Medizinrecht

Feststellung eines Abschiebungsverbots einer armenischen Asylbewerberin wegen verschiedener Erkrankungen

Aktenzeichen  W 8 S 17.32770

Datum:
14.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 30, § 36 Abs. 4 S. 1, § 77 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

1 Grundsätzlich rechtfertigen Erkrankungen nicht die Annahme einer Gefahrenlage iSv § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Der Gefahr einer alsbald drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterung muss ein armenischer Asylbewerber durch Ausschöpfung der Möglichkeiten des armenischen Gesundheits- und Sozialsystems wie auch gegebenenfalls privater Hilfsmöglichkeiten begegnen, selbst wenn sich die Behandlungsmöglichkeiten in Armenien schlechter darstellen als in der Bundesrepublik. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die medizinische Grundversorgung ist in Armenien grundsätzlich flächendeckend und kostenlos gewährleistet. Demgegenüber erschwert das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung den Zugang zu medizinischer Versorgung insoweit, als für einen Großteil der Bevölkerung die Finanzierung kostenpflichtiger Behandlungen extrem schwierig ist; zugleich erweist sich auch die Verfügbarkeit von Medikamenten als problematisch. (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung kann sich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot auch aus Umständen ergeben, die im Zielland der Abschiebung dazu führen, dass der Betroffene dort eine medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann, weil sie ihm aus finanziellen oder sonstigen Gründen individuell nicht zugänglich ist. Ist eine ständige Betreuung Voraussetzung für den Zugang zu ärztlicher Behandlung und Medikamenten, kann daher die fehlende Möglichkeit der Betreuung in Armenien zu einer zielstaatsbezogenen Gefahr führen (vgl. BVerwG BeckRS 2003, 20532). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Für mittellose bzw. geringverdienende Personen ohne Unterstützung durch Verwandte bestehen generell Zweifel an der Erreichbarkeit einer medizinischen Behandlung in Armenien. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Antragstellerin ist armenische Staatsangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben am 9. Juli 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 23. Juli 2014 ihren Asylantrag, den sie mit ihrem schlechten Gesundheitszustand begründete.
Mit Bescheid vom 20. Juni 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag zu Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Antragstellerin wurde unter Androhung der Abschiebung nach Armenien zur Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides aufgefordert (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Gegen die Nrn. 4 bis 6 des streitgegenständlichen Bescheides ließ die Antragstellerin am 10. Juli 2017 Klage erheben und gleichzeitig beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Klagebegründung ließ die Antragstellerin im Wesentlichen vorbringen: Die Antragstellerin leide an einer paranoiden Schizophrenie, akustischen und optischen Halluzinationen, sonstigen Symptome sowie einer chronischen obstruktiven Lungenkrankheit (COPD). Sie sei in der Vergangenheit mehrfach in stationärer Behandlung gewesen. Hinzu ergebe sich, dass die Antragstellerin betreuungsbedürftig sei. Eine vorhergehende Betreuung sei beendet. Ein neuer Antrag auf Betreuung sei gestellt. Das Städtische Krankenhaus Pirmasens habe ärztlich die Notwendigkeit einer Betreuung bescheinigt. Auch in Armenien müsste eine Betreuung eingerichtet werden, die sich dann jeweils um die Behandlung der Antragstellerin kümmere. Außerdem müsste sichergestellt sein, dass die Antragstellerin auch im Falle einer Rückkehr im Bedarfsfall stationär behandelt werde. Die Antragstellerin wäre in Armenien auf sich alleingestellt und könnte – da sie Betreuung benötige – die möglicherweise nach dem Gesetz kostenfreie Behandlung unmöglich erwirken. Sie sei nicht in der Lage, bei Behörden und Krankenhäusern ihren gesetzlichen Anspruch durchzusetzen. In Ermangelung einer Betreuung sei auszuschließen, dass sie eine Rente beantragen und erhalten könnte. Sie könnte auch unmöglich die notwendigen Medikamente finanzieren. Der Mindestlohn eines Arbeiters würde allein für die Beschaffung eines Medikaments verwendet werden müssen. Sie benötige weitere Medikamente aufgrund der Lungenerkrankung. Es sei offen, was diese Medikamente in Armenien kosten würden und ob diese dort erhältlich seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte W 8 K 17.32769) und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der Antragstellerin ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des angefochtenen Bundesamtsbescheides begehrt, zumal ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die übrigen Nummern des streitgegenständlichen Bescheides unzulässig wäre.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts vom 20. Juni 2017 anzuordnen, ist begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen (Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 i.V.m. § 77 Abs. 1 AsylG).
