Medizinrecht

Qualifizierte Behandlung von krebskranken Patienten

Aktenzeichen  S 38 KA 1046/15

Datum:
26.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 12
OnkVB § 3 Abs. 3, Abs. 6, Abs. 7
SGB V SGB V § 73 Abs. 1a S. 6
BMV-Ä BMV-Ä § 11 Abs. 1 S. 5

 

Leitsatz

1. Die Begrenzung des Teilnehmerkreises an der Onkologievereinbarung auf die Ärzte, die dem fachärztlichem Versorgungsbereich angehören, ist rechtlich zulässig. (Rn. 14)
2. Die Partner der Onkologievereinbarung haben, was den Inhalt der Vereinbarung betrifft, einen weiten Gestaltungsspielraum, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar ist. (Rn. 13)
3. Die Begrenzung des Teilnehmerkreises stellt einen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) dar. Er ist aber aus Gemeinwohlbelangen zulässig. (Rn. 13)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind als rechtmäßig anzusehen.
Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Teilnahme an der Onkologievereinbarung (OnkVB). Die Teilnahmevoraussetzungen ergeben sich aus § 3 OnkVB (fachliche Voraussetzungen) und § 5 OnkVB (organisatorische Maßnahmen).
§ 3 OnkVB enthält mehrere Anspruchsgrundlagen und Anspruchsvoraussetzungen. So besteht nach § 3 Abs. 1, 2 OnkVB ein Anspruch auf Teilnahme an der OnkVB dann, wenn der Nachweis der fachlichen Befähigung geführt wird. Der Kläger verfügte zunächst nicht über die Zusatzbezeichnung „Medikamentöse Tumortherapie“. Er hat diese Bezeichnung erst im Laufe des Verwaltungsverfahrens erworben und beigebracht (Bescheinigung der Bayerischen Landesärztekammer vom 07.11.2013).
Allerdings ist in § 3 Abs. 6 OnkVB ist geregelt, dass nur diejenigen Ärzte zur Teilnahme an der OnkVB zugelassen werden können, die dem fachärztlichen Versorgungsbereich angehören. Es handelt sich hierbei um eine Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz, die aber durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt ist. § 1 OnkVB ist zu entnehmen, dass Sinn und Zweck der Vereinbarung die qualifizierte ambulante Behandlung krebskranker Patienten als Alternative zur stationären Behandlung sein soll. Vor diesem Hintergrund haben die Vertragspartner der OnkVB offensichtlich die Auffassung vertreten, es müsse der Teilnehmerkreis auf Fachärzte, die dem fachärztlichen Versorgungsbereich angehören, eingegrenzt werden. Eine noch qualifiziertere Behandlung von krebskranken Patienten stellt einen Gemeinwohlbelang dar, der eine solche Einschränkung rechtfertigt. Abgesehen davon besitzen die Vertragspartner einen großen Gestaltungsspielraum, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die Grenze ist insbesondere das sog. Willkürverbot. Für eine solche Willkür ergeben sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte.
Der Ausschlusstatbestand nach § 3 Abs. 6 VB gilt seit 01.01.2011, galt also bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger am 09.07.2012. Die OnkVB enthält keine Ausweitung des Teilnehmerkreises auf Fachärzte für Allgemeinmedizin. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 3 Abs. 4 OnkVB. Dort werden unter dem ersten Unterpunkt als Fachgruppe „Fachärzte für Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung Hämatologie und internistische Onkologie“ und unter dem zweiten Unterpunkt „andere Fachgruppen“(ohne nähere Konkretisierung) genannt. Fachärzte für Allgemeinmedizin sind nicht unter den Begriff „andere Fachgruppen“ zu subsumieren. Denn die systematische Auslegung im Zusammenhang mit § 3 Abs. 6 OnkVB führt dazu, dass „andere Fachgruppen“, die an der Onkologievereinbarung teilnehmen, nur solche sind, die dem fachärztlichen Versorgungsbereich angehören.
Da der Kläger dem hausärztlichen Versorgungsbereich angehört (§ 73 Abs. 1 SGB V), zählt er nicht zum Teilnehmerkreis der OnkVB und hat deshalb keinen Anspruch nach § 3 Abs. 1, 2 OnkVB.
