Medizinrecht

Gewährung von Nachteilsausgleich und Notenschutz wegen einer Rechtschreibstörung

Aktenzeichen  AN 2 E 17.02343

Datum:
13.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG BayEUG Art. 52 Abs. 5
BaySchO § 36

 

Leitsatz

Für die Gewährung eines Nachteilsausgleiches oder Notenschutzes ist neben einer ärztlichen Begutachtung eine schulpsychologische Untersuchung, die übereinstimmend mit der ärztlichen Begutachtung die Störung feststellt, erforderlich. Ohne die schulpsychologische Feststellung der Rechtschreibstörung kann die Schule auch bei Vorliegen einer ärztlichen Bescheinigung keinen Nachteilsausgleich oder Notenschutz gewähren. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Nachteilsausgleich und Notenschutz wegen einer Rechtschreibstörung.
Die Antragsteller, geboren am … 2007, ist seit Februar 2017 Schüler der Grundschule … und besucht derzeit die vierte Jahrgangsstufe. Am 22. Juli 2017 wurde bei der Grundschule … ein Antrag auf Bewilligung von Nachteilsausgleich und/oder Notenschutz bei Lese- und/oder Rechtschreibstörung eingelegt. Der Antragsteller legte ein ärztliches Attest vom 1. Juni 2017 vor, welches ihm eine Rechtschreibschwäche attestierte. Die staatliche Schulpsychologin nahm am 11. Oktober 2017 Stellung. Es könne nur noch eine Rechtschreibstörung diagnostiziert werden. Die Kriterien für diese Störung seien nach den Empfehlungen für die Diagnostik einer Lese-Rechtschreibstörung gemäß § 36 BaySchO nicht erfüllt. Daher könne aus schulpsychologischer Sicht keine Störung festgestellt werden.
Mit Bescheid vom 8. November 2017 wurde der Antrag auf Bewilligung von Nachteilsausgleich und/oder Notenschutz auf Grund der erhobenen Diagnostikergebnisse und der vorliegenden Daten und Informationen abgelehnt Mit Schreiben vom 12. November 2017, eingegangen bei Gericht per Fax am 13. November 2017, wurde beantragt,
Dem Antragsteller den Nachteilsausgleich wegen einer Rechtschreibstörung zu gewähren.
Die Eilbedürftigkeit sei gegeben, um einem drohenden Wechsel des Antragstellers auf eine E-Schule zu begegnen. Der Antragsteller gehöre zum Personenkreis im Sinne von § 35a SGB VIII und leide an ADHS. Zudem sei ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt worden. Die Feststellung eines Pflegegrades sei beantragt worden. Die Ablehnung des Nachteilsausgleichs sei unrichtig, da der Antragsteller an ADHS und einer Rechtschreibstörung leide. Der Antragsteller sei seit Mai 2017 in fachärztlicher Behandlung. Ohne Gewährung eines Nachteilsausgleichs sei für den Antragsteller der Wechsel auf eine E-Schule unausweichlich. Es stünden sich zwei fachspezifische Stellungnahmen gegenüber. Nach summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutz sei daher vom Vorliegen einer Rechtschreibstörung auszugehen. Schüler, die an ADHS und einer Rechtschreibstörung leiden, könnten einen Nachteilsausgleich, insbesondere die Verlängerung der Bearbeitungszeit in Prüfungen, verlangen.
Der Antragsteller legte ein kinder- und jugendpsychiatrisches Attest vom 24. Oktober 2017 vor, welches eine Rechtschreibstörung (F81.1) nach Durchführung verschiedener Tests diagnostiziert. Die Rechtschreibleistung des Antragstellers liege im Sinne der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.)-Leitlinie unterhalb der Klassen- und/oder Altersnorm. Eine Diskrepanz zum Intelligenzquotienten werde nicht mehr gefordert. Nach einem weiteren ärztlichen Attest vom 12. September 2017 befindet sich der Antragsteller seit Mai 2017 wegen ADHS in ärztlicher Behandlung. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2017 wurde für den Antragsteller ein Grad der Behinderung von 40 wegen Verhaltensstörungen und kognitiver Teilleistungsschwäche festgestellt.
