Medizinrecht

Sonderbedarfszulassung – Nachrangigkeit eines MVZ

Aktenzeichen  S 28 KA 438/19

Datum:
27.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22599
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BedarfsplRL § 36 Abs. 1 S. 1, § 37
SGB V § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 103 Abs. 4c S. 3

 

Leitsatz

Die Vorschrift des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V ist bei der Auswahl zwischen mehreren Bewerbern um eine Sonderbedarfszulassung entsprechend anzuwenden.
Medizinische Versorgungszentren sind ebenso wie bei der Praxisnachfolge auch bei der Sonderbedarfszulassung nachrangig zu behandeln. (Rn. 38 – 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1.
III. Die Zuziehung einer Bevollmächtigten der Beigeladenen zu 1. für das Vorverfahren war notwendig.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 26.9.2019 (Bescheid des Beklagten vom 29.10.2019) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neuverbescheidung ihres Antrags auf Sonderbedarfszulassung zur Erbringung von Leistungen der Kardiologie mit hälftigem Versorgungsauftrag für den Vertragsarztsitz H-Straße, H-Stadt, im Planungsbereich Raumordnungsregion Südostoberbayern, unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind allesamt gegeben.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
1. Die Klägerin kann sich nicht darauf stützen, dass im Bereich der Kardiologie im Planungsbereich Raumordnungsregion Südostoberbayern ein besonderer Versorgungsbedarf über den Anrechnungsfaktor 1,0 hinaus besteht.
Der Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen zur Erteilung einer Sonderbedarfszulassung über den Faktor 1,0 hinaus gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V, §§ 36, 37 BedarfsplRL (in der Fassung vom 20.12.2012, zuletzt geändert am 5.12.2019) nicht vorliegen.
Gesetzliche Grundlage für die von der Klägerin begehrte ausnahmsweise Zulassung von Ärzten in Planungsbereichen, für die der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 103 Abs. 1 und 2 SGB V wegen Überversorgung Zulassungsbeschränkungen angeordnet hat, ist § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V. Danach beschließt der GBA in Richtlinien Vorgaben für die ausnahmsweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze, soweit diese zur Gewährleistung der vertragsärztlichen Versorgung in einem Versorgungsbereich unerlässlich sind, um einen zusätzlichen lokalen oder einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf insbesondere innerhalb einer Arztgruppe zu decken.
Unbeschadet der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen durch den Landesausschuss darf der Zulassungsausschuss dem Zulassungsantrag eines Arztes der betreffenden Arztgruppe auf Sonderbedarf nach Prüfung entsprechen, wenn die nachstehenden Voraussetzungen erfüllt sind und die ausnahmsweise Besetzung eines zusätzlichen Vertragsarztsitzes unerlässlich ist, um die vertragsärztliche Versorgung in einem Versorgungsbereich zu gewährleisten und dabei einen zusätzlichen lokalen oder einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf zu decken (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BedarfsplRL). Sonderbedarf ist als zusätzlicher Versorgungsbedarf für eine lokale Versorgungssituation oder als qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf festzustellen (§ 36 Abs. 1 Satz 2 BedarfsplRL). Bei der Feststellung von Sonderbedarf ist u.a. als Mindestbedingung zu beachten: Abgrenzung einer Region, die vom beantragten Ort der Niederlassung aus versorgt werden soll und Bewertung der Versorgungslage (Feststellung einer unzureichenden Versorgungslage; § 36 Abs. 3 Nr. 1 BedarfsplRL).
Nach § 37 Abs. 1, Abs. 2 BedarfsplRL erfordert die Anerkennung eines qualifikationsbezogenen Sonderbedarfs die Prüfung und Feststellung einer bestimmten Qualifikation und die Prüfung und Feststellung eines entsprechenden besonderen Versorgungsbedarfs in einer Region durch den Zulassungsausschuss. Gemäß § 37 Abs. 2 BedarfsplRL ist eine besondere Qualifikation i.S. von Abs. 1 anzunehmen, wie sie durch den Inhalt des Schwerpunktes, einer fakultativen Weiterbildung oder einer besonderen Fachkunde für das Facharztgebiet nach der Weiterbildungsordnung beschrieben ist. Auch eine Zusatzweiterbildung oder eine Zusatzbezeichnung kann einen qualifikationsbezogenen Sonderbedarf begründen, wenn sie den vorgenannten Qualifikationen vom zeitlichen und qualitativen Umfang her gleichsteht. Ein besonderer qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf kann auch bei einer Facharztbezeichnung vorliegen, wenn die Arztgruppe gemäß §§ 11 bis 14 BedarfsplRL mehrere unterschiedliche Facharztbezeichnungen umfasst.