Auch ergibt sich für den Kläger kein Anspruch auf Teilnahme an der OnkVB aus § 3 Abs. 7 OnkVB. Es handelt sich um eine Ausnahmeregelung, die einerseits Sicherstellungsgründe voraussetzt und andererseits abweichend von den Teilnahmevoraussetzungen in § 3 Abs. 1, 2 OnkVB Zugangserleichterung für den potentiellen Teilnehmer enthält.
Vorab weist das Gericht allerdings ausdrücklich darauf hin, dass aufgrund der aktuell vorliegenden Datenlage, unbeschadet weiterer Ermittlungen, in dem streitgegenständlichen Fall von einem Sicherstellungsbedarf auszugehen ist. Der Kläger selbst behandelt nach seinen Angaben, die unwidersprochen sind, ca. 100 krebskranke Patienten pro Quartal seit vielen Jahren. Außerdem führt er bei mehreren Patienten Chemotherapien durch (jährlich mehr als 30). Daraus kann ein Bedarf abgeleitet werden. Soweit die Beklagte auf andere vorhandene Versorgungsmöglichkeiten hinweist, ist festzustellen, dass es sich hierbei hauptsächlich um Fachärzte für Urologie (nach den letzten Angaben: 8 Fachärzte für Urologie von insgesamt 11) handelt. Zu Recht macht die Klägerseite in diesem Zusammenhang geltend, diese seien auf das Gebiet der Urologie beschränkt. Hinzu kommt, dass die Beklagte auf die Entfernung zwischen der klägerischen Praxis und den Praxen, die ebenfalls Krebspatienten behandeln, abstellt. Dies ist jedoch unerheblich. Für eine Bedarfsermittlung maßgeblich ist die Entfernung zwischen dem Wohnort der Patienten und den Einrichtungen, die onkologische Behandlung anbieten, und nicht die Entfernung zwischen den einzelnen Praxen. Insofern kann die Darstellung schwerlich zur Begründung dafür herangezogen werden, den Patienten seien die Entfernungen zumutbar. Abgesehen davon erscheinen die Ermittlungen der Beklagten nicht ausreichend, was bereits daraus folgt, dass die Beklagte erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 26.09.2017 eine Äußerung einer E-Stadter Praxis vorgelegt hat, aus der sich ergeben soll, dass dort freie Kapazitäten vorhanden sind. Lägen die sonstigen Voraussetzungen nach § 3 Abs. 7 OnkVB vor, wäre die Beklagte auf jeden Fall veranlasst, den Sachverhalt durch zusätzliche Ermittlungen weiter aufzuklären.
Letztendlich kommt es aber auf einen Sicherstellungsbedarf nicht an. Eine Zugangserleichterung im Sinne von § 3 Abs. 7 OnkVB wird zum einen aufgrund eines gemeinsamen und einheitlichen Beschlusses der Partner der Gesamtverträge nach § 3 Abs. 7 S. 1 OnkVB dann gewährt, wenn die Patientenzahlen nach § 3 Abs. 4 OnkVB nicht erreicht werden. Dies bedeutet aber nicht, dass auf die Zugehörigkeit der Teilnehmer an dem fachärztlichen Versorgungsbereich nach § 3 Abs. 6 OnkVB verzichtet wird. Eine weitere Zugangserleichterung sieht die OnkVB in § 3 Abs. 7 S. 2 für die an der bisherigen Onkologievereinbarung teilnehmenden Ärzte vor, allerdings nur für die, deren Facharztweiterbildung die Inhalte der Zusatzweiterbildung „medikamentöse Tumortherapie“ nicht vollständig umfasst oder die die Patientenzahl nach Absatz 4 noch nicht erfüllen – soweit die Voraussetzungen nach Anhang 3 vorliegen. Die Zusatzweiterbildung „medikamentöse Tumortherapie“, geregelt in Abschnitt C – Zusatz-Weiterbildungen Ziffer 20 der Weiterbildungsordnung (WBO in der Fassung vom 24.04.2004; inhaltsgleich mit Abschnitt C – Zusatz-Weiterbildungen Ziff. 22 WBO i.d.F. vom 23.10.2016) nennt als Weiterbildungsinhalt „Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in
– der Indikationsstellung, Durchführung und Überwachung der Zytostatika, immunmodulatorischen, antihormonellen sowie supportiven Therapie bei soliden Tumorerkrankungen des Gebietes einschließlich der Beherrschung auftretender Komplikationen
– und die Durchführung von Chemotherapiezyklen einschließlich nachfolgender Überwachung.
Dieser Weiterbildungsinhalt ist umfassend Gegenstand der Weiterbildung im Schwerpunkt „Gynäkologische Onkologie“ des Gebietes Frauenheilkunde und Geburtshilfe, zum „Facharzt für Innere Medizin und Schwerpunkt Gastroenterologie“, „Facharzt für Innere Medizin und Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie“,“ Facharzt für Innere Medizin und Schwerpunkt Pneumologie“, im Schwerpunkt „Kinder-Hämatologie und-Onkologie“ des Gebietes Kinder-und Jugendmedizin und zum „Facharzt für Strahlentherapie“ (vgl. Abschnitt C Zusatz-Weiterbildungen Ziff. 20 WBO in der Fassung vom 24.04.2004; inhaltsgleich mit Abschnitt C – Zusatz-Weiterbildungen Ziff. 22 WBO i.d.F. vom 23.10.2016). Teilweise Weiterbildungsinhalt der Zusatzweiterbildung „medikamentöse Tumortherapie“ ist die Facharztweiterbildung zum Beispiel bei dem „Facharzt für Innere Medizin und Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie“ (vgl. Abschnitt B Ziff. 10.2.2 WBO in der Fassung vom 24.04.2004; inhaltsgleich mit Abschnitt B WBO Ziff. 13.3.2 i.d.F. vom 23.10.2016) und beim „Facharzt für Haut-Geschlechtskrankheiten“ (Abschnitt B Ziff. 7 WBO in der Fassung vom 24.04.2004; inhaltsgleich mit Abschnitt B Ziff. 10 WBO i.d.F. vom 23.10.2016). Für den „Facharzt für Innere Medizin und Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie“ sind als Weiterbildungsinhalt der Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten sämtlicher hormonbildender, oder orthotop oder heterotop gelegene Drüsen, Tumoren oder paraneoplastischer Hormonproduktionsstellen genannt. Beim „Facharzt für Haut-Geschlechtskrankheiten“ zählen zum Weiterbildungsinhalt u.a. Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in der Vorbeugung, Erkennung, operativen Behandlung, Nachsorge und Rehabilitation von Tumoren des Hautorgans und der hautnahen Schleimhäute einschließlich den Grundlagen der gebietsbezogenen Tumortherapie. Diese Fachärzte können über § 3 Abs. 7 OnkVB an der Onkologievereinbarung teilnehmen, sofern Sicherstellungsgründe vorhanden sind und die Voraussetzungen von Anhang 3 der Onkologievereinbarung vorliegen. Dagegen gilt für den Facharzt für Allgemeinmedizin Abschnitt B Ziff. 10 WBO in der Fassung vom 24.04.2004, inhaltsgleich mit Abschnitt B Ziff. 1 WBO i.d.F. vom 23.10.2016. Weiterbildungsinhalt sind lediglich die Grundlagen der gebietsbezogenen Tumortherapie als gemeinsamer Inhalt für die im Gebiet enthaltenen Facharzt- und Schwerpunktkompetenzen, nicht dagegen die unter Abschnitt C Zusatz-Weiterbildungen Ziff. 20 WBO in der Fassung vom 24.04.2004 (inhaltsgleich mit Abschnitt C – Zusatz-Weiterbildungen Ziff. 22 WBO i.d.F. vom 23.10.2016) für die Zusatz-Weiterbildung „medikamentöse Tumortherapie“ geforderten Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten. Dies bedeutet, dass die Inhalte der Zusatzweiterbildung überhaupt nicht von der Facharztweiterbildung des Klägers umfasst sind. Nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 7 S. 2 OnkVB „nicht vollständig umfasst“ scheidet daher beim Kläger eine Teilnahme an der OnkVB aus. Ferner ist äußerst fraglich, ob der Kläger die Voraussetzungen von Anhang 3 der OnkVB, auf die in § 3 Abs. 7 S. 2 OnkVB ausdrücklich hingewiesen wird, erfüllt. Abgesehen davon gilt auch für die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 7 OnkVB (Teilnahme aus Sicherstelllungsgründen), dass der Teilnehmer dem fachärztlichen Versorgungsbereich angehört, wie sich aus der Verweisung in § 3 Abs. 7 S.4 OnkVB auf § 3 Abs. 6 OnkVB ergibt. Nachdem die Regelungen eindeutig erscheinen, gibt es keinen Raum für eine erweiternde Auslegung in dem Sinn, Fachärzte für Allgemeinmedizin, auch wenn sie über die fachlichen Voraussetzungen verfügen sollten, in den Teilnehmerkreis mit einzubeziehen. Folglich hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Teilnahme an der OnkVB nach § 3 Abs. 7 OnkVB.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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