Medizinrecht

Fortsetzungsfeststellungsklage, Versagungsgegenklage als Untätigkeitsklage, Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, Erledigung, keine Untätigkeit der Behörde, ursprünglich erhobene Klage unzulässig

Aktenzeichen  W 6 K 21.140

Datum:
7.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18853
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 75
VwGO analog § 113 Abs. 1 S. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem die Beteiligten auf deren Durchführung verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Der Klageantrag war gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet gewesen ist, dem Kläger die beantragte Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen zu erteilen, konkret auf den Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses bzw. unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses gerichtet ist. Denn ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog liegt bei einer erledigten Verpflichtungsklage grundsätzlich nur dann vor, wenn mit der beantragten Feststellung der Streitgegenstand nicht ausgewechselt oder erweitert wird (vgl. BVerwGE 89, 354 (355) mwN = NVwZ 1992, 563) und so die Abgrenzung zur Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO erfolgt. Eine (zulässige) Beschränkung des (ursprünglichen) Klageantrags durch den Kläger i.S.v. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m § 264 Nr. 2 ZPO auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag liegt nur dann vor, wenn der Kläger (nunmehr) die Feststellung begehrt, dass er im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses (genauer: im Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses) gegen den Beklagten einen Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt hatte, die Behörde im Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses somit verpflichtet war, den vom Kläger begehrten Verwaltungsakt zu erlassen. Nur dieser Antrag ist vom ursprünglichen Verpflichtungsantrag mitumfasst (Decker in BeckOK VwGO, 57. Ed. 1.4.2021, VwGO § 113 Rn. 98 m.w.N.). Die vorliegende Klage war ursprünglich als Verpflichtungsklage erhoben, mit dem Ziel, dem Kläger die beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen. Nachdem keine (verfahrensbeendende) Entscheidung der Behörde über diesen Antrag zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorlag, wurde die Verpflichtungsklage als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erhoben.
Die Klage, welche nach ihrer statthaften Umstellung nach Rechtshängigkeit (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m § 264 Nr. 2 ZPO) mit Prozesserklärung vom 26. März 2021 darauf gerichtet ist, gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog festzustellen, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses verpflichtet gewesen ist, dem Kläger die beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen, hat keinen Erfolg, da die ursprüngliche Klage zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses nicht zulässig erhoben war.
1. Hat sich der mit einer Anfechtungsklage angegriffene Verwaltungsakt während des gerichtlichen Verfahrens durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist eine solche Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens statthaft. Danach ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (vgl. etwa BVerwG, U.v. 24.10.1980 – 4 C 3/78 – BVerwGE 61, 128 und U.v. 27.3.1998 – 4 C 14.96 – BverwGE 106,295 m.w.N.; BayVGH, U.v. 22.10.2008 – 22 BV 06.2701 – BeckRS 2008, 40766 und B.v. 29.11.2010 – 15 B 10.1453 – BayVBl. 2011, 248), wenn die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und ein Feststellungsinteresse vorliegt. Das erledigende Ereignis stellt vorliegend die Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis nach Rechtshängigkeit dar. Jedoch fehlt es bereits an der Zulässigkeit der als Untätigkeitsklage erhobenen ursprünglichen Verpflichtungsklage.
Mit seiner ursprünglich am 29. Januar 2021 erhobenen Klage begehrte der Kläger, den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die am 9. November 2020 beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen. Diese Verpflichtungsklage wurde als Untätigkeitsklage i.S.v. § 75 VwGO erhoben, da entgegen den Voraussetzungen des § 68 Abs. 1, § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO keine (ablehnende) Entscheidung der Behörde vorlag. Mit Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis durch die Behörde am 15. März 2021 ist der Beklagte dem prozessualen Begehr des Klägers nachgekommen, sodass sich der vorliegende Rechtsstreit erledigt hat. Jedoch war zu diesem Zeitpunkt die als Untätigkeitsklage erhobene Verpflichtungsklage wegen Nichteinhaltung der Sperrfrist des § 75 Satz 1 und Satz 2 VwGO unzulässig, da die Klage verfrüht erhoben worden war.
