Medizinrecht

Erfolgloser Verfügungsantrag gegen Werbeaussagen für Heilmittel

Aktenzeichen  33 O 17533/20

Datum:
2.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3 Abs. 1, § 3a
HWG § 3 Abs. 1, § 3a S. 2

 

Leitsatz

Richtet sich eine angegriffene Werbung ausschließlich an Fachkreise, hat der Antragsgegner im einstweiligen Verfügungsverfahrens zur Glaubhaftmachung des behaupteten Verkehrsverständnisses aussagekräftige Unterlagen vorzulegen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens kommt nicht in Betracht. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung vom 23.12.2020 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung der Antragsgegnerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet, weil ein Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist. Auf die Frage des Bestehens eines Verfügungsgrundes kommt es somit nicht an.
A. Die Antragstellerin hat in Bezug auf die begehrten Verbote keinen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht, weshalb der Antrag insgesamt zurückzuweisen war.
Im Einzelnen:
I. Der Antragstellerin steht mit Blick auf die mit Ziffern. I. 1. und 3. begehrten Verbote kein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch nach Maßgabe der §§ 8, 3a, 3 Abs. 1 UWG, § 3a S. 2 HWG zu, weil die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr aufgrund der mit Schreiben vom 21.12.2020 (Anlage AS 11) abgegebenen Unterlassungserklärung ausgeräumt wurde.
1. Anspruchsvoraussetzung des lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs ist grundsätzlich das Bestehen einer Begehungsgefahr in Form von Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr (BGH GRUR 1980, 241, 242 – Rechtsschutzbedürfnis; BGH GRUR 1983, 127, 128 – Vertragsstrafeversprechen; BGH GRUR 1992, 318, 319 – Jubiläumsverkauf; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2021, § 8 Rn. 1.11). Ist es bereits zu einem Wettbewerbsverstoß gekommen, streitet eine tatsächliche Vermutung für das Bestehen von Wiederholungsgefahr (stRspr BGH GRUR 2002, 717, 719 – Vertretung der Anwalts-GmbH). Diese Vermutung wird in der Regel nur dann widerlegt und die Wiederholungsgefahr damit ausgeräumt, wenn der Verletzer eine bedingungslose und unwiderrufliche Unterlassungsverpflichtungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung abgibt (BGH GRUR 2008, 996 Rn. 33 – Clone-CD; BGH GRUR 2008, 1108 Rn. 23 – Haus & Grund III; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, a.a.O., § 8 Rn. 1.48). Dabei lässt bereits die Abgabe einer ernsthaften und angemessenen Unterwerfungserklärung unabhängig von einer Annahme durch den Unterlassungsgläubiger die Wiederholungsgefahr entfallen (BGH GRUR 2006, 878 Rn. 20 – Vertragsstrafenvereinbarung).
Im Rahmen der konkreten Unterwerfung steht es dem Unterlassungsschuldner grundsätzlich frei, ob er eine abstrakte Formulierung wählt oder ob er sich bei dem, was er zu unterlassen verspricht, an der konkreten Verletzungsform orientiert. Einen Anspruch auf Abgabe einer ganz bestimmten Unterlassungserklärung hat der Unterlassungsgläubiger grundsätzlich nicht (BGH GRUR 2003, 899, 900 – Olympiasiegerin). Entscheidet sich der Unterlassungsschuldner, sich bei der Formulierung der Unterlassungserklärung eng an der Verletzungsform zu orientieren, so lässt auch eine solche Erklärung die Wiederholungsgefahr regelmäßig entfallen, weil die Kerntheorie gilt und daher eine auf die konkrete Verletzungsform bezogene Unterwerfungserklärung die Wiederholungsgefahr auch für Varianten des Verhaltens entfallen lässt, die mit der konkreten Verletzungsform kerngleich sind (BGH GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; BGH GRUR 1997, 379, 380 – Wegfall der Wiederholungsgefahr II). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Auslegung der Erklärung ergibt, dass der Schuldner mit der Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform gerade das Ziel verfolgt, sich hinsichtlich kerngleicher Verletzungsformen der Verfolgung zu entziehen (BGH GRUR 2003, 450, 452 – Begrenzte Preissenkung). In einem solchen Fall entfällt die Wiederholungsgefahr für kerngleiche Verletzungen gerade nicht.
