Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, erhebliche Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht (bejaht), Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotenzial, gefährliche Körperverletzung

Aktenzeichen  11 ZB 20.2572

Datum:
17.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12509
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 6, Abs. 8, § 46 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 6 K 19.4453 2020-09-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1974 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L und M.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 17. Februar 2017 verurteilte das Amtsgericht München den Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die es zur Bewährung aussetzte. Dem lag zu Grunde, dass er am 7. Januar 2016 anlässlich eines Parkvorgangs mit einem anderen Kraftfahrer, dem Geschädigten, in Streit geriet. Gemeinsam mit seinem telefonisch herbeigerufenen Bruder brachte er den Geschädigten zu Boden. Dort schlugen und traten sie mehrfach auf den Geschädigten ein, wodurch dieser eine Schädelprellung, eine Prellung des Augapfels und des Gewebes der Orbita (Augenhöhle) rechts sowie eine HWS-Distorsion und eine Ellenbogendistorsion erlitt. Zu Gunsten des Klägers berücksichtigte das Amtsgericht im Rahmen der Strafzumessung, dass es möglicherweise zu provokativem Verhalten des Geschädigten gekommen sei; die Konfliktparteien seien bereits länger miteinander bekannt. Zu Lasten des Klägers wurde berücksichtigt, dass der konkrete Anlass für die Auseinandersetzung eine Nichtigkeit gewesen sei, erhebliche Verletzungsfolgen eingetreten seien und der Kläger sehr aggressiv gehandelt habe.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2018 forderte die Beklagte den Kläger nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu der Frage beizubringen, ob trotz der aktenkundigen Straftat (hohes Aggressionspotenzial im Straßenverkehr) zu erwarten sei, dass er die Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 im Verkehr erfülle und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche/strafrechtliche Bestimmungen verstoßen werde, so dass dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen sei. Aufgrund der Brutalität der genannten Straftat bestünden Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial, das dazu führen könne, dass der Kläger auch im Straßenverkehr eigene Interessen aggressiv durchsetze und die Rechte anderer verletze. Im Rahmen der Ermessensbegründung wurde ausgeführt, die Beibringungsanordnung sei auch mit Blick darauf angemessen, dass die Tat bereits länger als zwei Jahre zurückliege, da diese eine grundsätzliche Neigung zu Gewalt denkbar erscheinen lasse. Mit Blick auf das Verhältnis zum Fahreignungs-Bewertungssystem heißt es, die Zweifel an der charakterlichen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wögen so schwer, dass ein Durchlaufen der einzelnen Stufen des Punktesystems nicht abgewartet werden könne.
Da der Kläger zwar ein Gutachten in Auftrag gegeben hatte, dies innerhalb der bis zum 25. November 2018 verlängerten Frist aber nicht einreichte, entzog ihm die Beklagte nach Anhörung mit Bescheid vom 11. Februar 2019 die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes zur Abgabe des Führerscheins innerhalb einer Woche ab Bestandskraft des Bescheids. Aus der Nichtbeibringung des Gutachtens sei auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Oberbayern mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2019 zurück.
Am 30. August 2019 ließ der Kläger Klage erheben, die das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 16. September 2020 abwies. Die Beibringungsanordnung sei rechtmäßig und der Schluss aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Nichteignung somit gerechtfertigt. Die gefährliche Körperverletzung stelle sich nach den konkreten Tatumständen als erhebliche Straftat dar, da sie deutlich ein erhebliches Aggressionspotenzial aufzeige. Dieses sowie die Umstände der Tat sprächen auch für eine Wiederholungsgefahr und gegen ein Augenblicksversagen.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Das Verwaltungsgericht habe die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV zu Unrecht bejaht, da eine „erhebliche Straftat“ in diesem Sinn eine Wiederholungsgefahr voraussetze. Diese werde hier dadurch widerlegt, dass es seither nicht zu weiteren einschlägigen Vorfällen gekommen sei. Das Amtsgericht München habe die Strafe mit Beschluss vom 10. Juli 2020 nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus dem Vorbringen des Klägers, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), da er weder einen tragenden Rechtssatz des angefochtenen Urteils noch eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.).
1. Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat (§ 2 Abs. 4 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes [StVG] in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.3.2003 [BGBl I S. 310, 919], zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.4.2019 [BGBl I S. 430], § 11 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13.12.2010 [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980], im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 4.7.2019 [BGBl I S. 1056]).
Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens anordnen (§ 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 bis Abs. 6 FeV). Unter anderem kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Kraftfahrzeugs begangen wurde (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV).
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19).
2. Daran gemessen begegnet die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV gestützte Begutachtungsanordnung rechtmäßig war, so dass aus der Nichtvorlage des angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens auf die Nichteignung geschlossen werden durfte, keinen ernstlichen Zweifeln. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die gefährliche Körperverletzung vom 7. Januar 2016 als erhebliche Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, zu bewerten.
a) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht zu Grunde gelegt, dass diese Straftat „im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung“ steht.
aa) Ein derartiger Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat Rückschlüsse auf die charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zulässt (BayVGH, B.v. 30.11.2020 – 11 CS 20.1781 – juris Rn. 16; B.v. 6.11.2017 – 11 CS 17.1726 – juris Rn. 27; VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – VRS 130, 256 = juris Rn. 30). Diese kann auch durch Fehleinstellungen und Fehlreaktionen, die in Straftaten außerhalb des Straßenverkehrs zum Ausdruck kommen, in Frage gestellt sein. Der Bezug zur Kraftfahreignung setzt daher weder voraus, dass die Anlasstat einen Verstoß gegen verkehrsrechtliche Vorschriften darstellt, noch dass sie im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht oder im Straßenverkehr begangen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2014 – 11 CS 14.2194 – juris Rn. 12; Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 19.4.2021, § 11 FeV Rn. 70). Als Regelbeispiel, in dem ein solcher Zusammenhang anzunehmen ist, nennt der Verordnungsgeber eine Straftat, die Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bietet. Innerer Grund dafür ist die empirisch erwiesene Verbindung von aggressivem Verhalten außerhalb und innerhalb des Straßenverkehrs (vgl. VGH BW, U.v. 27.7.2016 a.a.O. Rn. 30; Hofmann/Petermann/Witthöft, SVR 2013, 12, 13; Koehl, SVR 2013, 8/9; Wagner/Müller/Koehl/Rebler, Fahreignungszweifel bei Verkehrsdelinquenz, Aggressionspotenzial und Straftaten, 2020, S. 52). Wer aufgrund des rücksichtslosen Durchsetzens eigener Interessen, aufgrund seines großen Aggressionspotenzials oder seiner nicht beherrschten Affekte und unkontrollierten Impulse in schwerwiegender Weise die Rechte anderer verletzt, lässt nicht erwarten, dass er im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer – zumindest in den sehr häufigen Konfliktsituationen – respektieren wird (vgl. Nr. 3.16 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 [Vkbl S. 110]). In Betracht kommen insoweit typischerweise solche Straftaten, die sich durch Aggression gegen Personen oder Sachen ausdrücken, wie etwa Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung, Nötigung und Sachbeschädigung (vgl. Begutachtungsleitlinien Nr. 3.16; BayVGH, B.v. 30.11.2020, a.a.O. Rn. 16; HessVGH, B.v. 13.2.2013 – 2 B 189/13 – NJW 2013, 3192 = juris. Rn. 6; NdsOVG, B.v. 2.12.2016 – 12 ME 142/16 – DAR 2017, 159 = juris Rn. 32).
Die Anhaltspunkte für einen entsprechenden Eignungsmangel müssen hinreichend konkret sein und diesen als naheliegend erscheinen lassen. Bereits festgestellt worden sein muss ein solcher aber nicht. Ob ein Eignungsmangel vorliegt, soll vielmehr erst durch die medizinisch-psychologische Begutachtung geklärt werden (vgl. VGH BW, U.v. 27.7.2016 a.a.O. Rn. 30; HessVGH, B.v. 13.2.2013 a.a.O. Rn. 4).
bb) Danach ist der Zusammenhang zwischen der Kraftfahreignung und der gefährlichen Körperverletzung vom 7. Januar 2016 hier ohne weiteres zu bejahen. Diese Tat weist auf ein hohes Aggressionspotenzial hin. In ihr offenbart sich jedenfalls die Neigung zur rücksichtslosen Durchsetzung eigener Interessen sowie eine Bereitschaft, die körperliche Integrität anderer zu verletzen. Dies lässt befürchten, dass der Kläger auch bei konflikthaften Verkehrssituationen, etwa bei Fahrfehlern anderer, aggressiv sowie impulsiv handelt und dadurch das Verkehrsrisiko erhöht.
b) Das Verwaltungsgericht hat die Straftat zutreffend auch als „erheblich“ i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV angesehen.
aa) Dieser Begriff ist nach der Begründung der Änderungsverordnung zur Fahrerlaubnisverordnung vom 18. Juli 2008 (BGBl I S. 1338, BR-Drs. 302/08 S. 61) nicht ohne weiteres mit „schwerwiegend“ im Sinne einer strafrechtlichen Bewertung gleichzusetzen, sondern bezieht sich – ebenfalls – auf die Kraftfahreignung (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2012 – 11 C 12.874 – juris Rn. 26; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 35b, 30). Nach dem Willen des Normgebers soll mit § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV Eingang in den Verordnungstext finden, was der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bereits für die bis dahin geltende Fassung vom 18. August 1998 (BGBl I S. 2214), die von „Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen“ sprach (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV a.F.), angenommen hat: Dass eine medizinisch-psychologische Untersuchung auch bei einer einmaligen Straftat angeordnet werden kann, sofern diese erheblich ist (vgl. BR-Drs. 302/08 S. 61 unter Verweis auf VGH BW, B.v. 25.7.2001 – 10 S 614/00 – DAR 2002, 92 = juris Rn. 4). Dem gegenüber setzt § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV mehrere Straftaten voraus, die allerdings nicht erheblich sein müssen.