1.1. In der Sache handelt es sich bei § 75 VwGO um eine zusätzliche Prozessvoraussetzung (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 75 Rn. 1). § 75 VwGO soll verhindern, dass die Behörde durch Untätigbleiben dem Bürger die Möglichkeit eines wirksamen Rechtsschutzes nehmen kann. Aus Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich kein Gebot einer von vorneherein bestimmten höchstzulässigen Dauer des Verfahrens ableiten. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist vielmehr nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (BVerfG, B.v. 6.2.1995 – 1 BvR 54/94 – juris Rn. 5). Folglich ist die Drei-Monats-Frist des § 75 Satz 2 VwGO eine Sachurteilsvoraussetzung im Klageverfahren, nicht dagegen eine starre Frist für die Vornahme der gewünschten behördlichen Verfahrenshandlung. Die verfrühte bzw. vorzeitige Untätigkeitsklage ist unzulässig (Rennert in Eyermann, 15. Aufl. 2019, VwGO § 75 Rn. 8).
In der Praxis spielt dieser Aspekt bei Untätigkeitsklagen im Regelfall eine untergeordnete Rolle, da dieser Mangel grundsätzlich durch Zeitablauf heilbar ist und die Untätigkeitsklage im Laufe des Prozesses, bei dem es in der Verpflichtungssituation auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt, in die Zulässigkeit hineinwächst. Doch aufgrund der Erledigung kommt es vorliegend maßgeblich auf den Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses an, sodass dieser Mangel nicht mehr nachträglich geheilt werden kann.
1.2. Entgegen der Auffassung des Klägers war die Behörde vorliegend zu keinem Zeitpunkt untätig i.S.d. § 75 VwGO, da nach Antragstellung durch den Kläger am 9. November 2020 bereits am 20. November 2020 die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erging. Auch wenn der Kläger und sein Bevollmächtigter zwar die Notwendigkeit eines Gutachtens bestritten, hielt die Behörde daran fest (vgl. zuletzt E-Mail des Landratsamts vom 24.11.2020). Daraufhin erklärte sich der Kläger am 9. Dezember 2020 mit einer Begutachtung einverstanden und die Fahrerlaubnisakte wurde der benannten Begutachtungsstelle durch das Landratsamt am 16. Dezember 2020 übermittelt. In diesem Verfahrensstadium konnte daher die Behörde nur abwarten, bis die Begutachtungsstelle die Fahrerlaubnisakte zurücksendet bzw. das Gutachten durch den Kläger vorgelegt wird.
Eine Untätigkeit lag daher mitnichten vor, insbesondere da der Kläger zu keinem Zeitpunkt die Beibringung eines Gutachtens verweigert hatte. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass wenn aus Sicht des Klägers die Forderung der Beibringung einer MPU in rechtswidriger Weise erfolgt sein sollte, der Kläger dessen Vorlage hätte verweigern und gegen den Ablehnungsbescheid gerichtlich vorgehen können.
1.3. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG die zuständige Behörde Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt und an das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden ist. Bei der Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens handelt es sich um eine unselbstständige Verfahrenshandlung (§ 44a VwGO), welche zwar die Behörde veranlassen muss, § 20 Abs. 1, § 11 Abs. 2 FeV, die jedoch als einzige Maßnahme die Fahreignung des Bewerbers um eine Fahrerlaubnis bei entsprechenden Zweifeln abschließend klären kann. Nachdem es in der Neuerteilungssituation dem Betroffenen obliegt, seine Fahreignung nachzuweisen, ist der Antrag des Klägers nach Auffassung des Gerichts folglich solange als unvollständig anzusehen und konnte – da Fahreignungszweifel nicht ausgeräumt waren – nicht von der Behörde positiv verbeschieden werden. Zwar muss der Antrag für das Auslösen einer Untätigkeit der Verwaltung nicht vollständig sein, jedoch hat in diesen Fällen die Behörde den Antragsteller zur Vervollständigung des Antrags aufzufordern (vgl. Art. 25 BayVwVfG). Die Vervollständigung stellt in der vorliegenden Konstellation die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens dar. Ergeht keine Aufforderung zur Vervollständigung des Antrags, läuft die Drei-Monats-Frist erst ab dem Zeitpunkt, zu dem die Aufforderung bei angemessener oder gesetzlich vorgeschriebener Bearbeitungszeit hätte ergehen müssen (Porsch in Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 75 Rn. 5). Nachdem das Landratsamt vorliegend keine zwei Wochen nach Beantragung der Fahrerlaubnis durch den Kläger die Gutachtensanordnung verschickt hat, lag schon deswegen keine Untätigkeit vor. Die Vervollständigung seines Antrags lag mit Erlass der Gutachtensbeibringung vom 20. November 2020 alleine in der Sphäre des Klägers und kann schon denknotwendig keine Untätigkeit der Verwaltung begründen.
1.4. Nachdem die ursprünglich erhobene Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage schon nicht zulässig erhoben war, kommt es nicht mehr darauf an, ob ein besonderes Feststellungsinteresse i.R.d. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog des Klägers gegeben war.
Die Klage konnte keinen Erfolg haben.
2. Ergänzend sei noch auf Folgendes hingewiesen: Zu Recht merkte das Landratsamt an, dass der Kläger die Vorlage des Gutachtens verweigern und gegen die Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Fahrerlaubnis mittels einer Versagungsgegenklage hätte vorgehen können. Soweit der Bevollmächtigte in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass es dem Kläger als Berufskraftfahrer unzumutbar gewesen sei, die Durchführung einer Begutachtung abzulehnen und erst nach Abschluss eines darauffolgenden, möglicherweise langwierigen gerichtlichen Verfahren gegen den Versagungsbescheid des Landratsamts seine Fahrerlaubnis zu erhalten, kann er damit nicht gehört werden. Denn wie aus §§ 42, 113 VwGO ersichtlich wird, ist dies nicht der in der Verwaltungsgerichtsordnung für derartige Konstellationen vorgesehene Weg, da es keinen präventiven Rechtsschutz „auf Vorrat“ gibt.
Es sei angemerkt, dass es dem Kläger freigestanden hätte, das Gutachten ohne Anerkennung einer Rechtspflicht durchzuführen und später i.R.d. § 43 VwGO feststellen zu lassen, dass die Pflicht zur Beibringung des Gutachtens nicht bestanden hat. Hier ist jedoch – auch wenn es entscheidungsunerheblich ist – zur Befriedung darauf hinzuweisen, dass das Gericht davon ausgeht, dass die Vorlage einer medizinisch-psychologischen Untersuchung gemäß § 4 Abs. 10 Satz 4 StVG zu Recht gefordert wurde. Demnach hat die Behörde für die Erteilung der Fahrerlaubnis zum Nachweis, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiederhergestellt ist, in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen. Ein Ermessen ist der Behörde nicht eingeräumt, da das Merkmal „in der Regel“ in § 4 Abs. 10 Satz 4 StVG ein unbestimmter Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite ist, bei dessen Ausfüllung der Fahrerlaubnisbehörde kein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (so auch OVG NW, U.v. 2.8.2011 – 16 A 1472/10 – BeckRS 2011, 53671). Der Kläger hat vorliegend regulär das Maßnahmenstufensystem des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG durchlaufen und galt damit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, sodass ihm die Fahrerlaubnis von Gesetzes wegen zu entziehen war (vgl. hierzu die Ausführungen im entsprechenden Eilverfahren, VG Würzburg, B.v. 9.6.2020 – W 6 S 20.684). Alleine durch Zeitablauf wird ein ungeeigneter Kraftfahrer jedenfalls nicht wieder geeignet. Ein atypischer Ausnahmefall, der aus Gründen der Verhältnismäßigkeit von einer Begutachtung absehen ließe, ist im Fall des Klägers weder ersichtlich noch dargelegt. Insbesondere kann sich ein solcher gerade nicht aus dem Aufrollen der in der Vergangenheit bestandskräftig geahndeten Verkehrsordnungswidrigkeiten ergeben, da diese eben zum Durchlaufen des Stufensystems und der Nichteignung des Klägers geführt haben.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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