2. Gemessen hieran haben die von der Antragsgegnerin im Schreiben vom 21.12.2020 abgegebenen Erklärungen die Wiederholungsgefahr für die mit Ziffern I. 1. und I. 3. verfolgten Ansprüche entfallen lassen. Die Antragsgegnerin hat sich in diesem Zusammenhang verpflichtet, „für die Arzneimittel O… und Y… wie folgt zu werben und/oder werben zu lassen (…)“. Sie hat sich insoweit auf das Verbot einer Bewerbung der konkret beanstandeten Aussagen beschränkt. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin hiermit gerade das Ziel verfolgte, sich hinsichtlich kerngleicher Verletzungsformen der Verfolgung zu entziehen, ergibt die nach dem objektiven Empfängerhorizont vorzunehmende Auslegung (§§ 133, 157 BGB) der Unterwerfungserklärung nicht. Denn das Charakteristische der von der Antragstellerin in ihrer Abmahnung beanstandete Verhalten, nämlich die Darstellung verschiedener OS-Plateaubildungen auf Basis der CheckMate227-Studie bei der Gabe von Nivolumab und Ipilimumab ohne Chemotherapie sowie die Aussage „O… + Y… in der Erstlinientherapie des NSCLC“ ist gerade zentraler Gegenstand der Unterwerfungserklärung. Dass sich die Antragsgegnerin nur in Bezug auf eine bestimmte graphische Darstellung der verschiedenen Kurven oder eine bestimmte farbliche Einbettung der angegriffenen Aussage unterwerfen wollte, lässt sich der Erklärung nicht entnehmen.
3. Der Antrag Ziff. I. 1. war demnach bereits im Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht unbegründet, weshalb es am Eintritt eines erledigenden Ereignisses fehlt und auch der Feststellungsantrag keinen Erfolg haben konnte.
II. In Bezug auf die in Ziffern I. 2, I. 4. und I. 5. begehrten Verbote hat die Antragstellerin eine Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise i.S.d. § 3 HWG nicht glaubhaft gemacht. In Bezug auf die mit Anträgen I. 4 und I. 5. angegriffenen Aussagen besteht zudem keine Begehungsgefahr für eine Werbung außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes gem. § 3a S. 2 HWG. Folglich stehen der Antragstellerin die geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsansprüche aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG nicht zu.
1. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 HWG ist eine irreführende Werbung unzulässig. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 HWG liegt eine irreführende Heilmittelwerbung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Insoweit sind – wie allgemein bei gesundheitsbezogener Werbung – besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (BGH, GRUR 2002, 182, 185 – Das Beste jeden Morgen; BGH GRUR 2013, 649 Rn. 15 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
Für die Bestimmung des Inhalts einer solchen Werbeaussage ist auf das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten abzustellen (BGH GRUR 2021, 513 Rn. 11 – Sinupret). Richtet sich die Werbung – wie hier – an Fachkreise, denen die Mitglieder der erkennenden Kammer nicht angehören, so ist das relevante Verkehrsverständnis regelmäßig durch Erholung eines Sachverständigengutachtens zu bestimmen (BGH GRUR 2021, 513 Rn. 14 – Sinupret), falls die Kammermitglieder aufgrund ihrer ständigen Befassung mit vergleichbaren Streitsachen nicht ausnahmsweise über eigene Sachkunde verfügen (BGH GRUR 2019, 196 Rn. 19 – Industrienähmaschinen) oder aber keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich das Verständnis der angesprochenen speziellen Verkehrskreise von dem des Verkehrskreises unterscheiden könnte, dem die Mitglieder der Kammer angehören (vgl. BGH GRUR 2021, 513 Rn. 14 f. – Sinupret).
Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist die Erholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht ausgeschlossen (vgl. Harte/Henning/Retzer, UWG, 4. Auflage, § 12 Rdnr. 432), weil aufgrund der damit einhergehenden zeitlichen Verzögerung zu besorgen ist, dass die Durchsetzung der Rechte wesentlich erschwert und somit ein effektiver Rechtsschutz vereitelt würde. Somit genügt es im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens zur Glaubhaftmachung des behaupteten Verständnisses der angesprochenen Fachkreise, wenn der Antragsteller aussagekräftige Unterlagen vorlegt, aus denen sich ein solches Verständnis ergibt.