Mit Schreiben vom 21. November 2017 erwiderte der Beklagte. Die im ärztlichen Attest getroffene Aussage bezüglich der AWMF-Leitlinie sei für die schulpsychologische Beurteilung nicht relevant. Die Grundschule … entscheide gerade über ein zweites Attest vom 24. Oktober 2017. Auch hier sei eine Ablehnung geplant, da sich keine substantiellen Änderungen ergeben hätten. Aus schulischer Sicht bestehe auch bei der Nichtgewährung eines Nachteilsausgleichs und/oder Notenschutz für den Antragsteller keine Gefährdung hinsichtlich der Erreichung des Klassenziels. Die von der Antragstellerseite geäußerte Sorge, der Antragsteller müsse auf eine E-Schule (Volksschule zur sonderpädagogischen Förderung – emotionale und soziale Entwicklung) entbehre jeder Grundlage. Weder die derzeitigen Noten noch das in der Schule gezeigte Verhalten des Antragstellers böten Anlass, sich hierüber Sorgen zu machen. Die Leistungsarbeiten würden ohnehin ohne Zeitdruck ausgeführt. Die Diagnose einer ADHS könne in keiner Weise nachvollzogen werden. Der Antragsteller sei kein Mal durch körperliche oder verbale Übergriffe aufgefallen.
Der Antragsteller nahm mit Schreiben vom 3. Dezember 2017 Stellung. Die ehemalige Klassenlehrerin der 3. Klasse habe den Antrag auf Nachteilsausgleich für sinnvoll erachtet. Dem Antragsteller sei nun ein unbefristeter Pflegegrad rückwirkend zuerkannt worden. Er sei zudem in jugendpsychiatrischer Behandlung und ein Familienhelfer arbeite mit ihm 2,5 Stunden wöchentlich.
Am 4. Dezember 2017 ging bei der Schule eine weitere schulpsychologische Stellungnahme vom 29. November 2017 ein, die erneut feststellte, dass keine Störung vorliege. Zwar liege laut Testergebnis die Rechtschreibleistung des Antragstellers deutlich unter dem Altersdurchschnitt. Die notwendige Diskrepanz zum IQ-Wert sei allerdings nicht gegeben.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand oder zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder wenn die Regelung notwendig erscheint, um vom Antragsteller wesentliche Nachteile abzuwenden.
Dem Antragsteller gelingt bereits nicht, einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Es ist nach summarischer Prüfung nicht notwendig, vorläufig einen Nachteilsausgleich zu gewähren, um vom Antragsteller wesentliche Nachteile abzuwenden. Soweit die Antragstellerseite vorträgt, ohne Feststellung eines Nachteilsausgleichs drohe dem Antragsteller der Wechsel in eine „E-Schule“ (Volksschule zur sonderpädagogischen Förderung – emotionale und soziale Entwicklung) ist dies nicht glaubhaft gemacht. Nach Stellungnahme der Grundschule … besteht diese Gefahr in keiner Weise. Dem ist die Antragstellerseite nicht entgegengetreten. Auch die Erreichung des Klassenziels ist nach der Stellungnahme der Schule nicht gefährdet. Die in der Antragsschrift und im Schreiben vom 3. Dezember 2017 ausgeführte Sorge, der Antragsteller können auf einer Regelschule nicht bestehen, wird im Wesentlichen mit der ADHS-Erkrankung und weiteren Verhaltensauffälligkeiten begründet. Inwiefern ein verwehrter Nachteilsausgleich wegen einer möglichen Rechtschreibstörung zu unmittelbaren wesentlichen Nachteilen für den Antragsteller führt, wird hingegen nicht dargestellt. Die pauschale Aussage, dass ein fehlender Nachteilsausgleich weitreichende Folgen für den Antragsteller habe, genügt der Glaubhaftmachung der Notwendigkeit einer Regelung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht. Ein Zusammenhang der behaupteten schulischen Schwierigkeiten mit einer etwaigen Rechtschreibstörung wird nicht dargestellt. Soweit anzunehmen wäre, dass dem Antragsteller ein Wechsel auf eine Förderschule droht, läge dieser Annahme jedenfalls nicht eine etwaige Rechtschreibstörung zu Grunde.
Im Übrigen wurde auch kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Anspruch des Antragstellers auf Bewilligung eines Nachteilsausgleich und Notenschutzes liegt nach summarischer Prüfung nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht vor. Gemäß Art. 52 Abs. 5 Satz 1 BayEUG kann ein Schüler einen Nachteilsausgleich erhalten, soweit eine Anpassung der Prüfungsbedingungen wegen einer lang andauernden, erheblichen Beeinträchtigung der Fähigkeit, sein vorhandenes Leistungsvermögen darzustellen, erforderlich ist. Notenschutz kann gemäß Art. 52 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BayEUG unter anderem gewährt werden, wenn eine Lese-Rechtschreib-Störung vorliegt. Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BaySchO setzen Nachteilsausgleich und Notenschutz einen schriftlichen Antrag und die Vorlage eines fachärztlichen Zeugnisses über Art, Umfang und Dauer der Beeinträchtigung voraus. § 36 Abs. 2 Satz 4 BaySchO ergänzt, dass für den Nachweis einer Lese-Rechtschreib-Störung abweichend von Satz 1 die Vorlage einer schulpsychologischen Stellungnahme stets erforderlich und ausreichend ist.
Eine positive schulpsychologische Stellungnahme im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 4 BaySchO liegt nicht vor. Die schulpsychologischen Stellungnahmen vom 11. Oktober 2017 und vom 29. November 2017 stellen vielmehr jeweils fest, dass keine Störung vorliege. Für die Gewährung eines Nachteilsausgleiches oder Notenschutzes ist aber neben einer ärztlichen Begutachtung eine schulpsychologische Untersuchung, die übereinstimmend mit der ärztlichen Begutachtung die Störung feststellt, erforderlich. Ohne die schulpsychologische Feststellung der Rechtschreibstörung kann die Schule auch bei Vorliegen einer ärztlichen Bescheinigung keinen Nachteilsausgleich oder Notenschutz gewähren (vgl. VG Ansbach, B.v. 14.12.2001 – AN 2 E 01.01428 – juris Rn. 22). Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist für das Gericht auch nicht ersichtlich, dass die schulpsychologische Stellungnahme offensichtlich fehlerhaft ist. Dass die schulpsychologische Stellungnahme vom 29. November 2017 anders als das Attest vom 24. Oktober 2017 eine Diskrepanz zum IQ-Wert fordert, entspricht sogar Sondervoten im Rahmen der im Attest vom 24. Oktober 2017 zitierten AWMF-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und/oder Rechtschreibstörung. Ohnehin sind die AWMF-Leitlinien unverbindliche Hilfestellungen für Ärzte und kommt es nach § 36 Abs. 2 Satz 4 BaySchO entscheidend auf die schulpsychologische Stellungnahme und die im Rahmen der Bayerischen Schulordnung anzuwendenden Diagnosekriterien an. Auch im Übrigen wird von der Antragstellerseite das Vorliegen einer Rechtschreibstörung nicht in einer Weise glaubhaft gemacht, die nach summarischer Prüfung die beiden schulpsychologischen Stellungnahmen wesentlich erschüttern kann. In der Antragschrift vom 12. November 2017 wird lediglich unter Bezugnahme auf das Attest vom 24. Oktober 2017 erklärt, dass der Antragsteller an einer Rechtschreibstörung leide. Im Weiteren werden für die Frage einer Rechtschreibstörung nicht relevante Ausführungen zu anderen Erkrankungen des Antragstellers gemacht. Im Schreiben vom 3. Dezember 2017 wird eine etwaige Rechtschreibstörung nicht mehr angesprochen, sondern andere Erkrankungen und Probleme mit dem Antragsteller beschrieben. Ausführungen zu anderen Erkrankungen und Schwierigkeiten des Antragstellers, auf denen auch der Bescheid des Versorgungsamtes oder das sozialmedizinische Gutachten bezüglich der Anerkennung eines Pflegegrades beruhen, können einen Anspruch auf Nachteilsausgleich und Notenschutz auf Grund einer Rechtschreibstörung ersichtlich nicht begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG.
Da der Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutz keinen Erfolg hat, war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren mangels Erfolgsaussichten abzulehnen, vgl. §§ 166 VwGO, 114 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben