ihn insoweit aus vielen gleich gelagerten Fällen herausheben würde. Somit ist auch nicht zu beanstanden, wenn die Behörde Textbausteine oder Standardbegründungen verwendet (vgl. Bostedt, a.a.O. § 80 Rn. 79; Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 39 Rn. 18; BayVGH, B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16 f.). Dies macht sie noch nicht zu inhaltsleeren Formeln oder Floskeln. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat im Übrigen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug (vgl. auch BayVGH, B.v. 8.6.2021 – 11 CS 20.2342 – juris Rn. 17 m.w.N.).
2. Soweit die Beschwerde zulässig ist, ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum maßgeblichen Zeitpunkt geändert durch Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), zum Teil in Kraft getreten am 1. August 2021, und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19).
Mit ihrer Kritik an der Verhältnismäßigkeit der Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens wendet die Antragstellerin der Sache nach auch ein, der der Anordnung zugrundeliegende Sachverhalt rechtfertige diese nicht. Sie sei also nicht hinreichend anlassbezogen. Dieser Einwand greift nicht durch.
Die Beibringungsanordnung setzt nicht voraus, dass eine Erkrankung oder ein Mangel im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV bereits feststeht (stRspr vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2021 – 11 CS 21.1727 – juris Rn. 19 m.w.N.). Es genügt der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV) bzw. ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 22; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 = juris Rn. 17), also – wie es in § 152 Abs. 2 StPO umschrieben wird – das Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte. Allerdings darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001, a.a.O. Rn. 26; Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 1. bzw. 9.12.2021, § 11 FeV Rn. 43, § 2 StVG Rn. 114 ff.). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Gleiches gilt für den genauen Grad der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss (BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – BayVBl 2015, 421 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 8.6.2021 a.a.O. m.w.N.).
Die Antragstellerin hat selbst bei verschiedenen Anlässen angegeben, an psychischen Erkrankungen zu leiden und täglich Psychopharmaka einzunehmen. Nach den rechtsmedizinischen Gutachten des Universitätsklinikums B. vom 19. April und 17. Juni 2020 stand sie am 14. März 2020 noch zum Zeitpunkt der Blutentnahme mehrere Stunden nach der Fahrt unter der akuten Wirkung des morgens eingenommenen Medikaments Sertralin. Sertralin kann die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigende Nebenwirkungen auslösen und sich mit Alkohol gegenseitig negativ beeinflussen. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Antragstellerin am 14. März 2020 in relativ fahruntüchtigem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt hat und ihre Fahrweise unsicher war. Nach einer Zeugenaussage hat sie den Fahrstreifen ohne Beachtung anderer Verkehrsteilnehmer gewechselt und beinahe eine Kollision mit einem anderen Fahrzeug verursacht. Abgesehen davon, dass dies für das Bestehen einer fahreignungsrelevanten psychischen Erkrankung keine Rolle spielt, haben die Rechtsmediziner des Universitätsklinikums B. den mehrstündigen Zeitraum zwischen dem Fahrtende und der Blutentnahme durch entsprechende Rückrechnung berücksichtigt. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist zu Lasten der Antragstellerin weder die Einnahme von Schlaftabletten noch von Mirtazapin, das sie regelmäßig abends eingenommen hat, in das Ergebnis des Gutachtens eingeflossen. Ebenso ist dem geltend gemachten Nachtrunk Rechnung getragen worden.
Ferner ist unschädlich, dass zwischen den letzten allgemeinmedizinischen Feststellungen im Arztbrief vom 25. Mai 2020 und dem Erlass der Beibringungsanordnung vom 20. April 2021 rund elf Monate verstrichen sind. Die diagnostizierten psychischen Erkrankungen waren so schwer („ausgeprägte Symptomatik“) bzw. dauerhaft (Borderline-Persönlichkeitsstörung, vgl. die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme ICD-10 F60.3), dass nicht davon auszugehen war, dass sich das Krankheitsbild innerhalb weniger Monate erheblich verbessern würde. Die Antragstellerin war aus psychischen Gründen arbeitsunfähig; ihr Psychiater hielt eine stationäre Therapie für notwendig. Zudem ist die Polizei am Abend des 27. Februar 2021 – wie am 14. März 2020 – erneut wegen eines Streits zwischen der Antragstellerin und ihrem Ehemann gerufen worden. Dabei hat sie die Antragstellerin wiederum in erheblich alkoholisiertem Zustand angetroffen (AAK 0,75 ng/ml), was auf eine mangelhafte Impulskontrolle hindeutet.
Wie das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss (S. 14) zutreffend ausgeführt hat (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), können auch Erkrankungen, die in Anlage 4 zur FeV nicht aufgeführt werden oder nicht unmittelbar zum Wegfall der Fahreignung führen (vgl. Nr. 7.5.2 der Anlage 4 zur FeV), Anlass zur Anordnung eines Fahreignungsgutachtens geben. Hinsichtlich der Borderline-Persönlichkeitsstörung ergeben sich aus der Beschreibung des Krankheitsbilds in ICD-10 F60.3 Merkmale mit einer möglichen Relevanz für die Fahreignung, wie die Unfähigkeit, impulshaftes Verhalten zu kontrollieren, eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen, und eine Neigung zu selbstdestruktiven Verhalten mit parasuizidalen Handlungen und Suizidversuchen. In der Gesamtschau wiesen die in dem allgemeinmedizinischen Arztbrief näher ausgeführten Diagnosen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und einer mittelgradig depressiven Episode (allgemein zur Relevanz affektiver Psychosen für die körperliche und geistige Eignung: Laux/Brunnauer in Schubert/ Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Komm., 3. Aufl. 2018, S. 234 f.), die ausgeprägte Symptomatik, die medikamentöse Behandlung, die bei der Antragstellerin am 14. März 2020 mit zur Fahruntüchtigkeit geführt hat und deren Nebenwirkungen bisher nicht bewertet worden waren, eine möglicherweise stationäre Behandlungsbedürftigkeit sowie wiederholte, möglicherweise krankheitsbedingte erhebliche Alkoholisierungen hinreichend auf eine aufklärungsbedürftige fahreignungsrelevante psychische Erkrankung hin. Eine Beiziehung der ärztlichen Unterlagen des die Antragstellerin behandelnden Psychiaters war im Hinblick auf den Umfang der bereits bekannten Tatsachen vorliegend nicht mehr erforderlich, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen (vgl. BayVGH, B.v. 8.6.2021 – 11 CS 20.2342 – juris Rn. 21 m.w.N.; B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 16 ff.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 24).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.2, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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