Medizinrecht

Relevanz von Sexualstraftaten im Straßenverkehr

Aktenzeichen  11 CS 17.1223

Datum:
11.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 2 Abs. 4 S. 2, § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 8, Abs. 4 S. 4, S. 5, Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Wer mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilt worden ist, bietet wegen massiver charakterlicher Mängel nicht die Gewähr dafür, der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht zu werden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Interessabwägung kann ferner berücksichtigt werden, dass bei einer Durchsuchung umfangreiches kinderpornographisches Bildmaterial gefunden wurde und eine zwischenzeitlich begonnene Sexualtherapie daher keine Wirkung gezeigt hat. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26 S 17.1426 2017-06-07 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller und der Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller und der Beigeladene wenden sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen D, D1, D1E und DE des Antragstellers.
Mit Schreiben vom 8. Dezember 2016 teilte die Staatsanwaltschaft München I der Antragsgegnerin mit, der Antragsteller sei wegen Sexualstraftaten zum Nachteil von Minderjährigen erheblich vorbestraft und seit 2016 im Betrieb des Beigeladenen als Schulbusfahrer angestellt. Das Verhalten des Betroffenen während den Personenbeförderungen sei von den Eltern der Schulkinder als besorgniserregend wahrgenommen worden, aber nicht strafrechtlich relevant gewesen.
Gemäß einem von der Antragsgegnerin eingeholten Führungszeugnis vom 6. Dezember 2016 hat das Amtsgericht Berlin-Tiergarten den Antragsteller am 4. April 2003 wegen Verbreitung pornografischer Schriften zu einer Geldstrafe verurteilt und ein Verbot der Beschäftigung, Beaufsichtigung, Anweisung und Ausbildung Jugendlicher ausgesprochen. Das Landesgericht Bozen (Italien) hat ihn am 16. Februar 2004 wegen sexueller Handlungen mit Minderjährigen unter zehn Jahren zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten und am 30. Juni 2009 wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Minderjährigen, Besitzes kinderpornografischen Materials und Besitzes pornografischen Materials zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und ein Verbot einer beruflichen oder sonstigen Tätigkeit mit Minderjährigen ausgesprochen.
Nach Anhörung entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 28. März 2017 die Fahrerlaubnis der Klassen D, D1, D1E und DE und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die unverzügliche Vorlage des Führerscheins sowie die sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller sei drei Mal wegen Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern verurteilt worden. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Schulbusfahrer habe es Auffälligkeiten im Umgang mit den Kindern gegeben, die dem Verhalten ähnelten, das Grundlage der Verurteilungen gewesen sei. Eine erneute strafrechtliche Verurteilung sei zwar nicht erfolgt, der Antragsteller biete aber gleichwohl nicht die Gewähr für die besondere Verantwortung bei der Fahrgastbeförderung.
Über die gegen den Bescheid vom 28. März 2017 erhobene Klage (Az. M 26 K 17.1425) hat das Verwaltungsgericht München nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Der Antragsteller sei charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen D, D1, D1E und DE. Die im Bundeszentralregister eingetragenen Strafverurteilungen könnten trotz des teilweise langen Zeitablaufs verwertet werden. Bei der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Antragstellers hätten auch die frappierenden Ähnlichkeiten, die sich im Zusammenhang mit den im Urteil von 2009 geschilderten Kontaktanbahnungen zeigen würden, berücksichtigt werden können. Ein weiterer Aufklärungsbedarf bestehe nicht. Die Entscheidung sei auch nicht verfassungswidrig.
Dagegen wenden sich der Antragsteller und der Beigeladene mit ihren Beschwerden, denen die Antragsgegnerin entgegentritt. Der Antragsteller macht geltend, die Klage werde voraussichtlich erfolgreich sein, weil zuerst ein Gutachten anzuordnen gewesen wäre. Die Antragsgegnerin könne ohne weitere Aufklärung nicht von seiner Ungeeignetheit ausgehen. Im Übrigen würden keine Tatsachen vorliegen, die zu den Bedenken der Behörde geführt hätten, sondern es handele sich lediglich um Tatsachenbehauptungen. Er absolviere seit August 2016 eine Therapie für Sexualstraftäter, deren Ziel ein stabiler Einstellungswandel bei ihm sei.
Der Beigeladene führt darüber hinaus noch aus, die Antragsgegnerin habe ihr Ermessen bei Erlass des Bescheids nicht hinreichend ausgeübt, sondern hätte eine medizinisch-psychologische Untersuchung anordnen müssen. Es hätte aufgeklärt werden müssen, ob bei dem Antragsteller eine pädophile Neigung zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses überhaupt noch besteht. Darüber hinaus sei ein vollständiger Entzug der Fahrerlaubnis der Klassen D, D1, D1E und DE nicht erforderlich. Durch Auflagen könne sichergestellt werden, dass keine Minderjährigen ohne ausreichende Begleitung durch den Antragsteller befördert werden. Der Beigeladene sei durch die Ablehnung des Eilantrags auch beschwert. Er sei auf die Tätigkeit des Antragstellers als Busfahrer existentiell angewiesen und habe trotz intensiver Suche bisher keinen Ersatzkraftfahrer gefunden. Darüber hinaus sei er einem Entzugsverfahren hinsichtlich seiner Buskonzessionen ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin hat eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München I vom 2. August 2017 vorgelegt, mit der dem Antragsteller zur Last gelegt wird, während einer Schulbusfahrt einem Schüler unter dem Vorwand, ihn „kitzeln“ zu wollen, über der Kleidung an die Hoden gegriffen sowie einen Schüler in ein Gespräch über die Möglichkeit der Herbeiführung einer Erektion verwickelt zu haben. Zudem seien bei einer Durchsuchung seiner Wohnung am 12. April 2017 auf einem Computer 530 kinderpornografische Bilddateien aufgefunden worden. In der Anklageschrift ist auch noch eine Verurteilung des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen vom 9. September 2002 erwähnt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
II.
Die Beschwerden haben in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. März 2017 (BGBl I S. 399), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S. 3083), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden nach § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 entsprechend Anwendung. Nach § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV müssen Bewerber um die Fahrerlaubnis der Klasse D oder D1 die Gewähr dafür bieten, dass sie der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht werden. Dies ist nach § 11 Abs. 1 Satz 5 FeV durch Vorlage eines nach Maßgabe des § 30 Abs. 5 Satz 1 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) ausgestellten Führungszeugnisses nachzuweisen. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt nach § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund des Führungszeugnisses vom 6. Dezember 2016 feststeht, dass der Antragsteller nicht die Gewähr dafür bietet, der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht zu werden, da er mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilt worden ist. Diese Taten sind auch noch verwertbar, da sie nach §§ 32 ff. BZRG in das Führungszeugnis aufzunehmen waren. Der Verordnungsgeber hat mit der Siebten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 26. Juni 2012 (BGBl I S. 1394) durch die Ergänzung des § 11 Abs. 1 FeV um den Satz 5 mit der Verpflichtung zur Vorlage eines Führungszeugnisses den unbestimmten Rechtsbegriff „besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird“ konkretisiert (vgl. BR-Ds. 254/12, S. 27). Damit kommt zum Ausdruck, dass die in einem Führungszeugnis enthaltenen Eintragungen ein sehr wichtiger Baustein bei der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Betroffenen sein sollen, selbst wenn sie schon längere Zeit zurückliegen. Weitere Ermittlungen der Fahrerlaubnisbehörde sind in der Regel nicht erforderlich, wenn sich die fehlende Eignung zur Personenbeförderung schon aus den in das Führungszeugnis aufgenommenen abgeurteilten Straftaten ergibt.
Im vorliegenden Fall lassen die mehrfachen Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu hohen Freiheitsstrafen und das gleichzeitig ausgesprochene Verbot einer beruflichen oder sonstigen Tätigkeit mit Minderjährigen massive charakterliche Mängel des Antragstellers erkennen, die die besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen ausschließen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller trotz der Eintragungen im Führungszeugnis zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses in der Lage war, sich korrekt gegenüber seinen Fahrgästen zu verhalten. Er hat zwar im August 2016 eine Sexualtherapie begonnen, diese aber noch nicht erfolgreich abgeschlossen. Des Weiteren sind zahlreiche Beschwerden gegen ihn erhoben worden, die genau die gleichen Verhaltensmuster beschreiben, die den Verurteilungen zugrunde lagen. Darüber hinaus geht auch er davon aus, dass ein stabiler Einstellungswandel bei ihm noch nicht vorliegt. Er hat mit seiner Beschwerdebegründung selbst ausgeführt, die begonnene Therapie solle erst zu einem Einstellungswandel führen.
Angesichts der Eintragungen im Führungszeugnis war es auch nicht veranlasst, eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 FeV anzuordnen oder ein psychiatrisches Gutachten zur Rückfallgefahr einzuholen, sondern es steht i.S.d. § 11 Abs. 7 FeV fest, dass der Antragsteller charakterlich ungeeignet zur Beförderung von Fahrgästen ist. Die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen D, D1, D1E und DE stand damit auch nicht im Ermessen der Antragsgegnerin, sondern war nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zwingend auszusprechen.
2. Soweit der Beigeladene geltend macht, als milderes Mittel gegenüber der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen D, D1, D1E und DE könne diese mit Beschränkungen oder Auflagen versehen werden, kann dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Nach § 2 Abs. 4 Satz 2 StVG ist nur bei bedingter Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auf Grund körperlicher oder geistiger Mängel die Erteilung der Fahrerlaubnis mit Beschränkungen oder unter Auflagen vorgesehen. Hinsichtlich charakterlicher Mängel sind die Annahme bedingter Eignung und entsprechende Beschränkungen der Fahrerlaubnis im Straßenverkehrsgesetz nicht vorgesehen. Eine europaweite oder nationale Schlüsselzahl, die bei den Fahrerlaubnisklassen D, D1, D1E und DE den zu befördernden Personenkreis einschränkt, ist in Anlage 9 zur FeV nicht enthalten. Darüber hinaus ist auch keine hinreichend konkrete und vollziehbare Auflage ersichtlich, mit der sicher ausgeschlossen werden könnte, dass der Antragsteller unbegleitete oder unzureichend beaufsichtigte Minderjährige befördert.
3. Im Übrigen würde eine Interessenabwägung stets dazu führen, dass dem Antragsteller eine vorläufige Beförderung von Fahrgästen nicht erlaubt werden könnte. Dabei wäre zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass bei einer Wohnungsdurchsuchung im April 2017 bei ihm 530 kinderpornografische Bilddateien aufgefunden wurden. Die im August 2016 begonnene Sexualtherapie hat daher offensichtlich keine Wirkung gezeigt und der Antragsteller bagatellisiert sein Problem weiterhin. Darüber hinaus wäre auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller weiterhin über eine Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, C1E und CE verfügt und damit auch im Bereich der Güterbeförderung als Kraftfahrer eine Anstellung finden kann. Hinsichtlich des Beigeladenen wäre zu berücksichtigen, dass er die behauptete existentielle Gefährdung seines Betriebs nicht hinreichend dargelegt, sondern keinerlei Angaben zu seinem konkreten Geschäftsbetrieb gemacht hat. Es ist weder ersichtlich, welche Beförderungen in seinem Betrieb anfallen, welche anderen Fahrer und Fahrerinnen zur Verfügung stehen noch welche Anstrengungen er unternommen hat, weiteres Fahrpersonal einzustellen.
4. Die Beschwerden waren daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen und den Beschwerdeführern die Kosten je zur Hälfte aufzuerlegen, da der Beigeladene einen Antrag gestellt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Anh. § 164 Rn. 14).
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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