Medizinrecht

Sofortvollzug der Entziehung einer Fahrerlaubnis bei vorliegender Alkoholabhängigkeit

Aktenzeichen  11 CS 16.907

Datum:
23.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 3 Abs. 1 S. 1, § 11 Abs. 1 S. 2, Abs. 5-8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e, § 17 Abs. 2, Abs. 3, § 46 Abs. 3, Abs. 4 S. 2
StVG StVG § 2 Abs. 5, § 3 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Hat im Fahrerlaubnisverfahren ein Kraftfahrer ein von ihm gefordertes Gutachten vorgelegt, kann er nicht einwenden, die Behörde habe ihre Erkenntnisse rechtswidrig erlangt. Das Ergebnis des Gutachtens schafft eine neue Tatsache, die selbstständige Bedeutung hat. Ein Verbot, diese Tatsache für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung zu verwerten, lässt sich aus der Fahrerlaubnis-Verordnung oder sonstigem innerstaatlichen Recht nicht ableiten (Anschluss BVerwG NJW 2010, 3318). (redaktioneller Leitsatz)
Erweist sich der Spruch eines angefochtenen Verwaltungsaktes aus anderen Rechtsgründen, als sie die Verwaltungsbehörde angegeben hat, als rechtmäßig, ohne dass – aus der Sicht dieser anderen Rechtsgründe – an dem Spruch etwas Wesentliches geändert zu werden braucht, dann ist der Verwaltungsakt (wenn sonst keine Rechtsfehler vorliegen) nicht rechtswidrig (Anschluss BVerwG NVwZ 1989, 471; hier: sowohl fehlende Befähigung als auch Eignung zur Führung von Kraftfahrzeugen). (redaktioneller Leitsatz)
Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e FeV zur Klärung, ob Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht, ist nur angezeigt, wenn ein ausreichend langer Abstinenzzeitraum verstrichen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 S 16.00417 2016-04-11 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, B, BE, C1, C1E, L und T.
Am 22. September 2015 führte die Polizeiinspektion A. b. N. beim Antragsteller eine Verkehrskontrolle durch. Dabei stellten die Polizeibeamten nach dem Polizeibericht vom 24. September 2015 fest, dass der Antragsteller zunächst nicht selbst und dann nur mit Hilfe eines Rollators aus dem Fahrzeug aussteigen und nur ganz kurze Zeit ohne Verwendung des Rollators stehen konnte.
Das Landratsamt … Land (im Folgenden: Fahrerlaubnisbehörde) bat den Antragsteller unter Bezugnahme auf die Verkehrskontrolle mit Schreiben vom 29. September 2015 um Stellungnahme und forderte ihn auf, ggf. vorhandene Arztberichte oder Atteste vorzulegen und im Landratsamt vorzusprechen. Der Antragsteller teilte der Fahrerlaubnisbehörde am 5. Oktober 2015 telefonisch mit, es würden ihm keine Atteste oder Gutachten vorliegen. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2015 teilte ein Rechtsanwalt unter Vollmachtsvorlage mit, er habe die Hausärztin des Antragstellers ersucht, ein Attest auszustellen, was diese aber abgelehnt habe. Der empfohlene Neurologe habe erst Mitte November einen Termin frei. Es werde daher um die Kontaktdaten eines Arztes oder ärztlichen Dienstes gebeten, der in der Lage sei, kurzfristig das geforderte Attest zu erstellen.
Die Fahrerlaubnisbehörde wies mit Schreiben vom 7. Oktober 2015 darauf hin, dass um die Vorlage von vorhandenen Arztberichten gebeten worden sei. Es werde nunmehr nach Aktenlage geprüft, ob ein Fahrtest oder die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens angeordnet werde.
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2015 ordnete die Fahrerlaubnisbehörde die Vorlage eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr bis 6. Januar 2016 an. Das Gutachten solle im Rahmen eines Fahrtests abklären, ob der Antragsteller in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A, A1, AM, B, BE, C1, C1E, L und T gerecht zu werden. Es würden Zweifel an der Befähigung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen.
Mit Arztbrief vom 3. Dezember 2015 zur Vorlage bei der Fahrerlaubnisbehörde teilten die Hausärztinnen des Antragstellers mit, es sei erneut zu einem Rückfall in die Alkoholabhängigkeit gekommen. Der Antragsteller habe ein Schreiben des TÜV vorgelegt, wonach er nicht in der Lage sei, ein Fahrzeug sicher zu führen.
Nachdem der Antragsteller kein Gutachten vorgelegt hatte, hörte ihn die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 12. Januar 2016 zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Die Behörde gab dem Antragsteller Gelegenheit, sich bis spätestens 27. Januar 2016 zu äußern beziehungsweise das geforderte Gutachten vorzulegen.
Am 18. Januar 2016 teilte der Antragsteller telefonisch mit, er habe am 25. Januar 2016 einen Termin bei einem Neurologen und bat um Fristverlängerung. Nach dem Telefonat legte er das Gutachten der TÜV SÜD Auto Service GmbH vom 18. November 2015 vor. Daraus geht hervor, dass er am 18. November 2015 eine 47 Minuten dauernde Testfahrt mit einer Fahrlehrerin durchgeführt hat. Der Gutachter stellte fest, dass dem Antragsteller zahlreiche Fahrfehler unterlaufen seien und er nicht in der Lage sei, ein Kraftfahrzeug der Klasse B sicher zu bedienen.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2016 gab die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller Gelegenheit, bis 27. Januar 2016 freiwillig auf seine Fahrerlaubnis zu verzichten. Am 27. Januar 2016 legte er das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. L. vom 26. Januar 2016 vor. Der Gutachter führt aus, bei dem Antragsteller seien bei einer stationären Behandlung in der Frankenalbklinik E. vom 1. bis 11. Dezember 2015 psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, ein Alkoholabhängigkeitssyndrom und Alkoholpolyneuropathie diagnostiziert worden. Der Antragsteller habe angegeben, er trinke manchmal ein bis zwei Biere am Abend. Der Gutachter selbst diagnostizierte: „ Zustand nach florider Alkoholabhängigkeit, abstinent, klinisch kein Hinweis auf eine manifeste alkoholtoxische Polyneuropathie, Inaktivitätsatrophie und allgemeine körperliche Schwäche in Folge der längeren internistischen Erkrankung inklusive Operation“. Er stellte fest, der Antragsteller sei trotz dieser Erkrankungen in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A, A1, AM, B, BE, L und T gerecht zu werden. Kraftfahrzeuge der Klassen C und C1E solle er aber nicht mehr führen.
Mit Schreiben vom 28. Januar 2016 fragte die Fahrerlaubnisbehörde bei der TÜV SÜD Auto Service GmbH, ob die Beurteilung der Kraftfahreignung in dem Gutachten vom 18. November 2015 auch für Fahrzeuge der anderen Fahrerlaubnisklassen, die der Antragsteller besitze, gelte. Mit Schreiben vom 1. Februar 2016 bejahte die TÜV SÜD Auto Service GmbH diese Frage.
Daraufhin entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller mit Bescheid vom 4. Februar 2016 die Fahrerlaubnis aller Klassen und ordnete unter Androhung eines Zwangsgeldes die Ablieferung des Führerscheins sowie die sofortige Vollziehung des Bescheids an. Die Fahrerlaubnis sei zwingend zu entziehen, da der Antragsteller gemäß dem Gutachten der TÜV SÜD Auto Service GmbH nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Das vorgelegte Gutachten des Dr. L. könne diese Feststellungen nicht widerlegen. Die Schlussfolgerungen dieses Gutachtens seien nicht nachvollziehbar, da Alkoholabstinenz festgestellt werde, obwohl der Antragsteller angegeben habe, er trinke manchmal Alkohol. Am 19. Februar 2016 erklärte der Antragsteller bei der Fahrerlaubnisbehörde unter Abgabe einer Versicherung an Eides Statt den Verlust seines Führerscheins.
Über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Februar 2016 hat die Regierung von Mittelfranken noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 11. April 2016 abgelehnt. Es sei offen, ob die Entziehung der Fahrerlaubnis auf das Gutachten vom 18. November 2015 gestützt werden könne, da es fraglich sei, ob es an der Befähigung des Antragstellers mangele. Es hätte wohl zuerst ein ärztliches Gutachten zur Klärung der medizinischen Ursachen der Gesundheitsstörung gefordert werden müssen. Darüber hinaus bestünden Zweifel an der materiellen Aussagefähigkeit dieses Gutachtens, da die festgestellten Fahrfehler ihre Ursache nicht in der Atrophie des Antragstellers hätten, sondern es sich um Probleme im Bereich der Überblicksgewinnung und der Reaktionsfähigkeit handele. In der Abwägungsentscheidung müsse jedoch berücksichtigt werden, dass der Antragsteller alkoholabhängig sei oder zumindest gewesen sei und keine ausreichende Abstinenz nachgewiesen habe.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, die Fahrverhaltensprobe sei nicht geeignet, seine Fahreignung auszuschließen. Das Verwaltungsgericht lasse bei seiner Abwägungsentscheidung auch außer Betracht, dass die Fahrerlaubnisbehörde schon vor der Erstellung des Gutachtens des Dr. L. am 26. Januar 2016 davon ausgegangen sei, der Antragsteller sei fahrungeeignet, denn sie habe den Antragsteller am 18. Januar 2016 zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis angehört. Im Übrigen hätte zuerst eine medizinisch-psychologische Untersuchung angeordnet und dem Antragsteller Gelegenheit zur Nachbesserung des neurologischen Gutachtens gegeben werden müssen. Das Gutachten des Dr. L. sei aber auch nicht widersprüchlich. Der Antragsteller trinke nicht täglich unter süchtigem Verhaltensmuster. Die Fahrerlaubnisbehörde verhalte sich widersprüchlich, wenn sie einerseits behaupte, das Gutachten sei nicht verwertbar, es andererseits aber verwerte. Darüber hinaus sei er im Straßenverkehr noch nie in Erscheinung getreten, erst Recht nicht im Zusammenhang mit Alkohol. Es liege auch kein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug vor. Der Bescheid sei auf die falsche Rechtsgrundlage gestützt und der Antragsteller stelle keine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Von der Fahrerlaubnisbehörde sei auch die gesetzte Anhörungsfrist umgangen worden. Diese sei durch die Vorlage des Gutachtens nicht überholt gewesen. Das Verwaltungsgericht habe sich mit der Frage des Verstoßes gegen das Übermaßverbot nicht auseinandergesetzt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Mai 2016 (BGBl I S. 1217), und § 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
1. Der Antragsteller ist bei summarischer Prüfung nicht befähigt, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis sich als nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 46 Abs. 4 Satz 2 FeV zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr anordnen. § 11 Abs. 6 bis 8 FeV ist entsprechend anzuwenden.
Unabhängig davon, ob die Anordnung der Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr zu Recht erfolgte, kann das Gutachten verwertet werden. Hat der Kraftfahrer das von ihm geforderte Gutachten vorgelegt, kann er nicht einwenden, die Behörde habe ihre Erkenntnisse rechtswidrig erlangt. Das Ergebnis des Gutachtens schafft eine neue Tatsache, die selbstständige Bedeutung hat. Ein Verbot, diese Tatsache für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung zu verwerten, lässt sich aus der Fahrerlaubnis-Verordnung oder sonstigem innerstaatlichen Recht nicht ableiten. Einem Verwertungsverbot steht auch das Interesse der Allgemeinheit entgegen, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich aufgrund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben (st. Rspr., BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 2/10 – BVerwGE 137, 10, U.v. 28.6.2012 – 3 C 30.11 – BayVBl 2013, 408/410; BayVGH, B.v. 3.3.2015 – 11 ZB 14.2418 – juris Rn. 18, B.v. 11.6.2014 – 11 CS 14.532 – juris Rn. 11; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 11 FeV Rn. 26).