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 und 4 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Prüfungsmaßstab der Entscheidung über die Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs ist die Frage, ob die für die Aussetzung der Abschiebung erforderlichen ernstlichen Zweifel bezogen auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes vorliegen. Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 34 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1516/93 und 2 BvR 1938/793 – BVerfGE 94, 115).
In dem Zusammenhang ist weiter darauf hinzuweisen, dass die Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung voraussetzt, dass an der Rechtmäßigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemeiner Rechtsauffassung die Abweisung der asylrechtlichen Anträge geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – NVwZ 2007, 1046, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146).
Anknüpfungspunkt der richterlichen Prüfung ist die Abschiebungsandrohung und damit auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Daher erstreckt sich die Prüfung des Verwaltungsgerichts auch auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen hinsichtlich der Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Vorliegend steht nicht mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr fest, dass für die Antragstellerin kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Aus dem von der Antragstellerin sowohl im behördlichen Verfahren als auch im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen ist zum einen zu ersehen, dass die Rhön-Klinik Bad Neustadt laut ihrer Bescheinigung vom 29. Juni 2016 aufgrund der fortgeschrittenen COPD-Erkrankung eine Behandlung der Antragstellerin in Deutschland für zwingend erforderlich hält. Weiter belegen die ärztlichen Bescheinigungen insbesondere folgende Diagnosen: Paranoide Schizophrenie, akustische Halluzinationen, optische Halluzinationen, sonstige Symptome, die die Stimmung betreffen, chronische obstruktive Lungenkrankheit (vgl. Städt. Krankenhaus Pirmasens vom 2.3.2017). Ein vorläufiger Entlassbericht des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin Werneck vom 4. November 2016 enthält den Verdacht einer Psychose bei vorbekannter paranoider Schizophrenie. Wegen der chronischen Erkrankung sowie deutlicher Sprachbarriere und teilweise reduzierter Auffassungsstörung sei eine gesetzliche Betreuung einbestellt worden. Bei dem chronischen Krankheitsbild werde um Fortführung der antipsychotischen Therapie gebeten. Es werde um regelmäßige Überprüfung der Indikation für Psychopharmamedikation gebeten. Aus dem vorläufigen Entlassungsbericht des Städtischen Krankenhauses Pirmasens ist vom 2. März 2017 ergibt sich folgende Medikation: Risperdal, Diazepam, Dominal forte, Pantozol, ACC Brause, Symbicort DA, Berodual-Spray.
Die Frage, ob die Antragstellerin bei einer Rückkehr in ihr Heimatland Armenien die – wie in der Vergangenheit immer wieder – notwendige stationäre wie ambulante Behandlung sowie die erforderliche Medikation in ihrem speziellen Einzelfall erreichen kann oder nicht und ob die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot vorliegen, kann im Sofortverfahren nicht abschließend geklärt werden, sondern bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Zwar hat die Antragsgegnerin zutreffend unter Bezugnahme auf einschlägige Auskünfte ausgeführt, dass auch die Behandlung von Erkrankungen in Armenien gewährleistet sei und kostenlos erfolge, wenn auch die Verfügbarkeit von Medikamenten problematisch sein könne (vgl. zur medizinischen Versorgung auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asylabschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 21.6.2017, Stand: Februar 2017, S. 18 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 36 f.). Darauf wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist weiter anzumerken, dass Erkrankungen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
Danach ist erforderlich, dass gegenwärtig eine Rückkehr nach Armenien aus medizinischen Gründen unzumutbar wäre, weil sich etwaige lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Selbst wenn die Behandlungsmöglichkeiten in Armenien schlechter sein mögen als in der Bundesrepublik Deutschland, bleibt festzuhalten, dass eventuell alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des armenischen Gesundheitssystems begegnet werden kann und muss. Die Antragstellerin ist gehalten, sowohl die Möglichkeiten des armenischen Gesundheitssowie Sozialsystems auszuschöpfen, als auch gegebenenfalls auf private Hilfemöglichkeiten, etwa durch Verwandte oder Hilfsorganisationen, zurückzugreifen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren (vgl. auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 5.5.2017, S. 32 ff.).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist bezogen auf die spezielle Situation der Antragstellerin das Folgende anzumerken:
Auch wenn die vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen nicht den Erfordernissen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechen, ist den Bescheinigungen gleichwohl zu entnehmen, dass die Antragstellerin unter einer chronisch obstruktiven Lungenkrankheit (COPD) leidet, wegen der sie wiederholt in stationärer Behandlung gewesen ist und in deren Zusammenhang der behandelnde Arzt zwingend eine Behandlung in Deutschland als erforderlich angesehen hat (Rhön-Klinik Bad Neustadt vom 29. Juni 2016). Des Weiteren war die Antragstellerin wegen ihrer paranoiden Schizophrenie mit weiteren psychischen Symptomen, die eine antipsychotische Therapie lebenslang erforderlich machen, wiederholt stationär in Behandlung. Außerdem ist ärztlicherseits vermerkt, dass wegen der chronischen Erkrankung sowie unter teilweise reduzierter Auffassungsstörung eine gesetzliche Betreuung erforderlich ist (vgl. Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin Schloss Werneck vom 4.11.2016; vgl. auch Städt. Krankenhaus Pirmasens vom 31.5.2017 und vom 2.3.2017).