Bei der Konkretisierung und Anwendung der für die Anerkennung eines Sonderbedarfs maßgeblichen Tatbestandsmerkmale steht den Zulassungsgremien ein der gerichtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zu (BSG, Urteil vom 28.6.2017, Az. B 6 KA 28/16 R, Rn. 21 m.w.N.). Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich nach der Rechtsprechung des BSG – wie in ähnlichen Fällen der Bedarfsfeststellung – darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die durch Auslegung des Begriffs besonderer Versorgungsbedarf zu ermittelnden Grenzen eingehalten und ob die Subsumtionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az. B 6 KA 35/99 R, Rn. 34 m.w.N.).
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG müssen sich die Zulassungsgremien bei der Entscheidung über Sonderbedarfszulassungen ein möglichst genaues Bild der Versorgungslage im betroffenen Planungsbereich machen und ermitteln, welche Leistungen in welchem Umfang zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung im Sinne des § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V im Planungsbereich erforderlich sind, von den dort zugelassenen Ärzten aber nicht angeboten werden. Danach trifft die Zulassungsgremien die Pflicht zur umfassenden Ermittlung aller entscheidungserheblichen Tatsachen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 BedarfsplRL). Zur Ermittlung der konkreten Bedarfssituation ist es nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig geboten, die bereits niedergelassenen Ärzte nach ihrem Leistungsangebot und der Aufnahmekapazität ihrer Praxen zu befragen. Diese Befragung hat sich mit Rücksicht auf § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V entsprechend der Zielrichtung von Sonderbedarfszulassungen grundsätzlich auf die gesamte Breite eines medizinischen Versorgungsbereichs und nicht nur auf einzelne spezielle Leistungen zu erstrecken (BSG, Urteil vom 28.6.2017, Az. B 6 KA 28/16 R, Rn. 23 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung der o.g. Rechtsprechung des BSG ist die Entscheidung des Beklagten, keinen kardiologischen Sonderbedarf über den Anrechnungsfaktor 1,0 hinaus festzustellen, nicht zu beanstanden.
Der Beklagte hat seiner Entscheidung einen vollständig ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt, indem er sich auf die von der Beigeladenen zu 4. durchgeführte Bedarfsprüfung unter allen Kardiologen im Planungsbereich gestützt hat.
Die Beigeladene zu 4. hat die Ergebnisse der Bedarfsabfrage durch Abgleich der Fallzahlen kritisch gewürdigt und objektiviert.
Danach ließen die Ergebnisse der Bedarfsabfrage zwar noch gewisse freie Kapazitäten plausibel erscheinen. Im Hinblick auf den ersatzlosen Wegfall einer großen kardiologischen Praxis (ca. 2000 Patienten /Quartal) in C-Stadt und den Umstand, dass sich keine der gemeldeten freien Kapazitäten im Umkreis von ca. 50 km um die Standorte C-Stadt bzw. H-Stadt befinden, hat der Beklagte für das Gericht nachvollziehbar einen zusätzlichen besonderen Versorgungsbedarf für einen vollen Versorgungsauftrag festgestellt. Da dieser hauptsächlich mit dem ersatzlosen Wegfall der bisherigen Praxis Dr. G., die über einen vollen Versorgungsauftrag verfügte, begründet wurde, ist es für das Gericht schlüssig, auch nur einen Sonderbedarf für einen vollen Versorgungsauftrag anzuerkennen.
Hinweise, dass vor Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit von Dr. G. bereits ein kardiologischer Sonderbedarf bestanden hat, sind nicht ersichtlich. Auch im Übrigen sind für das Gericht keine Anhaltspunkte erkennbar – und auch von Klägerseite nicht vorgetragen worden -, die auf einen kardiologischen Sonderbedarf über einen vollen Versorgungsauftrag hinaus hinweisen würden.
Nach alledem hat der Beklagte beurteilungsfehlerfrei entschieden, dass lediglich die Voraussetzungen zur Erteilung einer kardiologischen Sonderbedarfszulassung mit dem Anrechnungsfaktor 1,0 gegeben sind.
2. Auch die vom Beklagten getroffene Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen zu 1. ist ermessens- und beurteilungsfehlerfrei.
