Medizinrecht

Kostentragung für Untätigkeitsklage

Aktenzeichen  S 10 KR 339/21

Datum:
15.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ASR – 2021, 279
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 88 Abs. 2, § 193 Abs. 1
§ 91a ZPO

 

Leitsatz

1. Bei einer Kostenentscheidung nach Hauptsache-Erledigung einer Untätigkeitsklage ist auch das im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zu beachten.  (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist einerseits die Behandlung eines Widerspruchs im Widerspruchsausschuss angekündigt, wird aber andererseits auf anwaltliche Anfrage kein konkreter Termin benannt, ist die hälftige Kostentragung für eine Untätigkeitsklage angemessen. (Rn. 10 – 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der ihr entstandenen notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung zu erstatten.

Gründe

I.
Gegenstand des zwischenzeitlich erledigten Hauptsacheverfahrens war die Verbescheidung eines Widerspruchs der Klägerin.
Auf Antrag der Klägerin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 13.04.2021 häusliche Krankenpflege für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis 30.06.2021 in Form von An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen sowie bis 18.04.2021 in Form von Medikamentengabe, ab dem 19.04.2021 in Form von Richten von Medikamenten im Wochendispenser, den Antrag der Klägerin auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege in Form von Medikamentengabe lehnte die Beklagte für die Zeit nach dem 18.04.2021 ab mit der Begründung, dass auch das Richten der Medikamente in der Wochenbox ausreichend sei. Mit weiterem Bescheid vom 13.04.2021 lehnte die Beklagte den weiteren Antrag der Klägerin auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege für den Zeitraum 07.04.2021 bis 21.04.2021 in Form von Insulininjektionen und Blutzuckermessungen ab mit der Begründung, dass die Maßnahmen selbstständig durchgeführt würden. Gegen die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten erhob die Klägerin jeweils mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 06.05.2021 Widerspruch. Mit Schreiben vom 11.05.2021 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Zurückweisung des Widerspruchs an. Mit E-Mail ihres Prozessbevollmächtigten vom 04.06.2021 reichte die Klägerin zunächst ein ärztliches Attest nach, hierzu teilte die Beklagte mit E-Mail vom 07.06.2021 mit, dass sie das Attest an die Widerspruchsstelle weiterleiten werde, die Klägerin werde von dort Nachricht erhalten. Mit E-Mail vom 26.07.2021 forderte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte unter Hinweis auf die ansonsten zu erhebende Untätigkeitsklage auf, bis spätestens zum 06.08.2021 entweder über den Widerspruchsbescheid zu entscheiden oder einen konkreten Termin für die Entscheidung des Widerspruchsausschusses mitzuteilen. Mit E-Mail vom 28.07.2021 teilte die Beklagte mit, dass der Widerspruchsausschuss den Widerspruch in seiner nächsten Sitzung im September 2021 verbescheiden werde. Mit E-Mail vom 29.07.2021 forderte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte auf, den konkreten Termin für die Sitzung des Widerspruchsausschusses zu benennen, da zuletzt häufig genannte Termine verschoben worden seien. Hierauf antwortete die Beklagte mit E-Mail vom 29.07.2021, die Anfrage möge direkt an die Widerspruchsstelle gerichtet werden. Mit Widerspruchbescheid von 23.09.2021 wies die Beklagte die Widersprüche unter anderem gegen die Bescheide vom 13.04.2021 als unbegründet zurück.
Bereits am 20.08.2021 ist für die Klägerin Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Augsburg erhoben worden mit dem Ziel der Verbescheidung der Widersprüche gegen die Bescheide vom 13.04.2021. Auf Aufforderung mit E-Mail vom 29.07.2021 zur Benennung eines konkreten Termins für die Sitzung des Widerspruchsausschusses habe die Beklagte weder eine Rückmeldung erteilt, noch sei Verbescheidung der Widersprüche erfolgt. Ein zureichender Grund hierfür sei der Klägerin nicht mitgeteilt worden und sei auch nicht ersichtlich, daher sei nunmehr Untätigkeitsklage geboten. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 30.08.2021 erwidert, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei bereits mit E-Mail vom 28.07.2021 mitgeteilt worden, dass die Vorlage an den Widerspruchsausschuss in dessen nächsten Sitzung im September 2021 erfolge, der Prozessbevollmächtigte sei also in Kenntnis des weiteren Verfahrens gesetzt worden, insoweit sei die Erhebung der Untätigkeitsklage unverständlich. Hierzu ist für die Klägerin darauf verwiesen worden, dass die Beklagte selbst bereits im Anhörungsschreiben vom 11.05.2021 mitgeteilt habe, dass weitere Ermittlungen nicht angestellt würden, insbesondere ein Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nicht vorgelegt werden könne und die Sache in den Widerspruchsausschuss abgegeben werde. Warum dieser dann nicht alsbald tagte und noch immer kein konkreter Termin feststehe, sei nicht klar. Nachdem in den vergangenen Monaten immer wieder avisierte Termine vor dem Widerspruchsausschuss ohne jede Begründung abgesagt worden seien, sei die Klage geboten gewesen.
