Medizinrecht

Nachweis eines Gehörschadens in der privaten Unfallversicherung

Aktenzeichen  32 O 84/14

Datum:
26.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 158556
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG §§ 178 ff., § 180
AUB 2008 Ziff. 5.2.6

 

Leitsatz

1. Ein die Leistungspflicht des Unfallversicherers auslösender Nachweis einer durch ein Knalltrauma ausgelösten Gehörschädigung liegt nicht vor, wenn der Versicherungsnehmer unmittelbar nach der behaupteten Lärmexplosion eine Beeinträchtigung des linken Ohrs beklagt, in der Klageschrift aber seinen Invaliditätsanspruch auf eine Gehörminderung des rechten Ohrs stützt und der Sachverständige trotz einer im Tonaudiogramm gefundenen Hörminderung von 15% auf einem Ohr in der Gesamtwürdigung aller Testergebnisse keine Gehörschädigung festgestellt hat. (Rn. 25 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Psychische Fehlverarbeitungen von Audiosignalen sind unter Geltung der AUB 2008 vom Unfallversicherungsschutz ausgenommen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keine versicherungsvertraglichen Ansprüche auf Zahlung eines Invaliditäts-Kapitalbetrages aus der streitgegenständlichen Unfallversicherung gemäß den §§ 178 ff. VVG in Verbindung mit dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Versicherungsvertrag.
Voraussetzung für einen derartigen Leistungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten wäre, dass eine unfallbedingte (§ 178 Abs. 2 VVG) dauerhafte körperliche oder geistige Beeinträchtigung (Invalidität) im Sinne des § 180 VVG in Verbindung mit den zwischen den Parteien vereinbarten allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2008 = Blatt 25 ff. in der roten Anlagenheftmappe) vorliegen würde.
Hieran fehlt es.
1. Aus den Bekundungen des Zeugen ist zwar zu entnehmen, dass der Kläger – vom Zeitpunkt her mutmaßlich im Juli 2009 – ihn, den Zeugen, in dessen damaligen Autowerkstattbetrieb, gelegen im – aufgesucht hatte und dass anlässlich dieses Werkstattbesuches ein Toilettengang des Klägers zu der zur Autowerkstatt gehörenden Toilette erfolgte.
Auf dem Rückweg von der Toilette habe der Kläger ihm, dem Zeugen gegenüber, erwähnt, dass er „etwas mit dem linken Ohr habe“, bzw. dass dieses „zugehen würde“. Der Kläger habe weiterhin berichtet, dass ein Mitarbeiter der Werkstatt – während der Kläger auf dem Weg von, bzw. zur Toilette gewesen sei – mit einem Reifendruckluftschrauber an einem aufgebockten PKW tätig war und wobei der Weg zur Toilette zu dem aufgebockten Fahrzeug lediglich ca. 1 Meter Breite aufweise.
Der Kläger habe sodann bei späteren Besuchen angegeben, dass das Problem mit dem Ohr im Folgeverlauf nicht besser geworden sei.
Der eben genannte Zeuge hat sodann auf Nachfrage und entsprechenden Vorhalt des Gerichtes bestätigt, dass der Kläger über Probleme in Bezug auf sein linkes Ohr berichtet habe.
Aufgrund des letztgenannten Umstandes ergeben sich bereits insofern Zweifel in Bezug auf eine versicherungsvertragliche Leistungsverpflichtung der Beklagten, weil der Kläger demgegenüber in Seite 3 des Klageschriftsatzes vom 05.06.2014 (Blatt 25 der Akte) mehrfach explizit seine behaupteten versicherungsvertraglichen Ansprüche für ein Unfallereignis betreffend sein rechtes Ohr reklamiert.
Letztlich kann aber selbst dann – wenn bei einem infolge des Zeitablaufes ggfs. getrübten Erinnerungsvermögen des Zeugen eine Seitenverwechslung des Ohres vorliegen würde – im Ergebnis auch aus den sonstigen, nachfolgend dargelegten Gründen nicht von einer versicherungsvertraglichen Leistungspflicht der Beklagten ausgegangen werden:
Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die in sich schlüssigen und von hoher Sachkompetenz getragenen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. … in seinem Hauptgutachten vom 28.01.2016 (Blatt 208 ff. der Akte), in dem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 21.06.2016 (Blatt 279 ff. der Akte) und schließlich auf die ergänzende mündliche Anhörung des vorgenannten Sachverständigen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.01.2017 (Blatt 317 ff. der Akte).
Der vorgenannte Gutachter führt betreffend den streitgegenständlichen Sachverhalt aufgrund seiner am 19.11.2015 beim Kläger erfolgten Untersuchung im Kern im wesentlichen folgendes aus:
Ein unfallbedingter Hörschaden im Sinne einer Invalidität könne im vorliegenden Fall nicht konstatiert werden:
a) Das in Rede stehende, klägerseits beschriebene streitgegenständliche Ereignis entspreche schon nicht einem „klassischen Knalltrauma“, da dieses üblicherweise eine extrem kurze Expositionszeit und eine Lautstärke von mehr als 150 Dezibel aufweisen müsste, wobei im letztgenannten Zusammenhang als klassisches Beispiel insoweit ein „Gewehrschuss“ gelte (vgl. die mündliche Anhörung des Sachverständigen in Seite 6 des Protokolls vom 20.01.2016 = Blatt 321 der Akte).
b) Darüber hinaus hätten die seitens des gerichtlichen Sachverständigen vorgenommenen Untersuchungen beim Kläger im Zusammenhang mit der Erstellung eines sogenannten Tonaudiogrammes einen prozentualen Hörverlust links von 0% und rechts von 15% und im Zusammenhang mit einem sogenannten Sprachaudiogramm links von 0% und rechts von 0% ergeben (siehe Seite 18 unten / 19 oben im schriftlichen Hauptgutachten vom 28.01.2016 = Blatt 225 bis 226 der Akte).
c) Der gerichtliche Sachverständige hat die eben genannten Feststellungen in Seite 3 des schriftlichen Ergänzungsgutachtens vom 21.06.2016 (Blatt 281 der Akte) bestätigt und hierbei gleichzeitig verdeutlicht, dass der im Rahmen des sogenannten Reintonaudiogrammes rechts festgestellte Hörverlust von 15% nicht isoliert betrachtet werden dürfe, da sich ein solcher Hörverlust typischer Weise sodann auch bei dem weiteren Testverfahren = oben genannter Sprachaudiogrammtest nachweisen lassen müsste, wobei jedoch beim Kläger beiderseits im letztgenannten Zusammenhang ein Hörverlust von 0% festgestellt wurde.
d) Der Sachverständige, Herr Prof. Dr. … hat dieses „Zusammenspiel“ einer Gesamtbeurteilung und das Erfordernis der Feststellung einer etwaigen Hörminderung durch mehrere Testverfahren im Rahmen seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.01.2017 nochmals in verständlicher Weise vertiefend verdeutlicht und im eben genannten Zusammenhang angegeben, dass der Tonaudiogrammtest für sich gesehen die am wenigsten verlässlichen Feststellungen beinhalte (vgl. Seite 3 des Protokolls vom 20.01.2017 = Blatt 318 der Akte).
Für ihn als Sachverständigen sei im streitgegenständlichen Fall das Sprachaudiogramm von überzeugender Bedeutung (Seite 6 unten des Protokolls).
Der beim Kläger durchgeführte Sprachtest sei bei einer Lautstärke von 65 Dezibel, welches der Lautstärke einer normalen Unterhaltung entspreche, zu 100% korrekt erfüllt gewesen, was als „Normalhörigkeit“ zu werten sei.
e) Auch eine in der Klinik in anderem Zusammenhang im Jahr 2011 (d.h. im Zeitraum zwischen dem behaupteten streitgegenständlichen Ereignis = 02.07.2009 und der nunmehrigen gutachterlichen Untersuchung im Zusammenhang mit der Erstellung des gerichtlichen Gutachtens = 19.11.2015) stattgefundenen Untersuchung des Klägers hätte im Ergebnis – hier wiederum unter Berücksichtigung der beiden in Rede stehenden Testverfahren – nicht auf einen Hörverlust hingewiesen (vgl. Seite 5 unten des Protokolls vom 20.01.2017 = Blatt 320 unten der Akte).
f) Das Gericht hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der gutachterlichen Ausführungen.
Die Darlegungen des Sachverständigen sind in sich schlüssig, insbesondere auch für medizinische Laien ohne weiteres nachvollziehbar und zeugen von hoher Sachkompetenz des Gutachters, sodass die gutachterlichen Feststellungen der richterlichen Entscheidungsfindung ohne Einschränkungen zugrunde gelegt werden können.
2. Als Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass der darlegungs- und beweisbelastete Kläger aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme dem Gericht nicht die ausreichende Überzeugung vermitteln konnte, dass der klägerseits behauptete Sachverhalt vom 02.07.2009 in Bezug auf das Hörvermögen des Klägers eine entsprechende, den Versicherungsvertragsbedingungen bedingungsgemäße Invalidität erzeugt hat.
3. Soweit der Kläger in Seite 8 der Sitzungsniederschrift vom 20.01.2017 (Blatt 323 der Akte), bzw. in Seite 1 des Schriftsatzes vom 17.03.2017 (Blatt 352a der Akte) die Einholung eines ergänzenden Gutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass aufgrund des streitgegenständlichen Ereignisses beim Kläger die psychische Verarbeitung von Audiosignalen beeinträchtigt wurde, ist die Einholung eines solchen Gutachtens nicht (mehr) veranlasst, weil etwaige psychische Fehlverarbeitungen gemäß Ziffer 5. der vereinbarten Versicherungsbedingungen AUB 2008 gemäß der dortigen Unterziffer 5.2.6 (Anlage K2 = Blatt 27 in der roten Anlagenheftmappe) vom Unfallversicherungsschutz ausdrücklich ausgenommen sind.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
III.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteiles folgt aus § 709 ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel