Medizinrecht

Sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Hundehaltung, Leinen- oder Maulkorbzwang innerorts (Wahlrecht für den Hundehalter), Staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung

Aktenzeichen  M 22 K 21.1460

Datum:
25.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49473
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
LStVG Art. 18 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren entscheiden (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2021 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Es bestehen keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Insbesondere hat die Beklagte vorliegend als zuständige Sicherheitsbehörde gehandelt (Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG).
2. Auch in materieller Hinsicht erweist sich der Bescheid der Beklagten als rechtmäßig. Gegen die in Nummer 1 getroffene Regelung eines alternativen Leinen- bzw. Maulkorbzwangs bestehen keine rechtlichen Bedenken.
2.1. Die Rechtsgrundlage für sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Hundehaltung ergibt sich aus Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG; nach dieser Vorschrift können Gemeinden zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder der öffentlichen Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt, d.h. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden kann, dass es in absehbarer Zeit zu einem Schaden – einer Verletzung der geschützten Rechtsgüter – kommt. Hierbei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der zu erwartende Schaden ist (stRspr, vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2011 – 10 B 10.2806 – juris Rn. 18 m.w.N.; U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 19). Eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn es in der Vergangenheit bereits zu einem Beißvorfall gekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2012 – 10 CS 12.1791 – juris Rn. 24; B.v. 25.8.2014 – 10 ZB 12.2673 – juris Rn. 8).
2.1.1. Für die Bejahung einer konkreten Gefahr kommt es nach ständiger Rechtsprechung nicht darauf an, ob von dem Hund eine gesteigerte Aggressivität gegen Menschen oder andere Hunde ausgeht oder ob es sich um ein hundetypisches Verhalten handelt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 20.1.2011 – 10 B 09.2966 – juris 21 m.w.N.). Sinn der Ermächtigung des Art. 18 Abs. 2 LStVG ist es, den Gemeinden die Befugnis zu geben, zur Verhütung jeglicher Gefahren für die in Art. 18 Abs. 1 Satz 1 LStVG genannten Rechtsgüter Anordnungen zur Haltung von Hunden zu treffen, unabhängig davon, in welcher Weise diese von Hunden verursacht werden. Die Mehrheit der von Hunden ausgehenden Gefahren beruht nämlich gerade auf hundetypischem Verhalten. Auch wenn ein Schaden durch den Hund dadurch herbeigeführt wird, dass er durch ein „Fehlverhalten“ oder eine „Fehlreaktion“ einer anderen Person entstanden ist, sind nach der obergerichtlichen Rechtsprechung solche Vorfälle dennoch dem Hund zuzurechnen, da die Gefahr ausschließlich von diesem ausgeht (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2005 – 24 BV 04.2755 – juris Rn. 34; B.v. 20.1.2011 – 10 B 09.2966 – juris Rn. 22; B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris Rn. 7 f.). Von Passanten wird kein hundegerechtes Verhalten erwartet, vielmehr steht der Hundehalter in der Pflicht, wenn er seinen Hund in der Öffentlichkeit ausführt. Nur das bewusste und gezielte Reizen eines Hundes stellt kein (Fehl-)Verhalten eines Passanten dar, mit dem der Hundehalter jederzeit hätte rechnen und die Reaktion seines Hundes hierauf hätte verhindern müssen (vgl. BayVGH, B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris Rn. 7).
Bei der Aufklärung des Sachverhalts darf die Sicherheitsbehörde grundsätzlich von der Richtigkeit von Zeugenaussagen ausgehen, insbesondere dann, wenn die Aussage den Vorfall detailliert und nachvollziehbar schildert und wenn mehrere Aussagen verschiedener Zeugen übereinstimmen. Sie darf auch polizeiliche Erkenntnisse heranziehen, ist allerdings an die im Ermittlungsverfahren getroffene Beurteilung nicht gebunden (Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand 1.5.2018, Art. 18 Rn. 35, 39). Insbesondere schließt die Beendigung eines Strafverfahrens durch staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung Maßnahmen zur präventiven Gefahrenabwehr nicht aus (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2013 – 10 C 13.62 – juris Rn. 4; B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 19), jedenfalls dann nicht, wenn ein Restverdacht fortbesteht (VGH Hessen, U.v. 23.4.2002 – 10 UE 4135/98 – juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 16.11.2018 – 10 C 18.2094 – juris Rn. 11).
2.1.2. Vorliegend bestehen zur Überzeugung des Gerichts hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme einer für die Anordnung in Nummer 1 des Bescheids vom 15. Februar 2021 erforderlichen konkreten Gefahr für die Gesundheit von Menschen.
Die gerichtlich voll überprüfbare Gefahrenprognose der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte durfte davon ausgehen, dass sich der Vorfall vom 11. November 2020 in der vom Anzeigeerstatter geschilderten Weise zugetragen hat, d.h. dass es zu einem Beißvorfall unter Beteiligung des Rüden der Klägerin gekommen ist.
Zwar bestreitet die Klägerin unter Berufung auf die Einstellung des strafrechtlichen Verfahrens, dass ihr Rüde „…“ den Jogger gebissen habe, als Sicherheitsbehörde ist die Beklagte – wie auch das Gericht – allerdings nicht an Beurteilungen der Staatsanwaltschaft gebunden. Sicherheitsrechtliches und strafrechtliches Verfahren haben unterschiedliche Zielsetzungen und unterschiedliche Verfahrensgrundsätze. Im Sicherheitsrecht geht es nicht um die Sanktion in der Vergangenheit geschehenen, vorwerfbaren Verhaltens, sondern um Prävention. Das Ziel einer effizienten Gefahrenabwehr wäre kaum erreichbar, forderte man den Vollbeweis prognosestützender Tatsachen.
Darüber hinaus ergibt sich aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. Februar 2021 (nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung – StPO) lediglich, dass ein Tatnachweis gegen die Klägerin nicht mit der für die Anklageerhebung notwendigen Sicherheit geführt werden könne, da der genaue Hergang des Vorfalls vom 11. November 2021 nicht aufklärbar sei. Dazu, wie sich der Vorfall zugetragen hat, verhält sich die staatsanwaltschaftliche Verfügung nicht. Insofern bestanden im Zeitpunkt des Bescheiderlasses weiterhin Verdachtsmomente gegen die Klägerin.
Zweifel an der Vorfallschilderung des Anzeigeerstatters ergeben sich nicht. Seine Angaben zur Begegnung am 11. November 2020 stimmen – abgesehen von der Frage, ob der Rüde angeleint war und gebissen hat – mit denen der Klägerin überein. Der Geschädigte hat ein ärztliches Attest mit der Diagnose „Hundebiss“ vorgelegt, wonach bei ihm am 11. November 2020, gegen 17:30 Uhr – und damit unmittelbar nach dem bestrittenen Beißvorfall – eine Schürfwunde am linken Oberschenkel aufgrund einer Bissverletzung behandelt worden ist. Die Behördenakte enthält zudem Lichtbilder von einer eindeutigen Bissverletzung am linken Oberschenkel. Die Kammer hält es – und schließt sich insoweit den Ausführungen der Beklagten an – für höchst unwahrscheinlich, dass der Anzeigeerstatter durch einen anderen Hund gebissen wurde und die vorliegenden Beweise dafür einsetzt, um einen nicht stattgefundenen Beißvorfall durch den Rüden der Klägerin geltend zu machen. Insoweit überzeugt der Einwand der Klägerin, der Anzeigeerstatter wolle sie bzw. ihren Ehemann nur erpressen, nicht. Umstände, aufgrund derer weitere Maßnahmen zur Sachaufklärung hätten veranlasst sein können, sind nicht ersichtlich.
2.2. Die Anordnungen in Nummer 1 des Bescheids vom 15. Februar 2021 lassen auch keine Ermessensfehler erkennen und erweisen sich darüber hinaus bei Abwägung der gegenläufigen Interessen als verhältnismäßig (Art. 8 LStVG).
Liegt eine konkrete Gefahr vor, sind also die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG erfüllt, steht der Erlass einer Einzelfallanordnung zur Hundehaltung grundsätzlich im Ermessen der Sicherheitsbehörde. Die zu treffende Entscheidung erfasst dabei sowohl die Frage, ob sie handelt (Entschließungsermessen), als auch die Frage, wie sie handelt (Auswahlermessen). Dabei hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG).
Ist es bereits – wovon vorliegend auszugehen ist – zu einem Beißvorfall oder sonstigen Zwischenfällen gekommen, sind an die Begründung des Entschließungsermessens regelmäßig keine hohen Anforderungen zu stellen. Ein sicherheitsrechtliches Einschreiten zur Abwehr der bereits realisierten Gefahr ist nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig nicht nur zulässig, sondern sogar geboten (vgl. BayVGH, B.v. 18.11.2011 – 10 ZB 11.1837 – juris Rn. 19; U.v. 25.11.2014 – 10 BV 13.1151 – juris Rn. 46; B.v. 25.8.2014 – 10 ZB 12.2673 – juris Rn. 8; Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand 1.5.2018, Art. 18, Rn. 61).
Auch ihr Auswahlermessen hat die Beklagte ordnungsgemäß ausgeübt. Ihre Erwägungen sind weder im Hinblick auf die Geeignetheit und die Erforderlichkeit der Anordnung noch im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn rechtlich zu beanstanden. Durch die Anordnung eines alternativen Leinen- bzw. Maulkorbzwangs innerorts wird sichergestellt, dass in Gebieten, in denen üblicherweise mit relevantem Publikumsverkehr zu rechnen ist, die von dem Rüden ausgehende Gefahr zuverlässig beseitigt wird.
Das der Klägerin eingeräumte Wahlrecht zwischen Leine und Maulkorb stellt ein milderes Mittel gegenüber dem ebenfalls denkbaren generellen Leinenzwang mit Freiauslauf auf übersichtlichen Freiflächen dar. Durch die Anordnung der Beklagten wird die Klägerin insgesamt nur geringfügig belastet, insbesondere wenn man bedenkt, dass bei Zugrundelegung der Angaben der Klägerin, wonach der Rüde im Zeitpunkt des Beißvorfalls angeleint gewesen sei, ein genereller Maulkorbzwang (ggf. kombiniert mit einem Leinenzwang) in Betracht gekommen wäre und dass ein erhebliches öffentliches Interesse an einer Unterbindung der von dem Rüden ausgehenden Gefahr besteht. Indem der Klägerin weiterhin gestattet ist, den Rüden außerorts ohne Einschränkungen auszuführen, werden auch die Belange des Tierwohls angemessen berücksichtigt.
3. Die Klägerin ist als Halterin des Rüden Zustandsstörerin und daher gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG richtige Adressatin der sicherheitsrechtlichen Maßnahme.
4. Der Bescheid erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig, insbesondere begegnet die Androhung von Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro in Nummer 2 des Bescheids keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der Art. 19 Abs. 1 Nr. 3, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Art. 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG sind eingehalten, die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes liegt mit 500,00 Euro im unteren Bereich des gesetzlich vorgegebenen Rahmens des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG und ist unter Bezugnahme auf die davon erhoffte Beugewirkung auch ausreichend begründet.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung – ZPO.


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