Medizinrecht

Mobilitätsbedarf von Asylbewerbern

Aktenzeichen  S 5 AY 28/18

Datum:
13.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 48121
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
AsylbLG § 3 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Der Mobilitätsbedarf eines Asylbewerbers wird nicht durch einen Shuttle-Bus gedeckt, welcher nur vier Haltestellen bedient und im Vergleich zum Linienverkehr in deutlich eingeschränktem Umfang betrieben wird. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt unter Abänderung des mündlichen Leistungsbescheides vom 28.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberfranken vom 14.03.2018, dem Kläger für Juni 2017 weitere Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 20,61 € zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf weitere Geldleistungen in Höhe von 20,61 € anstatt der Sachleistung „Shuttle-Bus“ für den Monat Juni 2017. Die Sachleistung „Shuttle-Bus“ ist zwar mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, deckt aber nicht den notwendigen persönlichen Bedarf.
Der Kläger befindet sich in der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (ab 01.08.2018 „ANKER-Einrichtung“). Damit bemessen sich die Grundleistungen nach § 3 Abs. 1 AsylbLG. Nach § 3 Abs. 1 Satz 5 AsylbLG werden Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf). Soweit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, sollen diese durch Sachleistungen gedeckt werden (§ 3 Abs. 1 Satz 6 AsylbLG).
Der Betrieb des „Shuttle-Busses“ von 9 bis 19.15 Uhr an 7 Tagen die Woche unter Ansteuerung der Innenstadt, des Bahnhofes, des Omnibus-Bahnhofes sowie des Klinikums ermöglicht es der Beklagten nicht einen pauschalen Abzug der Kosten für fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen) in Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 6 AsylbLG in Höhe von 20,61 € vorzunehmen.
Zu unterscheiden ist bei der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AsylbLG dabei die Tatbestandsvon der Rechtsfolgenseite.
Tatbestandlich kommt eine Sachleistungsgewährung überhaupt nur dann in Betracht, soweit dies mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich ist. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, § 3 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 90.3 und 90.4, Deibel, ZFSH/SGB 2015, 704/705). Die Formulierung „soweit“ impliziert, dass eine Sachleistungsgewährung bis zu einem bestimmten Umfang vertretbar, darüber hinaus aber nicht mehr vertretbar ist. Dieses vom Gesetzgeber nicht näher erörterte Merkmal des vertretbaren Verwaltungsaufwandes ist anhand der äußeren Umstände der vor Ort gegebenen Verwaltungspraxis zu ermitteln. Dabei ist insbesondere die Art des Bedarfs, aber auch die Anzahl der sich in einer Aufnahmeeinrichtung aufhaltenden Leistungsberechtigten mit entsprechenden Bedarfen zu betrachten (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, § 3 AsylbLG, Rn. 90.6). Soweit der Verwaltungsaufwand nicht vertretbar ist, steht der zuständigen Behörde gem. § 3 Abs. 1 S. 7 AsylbLG ein Ermessen nur im Hinblick auf die Auswahl der Form der Leistung (Wertgutschein, unbare Abrechnung oder Geldleistung) zu. Statuiert wird damit zugleich, dass sich die Gewährung des notwendigen persönlichen Bedarfs aus Sach- und Geldleistungen (bzw. Wertgutscheinen, unbaren Leistungen) zusammensetzen kann (sog. „Mischform“).
Nach der vorwiegend vertretenen Auffassung beurteilt sich die Frage nach der Vertretbarkeit des Verwaltungsmehraufwandes im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 6 AsylbLG nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung der Mehrkosten einer Sachleistungsgewährung (Sach- und Personalkosten) gegenüber den Kosten einer anderen Art und Weise der Bedarfsdeckung (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, § 3 AsylbLG, Rn. 90.10). Hierbei ist Vergleichsmaßstab die Geldleistung, mit der wohl der geringste Verwaltungsaufwand einhergeht.
Im vorliegenden Fall ist nach Überzeugung des Gerichts die Erbringung der „Sachleistung des Shuttle-Buses“ mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich. Umfasst werden etwa Bedarfe der bedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe in Abteilung 7 Verkehr (Frerichs aaO. Rn. 90.6). Eine Sachleistungsgewährung ist noch dann verhältnismäßig, wenn sie gegenüber der Geldleistung zu Mehrkosten von bis zu 20% führen würde (Frerichs aaO. Rn. 90.10).
Nach dem Stand vom 02.02.2018 befinden sich 1374 Personen, nach dem Stand vom 18.06.2018 1.177 sowie nach dem Stand vom 27.08.2018 1.424 Personen in der Aufnahmeeinrichtung bzw. „ANKER“- Einrichtung (http://www.regierung.oberfranken.bayern.de/buerger_und_staat/migranten/ae_oberfranken/index.php#belegung).
Es liegt auf der Hand, dass bei diesem doch erheblichen Personenkreis Mobilitätsbedürfnisse im öffentlichen Nahverkehr mit vertretbarem Verwaltungsaufwand grundsätzlich (wenn auch schwierig) durch Sachleistungen gedeckt werden können. Ein stündlicher Pendelverkehr bei begrenzter Fahrtstrecke bis zum Klinikum über den Bahnhof sowie den Omnibus-Bahnhof lässt sich mit begrenztem Aufwand nur für einen Linienbus finanzieren. Die Aufnahmeeinrichtung befindet sich am östlichen Ortsrand und ist ca. 3 km vom Bahnhof und ca. 3,5 km von den Einkaufsmöglichkeiten in der Fußgängerzone entfernt.
Im Verfahren ist deutlich geworden, dass durch den Betrieb des „Shuttle-Bus“ kein unvertretbarer Verwaltungsmehraufwand im Vergleich zur Auszahlung der Bargeldleistung entsteht. Der Verwaltungsmehraufwand, der vom Beklagten nur schwer geschätzt werden konnte, besteht hauptsächlich in dem einmal einzupflegenden Kürzungsbetrag bei der Berechnung der auszuzahlenden Geldleistungen (da ein Teil der Abteilung 7, nämlich der Anteil für fremde Verkehrsdienstleistungen [ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen], vom Gesamtbetrag des notwendigen persönlichen Bedarfs abzuziehen ist) sowie in der Durchführung der Überweisung des zur Zahlung an die Stadtwerke auszuzahlenden Geldbetrages für den Betrieb des „Shuttle-Buses“ durch die Stadtwerke.
Allerdings reicht die Zurverfügungstellung eines Shuttle-Buses nicht aus, um den individuellen Bedarf des Klägers an fremden Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen) zu befriedigen.
Die Entscheidung des Gesetzgebers in § 3 Abs. 1 Satz 6 AsylbLG, zur Deckung des existenzsichernden Bedarfs vorrangig Sachleistungen vorzusehen, wird nicht durch die Bereitstellung eines Shuttle-Buses, welcher nur vier verschiedene Haltestellen bedient und in einem deutlich eingeschränkten zeitlichen Umfang im Vergleich zum normalen Linienverkehr betrieben wird, gesichert. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind (BVerfG, Urteil vom 09. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 -) und ist damit nicht nur begrifflich, in besonderer Weise durch subjektive Vorstellungen der leistungsberechtigten Personen geprägt. Dieser Gewährleistungsanspruch ist zu erfüllen. Erforderlich – und ausreichend – ist, dass Sachleistungen aktuell das menschenwürdige Existenzminimum tatsächlich decken. Wer existenzsichernde Sachleistungen bezieht, erhält daher auch keine ergänzende Geldleistung zur Deckung der Bedarfe (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 -, Rn. 109, juris). Es handelt sich bei dem „notwendigen persönlichen Bedarf“ damit um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Dieser ist von der nach §§ 10, 10 a AsylbLG zuständigen Behörde zu konkretisieren. Der Begriff unterliegt daher, insbesondere auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht, der vollständigen gerichtlichen Überprüfung.
Nach Auskunft der Beklagten kann nicht sichergestellt werden, dass der Kläger den Bus-Shuttle tatsächlich nutzt oder in welchem Umfang oder eventuell seinen Bedarf im öffentlichen Nahverkehr z.B. durch ein Fahrrad sichert. Nachdem die Beklagte nicht sicherstellen kann, dass der „Shuttle-Bus“ tatsächlich in Anspruch genommen wurde, ist mangels tatsächlicher Deckung ein Abzug nicht möglich.
Es oblag nicht der Beklagten oder der Kammer festzustellen, ob der für den Kläger zugrunde gelegte Bedarf für fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen) in der Summe korrekt ist oder gar aufgrund der Lebenssituation des Klägers zu hoch angesetzt wurde, was nicht auszuschließen ist. Diesbezüglich schließt sich die Kammer den Ausführungen des Sozialgerichts Landshut in seiner Entscheidung vom 16.12.2016, S 11 AY 74/16 an, dass die Anerkennung existenzsichernder Bedarfe dem Gesetzgeber obliegt.
Die durch die gesetzliche Neuregelung des § 3 AsylbLG geschaffenen Leistungssätze nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG (notwendige persönliche Bedarfe) sind nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (vgl. BVerfG v. 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -) ermittelt worden.
Der Gesetzgeber hat mangels anderweitiger Erkenntnisse auf die nach § 28 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vorgenommene Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) zurückgegriffen. Der Gesetzgeber hat folglich keine eigene Erhebung der Verbrauchsausgaben von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG durchgeführt. Ein besonderes Verbrauchsverhalten von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, das von dem in der EVS zugrunde gelegten abweicht, sei „nicht qualifiziert ermittel- und abschätzbar“ bzw. „nicht plausibel zu belegen“ (Gesetzentwurf, Drucksache 18/2592 vom 22.09.2014, S.21ff). Es gab demnach eine gesetzgeberische Entscheidung dahingehend, den Bedarf von Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG analog den Bedarfen von Leistungsberechtigten nach dem SGB XII bzw. Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu berechnen. Diese Entscheidung ist in der Ausführung der gesetzlichen Vorgaben anzuerkennen (vgl. SG Landshut, Urteil vom 16.12.2016, S 11 AY 74/16).
Die Zusammensetzung und die Höhe des notwendigen persönlichen Bedarfs und somit des Bargeldbedarfs bestimmt sich im Jahre 2017 noch wie auch im SGB II und SGB XII auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 2013 (EVS 2013). Dabei wird bei der Ermittlung von Regelbedarfen nicht entschieden, wofür und in welchem Umfang Leistungsberechtigte den Auszahlungsbetrag verwenden. Allein die Höhe des Budgets wird bei der Ermittlung von Regelbedarfen nach dem Statistikmodell ermittelt. Die Logik des Statistikmodells liegt darin, dass in der Realität nicht exakt die für die einzelnen regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben berücksichtigten Beträge anfallen, sondern die tatsächlichen Verbrauchsausgaben im Einzelfall davon abweichen können. Entscheidend ist allein, dass der Gesamtbetrag des Budgets für die Bestreitung von Verbrauchsausgaben ausreicht, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Über die konkrete Verwendung des so errechneten monatlichen Betrages entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich. Dabei müssen sich zwangsläufig Mehrausgaben im Vergleich zu den eingerechneten Durchschnittsausgaben durch Minderausgaben an anderer Stelle ausgleichen.
Dabei ist die individuelle Zusammensetzung der Verbrauchsausgaben aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen und wegen der unausweichlichen Notwendigkeit von Prioritätensetzungen von Monat zu Monat unterschiedlich (zu alledem Gesetzentwurf, Drucksache 18/2592 vom 22.09.2014, S.21ff; Gesetzentwurf, Drucksache 17/3404 vom 26.10.2010 S. 51).
Dies bedeutet, dass es dem Kläger überlassen ist zu entscheiden in welchem Umfang oder überhaupt er Monat für Monat den öffentlichen Nahverkehr nutzt und damit ob überhaupt ein Bedarf im Teilbereich der Abteilung 7 (fremde Verkehrsdienstleistungen [ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen]) besteht.
Es ist daher von der Beklagten rechtswidrig Monat für Monat den gesamten Betrag in der Abteilung 7 (fremde Verkehrsdienstleistungen [ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen]) von den Geldleistungen für den Betrieb des „Shuttle-Buses“ abzuziehen.
Zur Bestimmung eines Kürzungsbetrages kann zwar zur Orientierung auf die Einzelbeträge der Abteilungen der EVS für die jeweilige Regelbedarfsstufe zurückgegriffen werden. Diese Werte stellen indes keine (konkreten) Berechnungspositionen dar, anhand derer die rechtmäßige Höhe des verbliebenen Teils der Geldleistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG exakt bestimmt werden könnte. Sie können wegen des Pauschalcharakters des Regelsatzes bzw. des Regelbedarfes nur als Orientierungshilfe dienen. Zur Bestimmung des Kürzungsbetrages kann im Wege der Schätzung (§ 202 SGG i. V. m. § 287 Zivilprozessordnung (ZPO)) jedenfalls dann auf die Einzelbeträge der Abteilungen der EVS 2013 für die jeweilige Regelbedarfsstufe zurückgegriffen werden, wenn dem Anspruchsberechtigten aufgrund der Höhe der bewilligten Geldleistungen eine echte Möglichkeit des Ausgleichs zwischen verschiedenen Bedarfspositionen verbleibt und keine realitätsnähere Bemessung der Anteile möglich ist (vgl. bereits SG Landshut, Urteil vom 24. November 2015 – S 11 AY 35/15 – m. w. N. sowie SG Landshut, Urteil vom 16.12.2016, S 11 AY 74/16).
Durch die Gewährung auch nur eines Teils der Geldleistungen muss eine gewisse Disponibilität gewährleistet sein, dass der Leistungsberechtigte durch die eigenverantwortliche Verwendung der pauschalierten Leistung einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich ausgleichen kann (vgl. Frerichs in: Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB XII, Rn. 166 m. w. N.), denn anders als der notwendige Bedarf für Nahrungsmittel, Bekleidung und Wohnen ist der notwendige persönliche Bedarf individuell und fällt nicht jeden Monat je Abteilung in einer gleichbleibenden Höhe an.
Im vorliegenden Fall scheitert aber ein Ausgleich bereits daran, dass monatlich der gesamte Teilbetrag der Abteilung 7 fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen) einbehalten wird. Dies stellt beim Kläger mit monatlich 20,61 € immerhin 15,27% des gesamten monatlichen notwendigen persönlichen Bedarfes dar. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass der „Shuttle-Bus“, selbst wenn der Kläger monatlich den gesamten Betrag in Höhe von 20,61 € für fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen) aufwenden würde und dies damit seinen Bedarf darstellt, dieser im Rahmen der Sachleistung „Shuttle Bus“ nicht sichergestellt werden könnte. Dies liegt insbesondere daran, dass der Kläger eben nicht im gesamten Stadtgebiet den öffentlichen Nahverkehr nutzen kann sondern nur vier – wenn auch wichtige Haltestellen – angefahren werden. Auch durch die zeitliche Einschränkung von 9.00 Uhr bis 19.15 Uhr am Tag kann keinesfalls der Bedarf an fremden Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen) individuell sichergestellt werden. Der Kläger könnte z. B. wenn er abends ins Kino gehen wollte, den Bus-Shuttle für den Rückweg mangels Verfügbarkeit in den Abendstunden nicht nutzen, sondern er müsste sich zusätzlich eine Fahrkarte für den normalen Linienverkehr kaufen, von Geldleistungen, auf welche er nicht mehr zugreifen kann, weil hierdurch der Shuttle-Bus finanziert wird. Dabei soll nicht verkannt werden, dass es bestimmt Bewohner der Einrichtung gibt, bei denen der „Bus Shuttle“ genau deren Bedarf abbildet und diese durch die Buslinie sogar mehr „Mobilitätsbedarf“ decken können, als durch die Geldleistungen, da sie häufiger als 11 Mal im Monat den „Bus-Shuttle“ nutzen.
Im Falle der Gewährleistung der Sachleistung „Shuttle-Bus“ liegt nach Überzeugung der Kammer eine doppelte Pauschalierung der Leistung vor, mit der der Kläger keinen individuellen Bedarf mehr sichern kann. Dies liegt daran, dass bereits – wie oben dargestellt – durch die Berechnung des Bedarfes auf die EVS 2013 zurückgegriffen wird. Durch die oben beschriebene Möglichkeit des Ausgleichs zwischen einzelnen Abteilungen ist – wenn ausschließlich Geldleistungen durch den Gesetzgeber vorgesehen sind – eine Bedarfsdeckung auch bei der vorgenommenen Pauschalisierung unproblematisch möglich. Im Falle der Einrichtung des „Shuttle-Busses“ als Sachleistung, bei der die damaligen Bewohner der Einrichtung nach den wichtigsten Zielen im Stadtverkehr sowie nach den wichtigsten Fahrtzeiten befragt wurden, wird eine weitere Pauschalisierung vorgenommen, indem der Bedarf an Mobilität durch Fahrtzeiten und wenige Fahrtziele weiter unzumutbar eingeschränkt und pauschalisiert wird.
Im Zeitpunkt der Erhebung und Erstellung des Fahrplanes „Shuttle-Buses“ war der Kläger noch nicht einmal in der Einrichtung untergebracht, so dass dessen Bedarf an öffentlichen Nahverkehr nicht einfließen konnte. Pauschalierungen im Sozialrecht sind aber immer bedarfsdeckend auszugestalten. Aus Sicht der Kammer käme allenfalls eventuell eine Sachleistung zur Deckung des Bedarfes an fremden Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen) in Betracht, die dem Kläger ermöglichen würde, ohne weitere Kosten den gesamten öffentlichen Nahverkehr zu nutzen.
Dass die Beklagte zu keinem Zeitpunkt bei der Kürzung der Abteilung 7 für fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen) den persönlichen Bedarf des Klägers und aller anderen Bewohner der Einrichtung geprüft hat, zeigt sich insbesondere an den unter 6-Jährigen, welche ebenfalls von der Kürzung betroffen sind. Die Beklagte hat vorgetragen, dass auch unter 6-Jährige in der Einrichtung wohnen und auch dort der entsprechende Betrag für fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne Luftverkehr/ohne auf Reisen) aufgrund der Bereitstellung des Shuttle-Buses automatisch gekürzt wird. Hierbei wird diese Gruppe nach Überzeugung des Gerichts eklatant schlechter gestellt, da der Betrag für eine eingeschränkte Sachleistung gekürzt wird, obwohl diese Gruppe den öffentlichen Nahverkehr ohne die Entstehung von Kosten nutzen könnte. Die Stadtwerke, welche Betreiber des Busverkehres ist, befördert Kinder bis zur Vollendigung des 6. Lebensjahres kostenfrei.
Daher hat der Kläger für den Monat Juni gegen die Beklagte einen weiteren Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 20,61 €.
Die Berufung war zuzulassen.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes – wie vorliegend – 750,00 EUR nicht übersteigt.
Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse allein genügt nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 144 Rn. 28). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, wenn sie für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist (Leitherer, a. a. O., § 160 RdNr. 9). Welche Auswirkung die Bereitstellung einer tageszeitlich begrenzte „Shuttle-Bus Linie“ auf die Höhe des Barbetrages hat ist weder vom Bayerischen Landessozialgericht noch vom Bundessozialgericht bisher entschieden. Nachdem viele Personen in Aufnahmeeinrichtungen potentiell betroffen sind, besteht ein Klärungsbedürfnis, das über das Individualinteresse des Klägers hinausgeht.


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