Das vorgelegte Gutachten zeigt auf, dass dem Antragsteller die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt. Die Befähigung setzt nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 bis 4 StVG theoretische Kenntnisse der Verkehrsvorschriften, die Fähigkeit, entsprechende Kenntnisse umzusetzen und praktische Fahrfertigkeiten voraus (Dauer a. a. O. § 3 StVG Rn. 18). Da Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV auf die Erstellung von Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr nicht anwendbar ist, kann hinsichtlich der Befähigung auf die in Anlage 7 zu § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 2 und 3 FeV geregelten Anforderungen an die Fahrerlaubnisprüfung zurückgegriffen werden. Nach Nr. 2.1.5 der Anlage 7 zur FeV (Prüfungsfahrt) muss der Bewerber um eine Fahrerlaubnis fähig sein, selbstständig das Fahrzeug auch in schwierigen Verkehrslagen verkehrsgerecht und sicher zu führen. Seine Fahrweise soll defensiv, rücksichtsvoll, vorausschauend und dem jeweiligen Verkehrsfluss angepasst sein. Insbesondere ist nach Nr. 2.1.5 Buchst. g bis l der Anlage 7 zur FeV auf die richtigen Verhaltensweisen hinsichtlich der Verkehrsbeobachtung und Beachtung der Verkehrszeichen und -einrichtungen, der Fahrgeschwindigkeit, des Abstandhaltens vom vorausfahrenden Fahrzeug, des Überholens und Vorbeifahrens, des Verhaltens an Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehren und Bahnübergängen sowie des Abbiegens und des Fahrstreifenwechsels zu achten. Diese Fähigkeiten hat der Antragsteller bei der Fahrprobe vermissen lassen, denn er ist mit erheblich zu knappem Seitenabstand an einem geparkten Fahrzeug vorbeigefahren, hat beim Linksabbiegen einen entgegenkommenden Rechtsabbieger viel zu spät erkannt, ist beim Links- und Rechtsabbiegen zu schnell gewesen, hat eine Einmündung mit Vorfahrt von rechts übersehen, einen Fahrstreifenwechsel ohne Verkehrsbeobachtung vorgenommen und sich zum Linksabbiegen auf den Fahrstreifen des Gegenverkehrs eingeordnet.
Ob die mangelnde Befähigung ihre Ursache in einer Erkrankung des Antragstellers hat, die in Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV aufgeführt ist und (auch) zur körperlichen oder geistigen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen führt, kann im Rahmen des Entziehungsverfahrens dahinstehen. Weder dem Straßenverkehrsgesetz noch der Fahrerlaubnis-Verordnung kann eine Rangfolge zwischen den Voraussetzungen der Eignung und der Befähigung entnommen werden. Die Fahrerlaubnis ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG zu entziehen, wenn der Inhaber entweder ungeeignet oder nicht befähigt ist.
Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot ist nicht ersichtlich, denn die Teilnahme eines nicht hinreichend befähigten Kraftfahrers am öffentlichen Straßenverkehr kann zu erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer führen.
2. Darüber hinaus ist der Antragsteller auch nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und der Entziehungsbescheid könnte auch darauf gestützt werden. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich – vorausgesetzt, dass höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt – nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu rechtfertigen. Erweist sich der Spruch eines angefochtenen Verwaltungsaktes aus anderen Rechtsgründen, als sie die Verwaltungsbehörde angegeben hat, als rechtmäßig, ohne dass – aus der Sicht dieser anderen Rechtsgründe – an dem Spruch etwas Wesentliches geändert zu werden braucht, dann ist der Verwaltungsakt (wenn sonst keine Rechtsfehler vorliegen) im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29/87 – BVerwGE 80, 96).
