Medizinrecht

Notwendige Weiterbildungsmaßnahme

Aktenzeichen  L 11 AS 169/18 B PKH

Datum:
28.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3861
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 114
SGG § 73a
SGB II § 16 Abs. 1
SGB III § 81

 

Leitsatz

Notwendigkeit einer Weiterbildungsmaßnahme
Erhebliche Zeiten der Arbeitsunfähigkeit können der Notwendigkeit einer Weiterbildung entgegen stehen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 27.12.2017 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Streitig ist die Übernahme von Kosten für eine berufliche Weiterbildung als Leistung zur Eingliederung in Arbeit.
Der 1970 geborene Kläger war nach Abschluss seiner Ausbildung zum Speditionskaufmann am 31.01.1992 zumindest seit 03.05.2005 im Wesentlichen arbeitsunfähig, unterbrochen jeweils durch Zeiten der Arbeitslosigkeit. Er bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ein Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Weiterbildung zum Administrator Linux LPIC 1/2, gerichtet an IT-Fachleute (Voraussetzung: abgeschlossenes Hochschulstudium), wurde vom Beklagten abgelehnt, eine dagegen erhobene Klage hat der Kläger am 26.10.2016 zurückgenommen (S 15 AS 333/15, L 11 AS 86/16 B PKH).
Am 24.11.2016 beantragte der Kläger erneut die Übernahme der Kosten für eine vom 21.08.2017 bis 07.12.2017 dauernde Maßnahme der Weiterbildung zum Administrator Linux LPIC 1/2 (Kosten: 6.990,00 €). Nachdem in der Zeit von Ende 2015 bis Anfang 2017 erneut viele Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vermerkt waren, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15.02.2017 den Antrag ab. Der Ärztliche Dienst habe eine vollschichtige Arbeitsfähigkeit für gelegentlich mittelschwere Arbeiten festgestellt, habe aber Zweifel am Durchhaltevermögen des Klägers für eine solche Maßnahme (letztes Gutachten des Ärztlichen Dienstes des Beklagten vom 19.01.2017). Geboten sei zunächst eine gesundheitliche Stabilisierung des Klägers. Somit sei die vom Kläger gewünschte Förderung derzeit ausgeschlossen.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und eine Beschreibung der vom 24.08.2017 bis 21.01.2018 dauernden Maßnahme der WBS Trainings AG „Administrator/-in Linux (LPIC 1/2)“ vor. Als Zielgruppe der Maßnahme sind Personen angegeben, die über erste Berufserfahrung in Bereichen Netzwerkadministrator verfügen und ihre Kenntnisse erweitern wollten. Der Kläger führte aus, er verfüge über einen Bildungsgutschein, und ein Drogenscreening sei bei ihm durchgeführt worden. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2017 zurück. Das Ermessen sei im Bescheid vom 15.02.2017 ordnungsgemäß ausgeübt worden. Eine berufliche Weiterbildung sei nicht notwendig. Als gelernter Speditionskaufmann sei er nicht mehr als vier Jahre mit einer anderen an- und ungelernten Tätigkeit beschäftigt gewesen. Zudem sei die Maßnahme an IT-Fachleute gerichtet. Es sei aufgrund seiner dauernden und lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht davon auszugehen, dass seine Eingliederungschancen durch die Teilnahme an der Maßnahme erhöht würden und begründete Aussicht bestehe, dass er nach deren Abschluss einen Dauerarbeitsplatz erhalte. Zudem finden sich in den Akten des Beklagten mehrfache Rückmeldungen des Klägers vom Juni 2017 auf Vermittlungsbemühungen des Beklagten u.a. als Speditionskaufmann u.a., wobei er sich jeweils telefonisch vorgestellt haben will, aber nicht eingestellt worden sei, da er „krank geschrieben“ gewesen sei.
Gegen den Bescheid vom 15.02.1017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren begehrt. Den Fragebogen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hat er unausgefüllt vorgelegt. Sein Gesundheitszustand habe sich erheblich gebessert, er sei seit 29.04.2017 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen. Er habe sich im Mai 2017 entsprechend seiner Verpflichtung gegenüber dem Beklagten mehrfach beworben, habe aber, vermutlich weil er seit Jahren nicht mehr in seinem erlernten Beruf gearbeitet habe, keine Zusage erhalten. Er habe sich durch Selbststudium in das Thema Linux eingearbeitet. Durch die gewünschte Maßnahme würde sich seine Jobsituation erheblich verbessern. Ein Lehrgang beginne im August 2017 und ein weiterer Ende Januar 2018. Zudem hat er ein Attest der Allgemeinärzte Dres. G. vorgelegt. Hieraus geht hervor, dass der Kläger sich laut seinen eigenen Angaben auf dem Wege der Besserung fühle. Dies könne aber ärztlicherseits nicht überprüft werden. Der Beklagte hat eine Aufstellung der Arbeitsunfähigkeitszeiten seit 1992 übersandt. Darin sind nach dem 29.04.2017 weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgeführt (12.06. bis 24.06., 26.06. bis 14.07., 17.07. bis 25.07., 07.08. bis 11.08., 22.08. bis 09.09., 28.09. bis 29.09., 16.10. bis 21.10.2017). Mit Beschluss vom 27.12.2017 hat das SG die Bewilligung von PKH abgelehnt. Es hat auf die Ausführungen des Beklagten Bezug genommen und ergänzend auf seinen Beschluss vom 08.01.2016 (S 15 AS 333/15) und auf einen Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) vom 09.03.2016 (L 11 AS 86/16 B PKH) hingewiesen.
Dagegen hat der Kläger Beschwerde zum LSG erhoben. Er habe deutlich rückläufige Arbeitsunfähigkeitszeiten in 2017 gehabt und seit Anfang 2018 seien keine solchen mehr aufgetreten. Er sei sehr motiviert. Im erlernten Beruf des Speditionskaufmanns habe er keine Perspektive, er habe im Mai 2017 nur Absagen erhalten.
Der Beklagte hat weitere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit mitgeteilt (16.10. bis 04.11., 23.11. bis 24.11., 28.11. bis 16.12., 18.12. bis 21.12., 28.12. bis 30.12.2017 und 05.02. bis 09.02.2018).
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist nicht begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.1998 – B 13 RJ 83/97 R – SozR 3-1500 § 62 Nr.19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKHBeantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. § 73a Rn.7ff.). Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen sind nicht im PKHVerfahren zu entscheiden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.07.1993 – 1 BvR 1523/92 – NJW 1994, 241f). PKH muss jedoch nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als „schwierig“ erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 (Rn. 29) – BVerfGE 81, 347ff). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen der fehlenden Erfolgsaussichten ihres Begehrens PKH vorzuenthalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 – 1 BvR 1807/07 – NJW 2008, 1060ff).
Vorliegend sind keine hinreichenden Erfolgsaussichten zu erkennen. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB II iVm § 81 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) kann der Beklagte den Kläger durch die Übernahme von Weiterbildungskosten bei der beruflichen Weiterbildung fördern, wenn (1.) die Weiterbildung notwendig ist, um ihn bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihm wegen fehlendem Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, (2.) die Agentur für Arbeit ihn vor Beginn der Teilnahme beraten hat und (3.) die Maßnahmen und der Träger der Maßnahmen für die Förderung zugelassen sind. Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wegen fehlendem Berufsabschlusses anerkannt, wenn sie (1.) über einen Berufsabschluss verfügen, jedoch aufgrund einer mehr als vier Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine dem Berufsabschluss entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben können. Zeiten der Arbeitslosigkeit stehen einer Beschäftigung gleich (§ 81 Abs. 2 Satz 2 SGB III).
Zunächst ist eine Beratung durch den Beklagten (§ 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III) nicht erkennbar. Fraglich ist auch, ob die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind (§ 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III).
Eine Förderung scheitert aber auch daran, dass es – unabhängig davon, ob bzw. dass die Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 iVm Satz 2 SGB III nach der nunmehr vorliegenden Aufstellung der Zeiten der Arbeitslosigkeit seit 1992 vorliegen – für die Anwendung des § 81 Abs. 1 iVm Abs. 2 Satz 1 Nr.1 SGB III darauf ankommt, dass der Kläger voraussichtlich eine seinem Berufsabschluss entsprechende Beschäftigung nicht mehr ausüben kann (Hassel in Brand, SGB III, 7.Aufl., § 81 Rdnr. 30). Eine solche Prognose ist aber aufgrund des Verhaltens des Klägers nicht zu treffen, denn er gibt in seinen Rückmeldungen auf Vermittlungsvorschläge des Beklagten im ersten Halbjahr 2017 als Speditionskaufmann und für ähnliche Tätigkeiten selbst an, er sei nach telefonischer Bewerbung wegen der bestehenden „Krankschreibung“ und damit gerade nicht aufgrund fehlender Kenntnisse oder fehlender Berufspraxis nicht genommen worden. Die Eingliederung im Rahmen der erlernten Tätigkeit scheitert also am gesundheitlichen Zustand des Klägers, wobei auch zu klären wäre, ob die Tätigkeit eines Administrators überhaupt gesundheitlich für ihn geeignet wäre.
Im Übrigen hat der Beklagte auch das ihm zustehende Ermessen in gerade noch zutreffendem Umfang zutreffend ausgeübt, wenn er auf die vorrangig notwendige gesundheitliche Stabilisierung abstellt, die sich aus dem Gutachten des ärztlichen Dienstes und den genannten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ergibt. Diese Notwendigkeit wird auch durch das vom Kläger vorgelegte ärztliche Attest, das keinerlei konkrete Angaben, sondern allein die Angaben des Klägers enthält, oder das Ergebnis des Drogenscreenings nicht widerlegt, denn der Kläger ist fortlaufend immer wieder arbeitsunfähig, obwohl in den Schriftsätzen des Kläger jeweils davon gesprochen wird, dass dies nicht mehr bzw. nicht mehr so häufig der Fall sei.
Im Rahmen der Ermessensentscheidung wäre ggfs. zudem noch zu hinterfragen, ob gerade die von Kläger gewünschte Weiterbildung allein die geeignete und auch erforderliche Maßnahme ist, um ihn beruflich einzugliedern. Dazu aber müsste zunächst eine Beratung durch den Beklagten erfolgen und die Notwendigkeit der konkreten Weiterbildungsmaßnahme, gerichtet u.a. an Personen, die über erste Berufserfahrung verfügen, geprüft werden.
Nach alledem war die Beschwerde mangels hinreichender Erfolgsaussichten (erneut) zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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