Medizinrecht

Im Kosovo kann eine posttraumatische Belastungsstörung ausreichend behandelt werden

Aktenzeichen  M 4 K 15.30738

Datum:
27.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 121427
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Im Kosovo können Patienten, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, in den psychiatrischen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitssystems ausreichend behandelt werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2016 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
Soweit die Bevollmächtigte die Klage hinsichtlich des Klägers zu 1), der Klägerin zu 3) sowie hinsichtlich der Klägerin zu 2) in Bezug auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO).
In Bezug auf den einzig noch zu entscheidenden Streitgegenstand (Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Klägerin zu 2)) ist die Klage zulässig, aber nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 8. Mai 2015 ist insoweit rechtmäßig. Die Klägerin zu 2) hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid in den Kosovo erweist sich ebenfalls als rechtmäßig.
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll den Ausländer nur von einer erheblichen konkreten Gesundheits- oder Lebensgefahr schützen. Diese liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG.
Der Gesetzgeber geht nämlich nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wir klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen (BT-Drs. 18/7538, S. 18 ff.).
Bezogen auf den Fall der Klägerin zu 2) ergibt sich hieraus, dass bei der Klägerin zu 2) ein solches Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliegt. Zwar ist die Klägerin zu 2) ohne jeden Zweifel ernsthaft erkrankt, wovon sich das Gericht nicht nur aufgrund der vorgelegten ärztlichen Gutachten, sondern auch durch den persönlichen Eindruck von der Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte. Ob die Klägerin zu 2) nunmehr an einer Krankheit aus dem Formenkreis der Schizophrenie oder an einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder an beidem leidet, ist für den Ausgang dieses Verfahrens jedenfalls in rechtlicher Hinsicht ohne Belang. Deswegen war auch dem in der mündlichen Verhandlung gestellten bedingten Beweisantrag (Einholung eines Gutachtens von Frau … …*) nicht weiter nachzugehen. Das Gericht hat, wie mit der Bevollmächtigten abgesprochen, mit Frau … … telefonisch Kontakt aufgenommen. Ihr zufolge leidet die Klägerin zu 2) nicht an Schizophrenie, sondern an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Das Gericht geht – auch vor dem Hintergrund der ärztlichen Stellungnahme von … … – daher davon aus, dass die Klägerin zu 2) an beiden Formen einer psychiatrischen Erkrankung – also sowohl an einer Schizophrenie als auch an einer Posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt ist, und das auch durchaus schwer. Ein Abschiebungshindernis ergibt sich hieraus jedoch nicht.
Wie oben dargestellt, hindern lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden,
die Abschiebung des Ausländers. Es ist der Klägerin zu 2) zuzugestehen, dass sie schwer erkrankt ist; es ist aber nicht ersichtlich, dass sich ihre Erkrankung wesentlich verschlechtern würde, sollte sie in ihrer Heimat – Kosovo – leben.
Zum einen wurde bereits im Beschluss nach § 80 Abs. 7 VwGO vom 14. Juni 2016 darauf hingewiesen, dass sie bis zu ihrer Ausreise 2015 14 Jahre lang mit ihrem Krankheitsbild im Kosovo gelebt hat. Erkrankungen, die schon während des Aufenthalts außerhalb der Bundesrepublik Deutschland bestanden und somit bereits bei Einreise vorgelegen haben, stehen der Abschiebung grundsätzlich nicht entgegen (BT-Drs. 18/7538, S. 19 oben).
Zum anderen ist festzustellen, dass auch nach den Angaben der Bevollmächtigten nach wie vor nicht geklärt ist, wie man der Klägerin zu 2) wirklich helfen kann. Ein Aufenthalt in Deutschland ist vor diesem Hintergrund nicht erforderlich, um die Klägerin zu 2) vor einer Verschlechterung ihrer Erkrankung zu bewahren. Im Kosovo werden Patienten, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden, in den psychiatrischen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitssystems weiterhin primär medikamentös behandelt. Eine Behandlung auf psychotherapeutischer Grundlage wird nach Angaben der Ärzte durchgeführt, wenn hierfür eine medizinische Notwendigkeit vorliegt und die für die Durchführung von psycho-therapeutisch orientierten Gesprächen erforderliche Zeit zur Verfügung steht. Daneben führen auch Nichtregierungsorganisationen Behandlungen auf psychotherapeutischer Basis durch (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo des Auswärtigen Amtes, Stand: 9/2014, S. 26 m.w.N.). Es gibt Fachärzte und Privatpraxen. Hinsichtlich der diagnostizierten Schizophrenie stehen neun regionale Gesundheitszentren zur Verfügung sowie vier Regionalkrankenhäuser und die Psychiatrische Klinik in der Universitätsklinik Pristina. Diese Einrichtungen verfügen jeweils über eine angeschlossene psychiatrische Ambulanz mit ambulanter fachärztlicher Betreuung. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Kosovo mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Da die Klägerin zu 2) nach dem Gutachten von Dr. med. Dose bereits jetzt im Bundesgebiet nicht angemessen behandelt werden kann, ist nicht ersichtlich, dass sich ihr Zustand durch eine Rückkehr in ihr Heimatland wesentlich verschlechtern könnte. Ihr steht auch familiäre Unterstützung zur Seite, da ihre Familie ebenfalls ausreisepflichtig ist. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse wie eine fehlende Reisefähigkeit sind im Asylverfahren nicht zu prüfen. Die Klägerin zu 2) ist gehalten, die Möglichkeiten des kosovarischen Gesundheitssystems auszuschöpfen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren.
Damit ist auch die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylVfG.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, hinsichtlich der zurückgenommenen Streitgegenstände aus § 155 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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