Ob eine angemessene Behandlung der oben kurz skizzierten Krankheiten der Antragstellerin für diese bzw. für ihre Familie erreichbar und bezahlbar ist, ist fraglich. Zwar ist die medizinische Grundversorgung flächendeckend kostenlos gewährleistet. Jedoch führt das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht ausdrücklich auch an, dass dies nur für die primäre, jedoch nur eingeschränkt für sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung gilt. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwere den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen Großteil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden sei. Problematisch sei auch die Verfügbarkeit von Medikamenten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 21.6.2017, Stand: Februar 2017, S. 18 f.).
Ob im speziellen Fall der Antragstellerin ihre notwendige medizinische Versorgung gewährleistet ist, kann im vorliegenden Verfahren nicht abschließend geklärt werden, da nach dem zitierten Lagebericht ein Großteil der medizinischen Versorgung nicht mehr grundsätzlich kostenfrei ist und die Einkommensmöglichkeiten der Antragstellerin (insbesondere Pension/Rente), wie von ihrem Bevollmächtigen ausgeführt, auch angesichts der Kosten der erforderlichen Medikamente nicht ausreichend erscheinen, um alle notwendigen Behandlungen, auch stationärer Art, sowie die erforderliche Medikationen lebenslänglich zu gewährleisten (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 20.1.2017 – AN 4 S. 17.30146 – juris). Hinzu kommt, dass es nicht gesichert ist, dass die Antragstellerin insofern ohne weiteres auf familiäre Hilfe zurückgreifen könnte. Zwar leben ihre Schwiegertochter sowie ihr Enkel noch in Armenien, jedoch befinden sich ihr Sohn und weitere Familienmitglieder in Deutschland.
Hinzu kommt die offene Frage einer erforderlichen Betreuung der Antragstellerin in Armenien. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2002 – 1 C 1/02 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66) kann sich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung auch aus Umständen im Zielland ergeben, die dazu führen, dass der Betroffene die medizinische Versorgung tatsächlich dort nicht erlangen kann, weil sie ihm individuell entweder aus finanziellen oder aus sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In diesem Zusammenhang ist auch die in Deutschland in der Vergangenheit gewährte Betreuung, die zurzeit erneut beantragt ist, mit einzubeziehen. Ist aber eine ständige Betreuung Voraussetzung für den tatsächlichen Zugang zur medizinischen Behandlung einschließlich Medikation, kann das Fehlen der Betreuung in Armenien zu einer zielstaatsbezogenen Gefahr führen (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2002 – 1 C 1/02 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66; VG München, B.v. 14.9.2016 – M 17 S. 16.30727 – juris). Die Prüfung, ob eine gegebenenfalls erforderliche Betreuung auch in Armenien sichergestellt wäre, bedarf ebenfalls noch der Klärung im Hauptsacheverfahren.
Vorliegend kann das Gericht jedenfalls nicht feststellen, dass bei der Antragstellerin, bezogen auf ihre individuelle Situation, davon ausgegangen werden kann, dass sie allein und ohne fremde Hilfe in der Lage ist, ihre Angelegenheiten insbesondere in gesundheitlicher Hinsicht eigenverantwortlich zu regeln, sodass nicht gewährleistet ist, dass sie die notwendige medizinische Behandlung sowie ihre Medikation in Armenien erhält (vgl. auch VG Gelsenkirchen, B.v. 24.2.2016 – 17A K 5036/14.A – Asylmagazin 2016, 171).
Zweifel an der Erreichbarkeit der medizinischen Behandlung in Armenien bestehen ohnehin schon für mittellose bzw. geringverdienende Personen, wie etwa vermutlich auch die Antragstellerin, die nur von einer geringen Rente lebt, und bei der nicht klar ist, ob sie die notwendige Unterstützung durch Verwandte erhalten kann (vgl. VG Schwerin, U.v. 10.10.2014 – 3 A 929/12 As – juris). Dies gilt dann erst recht, wenn sie die erforderliche Betreuung nicht erhält.
Nach alledem bestehen ernstliche Zweifel an der Ablehnung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG durch die Antragsgegnerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtkosten werden nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel