Medizinrecht

Nachgewiesene posttraumatische Belastungsstörung als Abschiebungsverbot

Aktenzeichen  Au 5 K 17.31489

Datum:
28.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 5
VwGO VwGO § 92
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Eine adäquate Therapie traumatisierter Personen ist im Iran allenfalls unzureichend möglich. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Nrn. 4 bis 6 des Bescheids des Bundesamts für … vom 7. März 2017 verpflichtet, festzustellen, dass für die Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hinsichtlich Irans vorliegt.
III. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu ¾ und die Beklagte zu ¼. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Klägerin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Der Entscheidung ist dabei Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugrunde zu legen, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG.
1. Soweit die Klage mit Schriftsatz vom 23. November 2017 zurückgenommen wurde und das Klagebegehren entsprechend beschränkt wurde, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Nach teilweiser Klagerücknahme verbliebener Gegenstand des Verfahrens ist damit nur mehr der Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
2. Soweit die Klägerin ihre Klage im Schriftsatz vom 23. November 2017 noch aufrechterhalten hat, ist sie zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes vom 7. März 2017 ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in Nrn. 4 bis 6 insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als diese einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes jedenfalls nach § 60 Abs. 7 Satz 1,2 AufenthG hinsichtlich Irans hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952 II S. 658) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Reichweite der Schutznormen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK, die allein auf der humanitären Lage und den allgemeinen Lebensbedingungen beruht, ist in Einzelfällen denkbar (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris Rn. 5 m.w.N.). Humanitäre Verhältnisse im Zielstaat verletzen Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind. Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn die schlechten Bedingungen überwiegend auf Armut zurückzuführen sind oder auf fehlende staatliche Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen. Zum anderen kann – wenn Aktionen von Konfliktparteien zum Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur führen – eine Verletzung darin zu sehen sein, dass es dem Betroffenen nicht mehr gelingt, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, angemessen zu befriedigen. Weiter ist darauf abzustellen, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist bzw. mit hinreichend sicherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers Art. 3 EMRK. Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus. Nur dann ist ein außergewöhnlicher Fall anzunehmen, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen, wie sie die Klägerin hier ausschließlich geltend macht, liegt nach Satz 2 der Regelung nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern, also zu außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden führen würden, wobei die wesentliche Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Zielstaat eintreten müsste (vgl. VG München, B.v. 26.4.2016 – M 16 S7 16.30786 – juris Rn. 16). Dass die medizinische Versorgung im Zielstaat (Iran) mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig oder überall gewährleistet ist, ist hierbei nicht erforderlich, § 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG.
Allerdings kann es auf die an sich im Zielstaat vorhandenen und grundsätzlich zugänglichen Behandlungsmöglichkeiten dann nicht ankommen, wenn diese wegen der insbesondere bei Vorliegen einer PTBS im Herkunftsland zu erwartenden Re-Traumatisierung auf Grund der Konfrontation mit den Ursachen des Traumas für den Betroffenen nicht erfolgversprechend sind (vgl. Nds. OVG, U.v. 28.6.2011 – 8 LB 221/09 – juris Rn. 29; VG München, B.v. 26.4.2016 – a.a.O., juris Rn. 19).
Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese durch eine qualifizierte, gewissen Mindestanforderungen genügende ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG). Aus dem vorgelegten Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen ärztlichen Befunde bestätigt werden. Zudem sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, ist nach der Rechtsprechung in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15; OVG Berlin-Bbg, B.v. 27.9.2016 – OVG 3 N 24.15 – juris Rn. 17).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat die Klägerin hier jedenfalls das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinreichend glaubhaft gemacht. Ausweislich der im Verfahren vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, … vom 20. November 2017 leidet die Klägerin zum einen aufgrund der im Iran erlebten Geschehnisse und andererseits der Umstände ihrer Flucht sowohl an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD10:F43.1) als auch an einer schweren Depression (ICD10:F32.1) im Sinne einer komorbiden Störung mit erheblicher depressiver Niedergeschlagenheit, Ängsten, massiver Antriebsstörung und Erschöpfung, Rückzug und Interessenlosigkeit, Suizidideen, aber auch erheblichen Schlafstörungen. Die beiden Diagnosen seien im Rahmen einer Testdiagnostik bestätigt worden. Die im Verfahren vorgelegte fachärztliche Stellungnahme beschreibt eine psychische Erkrankung schwerwiegenden Ausmaßes bei der Klägerin. Es sei bei der Klägerin auch mit einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD10:F62.0) zu rechnen. Dies insbesondere bei einer erneuten Konfrontation mit den Symptomen der bei der Klägerin vorliegenden posttraumatischen Belastungsstörung. Die fachärztliche Stellungnahme nennt nachvollziehbar die Ursachen der bei der Klägerin vorliegenden PTBS