Bei der Auswahl zwischen mehreren Bewerbern um eine Sonderbedarfszulassung ist nach der Rechtsprechung des BSG die Auswahlentscheidung „in erster Linie daran auszurichten, welcher Bewerber von seiner Qualifikation, seinem Leistungsspektrum und vom geplanten Praxisstandort her den Versorgungsbedarf am besten deckt, was zu beurteilen den Zulassungsgremien obliegt. Bei insoweit gleicher Eignung sind die Kriterien anzuwenden, die der Gesetzgeber für die Praxisnachfolge und für die Öffnung eines bisher wegen Überversorgung für Neuzulassungen gesperrten Planungsbereichs normiert hat (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen MedR 2009, 367, 368): berufliche Eignung, Approbationsalter und Dauer der ärztlichen Tätigkeit (vgl. § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V) sowie Dauer der Eintragung in die Warteliste (§ 103 Abs. 5 Satz 3 SGB V)“ (BSG, Urteil vom 8.12.2010, Az. B 6 KA 36/09 R, Rn. 39).
Nach der zu § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V ergangenen Rechtsprechung des BSG ist die Bewerberauswahl keine gebundene Entscheidung, sondern eine Ermessensentscheidung (BSG, Urteil vom 20.3.2013, Az. B 6 KA 19/12 R, Rn. 44). Aus dem Charakter der Auswahlentscheidung als Ermessensentscheidung folgt, dass die gerichtliche Überprüfung darauf beschränkt ist, ob das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde und der Kläger durch den Ermessensfehler beschwert ist. Den Zulassungsgremien ist ein Entscheidungsspielraum eröffnet, den die Gerichte zu respektieren haben. Die gerichtliche Rechtskontrolle ist auf die Überprüfung beschränkt, ob die Behörde von einem vollständigen und richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, die rechtlichen Grenzen ihres Ermessensspielraums eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Eine danach rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung muss das Gericht hinnehmen; es ist nicht befugt, an Stelle der Zulassungsinstanzen eine eigene Auswahlentscheidung zu treffen (BSG, ebenda, Rn. 45 m.w.N.).
Der Beklagte hat im Rahmen seiner Auswahlentscheidung zutreffend auf die Vorschrift des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V analog abgestellt und der Beigeladenen zu 1. den Vorzug gegenüber der Klägerin gegeben.
§ 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V lautet: „Absatz 4 gilt mit der Maßgabe, dass bei der Auswahl des Praxisnachfolgers ein medizinisches Versorgungszentrum, bei dem die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte nicht bei Ärzten liegt, die in dem medizinischen Versorgungszentrum als Vertragsärzte tätig sind, gegenüber den übrigen Bewerbern nachrangig zu berücksichtigen ist.“
Mit der Regelung wird das Ziel verfolgt, die Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit zu schützen und zu verhindern, dass im Nachbesetzungsverfahren Ärzte, die sich auf einem frei werdenden Vertragsarztsitz niederlassen wollen, durch MVZ verdrängt werden, deren Geschäftsanteile und Stimmrechte nicht mehrheitlich in der Hand von Vertragsärzten liegen, die in dem MVZ tätig sind. Hintergrund sei die besonders in kapitalintensiven Bereichen der Medizin zu beobachtende Übernahme von Vertragsarztsitzen durch Kapitalgesellschaften, die die Voraussetzungen für die Gründung eines MVZ durch den Ankauf eines Leistungserbringers, wie z.B. eines Pflegedienstes, erfüllten (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Auflage (Stand 6.7.2020), § 103 Rn. 329 m.w.N.). Als besonders nachteilig sei diese Entwicklung zu beurteilen, wenn Vertragsarztsitze in überversorgten Gebieten, in denen freiberuflich tätige Ärzte zur Verfügung stünden, von Kapitalgesellschaften übernommen würden, deren Geschicke aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nicht maßgeblich von Vertragsärzten beeinflusst werden könnten. Gemeinsam mit den in § 95a Abs. 1a SGB V geregelten Einschränkungen der Gründungsberechtigung trügen die Sätze 3 f. dazu bei, die Verdrängung freiberuflich tätiger Ärzte durch solche Kapitalgesellschaften in überversorgten Planungsbereichen zu vermeiden (Pawlita, ebenda).
Nach Einschätzung der Kammer ist die Vorschrift im Rahmen der Auswahl zwischen mehreren Bewerbern um eine Sonderbedarfszulassung entsprechend anzuwenden. § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V enthält für das Nachbesetzungsverfahren eine Nachrangregelung bestimmter MVZ. Wenn nach der (oben zitierten) Rechtsprechung des BSG die für die Auswahl des Praxisnachfolgers normierten gesetzlichen Kriterien auf eine Auswahlentscheidung hinsichtlich der Erteilung einer Sonderbedarfszulassung übertragbar sind, so muss dies auch für die Regelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V gelten. Es sind keine Unterschiede zwischen Nachbesetzungsverfahren und Zulassungsverfahren wegen Sonderbedarf erkennbar, die es nahelegen würden, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V bewusst nur für Auswahlverfahren wegen einer Praxisnachfolge geregelt hat. Vielmehr ist beiden Verfahren gemein, dass es um Zulassungserteilungen in überversorgten Gebieten geht, wo nach dem gesetzgeberischen Anliegen zu § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V der Gefahr der Verdrängung freiberuflich tätiger Ärzte entgegengetreten werden soll.
