Medizinrecht

Sozialgerichtliches Verfahren – Prozesskostenhilfe – rechtskundig vertretener Antragsteller – Nichteingehen auf gerichtliche Hinweise – kein Prozesskostenhilfeanspruch

Aktenzeichen  L 8 SO 18/22 B

Datum:
25.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 8. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LSGST:2022:0425.L8SO18.22B.00
Normen:
§ 73a Abs 1 S 1 SGG
§ 106 SGG
§ 114 Abs 1 S 1 ZPO
Spruchkörper:
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Leitsatz

Es besteht kein Anspruch auf PKH, wenn der rechtskundig vertretene Antragsteller Hinweise des Gerichts nicht zum Gegenstand einer zielführenden Antragstellung macht. (Rn.15)

Verfahrensgang

vorgehend SG Magdeburg, 16. März 2022, S 31 SO 98/21 ER, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe in dem Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 16. März 2022 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Die Antragstellerin (im Folgenden: Ast.) macht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltend, in dem sie ohne Erfolg die zukünftige Gewährung eines zusätzlichen behinderungsbedingten Mehrbedarfs der Hilfebedarfsgruppe 3, hilfsweise der Hilfsbedarfsgruppe 2, im Rahmen von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe – SGB XII) verfolgt hat.
Für die am … 1967 geborene Ast. wurde vom Amtsgericht S. – Betreuungsgericht – im September 2014 die im Rubrum genannte Berufsbetreuerin mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge, Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt. Nach Angaben der Ast. ist bei ihr seit Oktober 2020 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den Merkzeichen „G“, „B“, „GL“ und „RF“ anerkannt. Die Ast. bezieht Rente wegen voller Erwerbsminderung, ab dem 1. April 2021 mit einem Zahlbetrag von 1.142,90 € monatlich. Von Seiten der Pflegekasse wurde auf der Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt vom 14. August 2020 ab dem 1. Juli 2020 der Pflegegrad 1 nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Soziale Pflegeversicherung – SGB XI) anerkannt.
Die Ast. wohnt seit dem … Juli 2017 in einer von einer Wohnungsbau-Genossenschaft angemieteten Wohnung. Sie soll mit dem im Hauptsacheverfahren beigeladenen Leistungserbringer auf der Grundlage einer individuellen Leistungsbeschreibung vom 5. Juni 2020 eine ambulante Betreuung vereinbart haben. Zu dem von ihr unter dem 27. Oktober 2015 abgeschlossenen Betreuungsvertrag, dem eine solche Vereinbarung nicht zu entnehmen ist, wird auf Blatt 187 bis 197 der Gerichtsakten Bezug genommen.
Seit dem 1. November 2015 bezieht die Ast. Leistungen der Eingliederungshilfe von dem überörtlichen Sozialhilfeträger, dem Antragsgegner im Hauptsacheverfahren, für die ambulante Betreuung in ihrer Wohnung. Nach Aktenlage erfolgte für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2021 die Bewilligung mit Bescheid vom 4. Februar 2021, der Gegenstand eines Verfahrens vor dem Sozialgericht Magdeburg (S 31 SO 40/21) sein soll.
Der Sozialhilfeträger lehnte mit Bescheid vom 30. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2021 eine dem Antrag des Leistungserbringers entsprechende Zuordnung der Ast. zu einer höheren Hilfebedarfsgruppe als der Hilfebedarfsgruppe 1 ab. Die hiergegen vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobene Klage ist noch anhängig. Zur Begründung der Verwaltungsentscheidung stützte sich der Sozialhilfeträger auf eine von dem Reha-pädagogischen Fachdienst als zutreffend eingeschätzte Zuordnung des Bedarfs der Ast. zur Hilfebedarfsgruppe 1. Die Ast. erhalte nach der Hilfebedarfsprüfung rechtmäßig und in ausreichendem Umfang Leistungen für das ambulant betreute Wohnen. Die von der Ast. neben den Leistungen des ambulant betreuten Wohnens benötigten weiteren unterstützenden Leistungen zur Förderung ihrer Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit bei der Gestaltung des Alltags und der Begegnung körperlicher Einschränkungen seien durch die Leistungen nach dem SGB XI und ggf. bei Bedarf durch ärztlich verordnete Leistungen, z.B. in Form von ambulanter Psychotherapie und Bewilligung von erforderlichen Hilfsmitteln, ergänzend sichergestellt. Mit dem Entlastungsbetrag nach dem SGB XI stünden der Ast. ausreichend Leistungen zur Verfügung, um ihren derzeitigen Hilfebedarf abzusichern. Sollte sich ihr Hilfebedarf hinsichtlich der hauswirtschaftlichen Versorgung im Alltag verschlechtern, könne sie zunächst bei dem örtlichen Sozialhilfeträger weitere unterstützende Leistungen, z.B. nach § 70 SGB XII zur Weiterführung des Haushalts, beantragen.
Die Ast. hat am 17. März 2021 vor dem Sozialgericht Magdeburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren gestellt, den Sozialhilfeträger zu verpflichten, „der Antragsgegnerin“ (gemeint ist: ihr, der Ast.) „zukünftig, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, einen zusätzlichen behinderungsbedingten Mehrbedarf gemäß der Hilfebedarfsgruppe 3, hilfsweise der Hilfebedarfsgruppe 2, zu gewähren“. Gleichzeitig hat sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt und die Vordrucke über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übersandt. Es ergäben sich nach dem Gesamtplan für die einzelnen Leistungsbereiche mehrheitlich Grade der Beeinträchtigung von 2 und 3, sodass nach dem System der Hilfebedarfsgruppen die Hilfebedarfsgruppe 3 festzustellen sei. Der (hier im Rahmen eines Telefonats am 19. Juni 2020 erstellte) Gesamtplan sei für den Sozialhilfeträger nach § 120 Abs. 2 SGB XII bindend. Überschneidungen im Verhältnis von Leistungen der Eingliederungshilfe einerseits und der Pflegeversicherung andererseits löse § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI auf. Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe gelte auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht. Da sie ihren Hilfebedarf faktisch nicht durch Leistungen aus nach dem SGB XI oder dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V) decke, blieben solche Leistungen hier außer Betracht. Ein Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass sie unter Essstörungen und suizidalen Gedanken leide. Es bestehe ein dringender Bedarf sozialer Kontakte „im Rahmen etwa von Gruppenarbeit im L e.V., im Rahmen der Nahrungsaufnahme, der Mobilität etc.“ Versäumnisse der Betreuungsleistungen bedeuteten unwiederbringliche Verluste mit schweren Gefahren für Leib und Leben.
Das Sozialgericht hat die Ast. in einem Telefonat mit ihrem Verfahrensbevollmächtigten vom 22. April 2021 und die Beteiligten mit einem richterlichen Scheiben vom 18. November 2021 darauf hingewiesen, die Hilfebedarfsgruppe sei ausgehend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 2. Februar 2010 – B 8 SO 20/08 R -, juris, RdNr. 14) nur eine Kalkulationsgrundlage, die nicht vorgebe, welcher individuelle Bedarf zu decken sei. Durch die Anbindung an die Hauptsache sei Gegenstand des vorliegenden Verfahrens der Zeitraum von Antragseingang bei Gericht am 17. März 2021 bis einschließlich Juni 2021.
Der Sozialhilfeträger hat die Übergangsvereinbarungen nach § 125 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) vom 9. Dezember 2019 für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2020 und den nachfolgenden Zeitraum vorgelegt. Er hat (Stand 6. Dezember 2021) darauf hingewiesen, dass ihm gegenüber nur die Kosten entsprechend diesen Vereinbarungen in Rechnung gestellt worden seien.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 23. August 2021 die Beiladung des Leistungserbringers bewirkt und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie den Antrag auf Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren mit Beschluss vom 24. Januar 2022 abgelehnt. Für den im einstweiligen Rechtsschutzverfahren maßgeblichen Zeitraum von Antragstellung bis zum 30. Juni 2021 habe die Ast. weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Zahlungsanspruch des Leistungserbringers sei akzessorisch zum Sozialhilfeanspruch des Leistungsberechtigten, wie dieser durch den im Grundverhältnis ergangenen Verwaltungsakt konkretisiert werde (§ 77a Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Zudem setzten Entstehen und Fälligkeit des unmittelbaren Zahlungsanspruchs gemäß § 75 Abs. 6 SGB XII zusätzlich voraus, dass auch der zivilrechtliche Entgeltanspruch bereits entstanden und fällig sei. Ein weitergehender Leistungsanspruch bestehe hier nicht, weil die Ast. selbst dem Beigeladenen aus keinem Rechtsgrund zur Zahlung eines höheren, die Hilfebedarfsgruppe 1 übersteigenden Entgelts verpflichtet sei. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe sei abzulehnen gewesen, weil der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.