Nachdem am 23.09.2021 Verbescheidung der Widersprüche erfolgt ist, hat die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29.09.2021 die Untätigkeitsklage für erledigt erklärt und beantragt,
die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sei durch E-Mail vom 28.07.2021 darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass über den Widerspruch in der nächsten Sitzung des Widerspruchsausschusses im September entschieden werde. Mehr habe auch durch die am 20.08.2021 erhobene Untätigkeitsklage nicht erreicht werden können. Vor dem Hintergrund des im sozialgerichtlichen Verfahrens geltenden Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme sei es dem Bevollmächtigten zumutbar gewesen, die mitgeteilte Entscheidungsfrist bis zum Ablauf des Monats September 2021 abzuwarten.
Wegen des weiteren Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen
II.
Grundsätzlich hat das Gericht von Amts wegen zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, § 193 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Wird ein Verfahren ohne gerichtliche Entscheidung beendet, hat das Gericht auf Antrag über die Kosten zu entscheiden, § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG. Maßstab für die Entscheidung über die Kostenlast ist eine Verteilung unter Berücksichtigung des in § 91a ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens, wonach das voraussichtliche Ergebnis des Rechtsstreits unter Einbeziehung des sich aus den Akten ergebenden Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu würdigen ist.
Gemäß § 88 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 SGG ist, wenn über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist entschieden worden ist, die Untätigkeitsklage mit dem Ziel der Verbescheidung des Widerspruchs zulässig, wobei als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt, § 88 Abs. 2 SGG. Hier ist gegen die Bescheide vom 13.04.2021 bereits mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten Klägerin vom 06.05.201 Widerspruch erhoben worden, zum Zeitpunkt der Vornahme der Entscheidung vom 23.09.2021, wie auch bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung vom 20.08.2021, war die Sperrfrist des § 88 Abs. 2 SGG abgelaufen.
Allerdings ist hier die Besonderheit zu sehen, dass mit E-Mail des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 26.07.2021 zunächst der Beklagten Frist gesetzt worden war, bis zum 06.08.2021 entweder Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid zu erlassen oder einen konkreten Termin des Widerspruchsausschusses mitzuteilen. Hierauf hat die Beklagte auch am 28.07.2021 mitgeteilt, dass der Widerspruchsausschuss in seiner nächsten Sitzung im September 2021 über den eingelegten Widerspruch entscheiden werde. Auf die weitere Anforderung mit E-Mail des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 29.07.2021, konkreten Termin für die Sitzung des Widerspruchsausschusses zu benennen, hat die Beklagte ausweislich der in den beigezogenen Verwaltungsakten befindlichen Unterlagen mit E-Mail vom 29.07.2021 gebeten, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin möge sich diesbezüglich direkt an die Widerspruchsstelle wenden.
Insoweit ist das im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zu beachten (vgl. hierzu jurisPK, Kommentar zum SGG, 1. Auflage 2017, § 88 Rn. 71 m.w.N.). Danach wäre es einerseits von der Beklagten, für die zum Zeitpunkt der Aufforderung durch den Prozessbevollmächtigten bereits absehbar, dass die gesetzlich vorgegebene Frist zur Verbescheidung des Widerspruchs nicht eingehalten werde, zu erwarten gewesen, dass sie auf Anfrage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sich über die konkreten Termine des Widerspruchsausschusses informiert und hierzu dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf seine Anfrage zum genauen Termin konkrete Rückantwort gibt. Andererseits wäre es auch dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zumutbar gewesen, nachdem die Beklagte auf seine Aufforderung, zur Vermeidung einer Untätigkeitsklage jedenfalls Termin für die Widerspruchsentscheidung mitzuteilen, Entscheidung des Widerspruchsausschusses noch für September 2021 angekündigt hatte, jedenfalls bis dahin abzuwarten vor Erhebung der Untätigkeitsklage.
Soweit hier einerseits durch die Beklagte fristgemäße Verbescheidung des Widerspruchs ohne Angabe konkreter Gründe und Benennung des konkreten Tags der Sitzung des Widerspruchsausschusses nicht erfolgt ist, andererseits der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durch seine Aufforderung zur Benennung jedenfalls eines Termins für die Abhilfeentscheidung bei der Beklagten den Eindruck erweckt hat, er werde dann bis zu diesem Termin Untätigkeitsklage nicht erheben und die Beklagte hierauf jedenfalls den Monat der geplanten Entscheidung mitgeteilt hat, erscheint nach Auffassung des Gerichts die hälftige Kostentragung durch die Beklagte angemessen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 172 Abs. 3 Nummer 3 SGG.


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