Medizinrecht

Keine konkrete Gesundheitsgefahr bei Abschiebung nach Kasachstan

Aktenzeichen  RO 9 K 16.33303

Datum:
30.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

In Almaty, der größten Stadt Kasachstans, besteht die Möglichkeit, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen und geeignete Antidepressiva zu erhalten. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage wurde hinsichtlich der Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurückgenommen (§ 92 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Kostenfolge des § 155 Abs. 2 VwGO wird bei der Kostenentscheidung in diesem Urteil berücksichtigt. Soweit die Klage noch aufrecht erhalten wird, ist sie zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 29. November 2016 ist im noch angefochtenen Umfang rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf einen Schutzstatus im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt den Feststellungen und Gründen des Bescheid vom 29. November 2016, soweit er noch Klagegegenstand ist, und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Zu den Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AsylG bleibt ergänzend auszuführen, dass für die Klägerin krankheitsbedingt im Falle der Abschiebung in den Herkunftsstaat keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, denn es ist nicht von einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung auszugehen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AsylG). Der zuletzt vorgelegte Befundbericht des Bezirksklinikums … vom 22. Dezember 2016 lässt nicht in hinreichendem Umfang erkennen, welche Diagnosen psychischer Erkrankungen der ambulanten Behandlung unter Medikamentengabe in der Vergangenheit zu Grunde lagen. Die behandelnde Ärztin geht nicht von der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach ICD-10: F43.1 aus, stattdessen sei „von einer depressiven Symptomatik im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsreaktion“ auszugehen. Eine konkrete Diagnose mit oder ohne Nennung einer Klassifikation nach ICD-10 fehlt. Eine (akute) Belastungsreaktion (ICD-10: F43.0) als eine Reaktion auf eine akute psychischen Belastung, für die der oder die Betroffene keine geeignete Bewältigungsstrategie besitzt, hat keinen Krankheitswert, sondern ist eine normale Reaktion der menschlichen Psyche auf eine außergewöhnliche Erfahrung. Die Terminologie der Belastungsreaktion ist kein Synonym für eine posttraumatische Belastungsstörung wie etwa posttraumatische Belastungserkrankung oder postdramatisches Belastungssyndrom. Die vorsichtige Annahme nur einer Belastungsreaktion ohne vorgängige Anamnese verbunden mit der Beschränkung auf eine medikamentöse antidepressive Behandlung seit Mai 2015 bei regelmäßiger ambulanter Vorstellung der Klägerin geht zurück auf sehr vage Angaben der Klägerin zu den Gründen einer depressiven Symptomatik. Die behandelnde Ärztin hat nach dem vorliegenden Befundbericht bisher (nach ca. eineinhalb Jahren Behandlung) kein konkretes, näher ausgeführtes traumatisierendes Ereignis benannt, das valide die von Klägerseite zu Unrecht als vorliegend angenommene posttraumatische Belastungsstörung als gesicherte Diagnose tragen könnte. Die Angaben der Klägerin bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 16. März 2015, also vor Beginn der ambulanten psychiatrischen Behandlung am 26. Mai 2015, wurden dabei nicht mit einbezogen. Ein therapeutischer Ansatz ausgehend von der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist nicht erkennbar. Stattdessen geht die behandelnde Ärztin durchaus nachvollziehbar im Ergebnis davon aus, dass die psychische Verfassung der Klägerin maßgeblich durch die Unsicherheiten für ihren weiteren Lebensweg bestimmt wird. Insoweit ist es auch nachvollziehbar, wenn die behandelnde Ärztin von einer Belastungsreaktion im vorstehenden Sinn spricht, nämlich einer Reaktion auf einen nur von Unsicherheiten geprägten Lebenssituation, für die die Klägerin angesichts ihres jungen Alters nur schwer eine oder keine Bewältigungsstrategie entwickeln kann. Es fällt auf, dass sich die Klägerin erst nach der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt in ärztliche Behandlung in … (ca. zwei Jahre nach der Ausreise und den beiden angeblichen Vorfällen im Herkunftsland im Mai und Juni 2013) begeben hat, also zu einem Zeitpunkt als eine baldige Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag zu erwarten war. Das vorangegangene Dublin-Verfahren, während dem der Klägerin erfolgreich ein bereits vor der Ausreise aufgetretener gutartiger Tumor an der Fußsohle, der möglicherweise aufgrund der Schmerzhaftigkeit und nach Angaben der Klägerin auch gehbehindernden Wirkung sowie der angegebenen unzureichenden Behandlung im Herkunftsland den tatsächlichen Ausreisegrund darstellen könnte, operativ entfernt wurde, war noch kein Anlass, die Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret werden zu lassen. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass die Klägerin bei der persönlichen Anhörung am 16. März 2015 offensichtlich keine Probleme psychischer Natur bei der Beantwortung von Fragen und der Schilderung der Gründe für den Asylantrag hatte. Die Niederschrift gibt zumindest hierfür keinen Anhalt. Das Gericht konnte in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck gewinnen, dass die Klägerin einem starken Leidensdruck unterliegt, der von den beiden angeblichen Vorfällen im Herkunftsland herrühren könnte. Die von der behandelnden Ärztin im Befundbericht angesprochene Verschlechterung der depressiven Symptomatik mit der möglichen Auslösung einer Suizidalität gibt, ausgehend vom Fehlen einer gesicherten Diagnose, nur eine Vermutung wieder. Abschließend kommt die behandelnde Ärztin für die Klägerin zu dem Ergebnis, dass „eine Abschiebung durch die weiterhin bestehende psychische Symptomatik und der traumatisierenden Erlebnisse in ihrem Heimatland negative Folgen für ihre Weiterentwicklung und ihre psychische Stabilität zur Folge“ hätte. Damit ist auch nicht andeutungsweise davon die Rede, dass für die Klägerin im Falle der freiwilligen Ausreise oder Abschiebung eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestünde. Die Klägerin stammt aus Almaty, der größten Stadt Kasachstans, somit ist von der Möglichkeit der Inanspruchnahme medizinischer Hilfe und auch geeigneter Antidepressiva im Bedarfsfall auszugehen. Insoweit wird auf die in der mündlichen Verhandlung eingeführten Dokumentationen zum Gesundheitswesen (Nr. 108 der Zentralasien-Analysen vom 23.12.2016) und zum Arzneimittelmarkt in Kasachstan verwiesen. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der … gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 u. 4 AsylG). Von Klägerseite wurde zu den Folgen einer Rückführung in den Herkunftsstaat nichts ausgeführt.
Das Gericht sah zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keine Veranlassung – wie von Klägerseite angeregt – ein fachpsychiatrisches oder sonstiges fachmedizinisches Sachverständigengutachten zur Frage der Erkrankung der Klägerin und den Folgen einer Rückführung in das Herkunftsland in Auftrag zu geben. Ebenso wenig ergaben sich Anhaltspunkte, nach denen sich eine Einvernahme der behandelnden Ärztin des Bezirksklinikums … als sachverständige Zeugin aufdrängte, insbesondere wurde von Klägerseite nicht vorgetragen, dass die Ärztin über den Inhalt des Befundberichts vom 22. Dezember 2016 hinaus weitere entscheidungserhebliche Angaben zum Gesundheitszustand der Klägerin hätte machen können.
Die Klagen der weiteren Familienmitglieder (Eltern und die beiden Geschwister) der volljährigen Klägerin wurden ebenfalls abgewiesen (RO 9 K 16.33304 und RO 9 K 16.33306), so dass von einer gemeinsamen Ausreise der Familie auszugehen ist. Nach den Angaben der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung (RO 9 K 16.33304) befindet sich ein Großteil der Verwandtschaft in Almaty und Umgebung, so dass die Familie in jedem Fall mit der verwandtschaftlichen Unterstützung im Falle der Rückkehr rechnen kann. Dass das Haus der Familie in ihrer Abwesenheit verkauft worden sein soll, erscheint nicht glaubhaft. Die Mutter der Klägerin sah sich nicht in der Lage trotz des Kontakts zu ihrer Verwandtschaft in Almaty nähere Angaben hierzu zu machen.
Die Befristungsentscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG ist nicht zu beanstanden. Den von Klägerseite vorgetragenen Belangen musste nicht durch eine kürzere Befristung Rechnung getragen werden. Wie bereits festgestellt, ist davon auszugehen, dass die Klägerin im Falle der Ausreise bzw. Abschiebung zeitgleich mit ihrer Familie das Bundesgebiet verlassen wird. Der Gesichtspunkt, dass die Klägerin bis Mitte des Jahres eine Ausbildung an der Berufsschule wird abschließen können, kann allenfalls Bedeutung für die Frage haben, wann die Ausreise gegenüber der Klägerin durchgesetzt wird, nicht aber dafür, zu welchem Zeitpunkt sie wieder ins Bundesgebiet einreisen darf. § 11 Abs. 4 AufenthG eröffnet im Übrigen die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen das Einreise-und Aufenthaltsverbot aufzuheben oder die Frist zu verkürzen. Das Einreise und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach §§ 22 ff. AufenthG vorliegen. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass im Rahmen der Fristsetzung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt worden wäre. Die mit der Ausweisung verfolgten spezial- oder generalpräventiven Zwecke beinhalten grundsätzlich eine gewisse Dauer der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet. Die festgesetzte Frist von 30 Monaten erscheint angemessen.
Danach war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, ergibt sich die Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben