Medizinrecht

Keine sofortige COVID-19-Schutzimpfung

Aktenzeichen  20 CE 21.442

Datum:
16.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2701
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
CoronaImpfV

 

Leitsatz

1. Nach der CoronaImpfV vom 8.2.2021 ist es ausgeschlossen, Personen mit hoher Priorität (§ 3) in die Gruppe der Personen mit höchster Priorität (§ 2) im Wege einer Einzelfallentscheidung höherzustufen, auch wenn sie sich in einer Krebsbehandlung befinden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf unverzüglich Impfung ergibt sich auch nicht aus einem unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bzw. Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Teilhabeanspruch.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26b E 21.368 2021-01-28 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Ablehnung des Eilantrags erweist sich im Ergebnis (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2003 – 1 CS 03.60 – NVwZ 2004, 251 = juris Rn. 16; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 29 ff.) als richtig.
1. Ein Anordnungsanspruch, der im Rahmen des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine Verpflichtung des Antragsgegners zur unverzüglichen Impfung des Antragstellers begründen könnte, wurde vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher Anspruch ergibt sich für den Antragsteller bei summarischer Prüfung weder aus den Bestimmungen der Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV – noch unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Senat hat dabei die Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Danach ist ein möglicher Anspruch nach der Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV) vom 8. Februar 2021 (BAnz AT 08.02.2021) zu beurteilen. Durch diese Verordnung werden u.a. die Voraussetzungen des Impfanspruches nach § 20i Abs. 3 Satz 7 SGB V i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchstabe c und f IfSG geregelt.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Er hat weder einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 CoronaImpfV noch einen unmittelbaren aus der Verfassung abgeleiteten Teilhabeanspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bzw. Art. 3 Abs. 1 GG. Die allgemein bekannte Knappheit der Impfstoffe ermöglicht eine Teilhabe nur im Rahmen der aktuell zur Verfügung stehenden Kapazitäten und erfordert daher in jedem Fall eine Priorisierung (LSG Niedersachsen-Bremen, B.v. 2.2.2021 – L 5 SV 1/21 B ER – juris).
a) Der Antragsteller hat zwar im Grundsatz einen Anspruch auf eine Impfung gegen das Coronavirus, bei eingeschränkter Verfügbarkeit von Impfstoffen nicht jedoch auf eine unverzügliche Impfung im Rahmen der höchsten Priorität (vgl. § 1 Abs. 1 CoronaImpfV), sondern aufgrund seines Gesundheitszustandes in der Priorisierungsstufe der Gruppe 2 (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchstaben d, e, j). Die vorgenommene Priorisierung ist dabei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Sie entspricht im Wesentlichen den Beschlussempfehlungen der am RKI angesiedelten Ständigen Impfkommission nach § 20 Abs. 2 IfSG – STIKO (vgl. zuletzt den „Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung“, Stand der Aktualisierung vom 29. Januar 2021; abzurufen unter: RKI – Impfungen A – Z – STIKO-Empfehlungen zur COVID-19-Impfung – Epidemiologisches Bulletin -; aufgerufen hier zuletzt am 8. Februar 2021). Der Senat hat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Empfehlungen nicht auf den jeweils neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und regelmäßig evaluiert werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, B.v. 2.2.2021 – L 5 SV 1/21 B ER – juris).
Durch die Änderung der CoronaImpfV mit Verordnung vom 8. Februar 2021 ist die Einstufung nunmehr eindeutig. Aufgrund seines Gesundheitszustandes steht dem Antragsteller lediglich eine Schutzimpfung mit hoher Priorität nach § 3 CoronaImpfV zu, die bei der gegenwärtigen Sachlage, welche durch eine generelle Knappheit der Impfstoffe geprägt ist, unter keinem Gesichtspunkt zu einem sofortigen Impfanspruch führen kann, solange noch impfbereite Personen mit höchster Priorität nach § 2 CoronaImpfV keine Impfung erhalten haben. Der Umstand, dass eine Person wie der Antragsteller gleich mehrere Kriterien einer Priorisierungsgruppe erfüllt, führt nicht dazu, dass sie im Ermessenswege in die nächsthöhere Priorisierungsgruppe gehoben wird, sondern ggf. im Rahmen des § 1 Abs. 2 Satz 1 CoronaImpV bei einer Priorisierungsentscheidung innerhalb einer Gruppe zu berücksichtigen wäre.
Eine Einzelfallentscheidung dahingehend, Personen mit hoher Priorität nach § 3 in die Gruppe der Personen mit höchster Priorität nach § 2 höherzustufen, kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Dies folgt daraus, dass die Verordnung Personen, bei denen ein sehr hohes oder hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit den Coronavirus SARS-CoV-2 lediglich in den Priorisierungsgruppen des § 3 und § 4 nennt und eine Höherstufung lediglich im Fall des § 4 Abs. 1 Nr. 4 lit. i, § 6 Abs. 6 CoronaImpfV von der erhöhten Priorität in die Gruppe mit hoher Priorität vorgesehen ist. Das gilt unabhängig davon, ob die Person sich unmittelbar in einer Krebsbehandlung befindet. Eine entsprechende Höherstufung in die Gruppe mit höchster Priorität nach § 2 CoronaImpfV ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass hier eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, so dass eine entsprechende Anwendung der Vorschriften ausscheidet. An dieser Einschätzung ändert auch nicht die zusätzlich in die Verordnung aufgenommene Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 CoronaImpfV, wonach von der Reihenfolge nach Satz 1 in Einzelfällen abgewichen werden kann, wenn dies für eine effiziente Organisation der Schutzimpfungen, insbesondere bei einem Wechsel von einer der in Satz 1 genannten Gruppen zur nächsten, und zur kurzfristigen Vermeidung des Verwurfs von Impfstoffen notwendig ist. Denn diese Regelung erweist sich angesichts ihres klaren Wortlaut als objektives, allein einer möglichst effizienten Impforganisation dienendes Recht und verleiht der einzelnen Person kein subjektiv-öffentliches Recht auf Berücksichtigung eines besonderen individuellen Schutzbedarfs. Darüber hinaus sieht die CoronaImpfV diesbezüglich keine weitere Einzelfallentscheidungsbefugnis vor.
b) Der Antragsteller kann sich auch nicht zur Verwirklichung seines Rechtsschutzzieles einer unverzüglichen Impfung auf einen unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bzw. Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Teilhabeanspruch stützen, weil auch dieser sich wegen der aktuell begrenzten Kapazität der Impfstoffe an nachvollziehbaren, wissenschaftlich basierten Erkenntnissen orientieren muss und damit ähnlichen Kriterien folgen müsste wie der Anspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 CoronaImpfV. Diesem unmittelbar aus der Verfassung herzuleitenden Anspruch käme insbesondere Bedeutung zu, wenn man aufgrund eines Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt zur Auffassung käme, dass die CoronaImpfV verfassungswidrig wäre. Die überarbeitete Fassung der STIKO-Empfehlung vom 29. Januar 2021 (S. 59 f.) sieht vor, dass bei der Priorisierung innerhalb der COVID-19-lmpfempfehlung nicht alle Krankheitsbilder oder Impfindikationen berücksichtigt werden könnten. Deshalb seien Einzelfallentscheidungen möglich. Es obliege den für die Impfung Verantwortlichen, Personen, die nicht explizit genannt seien, in die jeweilige Priorisierungskategorie einzuordnen. Dies betreffe z.B. Personen mit seltenen, schweren Vorerkrankungen, für die bisher zwar keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz bzgl. des Verlaufes einer COVID-19-Erkrankung vorliege, für die aber ein erhöhtes Risiko angenommen werden könne. Dies treffe auch für Personen zu, die zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr oder nicht mehr gleich wirksam geimpft werden könnten, wie z.B. den Antragsteller aufgrund seiner unmittelbar bevorstehenden Chemotherapie. Der Senat kann aber weder hieraus noch aus anderen Gesichtspunkten den Schluss ziehen, dass der Antragsteller deswegen von Verfassungs wegen ohne weiteres einen Anspruch auf unverzügliche Impfung hätte. Vielmehr ist die hinter der Entscheidung des Verordnungsgebers stehende Bewertung, derartige Fälle nicht in einer Gruppe mit höchster Dringlichkeit zu berücksichtigen, auch in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht offensichtlich sachwidrig.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Da das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt, ist eine Reduzierung des Streitwerts nicht angezeigt (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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