Die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass die Vorschrift des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten umstritten ist.
Das BSG geht jedoch offensichtlich nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V aus. Dies ergibt sich inzident aus dem Urteil vom 15.5.2019, in dem das BSG ausdrücklich auf die in der Vorschrift normierte Nachrangigkeit hinweist (Az. B 6 KA 5/18 R, Rn. 41).
Auch die Kammer hält die Vorschrift des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V nicht für verfassungswidrig. Das Verfahren ist daher nicht auszusetzen und keine Entscheidung des BVerfG einzuholen (Art. 100 Abs. 1 GG). Zweifel des Gerichts an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder bloße Bedenken reichen bei einer Normenkontrolle nach Art. 100 GG im Übrigen nicht aus (Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Stand 3.2020, Art. 100 Rn. 251 m.w.N.).
Soweit ersichtlich, sind verfassungsrechtliche Bedenken vor allem vom Ausschuss Medizinrecht des DAV geäußert worden. Dieser hat darauf hingewiesen, dass es tatsächlich weniger als 1.000 Medizinische Versorgungszentren in Händen von Nichtärzten im Verhältnis zu über 100.000 Vertragsärzten gebe. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund erscheine es fraglich, ob der Schutz der Berufsgruppe freiberuflicher Ärzte vor solchen Medizinischen Versorgungszentren verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sei (Stellungnahme des DAV Nr. 35/2011).
Aus Sicht der Kammer ist dieses numerische Argument nicht aussagekräftig. Lt. Daten der KBV nimmt die Zahl der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden MVZ stetig zu (sowohl derjenigen mit mehrheitlich ärztlichen Gesellschaftern als auch die in überwiegend nichtärztlicher Hand). Auch sind durchschnittlich mehr als sechs Ärzte in einem MVZ tätig (vgl. https://www.kbv.de/html/1150 43439.php).
Der Arztberuf als freier Beruf ist charakterisiert durch ein hohes Maß von eigener Verantwortlichkeit und eigenem Risiko in wirtschaftlicher Beziehung, eigener Verantwortlichkeit vor allem auch bei der Ausübung des Berufes selbst (BVerfG, Beschluss vom 16.6.1959, Az. 1 BvR 71/57, Rn. 35). Der vom Gesetzgeber beabsichtigte Schutz der Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit stellt für das Gericht ein nachvollziehbar wichtiges Anliegen dar, weshalb unabhängig von der Frage der Grundrechtsträgerschaft der Klägerin keine gewichtigen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG bestehen.
§ 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V findet im Fall der Klägerin Anwendung, da alleinige Gesellschafterin der Klägerin die Kreiskliniken H-Stadt-A-Stadt GmbH ist.
Die Vorschrift postuliert, dass MVZ wie das klägerische bei der Auswahlentscheidung gegenüber den übrigen Bewerbern nachrangig zu berücksichtigen sind. Aus Sicht der Kammer ist der Begriff der Nachrangigkeit eindeutig. Nachrangigkeit bedeutet, dass andere Bewerber vorzuziehen sind und insoweit das Auswahlermessen der Zulassungsgremien eingeschränkt wird (Pawlita, ebenda, Rn. 334). In diesem Zusammenhang kann das Wort „berücksichtigen“ nicht dahingehend verstanden werden, dass die Nachrangigkeit im Rahmen des dem Beklagten eingeräumten Ermessens lediglich ein zu berücksichtigender Abwägungsgesichtspunkt ist und „wegabgewogen“ werden kann. Ein solches Verständnis würde dem eindeutigen Wortlaut „nachrangig“ widersprechen (a.A. Sproll in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung Werkstand: 106. EL März 2020, § 103 SGB V Rn. 51).
Infolgedessen ist der Beklagte zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin nachrangig einzustufen und der Beigeladenen zu 1. die Genehmigung zur Beschäftigung des Beigeladenen zu 2. als angestellter Arzt im Rahmen eines Sonderbedarfs zu erteilen war. Auf die Kriterien der beruflichen Eignung und Warteliste kam es daher nicht mehr entscheidend an.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. sind unter Billigkeitserwägungen erstattungsfähig, weil sie einen Antrag gestellt und das Verfahren wesentlich gefördert hat (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO). Die Zuziehung der Bevollmächtigten der Beigeladenen zu 1. für das Vorverfahren war für notwendig zu erklären, § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.


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