und schweren Depression. Der Vortrag der Klägerin ist in diesem Zusammenhang auch nicht als gänzlich unschlüssig zu bezeichnen. Insbesondere rekurriert das Vorbringen auf Ereignisse im Heimatland der Klägerin. Das Attest enthält weitere Angaben darüber, seit wann sich die Klägerin in ärztlicher Behandlung befunden hat bzw. noch befindet. Insbesondere ist der Beginn der ärztlichen Behandlungen und die erforderlich werdende und zur Anwendung gebrachte Therapie dargelegt. Auch lässt sich dem fachärztlichen Attest entnehmen, dass die von der Klägerin geschilderten Beschwerden durch die fachärztlicherseits erhobenen Befunde bestätigt wurden. Das Attest gibt Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf in Form medikamentöser Behandlung. Es wurde weiter darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin bereits begonnen worden sei, diese psychotherapeutisch, trauma- und depressionsspezifisch zu behandeln. Das Gericht hat vor diesem Hintergrund keinen Anlass, an der Richtigkeit der fachärztlichen Aussagen zu zweifeln und daher auch keine Notwendigkeit gesehen, ein zusätzliches medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.
Das Gericht ist weiter davon überzeugt, dass die bei der Klägerin vorliegende PTBS und schwere Depression behandlungsbedürftig sind. Seit Anfang Juli 2017 befindet sich die Klägerin in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung, deren Fortführung beabsichtigt und medizinisch auch indiziert ist. Im Einzelfall hat das Gericht auch keine Zweifel, dass die Klägerin die erforderliche Behandlung der PTBS und der gleichzeitig vorliegenden schweren Depression im Sinne einer komorbiden Störung im Iran zumindest faktisch nicht mit hinreichender Sicherheit erhalten könnte. Zwar geht das Gericht nicht generell davon aus, dass psychische Erkrankungen im Iran – zumindest in größeren Städten – nicht hinreichend behandelt werden können, vielmehr ist jeweils eine Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls erforderlich. Hier kommt bei der Klägerin hinzu, dass diese sowohl an einer PTBS als auch an einer schweren Depression leidet. Gerade diese Mehr-facherkrankung der Klägerin macht eine Behandlung im Zielstaat Iran schwierig. Eine insoweit ausreichende Therapie für den konkreten Behandlungsbedarf der Klägerin, nach fachärztlicher Auffassung neben einer medikamentösen Behandlung auch eine psychotherapeutische Maßnahme, steht nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für die Klägerin im Zielstaat tatsächlich zur Verfügung. Grundsätzlich entspricht im Iran die medizinische Versorgung hinsichtlich Hygiene, Ausstattung und Ausbildungsniveau nicht internationalen Standards. Lediglich in Teheran liegt sie deutlich über dem Landesdurchschnitt. Nur gegen Zahlung hoher Summen sei in den Großstädten eine medizinische Behandlung nach erstklassigem Standard erhältlich. Hieraus ist für das Gericht zu schließen, dass eine adäquate Therapie traumatisierter Personen im Iran allenfalls unzureichend möglich ist. Wenn überhaupt, dann lediglich in eingeschränktem Umfang in Teheran. Vor diesem Hintergrund kann für die Klägerin nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass sie bei einer Rückkehr in den Iran zeitnah die erforderliche Psychotherapie erhalten bzw. fortsetzen kann. Auch im Hinblick auf das Vorhandensein spezieller Medikamente bestehen Zweifel. Lediglich in speziellen Apotheken können Medikamente aus dem Ausland bestellt werden. Die anhaltenden Sanktionen im Finanzbereich erschweren den Import von Medikamenten und medizinischem Gerät aus dem westlichen Ausland, so dass häufig auf weniger hochwertige Präparate aus China zurückgegriffen wird (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran des Auswärtigen Amtes vom 8. Dezember 2016 (Stand: Oktober 2016)). Gerade die bei der Klägerin vorhandene Mehrfacherkrankung macht eine adäquate Behandlungsmöglichkeit unter den medizinischen Versorgungsverhältnissen im Zielstaat Iran zweifelhaft.
Weiter ist zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass sich die psychische Erkrankung der Klägerin (PTBS und Panikstörung) ohne Behandlung nach einer Rückkehr in den Iran alsbald und wesentlich verschlimmern würde. Bei einem Abbruch der Behandlung kann nach fachärztlicher Einschätzung auch eine suizidale Handlung im Rahmen einer schweren Störung bei der Klägerin nicht ausgeschlossen werden. Gemessen an dieser fachärztlichen Einschätzung, an der das Gericht keine Zweifel hat, ist festzustellen, dass sich die multiple psychische Erkrankung der Klägerin bei einer Rückkehr in den Iran verschlimmern würde. Dies auch gerade wegen des Umstandes, dass die Erkrankung der Klägerin mit Ereignissen im Heimatland in unmittelbarem Zusammenhang steht und sich nicht ausschließlich in einer Furcht vor Abschiebung äußert. Auf Grund der latent vorhandenen Suizidalität ist auch mit einer wesentlichen, das Leben bedrohenden Verschlimmerung zu rechnen bzw. diese nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.
3. Nach alledem ist auf Grundlage der vorgelegten psychologischen Stellungnahme, die auch die erforderliche Aktualität aufweist, nach Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass der Klägerin jedenfalls ein Schutzanspruch im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zusteht, nicht in den Iran abgeschoben zu werden. Nrn. 4, 5 und 6 des Bescheides, die dieser Feststellung entgegenstehen, waren daher antragsgemäß aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung in dem nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahren beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO, wobei das Gericht zu Grunde gelegt hat, dass die Klagerücknahme der Klägerin drei Viertel des ursprünglichen Streitgegenstandes betrifft, während die Klägerin hinsichtlich der weiter aufrechterhaltenen Klage vollständig obsiegt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

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