2. Ausgehend hiervon sieht sich die Kammer in Bezug auf die mit Anträgen I. 2., I. 4 und I. 5. angegriffenen Aussagen nicht in der Lage, das relevante Verkehrsverständnis zu beurteilen. Die Aussagen richten sich an spezielle Fachkreise, d.h. an Ärzte, die mit der Verordnung und Verabreichung von Krebstherapien befasst sind. Diese Fachkreise, die überwiegend aus Fachärzten der Onkologie bestehen, verfügen über ein spezifisches Fachwissen einer medizinisch äußerst komplexen Materie. Die Kammer kann insoweit nicht beurteilen, wie die angesprochenen Fachkreise die konkret von der Antragstellerin angegriffenen Aussagen beurteilen. Unterlagen, aus denen sich das von der Antragstellerin in Anspruch genommene Verkehrsverständnis ergibt, etwa in Form von (fach-) ärztlichen Stellungnahmen hat die Antragstellerin nicht vorgelegt.
a. Die Kammer vermag nicht einzuschätzen, ob die Fachkreise aus der Darstellung auf S. 12 der Präsentation (Anlage AS 1) zur OS-Plateaubildung bei den Tumorentitäten „Melanom“ und „RCC“ tatsächlich Rückschlüsse auf die Wirkungen der Arzneimittel im Zusammenhang mit der Behandlung des NSCLC ziehen (Antrag I.2). Die Kammer kann jedenfalls nicht ausschließen, dass den angesprochenen Fachkreisen bewusst ist, dass verschiedene Tumorerkrankungen unterschiedliche Therapien nach sich ziehen, und dass sich die Darstellung – wie auch aus der Gestaltung des Slidedecks ersichtlich ist – darauf beschränkt, die generellen Wirkungen von Immuntherapien wiederzugeben. Die Kammer hat jedenfalls Zweifel, ob die angesprochenen Verkehrskreise tatsächlich die angegriffene Darstellung dahingehend verstehen, dass ähnliche oder gleiche Wirkungen auch bei der Behandlung des NSCLC zu erwarten sind. Diese Zweifel gehen zu Lasten der insoweit darlegungs- und glaubhaftmachungsbelasteten Antragstellerin.
b. Die Kammer kann weiter nicht sicher beurteilen, wie die angesprochenen Fachkreise die Aussage „Chance auf langanhaltende Wirksamkeit durch die duale Immuntherapie“ verstehen (Antrag 1.4). Die Antragstellerin hat insoweit vorgetragen, aus dem Gesamtkontext der Unterlage folge, dass der angesprochene Verkehr erwarten werde, dass die Wirksamkeit länger als 27 Monate anhalten würde, wofür kein wissenschaftlicher Beleg existiere. Dieses – insoweit von der Antragsgegnerin in Abrede gestellte – Verkehrsverständnis (vgl. Antragserwiderung S. 22 f., Bl. 83 f. d.A.) hat die Antragstellerin nicht durch Vorlage aussagekräftiger Unterlagen glaubhaft gemacht.
Eine Werbung außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes und damit ein Verstoß gegen § 3a S. 2 HWG liegt ebenfalls nicht vor. Aus der maßgeblichen Sicht der angesprochenen Fachkreise wird die in Frage stehende Angabe (Antrag 1.4) nicht dahin verstanden, dass eine Therapie mit diesen beiden Arzneimitteln ohne 2 Zyklen Chemotherapie erfolgen soll. Denn die Angabe wird aus Sicht der angesprochenen Fachkreise in dem gegebenen Kontext, unter der in fetten Lettern und hervorgehobener Schriftgröße gehaltenen Überschrift: „O… + Y… + 2 Zyklen Chemotherapie: Eine neue Therapieoption in der 1L NSCLC“ gelesen und verstanden. Unübersehbar und unmissverständlich ist die beworbene Therapie daher eine auch mit Chemotherapie kombinierte. Dies wird im weiteren Text der Werbeunterlage an verschiedenen Stellen wiederholt. Im zweiten Bulletpoint direkt unter der beanstandeten Angabe werden die 2 Zyklen Chemotherapie angeführt. Auch im Fließtext wird immer wieder die Kombination mit 2 Zyklen Chemotherapie angesprochen. Schließlich wird die beworbene Therapie in der Beschriftung der graphischen Darstellung als „O… + Y… + 2 Zyklen Chemotherapie“ bezeichnet. Den Fachkreisen wird daher nicht entgehen, dass die beworbene Therapie die Kombination mit 2 Zyklen Chemotherapie umfasst. Insoweit kann die Kammer das Verständnis der angesprochenen Fachkreise aus eigener Sachkunde beurteilen, auch wenn ihre Mitglieder nicht zu den angesprochenen Fachkreisen gehören. Denn es bestehen in diesem Zusammenhang nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verständnis der angesprochenen speziellen Verkehrskreise von dem des Verkehrskreises unterscheiden könnte, dem die Mitglieder der Kammer angehören (vgl. BGH GRUR 2021, 513 Rn. 14 f. – Sinupret). Vielmehr ist bei den angesprochenen Fachkreisen von einem erhöhten Aufmerksamkeitsgrad auszugehen, so dass es fernliegend wäre anzunehmen, sie würden – anders als die Mitglieder der Kammer – die Aussage im ersten Bulletpoint bezogen auf eine Therapie ohne Chemotherapie verstehen.
c. Die Kammer kann ferner nicht beurteilen, wie die angesprochenen Fachkreise die Aussage „Erste duale Immuntherapie in der 1L NSCLC, die Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1 Status gezeigt hat“ auffassen (Antrag 1.5). Der Kammer fehlt schon das entsprechende Fachverständnis, wie die Frage der „Wirksamkeit unabhängig von Histologie und PD-L1-Status“ zu verstehen ist, weshalb sie eine Prüfung nicht vornehmen kann, ob insoweit ein Eindruck erweckt wird, der mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang steht, zumal die als Anlagen Agg 4 und AS 14 vorgelegte ESMO Guideline eine entsprechende Therapieempfehlung trotz nicht optimaler Studienlage ausspricht. Dass die Aussage unwahr ist, weil es auch andere duale Immuntherapien gebe, die Wirksamkeit über derart lange Zeiträume gezeigt habe, hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Schließlich liegt aus den gleichen wie unter C., II., 2., b. dargelegten Gründen auch insoweit kein Verstoß gegen § 3a S. 2 HWG vor.
Ob die Antragsgegnerin sich vorliegend überhaupt einer solchen Aussage in einer Weise berühmt hat, die Erstbegehungsgefahr begründet, kann daher dahinstehen.
III. Der Antragstellerin steht schließlich das mit Ziffer I. 6. des Verfügungsantrags begehrte Verbot in der Fassung des Schriftsatzes vom 15.02.2021, womit der Antragsgegnerin untersagt werden soll, „für die Arzneimittel O… und Y… im Anwendungsgebiet NSCLC eine Plateaubildung unter der (dualen) Immuntherapie unter Verwendung der Ergebnisse der Studie CheckMate 227 darzustellen“, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Auf die Frage des Vorliegens einer entsprechenden Erstbegehungsgefahr kommt es daher nicht an. Denn selbst bei unterstellter Berühmung eines solchen Verhaltens durch die Antragsgegnerin vermitteln die von der Antragstellerin in Anspruch genommenen Regelungen der §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. § 3 S. 2 Nr. 1 HWG einen derart weitgehenden Unterlassungsanspruch nicht, zumal aufgrund heilmittelrechtlicher Vorschriften nicht jede Verwendung einer umstrittenen wissenschaftlichen Studie untersagt werden kann.
1. Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (sog. „Strengeprinzip“, vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rn. 16 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können (BGH GRUR 2013, 649 Rn. 16 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Unzulässig ist es außerdem, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. Darüber hinaus kann es irreführend sein, wenn eine Werbeaussage auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen (vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rn. 17 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Welche Anforderungen an den Nachweis einer gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis zu stellen sind, hängt von den im Wesentlichen tatrichterlich zu würdigenden Umständen des Einzelfalls ab. Studienergebnisse, die in der Werbung oder im Prozess als Beleg einer gesundheitsbezogenen Aussage angeführt werden, sind grundsätzlich nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Dies erfordert nach dem sog. „wissenschaftlichen Goldstandard“ im Regelfall, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist (BGH GRUR 2013, 649 Rn. 19 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil, m.w.N.).
2. Aus den vorliegenden Überlegungen folgt für den hier relevanten Fall, dass selbst dann, wenn die in Frage stehende Studie mangels Einhaltung des wissenschaftlichen Gold-Standards zur wissenschaftlichen Absicherung einer OS-Plateaubildung im Anwendungsgebiet des NSCLC nicht geeignet wäre, nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen dennoch ein legitimer Anwendungsbereich für ihre Verwendung bliebe. Denn es handelt sich um eine Studie, die nach dem von der Antragsgegnerin glaubhaft gemachten Vortrag zumindest für bestimmte Bereiche statistisch valide Daten liefert (Begutachtung der Studie EPA-Report, Agg 2, Agg 3). Ihr kann deshalb nicht grundsätzlich jeder wissenschaftliche Anspruch und damit die Eignung zum Beleg bestimmter Aussagen abgesprochen werden. Darüber hinaus wäre eine Verwendung der Studie nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auch unter dem Gesichtspunkt der „wissenschaftlich umstrittenen Meinung“ vorstellbar. Der Antragsgegnerin obläge es dann, im Rahmen etwaiger Werbeaussagen auf abweichende Ansichten hinzuweisen.
B. Ob der Verfügungsantrag dringlich ist, bedarf nach alledem keiner Entscheidung.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 6, 711 Satz 1 und Satz 2 ZPO.


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