Medizinrecht

Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung wegen missbräuchlicher Einnahme von Tramadol

Aktenzeichen  M 1 K 15.5288

Datum:
13.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.3, Nr. 9.4, Nr. 9.5
FeV FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 47 Abs. 1
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3
BayVwZVG BayVwZVG Art. 37 Abs. 4 S. 1
VwGO VwGO § 102 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Tramadol kann als psychoaktiv wirkendes Arzneimittel die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen. Wer von ihm ohne medizinische Indikation und ohne ärztliche Verordnung regelmäßig übermäßig Gebrauch macht, Tramadol also missbrächlich einnimmt, ist nicht fahrgeeignet iSd Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Fahrungeeignetheit gem. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV genügt es, dass der Betroffene ein psychoaktiv wirkendes Arzneimittel missbräuchlich eingenommen hat. Ob die Einnahme im konkreten Fall tatsächlich zu einer Beeinträchtigung der Verkehrstauglichkeit geführt hat, ist unerheblich.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Wurden psychoaktiv wirkende Arzneimittel iSd Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV missbräuchlich eingenommen, kann die Fahreignung frühestens nach Ablauf eines Jahres seit dem letzten Konsum bei Einhaltung und Nachweis einer einjährigen Abstinenz sowie – falls nach den Gegebenheiten des konkreten Falls erforderlich – einer Entgiftung und Entwöhnung wiedererlangt werden, Nr. 9. 5 der Anlage 4 zur FeV. (redaktioneller Leitsatz)
4 Hat der Betroffene die zwangsgeldbewehrte Verpflichtung aus einem an ihn gerichteten Bescheid erfüllt und kann das angedrohte Zwangsgeld deshalb nicht mehr fällig werden, ist eine gegen die Zwangsgeldandrohung gerichtete Anfechtungsklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2016 entschieden werden, obwohl der Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der form- und fristgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde der Beklagte darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg.
I.
Soweit sich die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung (Nr. 3 des Bescheids) richtet, ist sie bereits unzulässig. Denn die Klägerin hat die zwangsgeldbewehrte Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt und ihren Führerschein ordnungsgemäß bei der Beklagten abgeliefert, so dass das angedrohte Zwangsgeld nicht mehr fällig werden kann, Art. 37 Abs. 4 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG). Damit hat sich die Zwangsgeldandrohung erledigt, so dass der Anfechtungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
II.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat sich wegen der missbräuchlichen Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, weshalb ihr die Fahrerlaubnis zu entziehen war.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen. Nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV ist fahrungeeignet, wer missbräuchlich psychoaktiv wirkende Arzneimittel oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnimmt. Erst recht ist nach Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV fahrungeeignet, wer abhängig von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen ist.
Nach dem von ihr selbst vorgelegten Arztbrief des …-Klinikums ist die Klägerin opiatabhängig, hat Tramadol missbräuchlich eingenommen und keine Entwöhnungsbehandlung durchgeführt. Sie hat ihre Fahreignung verloren und nach Maßgabe der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV auch nicht wiedererlangt.
Die missbräuchliche Einnahme von Tramadol durch die Klägerin steht bereits fest aufgrund ihrer eigenen Einlassungen bei den polizeilichen Vernehmungen am 6. und 17. Februar 2015. Sie hat angegeben, seit Ende 2012 von Tramal abhängig zu sein und sich nunmehr einer freiwilligen Entgiftung zu unterziehen. Vor der Zeit in der Klinik habe sie sehr hoch dosiert und etwa drei bis vier Mal täglich Tramal eingenommen. Auf Grundlage dieser Aussagen ist die Fahrerlaubnisbehörde im Sinne des § 11 Abs. 7 FeV zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin fahrungeeignet ist.
Tramadol gehört zur Arzneistoffgruppe der Opioide (Fries/Wilkes/Lössl, Fahreignung bei Krankheit, Verletzung, Alter, Medikamenten, Alkohol und Drogen, 2. Aufl. 2008, S.182) und fällt zwar nicht unter das Betäubungsmittelgesetz, ist aber ein verschreibungspflichtiges, psychoaktiv wirkendes Arzneimittel. Die Klägerin hat Tramadol missbräuchlich eingenommen, indem sie ohne medizinische Indikation und ohne ärztliche Verordnung hiervon regelmäßig übermäßig Gebrauch machte. Sie war damit nicht fahrgeeignet im Sinne des Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV. Die Ausführungen dazu, was auf dem Beipackzettel von Tramaltropfen zu lesen ist, verhelfen der Klage nicht zum Erfolg. Denn entscheidend ist, dass Tramadol als psychoaktiv wirkendes Arzneimittel die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen kann. Für die Fahrungeeignetheit gemäß Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV genügt es, dass die Klägerin das psychoaktiv wirkende Arzneimittel missbräuchlich eingenommen hat. Darauf, ob die Tramaltropfen im konkreten Fall tatsächlich zu einer Beeinträchtigung der Verkehrstauglichkeit führten, kommt es nicht an. Somit ist auch irrelevant, ob die Klägerin während der Einnahme von Tramadol in ihrer Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt war oder sich sogar verkehrstüchtiger, wacher und konzentrierter fühlte.
Wurden psychoaktiv wirkende Arzneimittel im Sinne des Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV eingenommen, kann die Fahreignung frühestens nach Ablauf eines Jahres seit dem letzten Konsum bei Einhaltung und Nachweis einer zumindest einjährigen Abstinenz sowie – falls nach den Gegebenheiten des konkreten Falls erforderlich – einer Entgiftung und Entwöhnung wiedererlangt werden, Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV. Dies war vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung schon mangels Zeitablaufs nicht der Fall, da die Klägerin ihren eigenen Angaben zufolge jedenfalls am 17. Februar 2015 noch Tramal eingenommen hat. Aus dem von ihr vorgelegten Befundbericht der Begutachtungsstelle für Fahreignung des TÜV Süd vom 25. März 2016, der den Zeitraum eines halben Jahres umfasst, ergibt sich ebenfalls nicht, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung mindestens ein Jahr abstinent sowie entwöhnt gewesen wäre. Damit durfte die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis ohne weitere Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens entziehen.
2. Die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins beruht auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 FeV und ist rechtmäßig. Sie ist unmittelbare Folge der Fahrerlaubnisentziehung. Damit hat auch der Antrag der Klägerin auf Verpflichtung der Beklagten zur Rückgabe ihres Führerscheins keinen Erfolg.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 10.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 46.3, 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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