Medizinrecht

Ergänzungen der Anordnung zur Beibringung einer MPU

Aktenzeichen  11 ZB 15.2733

Datum:
18.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 43627
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 13

 

Leitsatz

Die Fahrerlaubnisbehörde kann Ergänzungen an einer bereits erlassenen Gutachtensanordnung vornehmen, bis das Gutachten erstellt und die Fahrerlaubnis enzogen wurde.    (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 K 15.816 2015-11-03 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klasse BE.
Das Amtsgericht Nürnberg verurteilte sie am 16. Juli 2008 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und entzog ihr die Fahrerlaubnis, weil sie am 4. März 2008 mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,79‰ mit einem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen und einen Unfall verursacht hatte.
Am 8. Oktober 2009 erteilte die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Nürnberg der Klägerin erneut eine Fahrerlaubnis der Klasse BE, nachdem sie einen Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung besucht hatte. Sie hatte ein am 13. August 2009 erstelltes Fahreignungsgutachten vorgelegt, mit dem festgestellt wurde, dass zu erwarten sei, dass sie auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde, aber ein Kurs nach § 70 FeV die Fahreignung günstig beeinflussen werde.
Mit Schreiben vom 20. September 2014 teilte die Polizeiinspektion Altdorf b. Nürnberg der Fahrerlaubnisbehörde beim Landratsamt Nürnberger Land (Fahrerlaubnisbehörde) mit, dass die Polizei am 10. September 2014 wegen eines Familienstreits zur Wohnung der Klägerin gerufen worden sei. Die Klägerin habe einen stark betrunkenen Eindruck gemacht und angegeben, eine Flasche Wein getrunken zu haben. Sie habe zugegeben, die Stieftochter wegen eines Streits in den Keller gesperrt zu haben. Ihr Ehemann habe angegeben, seine Frau sei Alkoholikerin und habe eine dreimonatige Entziehungskur durchgeführt. Sie sei nunmehr rückfällig geworden.
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2014 forderte die Fahrerlaubnisbehörde die Klägerin auf, ein ärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen, da Tatsachen vorliegen würden, die die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründeten. Die Klägerin legte eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin M. vom 9. Dezember 2014 mit aktuellen Laborergebnissen vor. Der Arzt geht davon aus, dass aufgrund der Laborergebnisse eine chronische Alkoholabhängigkeit nicht anzunehmen sei. Die Klägerin beauftragte zugleich das Institut für Beratung – Begutachtung – Kraftfahrereignung GmbH (IBBK GmbH) mit der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens.
Mit Schreiben vom 5. März 2015 teilte die Polizeiinspektion Altdorf b. Nürnberg der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass die Polizei am 28. Januar 2015 gegen 16.20 Uhr erneut zu einem Familienstreit zu der Wohnung der Klägerin gerufen worden sei. Die Stieftochter und der Ehegatte der Klägerin hätten angegeben, die Klägerin habe bereits einen Liter Wein getrunken und sei mehrmals die Woche alkoholisiert. Ein freiwilliger Alkoholtest habe eine Atemalkoholkonzentration (AAK) von 1,20 mg/l ergeben. Aufgrund des anhaltend aggressiven Verhaltens der Klägerin sei sie, gestützt auf Art. 10 Abs. 2 UnterbrG, in das Bezirkskrankenhaus eingewiesen worden.
Die Fahrerlaubnisbehörde übersandte die Unterlagen bezüglich des Vorfalls vom 28. Januar 2015 der Klägerin und der IBBK GmbH, da das Gutachten noch nicht erstellt war. Mit Schreiben vom 7. April 2015 teilte die Klägerin mit, dass sie das Gutachten nicht vorlegen werde, da es nicht akzeptabel sei. Es enthalte keinerlei eigene Feststellungen bzw. Befunde, die die Annahme einer Alkoholabhängigkeit zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens rechtfertigten.
Mit Bescheid vom 20. April 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Klägerin die Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids), ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Vorlage des Führerscheins innerhalb von drei Werktagen nach Zustellung des Bescheids (Nrn. 2 und 3) sowie die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an (Nr. 4). Die Klägerin habe das geforderte ärztliche Gutachten nicht vorgelegt. Es sei daher nach § 11 Abs. 8 FeV darauf zu schließen, dass sie nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Mit Schreiben vom 8. Mai 2015 übersandte die Klägerin ihren Führerschein der Fahrerlaubnisbehörde.
Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 25. August 2015 abgelehnt (Az. AN 10 S 15.00821). Die Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 3. November 2015 abgewiesen. Die Klägerin habe das zu Recht geforderte ärztliche Gutachten nicht vorgelegt. Der Vorfall vom 28. Januar 2015 habe berücksichtigt werden können, obwohl er erst nach Erlass der Gutachtensaufforderung geschehen sei. Das Gutachten sei noch nicht erstellt gewesen und die Gutachtensaufforderung habe daher entsprechend ergänzt werden können. Im Übrigen liege auch ein Fall des § 11 Abs. 7 FeV vor. Mit Entlassbericht vom 9. Februar 2015 habe die F.-Klinik E. ein Alkoholabhängigkeitssyndrom nach ICD-10 F10.2 diagnostiziert.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Die Klägerin macht geltend, die Untersuchungsanordnung vom 17. Oktober 2014 sei rechtswidrig, da zu diesem Zeitpunkt keine ausreichenden Tatsachen vorgelegen hätten, die die Annahme von Alkoholabhängigkeit rechtfertigten. Die Behauptung des Ehemanns, die Klägerin sei Alkoholikerin, reiche dafür nicht aus. Eine Ergänzung der Gutachtensbeibringungsanordnung sei nicht erfolgt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegrün-dung, auf die sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine Zulassungsgründe.
Die Antragsbegründung ist dahingehend zu verstehen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils geltend gemacht werden. Solche Zweifel liegen vor, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (zu diesem Maßstab vgl. BVerfG, B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057.11 – BVerfGE 134, 106/118; B.v. 21.1.2009 – 1 BvR 2524.06 – NVwZ 2009, 515 m. w. N.). Wird die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 124a Rn. 7). Daran fehlt es hier.
Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil zum einen darauf gestützt, dass die Gutachtensanordnung zu Recht ergangen sei. Zum anderen ist es aber auch davon ausgegangen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nach Vorlage des Entlassberichts der F.-Klinik E. vom 9. Februar 2015 auch auf § 11 Abs. 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1674), gestützt werden könne, da mit diesem Bericht eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert worden sei. Mit dieser Argumentation setzt sich die Antragsbegründung auch nicht ansatzweise auseinander.
Darüber hinaus greift aber auch der Einwand der Klägerin, zum Zeitpunkt der Gutachtensanordnung seien keine ausreichenden Tatsachen bekannt gewesen, die die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründeten, nicht durch. Denn jedenfalls nach der zulässigen Ergänzung der Gutachtensanordnung um den Vorfall vom 28. Januar 2015 lagen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV vor. Die Fahrerlaubnisbehörde kann die Gutachtensanordnung ergänzen, solange ein Gutachten noch nicht erstellt und die Fahrerlaubnis noch nicht entzogen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2015 – 11 CS 15.82 – juris Rn. 15; OVG NW, B.v. 5.3.2014 – 16 B 1485/13 – juris Rn. 3 ff.). Hier hat die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 9. März 2015 die von der Polizei hinsichtlich des Vorfalls vom 28. Januar 2015 übersandten Unterlagen sowohl dem Bevollmächtigten der Klägerin als auch der Begutachtungsstelle übersandt und mitgeteilt, dass dieser Vorfall für die Begutachtung von Relevanz sei. Damit wurde hinreichend deutlich gemacht, dass dieser Vorfall zur Ergänzung der Gutachtensordnung in das Begutachtungsverfahren einbezogen wird.
In der Zusammenschau der Entziehung der Fahrerlaubnis im Jahr 2008 wegen eines Alkoholdelikts im Straßenverkehr mit einer BAK von 1,79‰, dem Vorfall vom 10. September 2014 und dem weiteren Vorfall vom 28. Januar 2015, lagen ausreichende Anhaltspunkte für eine mögliche Alkoholabhängigkeit der Klägerin vor. Gemäß dem Polizeibericht vom 20. September 2014 hat die Klägerin am 10. September 2014 selbst geäußert, eine Flasche Wein getrunken zu haben. Der Senat keine Zweifel, dass sie dies tatsächlich so geäußert hat, denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Polizeibeamte dies in das Protokoll aufgenommen haben könnte, ohne dass die Äußerung gefallen ist. Bei dem zweiten Vorfall am 28. Januar 2015 hatte die Klägerin eine AAK von 1,20 mg/l (entspricht ungefähr einer BAK von 2,4‰) erreicht und musste zur Vermeidung einer Eigen- und Fremdgefährdung nach dem Unterbringungsgesetz untergebracht werden. Dies zeigt einen Alkoholgebrauch, der die Annahme eines chronischen Alkoholkonsums mit besonderer Gewöhnung nahe legt (vgl. auch Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach, gültig ab 1. Mai 2014). Alle drei dokumentierten Vorfälle zeigen Trinkgewohnheiten, die von dem gemeinhin üblichen Alkoholkonsum stark abweichen und reichen für die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens zur Klärung, ob Alkoholabhängigkeit besteht, aus.
Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 und 1 GKG i. V. m. der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, Anh. § 164 Rn. 14).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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