Gegen den ihr am 23. März 2022 zugestellten Beschluss hat die Ast. nur in Bezug auf die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe am 6. April 2022 Beschwerde bei dem Sozialgericht eingelegt, die von dort an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt weitergeleitet worden ist. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, aus dem Austausch der Schriftsätze sei zu schlussfolgern, dass das Sozialgericht von der Möglichkeit eines Erfolges ausgegangen sei. Zudem sei die rechtliche Materie schwer.
Der Landeskasse und den Beteiligten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist jeweils Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Ast. hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das von ihr geführte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der Antrag hat mit dem von der Ast. gestellten Antrag zu keinem Zeitpunkt eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) geboten. Dies ist offenkundig, da, worauf das Sozialgericht die Ast. in einem Telefonat und schriftlich hingewiesen hat, die Feststellung der Hilfebedarfsgruppe in keinem für ein Gericht umsetzbaren Zusammenhang mit einer vorläufig zu leistenden Zahlung steht oder eine solche Zahlungspflicht ersetzt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass einer Leistungsvereinbarung für die Ast., d.h. im Einzelfall, gerade nicht die zwischen dem Beigeladenen und dem Sozialhilfeträger vereinbarten Leistungen und Vergütungen auf der Grundlage eines festgelegten Personalschlüssels zugrunde liegen. Im Übrigen bezieht sich der von der Ast. gestellte Antrag für eine einstweilige Anordnung nicht auf einen bestimmten Leistungserbringer.
Soweit die Ast. auf die Schwierigkeiten der rechtlichen Materie verweist, ist es gerade Sinn der Beiordnung eines rechtskundigen Bevollmächtigten, insbesondere durch gerichtliche Hinweise, eine zielführende Antragstellung zu ermöglichen. Unterbleibt diese, sind hinreichende Erfolgsaussichten nicht zu fingieren. Die Vielzahl der gewechselten Schriftsätze über einen längeren Zeitraum ist den vom Sozialgericht für notwendig erachteten Hinweispflichten im Rahmen von § 106 SGG geschuldet.
Geht man von einem von dem Antrag der Ast. losgelösten einstweiligen Rechtsschutz durch das Gericht im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs aus, hätten Ast. und Beigeladener zumindest die individuellen Berechnungskriterien für eine gerichtlich festzulegende vorläufige Zahlung mitteilen müssen. Auch daran fehlt es hier. Es wird zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen, die sich der Senat nach eingehender Prüfung zu eigen macht.
Die Ast. hat für sich ausweislich des vorgelegten Gesamtplanes als Teilhabeziele – neben dem Wunsch eines regelmäßigen Kontakts mit ihren Söhnen und einer intensiveren Betreuung in ihrer Wohnung – formuliert, sie wolle in ihrem Garten und im Spartenvorstand aktiv bleiben und einmal wöchentlich ehrenamtlich mit den Menschen für den Beigeladenen zu arbeiten. In sehr deutlichem Gegensatz hierzu stehen die von der Ast. beschriebenen körperlichen und kognitiven Einschränkungen. Aus dem Akteninhalt wird nicht deutlich, ob sich der Hilfebedarf primär an den Teilhabezielen oder der Bewältigung des Alltags vor dem Hintergrund der kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen orientiert. Entsprechende Feststellungen sind hier einem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Eine Gefährdung für Leib und Leben durch eine unzureichende Unterstützung der Ast. durch Leistungen der Eingliederungshilfe lässt sich den Akten nicht entnehmen und wird insbesondere durch den festgestellten Pflegegrad 1 nicht gestützt. Sollten sich zwischenzeitlich maßgebende Änderungen ergeben haben, wäre der Gesamtplan, der bisher der einzige Anknüpfungspunkt für das Begehren der Ast. ist, als solcher nicht mehr maßgebend.
Kosten sind nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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