Medizinrecht

Kein Abschiebungsverbot: Ausreichende Behandlungsmöglichkeit von Erkrankungen in Albanien

Aktenzeichen  M 10 S 16.30802

Datum:
9.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1-3

 

Leitsatz

Ein Abschiebungsverbot wegen einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nur vor bei einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde; eine der medizinischen Versorgung in Deutschland gleichwertige Versorgung im Herkunftsland wird nicht vorausgesetzt. (redaktioneller Leitsatz)
In Albanien besteht grundsätzlich eine ausreichende medizinische Versorgung, die von der staatlichen Krankenversicherung getragen wird.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Dier Antragsteller tragen gesamtverbindlich die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Hinsichtlich des Sachverhalts nimmt das Gericht zunächst Bezug auf die Feststellungen des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 30. März 2016, denen es folgt, § 77 Abs. 2 AsylG. Der Bescheid wurde am 8. April 2016 zur Post gegeben.
Dier Antragsteller haben durch ihren Bevollmächtigten am 18. April 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben (Az. M 10 K 16.30801). Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin zu 2) sei schwerwiegend an Hepatitis C erkrankt. Hierzu wurden ärztliche Stellungnahmen von Dr. med. … vom 11. und 24. April 2016 vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.
II.
Der Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es der Begründung des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 15. Januar 2016 folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Antragsteller haben im Eilverfahren keine maßgeblichen Gründe vorgetragen, die die rechtliche Beurteilung im angefochtenen Bescheid in Frage stellen könnten.
Auch unter Berücksichtigung der nun vorgelegten aktuellen ärztlichen Berichte in Bezug auf den Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 2) bestehen derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass bei ihr die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710/94 – juris). Eine Gefahr ist „erheblich”, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland. Ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem entsprechenden Niveau in Deutschland nicht entspricht (vgl. z. B. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 – 5 L 242/16.A – juris Rn. 64 m. w. N.).
Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Den aktuell vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass der Antragstellerin zu 2) im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland eine derartige erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht. So wurde darin festgestellt, dass bei der Antragstellerin zu 2) eine chronische Hepatitis C vorliegt, welche optimal mit „Harvoni (Sovosbuvir plus Ledipasvir)“ mit Kosten i. H. v. 44.000 €, alternativ mit „3-D-Schema von der Firma AbbVie“ mit Kosten i. H. v. 56.000 € behandelbar wäre. Allerdings sei auch eine frühere Therapieform „(duale Therapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin)“ möglich, wenn die neuen Substanzen nicht zur Verfügung stünden; diese Therapie werde in Deutschland wegen der neueren Behandlungsforme allerdings im Prinzip verlassen. Die Prognose mit der Harvoni-Therapie sei als hervorragend einzuschätzen. Ohne Therapie sei die langfristige Prognose der Patientin mehr als ungünstig einzuschätzen, es bestehe wegen der deutlich erhöhten Leberwerte ein hohes Risiko für die Entwicklung von Lebercirrhose und Leberkrebs.
Hieraus ergeben sich jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung bei ihr vorliegt, die im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht behandelbar wäre und sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. So steht in Albanien grundsätzlich eine in asylrechtlicher Hinsicht ausreichende Möglichkeit zur Behandlung von Erkrankungen zur Verfügung (vgl. insbesondere Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien vom 10. Juni 2015 (Stand Mai 2015) – im Folgenden Lagebericht – S. 13 f.). Die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken ist grundsätzlich kostenlos. Gleichwohl müssen Patienten in der Regel erhebliche Zuzahlungen leisten (sog. out-of-pocket-Zahlungen; informelle Zahlungen an das medizinische Fachpersonal). Die Versorgung mit Medikamenten stellt nach Auskunft des Auswärtigen Amtes kein Problem dar. Die örtlichen Apotheken bieten ein relativ großes Sortiment von gängigen Medikamenten an, die zum großen Teil aus der EU importiert werden. Es besteht die Möglichkeit, weitere Medikamente aus dem Ausland zu beschaffen. Die staatliche Krankenversicherung übernimmt in der Regel die Kosten für das billigste Generikum bei Standard-Medikamenten. Teure Medikamente oder solche für außergewöhnliche Krankheiten gehen zulasten des Patienten (Lagebericht, S. 13).
Zwar könnte die Antragstellerin zu 2) bei einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet wohl eine bessere gesundheitliche Versorgung, insbesondere mit den neuesten (und teuren) Medikamenten, erlangen. Wie in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG jedoch auch nunmehr ausdrücklich klargestellt ist, ist – wie bereits ausgeführt – nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährleistet nicht die Heilung oder bestmögliche Linderung von Krankheiten im Bundesgebiet, sondern „nur“, dass sich im Fall der Rückkehr in das Heimatland eine vorhandene Erkrankung nicht aufgrund der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung oder aufgrund individuell eingeschränkten Zugangs zu Behandlungsmöglichkeiten in dem Zielstaat alsbald und in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen würde. Ein Ausländer muss sich auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem Niveau in Deutschland nicht entspricht (vgl. auch OVG NW, B. v. 27.7.2006 – 18 B 586/06; v. 14.6.2005 – 11 A 4518/02.A – juris).
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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