Medizinrecht

Kein Abschiebungsverbot wegen ausreichender Behandelbarkeit von Morbus Hodgkin in Albanien

Aktenzeichen  M 15 K 16.31585

Datum:
27.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 3, § 4

 

Leitsatz

Ein Abschiebungsverbot wegen einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nur vor bei einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde; eine der medizinischen Versorgung in Deutschland gleichwertige Versorgung im Herkunftsland wird nicht vorausgesetzt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG, auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 AsylG bzw. des subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 AsylG oder auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist deshalb rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG, § 117 Abs. 5 VwGO auf die Feststellungen und die Begründung des streitbefangenen Bescheids sowie auf die Gründe des Beschlusses im Eilverfahren M 15 S. 16.31587 Bezug genommen.
Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
Die Erkrankung des Klägers zu 1) an Morbus Hodgkin begründet kein zielstaatsbe-zogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Ursachen sie beruht. Entscheidend ist allein, ob für den Ausländer eine konkrete individuelle Gefahr für die in der Vorschrift genannten Rechtsgüter besteht und die Gefahr dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – jeweils juris). Eine erhebliche Gefahr kann auch bei einer Erkrankung eines Ausländers zu bejahen sein. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist dies allerdings nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen der Fall, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Gefahr muss zudem konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt nicht schon dann vor, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend zu verschlimmern droht. Das Abschiebungsverbot dient nämlich nicht dazu, dem ausreisepflichtigen erkrankten Ausländer die Heilung seiner Erkrankung im Rahmen des sozialen Systems der Bundesrepublik Deutsch land zu eröffnen; vielmehr stellt es alleine den Schutz vor einer gravierenden Beeinträchtigung von Leib und Leben im Zielland einer Abschiebung oder Rückkehr sicher. Der Ausländer muss sich grundsätzlich auf den Behandlungsstandard, der in seinem Herkunftsland für die von ihm geltend gemachten Erkrankungen allgemein besteht, verweisen lassen, wenn damit keine grundlegende Gefährdung verbunden ist (OVG NRW, B.v. 15.9.2003 – 13 A 3253/03.A – juris). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat gleichwertig ist mit derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann, etwa weil er nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt (BVerwG, U. v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris Rn. 9; BayVGH, U. v. 8.3.2012 – 13a B 10.30172 Rn. 25). Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT Drs. 18/7538, S. 19) stehen Erkrankungen des Ausländers, die schon während des Aufenthalts des Ausländers außerhalb der Bundesrepublik Deutschland bestanden und somit bereits bei Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorgelegen haben, der Abschiebung grundsätzlich nicht entgegen.
Gemessen an diesen Vorgaben kann hier nicht von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis ausgegangen werden. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ist die notwendige Behandlung des an Morbus Hodgkin erkrankten Klägers zu 1) in Albanien möglich. Es ist daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers zu 1) im Falle der Rückkehr nach Albanien wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird.
Grundsätzlich steht in Albanien eine in asylrechtlicher Hinsicht ausreichende Möglichkeit zur Behandlung von Erkrankungen zur Verfügung (vgl. insbesondere Bericht des Auswärtigen Amts im Hinblick auf die Einstufung von Albanien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG vom 16. August 2016 (Stand Mai 2016) S. 13 f., im Folgenden: Lagebericht). Die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäuser und Polikliniken ist grundsätzlich kostenlos. Da Ärzte und Pflegepersonal jedoch nur geringe Gehälter erhalten, sind Zuzahlungen häufige Praxis – insbesondere von Patienten, die nicht über Privilegien oder Beziehungen verfügen, auch aus der Erwägung heraus, auf diese Weise eine bessere medizinische Behandlung zu erhalten. Die Versorgung mit Medikamenten stellt nach Auskunft des Auswärtigen Amtes kein Problem dar. Die örtlichen Apotheken bieten ein relativ großes Sortiment von gängigen Medikamenten an, die zum großen Teil aus der EU importiert werden. Es besteht die Möglichkeit, weitere Medikamente aus dem Ausland zu beschaffen. Die staatliche Krankenversicherung übernimmt in der Regel die Kosten für das billigste Generikum bei Standard-Medikamenten. Teurere Medikamente oder solche für außergewöhnliche Krankheiten gehen zu Lasten des Patienten (Lagebericht, S. 13).