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Gemäß Nr. 8.3 der Anlage 4 zu §§ 11, 13, und 14 FeV besteht bei Alkoholabhängigkeit keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen unabhängig davon, ob der Betreffende im Straßenverkehr auffällig geworden ist. Unstreitig war der Antragsteller alkoholabhängig und hat dadurch seine Fahreignung verloren.
Der Antragsteller hat seine Fahreignung auch nicht wiedererlangt. Die gerichtliche Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde auszurichten (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.1995 – 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249; BayVGH, B.v. 10.06.2015 – 11 CS 15.745 – juris). Im Falle eines noch nicht abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens ist daher im gerichtlichen Verfahren der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich.
Von einer Wiedererlangung der Fahreignung bei Alkoholabhängigkeit ist nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV in der Regel dann auszugehen, wenn eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung durchgeführt wurde, nach der Entgiftungs- und Entwöhnungszeit in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen (Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung – Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, anwendbar ab 1.5.2014) und die Verhaltensänderung als stabil einzuschätzen ist (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 13 FeV, Rn. 28). Dies ist hier nicht der Fall, denn der Antragsteller hält nach eigenen Angaben keine Abstinenz ein. Nach dem Arztbrief seiner Hausärztinnen vom 3. Dezember 2015 kam es zu einem Rückfall in die akute Alkoholabhängigkeit. Nach dem Gutachten des Dr. L. bestand ebenfalls Alkoholabhängigkeit und der Antragsteller befand sich vom 1. bis 11. Dezember 2015 in stationärer Behandlung. Selbst wenn man dem Gutachten des Dr. L. dahingehend folgen würde, dass der Antragsteller seine Alkoholabhängigkeit hinreichend therapiert hat, hat er seit der letzten stationären Behandlung vom 1. bis 11. Dezember 2015 noch kein Jahr der Abstinenz und keine hinreichend stabile Verhaltensänderung nachgewiesen. Die Nichteignung aufgrund von Alkoholabhängigkeit steht daher fest und die Entziehung der Fahrerlaubnis kann auch auf § 11 Abs. 7 FeV gestützt werden, ohne dass eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV zur Klärung der Frage, ob Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht, angeordnet werden muss. Erst im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens wird zu klären sein, ob die Alkoholabhängigkeit tatsächlich stabil überwunden ist.
3. Es liegen auch keine Verfahrens- oder Formfehler vor. Soweit der Antragsteller rügt, die Anhörungsfrist sei nicht eingehalten worden, trifft dies nicht zu. Die Fahrerlaubnisbehörde setzte dem Antragsteller eine Frist zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis bis 27. Januar 2016, da er das angeforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hatte. Nachdem er das negative Gutachten der TÜV SÜD Auto Service GmbH am 18. Januar 2016 vorgelegt hatte, hörte ihn die Fahrerlaubnisbehörde erneut unter Fristsetzung bis 27. Januar 2016 zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Das noch innerhalb dieser Frist vorgelegte Gutachten des Dr. L. wurde im Bescheid auch berücksichtigt.
Es war auch nicht erforderlich, den Antragsteller zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufzufordern oder ihm die Möglichkeit zur Nachbesserung des Gutachtens des Dr. L. zu geben. Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV zur Klärung, ob Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht, ist nur angezeigt, wenn ein ausreichend langer Abstinenzzeitraum verstrichen ist. Dies ist hier aber nicht der Fall. Das Gutachten des Dr. L. ist hinsichtlich seiner Schlussfolgerungen nicht nachvollziehbar, da zwar in der Anamnese ausgeführt wird, der Antragsteller habe angegeben, er trinke gelegentlich Alkohol, bei der Diagnose dann aber Abstinenz angenommen wird. Nachdem es sich um ein Privatgutachten handelt, das die Fahrerlaubnisbehörde nicht angeordnet hat, bleibt es dem Antragsteller unbenommen, dieses nachbessern zu lassen. Berücksichtigt der Gutachter dann aber die Angaben des Antragstellers zu seinem Alkoholkonsum zutreffend, ist nicht zu erwarten, dass das Gutachten für den Antragsteller positiv ausfallen wird.
4. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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