Folglich beurteilt sich die „Erheblichkeit“ i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV nach den gleichen Kriterien wie der „Zusammenhang mit der Kraftfahreignung“, erfordert aber hier – auch im Unterschied zu § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV -, dass bereits die einzelne Straftat so massive Zweifel an der Fahreignung begründet, dass sie eine medizinisch-psychologische Untersuchung rechtfertigt (in diesem Sinne Koehl, SVR 2013, 8/10 zum erheblichen Verkehrsverstoß). Festzustellen ist dies (gleichfalls) anhand der konkreten Umstände, die sich aus der Tat unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit ergeben (BayVGH, B.v. 5.7.2012 – 11 C 12.874 – juris Rn. 27; B.v. 9.3.2021 – 11 CS 20.2793 – VerkMitt 2021, Nr. 27 = juris Rn. 13), letztlich also von Fall zu Fall (vgl. Tepe, NZV 2010, 64/66).
Daraus folgt zugleich, dass nicht jede Straftat, die im Zusammenhang mit der Fahreignung steht und Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bietet, eine erhebliche Straftat i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV darstellt. Bei Aggression kann es sich im Einzelfall auch um ein isoliertes Fehlverhalten oder Augenblicksversagen handeln, was noch keine tragfähigen Rückschlüsse auf die Fahreignung zulässt. Anders liegt es jedoch, wenn die Tat auf eine Disposition, etwa in Form bestimmter Persönlichkeitsmerkmale oder verfestigter Einstellungen, hinweist. So können z.B. die Massivität der Gewaltanwendung und die Gefahrgeneigtheit sowie Verletzungseignung der Handlung einen Anhalt für aggressive Neigungen oder eine generell geringe Hemmschwelle gegenüber der körperlichen Integrität anderer bieten (vgl. dazu BayVGH, B.v. 9.3.2021, a.a.O. Rn. 13; B.v. 5.7.2012, a.a.O. Rn. 28).
bb) Davon ausgehend stellt sich die vorsätzliche gefährliche Körperverletzung vom 7. Januar 2016 als erheblich dar. Sie zeichnet sich durch massive Gewalt aus, die in der Art und Dauer des Angriffs, aber auch in dessen Gefahrgeneigtheit zum Ausdruck kommt. Der Kläger hat selbst dann noch gemeinsam mit seinem Bruder auf den Geschädigten eingeschlagen und eingetreten, als dieser wehrlos am Boden lag. Wie das Amtsgericht festgestellt hat, waren die Fußtritte auf den Kopf und in das Gesicht grundsätzlich geeignet, lebensbedrohliche Verletzungen herbeizuführen. Dies legt nahe, dass der Kläger allgemein zu aggressivem Verhalten neigt und eine niedrige Hemmschwelle gegenüber der Integrität anderer hat, sich in der Tat mithin verfestigte Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen zeigen (vgl. zur Rechtsprechung des Senats auch BayVGH, B.v. 14.8.2012 – 11 C 12.1746 – juris Rn. 10; B.v. 27.11.2014 – 11 CS 14.2228 – juris Rn. 15 ff.; B.v. 6.11.2017 – 11 CS 17.1726 – juris Rn. 27). Eine isolierte, persönlichkeitsfremde Verfehlung drängt sich hingegen nach den Gesamtumständen der Tat nicht auf. Dass der Geschädigte den Kläger möglicherweise provoziert hat, ist insoweit angesichts des Missverhältnisses von Anlass und Reaktion unerheblich. Denn im Straßenverkehr kann ein Kraftfahrer häufig in Situationen kommen, in denen sich andere nicht richtig verhalten, und muss sich auch dort kontrollieren können (vgl. HessVGH, B.v. 13.2.2013 – 2 B 189/13 – NJW 2013, 3192 = juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 24.11.2014 – 11 CS 14.2194 – juris Rn. 12).
Der Einwand des Klägers, dass es seither zu keinen vergleichbaren Vorfällen gekommen sei, vermag diese Anhaltspunkte für einen persönlichkeitsbedingten Eignungsmangel nicht zu erschüttern, zumal einem Wohlverhalten unter dem Druck eines anhängigen behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens nur beschränkte Aussagekraft zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – BayVBl. 2006, 18 = juris Rn. 23). Im Übrigen dürfte diesem Gesichtspunkt grundsätzlich allenfalls bei der Ausübung des durch § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV eröffneten Ermessens Bedeutung zukommen (vgl. dazu BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 36 ff.; VGH BW, U.v. 11.10.2017 – 10 S 746/17 – DAR 2018, 44 = juris Rn. 38). Insoweit ist die Erwägung der Beklagten, dass die Begutachtungsanordnung auch angesichts der zwischen der Tat und dem maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 a.a.O. Rn. 14; BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 18) verstrichenen Zeit angemessen ist, da hier eine grundsätzliche Neigung zu Gewalt zu befürchten steht, nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger auf den Erlass seiner Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit verweist, liegt dies nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung, aber auch nach der letzten Behördenentscheidung und hat bereits deshalb außer Betracht zu bleiben.
3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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