Auch im konkreten Fall ist die Erkrankung des Klägers zu 1) in Albanien behandelbar. Ausweislich der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahme leidet der Kläger an einem Hodgkin-Lymphom vom nodulär-sklerosierenden Typ mindestens im Stadium III A (vgl. Schreiben des Klinikums … vom …1.2016, vom .2016, vom …2.2016 und …3.2016 zur hämatologischen Diagnose 06/15). Nur einmalig wird im zeitlich davor liegenden Schreiben des Klinikums … vom …8.2015 hinsichtlich des gleichen Zeitraums Juni 2015 beim Kläger zu 1) das Stadium IV A diagnostiziert, was aber in den neueren Schreiben offensichtlich korrigiert wurde. Insofern entspricht die in der gerichtlichen Anfrage vom 26. Juli 2016 gewählte Formulierung „Morbus Hodgkin, mindestens Stadium III A“ den vorgelegten ärztlichen Attesten. Dazu hat das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 26. August 2016 ausgeführt, dass Morbus Hodgkin im Stadium III A im staatlichen Gesundheitssystem (FSDKSH) behandelt werden kann. Unabhängig davon, ob dort von der Behandel-barkeit von Morbus Hodgkin im Stadium III A statt – wie der Kläger-Bevollmächtigte hingewiesen hat – im Stadium IV A ausgegangen wird, kommt es auf die konkrete Therapie des Klägers an, die durch die gleichen oder zumindest vergleichbare Medikamente in Albanien fortgeführt werden kann. Und dies ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes, wonach die aktuell benötigten Medikamente im FSDKSH verfügbar sind, der Fall. Nur bei einem Medikament gegen Pilzinfektionen im Mund wird nicht dasselbe (Ampho-Moronali), sondern nur ein vergleichbares Medikament (Nystatine in Tropfenform) eingesetzt. Auch erhalten die Patienten eine ADVB-Chemotherapie und kein auf das Medikament „Adcetris“ gestütztes Chemotherapie-Schema. Soweit der behandelnde Arzt in seiner Stellungnahme vom … Oktober 2016 einwendet, dass die in Albanien zur Verfügung stehenden Medikamente zur Behandlung des Morbus Hodkgin im vorliegenden Fall sicher nicht ausreichen werden, um die lebensbedrohliche Krankheit im vorliegenden Fall zu beherrschen, und insbesondere das Chemotherapeutikum Adcetris, das dem Patienten eine realistische Überlebenschance gebe, in Albanien nicht zur Verfügung stehe, ist darauf zu hinzuweisen, dass es zwar außer Frage steht, dass der Kläger zu 1) bei einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet wohl eine bessere gesundheitliche Versorgung erlangen könnte. Der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährleistet jedoch weder die Heilung oder bestmögliche Linderung von Krankheiten im Bundesgebiet noch eine medizinische Versorgung, die derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG), sondern nur, dass sich im Fall der Rückkehr in das Heimatland nicht eine vorhandene Erkrankung auf Grund der Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung oder auf Grund individuell eingeschränkten Zugangs zu Behandlungsmöglichkeiten in dem Zielstaat alsbald und in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen würde. Und dies ist entsprechend der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. August 2016 nicht zu befürchten. Im Übrigen handelt es sich bei dem derzeit verabreichten Medikament laut Attest des behandelnden Arztes vom … Juli 2016 um eine neue Chemotherapie, die auch in Deutschland erst seit wenigen Monaten zugelassen sei, und damit keine Standardbehandlung darstellt.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Kläger zu 1) eine Behandlung wegen fehlender finanzieller Mittel verwehrt bleiben wird, da die Behandlung und die Medikamente für Versicherte im FSDKSH nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. August 2016 kostenlos sind. In Artikel 5 des Gesetzes Nr. 10383 vom 24.2.2011 „Über die Krankenversicherung in der Republik Albanien“ ist eine Pflichtversicherung für alle wirtschaftlich aktiven Personen mit dauerhaftem Aufenthalt in Albanien festgelegt. Vollständig versichert sind auch Pensionierte, Arbeitslose, Studierende, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre; ebenfalls versichert sind Personen, die an Krebs, Tuberkulose, oder Multipler Sklerose erkrankt sind, eine Nierentransplantation benötigen oder an durch chronisches Nierenversagen induzierter Anämie oder Thalassämie leiden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 13. Februar 2013, Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung; Blutrache). Insofern ist davon auszugehen, dass der Kläger zu 1) als Versicherter Zugang zu Behandlung und Medikamenten erlangen wird. Zwar bestehen nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnissen aufgrund der allgegenwärtigen Korruption im albanischen Gesundheitswesen und der langen Wartezeiten faktische Beschränkungen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 13.2.2013); Patienten müssen nach dem aktuellen Lagebericht in der Praxis erhebliche Zuzahlungen leisten. Dass medizinische Leistungen grundsätzlich verwehrt bleiben, ist jedoch nicht ersichtlich. Hiergegen spricht auch der Umstand, dass der Kläger zu 1) in Albanien nach eigener Aussage vor seiner Ausreise auch bereits behandelt worden ist.
Nachdem beim Kläger zu 1) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Auf-enthG nicht vorliegt, können sich die Kläger zu 2) bis 4) nicht auf eine diesbezüglich auch für sie geltende Schutzwirkung berufen. Im Übrigen würde es sich, soweit die Kläger zu 2) bis 4) sich darauf stützen, dass der Kläger zu 1) als an Morbus Hodgkin erkrankter Ehemann bzw. Vater der Schutz- und Beistandsgemeinschaft seiner Familie besonders bedürfe, allein um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis handeln, das von der Beklagten im Asylverfahren nicht zu prüfen ist. Derartige durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Bindungen aufgrund einer im Bundesgebiet gelebten Beistandsgemeinschaft sind allein von den Ausländerbehörden im aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu prüfen (OVG des Saarlandes, U. v. 18.12.2015 – 2 A 128/15 – juris Rn. 11).
Sonstige Gründe, aus denen sich ein Abschiebungsverbot zugunsten der Kläger ergeben könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154, Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m.
§§ 708 ff. ZPO.


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