Medizinrecht

Erteilung einer Duldung wegen psychischer Erkrankung

Aktenzeichen  10 C 16.471

Datum:
26.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
GG GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 6 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung wegen einer psychischen Erkrankung besteht für die Verlobte nicht, wenn ihre weitere Anwesenheit im Bundesgebiet für den Verlobten nur wünschenswert, nicht aber überlebensnotwendig ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 15.1847 2016-02-18 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Klägerin verfolgt mit der Beschwerde ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beim Verwaltungsgericht Augsburg anhängige Klage vom 21. Dezember 2015 (Au 1 K 15.1847) weiter, mit der sie die Erteilung einer Duldung erstrebt.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1 VwGO). Im Gegensatz zum Beklagten hält der Senat weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis sowohl für die Beschwerde wie auch noch für die anhängige Klage für gegeben, obwohl sich die Klägerin im sog. „offenen Kirchenasyl“ befindet. Jedenfalls im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie an einer gerichtlichen Entscheidung ersichtlich kein Interesse hätte (vgl. hierzu z. B. BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 10 CE 14.1523 – juris Rn. 17).
Die Beschwerde ist aber unbegründet; die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum für die Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt nach summarischer Überprüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Die Klägerin begründet ihren Anspruch auf Duldung mit der psychischen Erkrankung ihres Verlobten, der mit ihr zusammen eingereist ist (siehe hierzu Beschluss des Senats vom 26.10.2016 – 10 CE 16.1729); ihre Anwesenheit sei notwendig, um eine Verschlechterung von dessen Gesundheitszustand zu verhindern. Das Verwaltungsgericht vermochte insoweit jedoch keine einer Abschiebung der Klägerin entgegenstehende Gründe zu erkennen. Sei der Gesundheitszustand eines Ausländers so kritisch, dass eine konkrete Leibes- oder Lebensgefährdung durch den Abschiebungsvorgang selbst zu befürchten sei, so ergäben sich rechtliche Bindungen unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weshalb vorrangig eine Situation rechtlicher und nicht tatsächlicher Unmöglichkeit vorliege. Die Klägerin könne sich wegen einer Erkrankung ihres Verlobten hingegen nicht auf den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berufen, da ihr selbst keine Gefahren für ihre Gesundheit drohten. Ebenso könne der Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK insoweit kein rechtliches Abschiebungshindernis begründen, da eine in diesem Sinne schützenswerte familiäre Beziehung zwischen der Klägerin und ihrem Verlobten nicht bestehe. Hinzu komme, dass eine notwendige Unterstützung des Verlobten durch die Klägerin auch nicht stattfinde bzw. nicht zwingend erforderlich sei. Dem von der Klägerin vorgelegten Schreiben der Bezirksklinik vom 2. November 2015 könne nur entnommen werden, dass „ggf. von einer akuten Verschlechterung des psychischen Zustands des Patienten auszugehen“ sei, wenn es zu einer räumlichen Trennung von der Klägerin komme. Eine verlässliche Diagnose oder Feststellung werde insoweit nicht getroffen. Vor allem aber gehe die Kammer davon aus, dass die Klägerin derzeit keine zwingend notwendigen Betreuungsleistungen erbringe, da sich die Klägerin im Kirchenasyl aufhalte, ihr Verlobter jedoch im Bezirkskrankenhaus. Andere als telefonische Kontakte erschienen damit nicht möglich, solche könnten aber auch vom Kosovo aus erfolgen.
Auch vor dem Hintergrund der Beschwerdebegründung sieht der Senat keine hinreichende Erfolgsaussicht der auf Erteilung einer Duldung (§ 60a Abs. 2 AufenthG) gerichteten Klage. Es wurde nichts vorgetragen, was mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die Anwesenheit der Klägerin für ihren Verlobten nicht nur wünschenswert, sondern praktisch „überlebensnotwendig“ wäre. Auch wenn die in der Beschwerdebegründung „nachgereichte“ Information, der Verlobte der Klägerin habe sich tatsächlich im Februar 2016 „sozusagen informell“ bei ihr aufgehalten, zutrifft, widerlegt dies noch nicht die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin keine zwingend notwendigen Betreuungsleistungen erbringe. Im Hinblick auf das in Bezug genommeine Schreiben der Bezirksklinik vom 7. November 2015 bestand für das Verwaltungsgericht – jedenfalls im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe – kein weiterer Aufklärungsbedarf; insbesondere war es nicht geboten, gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 2 Satz 3 ZPO einen Facharzt dieser Klinik als Zeugen dazu zu vernehmen, was mit dem Wort „ggf.“ gemeint sei. Das Verwaltungsgericht konnte aus dem Wortlaut dieses Schreibens, insbesondere aus der Wendung „gegebenenfalls“, entnehmen, dass es beim Verlobten der Klägerin zu einer Verschlechterung des psychischen Zustandes kommen könne, dass dies aber nicht sicher vorherzusagen sei.
Aus der seit dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts eingetretenen Entwicklung ergibt sich keine andere Einschätzung. Auch hinsichtlich des Verlobten der Klägerin besteht kein Duldungsgrund wegen fehlender Reisefähigkeit (siehe hierzu Beschluss des Senats vom 26.10.2016 – 10 CE 16.1729).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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