Medizinrecht

Unfallversicherungsschutz als Arbeitssuchende

Aktenzeichen  S 18 U 169/17

Datum:
15.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 54622
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 14

 

Leitsatz

1. Kein Unfallversicherungsschutz als Arbeitssuchende besteht bei Bewerbungen und Vorstellungen auf eigene Initiative. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. War eine Verunfallte nicht in einer Tätigkeit als Kennenlern-Praktikantin tätig, sondern nur anlässlich eines Vorstellungsgesprächs im Unternehmen anwesend, besteht kein Unfallversicherungsschutz. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2017 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Die Klage wurde gemäß §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht zum sachlich und örtlich zuständigen SG A-Stadt (§§ 8, 51 Abs. 1 Nr. 3, 57 SGG) erhoben.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Unfall der Klägerin am 18.04.2017 ist nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Nach § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Körperschaden oder zum Tod führen. Die Verrichtung des Versicherten im Zeitpunkt des Unfalls muss der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang) und zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Unfallereignis, führen.
Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt keine den Versicherungsschutz begründende Tätigkeit nach § 2 oder § 3 SGB VII verrichtet hat.
Im Unfallzeitpunkt war es noch nicht zum Abschluss des Arbeitsverhältnisses gekommen, so dass für die Klägerin kein Versicherungsschutz als Beschäftigte der Fa. H. gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bestand.
Es bestand für die Klägerin auch kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII. Danach sind in der Unfallversicherung kraft Gesetzes Personen versichert, die nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen. Die Aufforderung muss im Zusammenhang mit den Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit stehen und es muss sich um eine konkrete Willensäußerung handeln, die erkennen lässt, dass die Arbeitsverwaltung ein bestimmtes Verhalten – die persönliche Vorsprache/Meldung – vom Arbeitslosen erwartet (Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 24.06.2003, B 2 U 45/02 R). Ausreichend für eine Aufforderung ist eine mit einer Bitte oder Empfehlung umschriebene Äußerung der Agentur für Arbeit, sofern der Eindruck vermittelt wird, dass das Erscheinen notwendig sei und erwartet werde.
Da die Klägerin bezüglich der fraglichen Stelle bei der Fa. H. keine Aufforderung durch die Agentur für Arbeit erhielt, konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Arbeitsverwaltung für diese konkrete Stelle eine Bewerbung von ihr erwarte. Vielmehr erfolgte die Bewerbung und letztlich auch die persönliche Vorstellung bei der Fa. H. auf eigene Initiative und im eigenen Interesse der Klägerin. Soweit die Klägerin vorträgt, dass eine erfolgreiche Stellensuche auch im Interesse der Agentur für Arbeit sei, so entspricht dies sicherlich den Tatsachen. Ein Versicherungsschutz über die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII kann daraus aber dennoch nicht hergeleitet werden. Nachdem jede erfolgreiche Stellensuche im Interesse der Agentur für Arbeit ist, könnte der Versicherungsschutz auf diese Weise unbegrenzt ausgeweitet werden. Der nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 versicherte Personenkreis wird im Speziellen dem Versicherungsschutz unterstellt, da diese Personen in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis stehen, aus dem sich konkrete Verpflichtungen ergeben (Riebel in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 2 SGB VII, Rz. 205). Soweit die Klägerin sich auf eigene Initiative bei der Fa. H. beworben und den Termin für das Vorstellungsgespräch wahrgenommen hat, erfolgte dies nicht auf Grundlage einer ihr konkret auferlegten Verpflichtung durch die Agentur für Arbeit und damit nicht im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses.
Ein Versicherungsschutz kann für die Klägerin auch nicht über § 3 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII i.V.m. § 52 der Satzung der Beklagten begründet werden. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII kann die Satzung bestimmen, dass und unter welchen Bedingungen Personen, die nicht im Unternehmen beschäftigt sind, aber die Stätte des Unternehmens besuchen oder auf ihr verkehren, gegen Arbeitsunfälle versichert sind, soweit sie dies nicht schon nach anderen Vorschriften sind.
Von dieser Ermächtigungsnorm hat die Beklagte Gebrauch gemacht und in § 52 Abs. 1 lit. b der Satzung den Versicherungsschutz auf „Teilnehmer an Besichtigungen des Unternehmens“ erstreckt. Dabei ist auf den Hauptzweck des Aufenthalts der Person im Unternehmen abzustellen. Unter einer Betriebsbesichtigung ist in der Regel eine vom Unternehmen organisierte Führung einer Gruppe von Interessierten zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 25.08.1994 – Az. 2 RU 32/93). Dementsprechend hätte der Hauptzweck des Aufenthalts der Klägerin auf dem Betriebsgelände der Fa. H. wesentlich auf die Besichtigung des Unternehmens bzw. der Lagerhalle in B. gerichtet sein müssen. Vorliegend verfolgte die Klägerin bei ihrem Aufenthalt auf dem Firmengelände aber andere Ziele. Soweit die Klägerin in einem zweistündigen Gespräch Fallkonstellationen vorgestellt bekam, zu denen sie eigene Lösungsvorschläge erörtern sollte, ist die Kammer zur Einschätzung gelangt, dass hierbei nochmals die Fähigkeiten und Kenntnisse der Klägerin abgefragt und durch den potentiellen Arbeitgeber getestet werden sollten. Dementsprechend befand sich die Klägerin in erster Linie in der Situation eines Vorstellungsgespräches. Damit verfolgte die Klägerin bei ihrem Besuch auf dem Betriebsgelände der Fa. H. eigene Interessen – vorrangig den Abschluss eines Arbeitsvertrages – wobei die Klägerin weitere Informationen zu den Konditionen des Arbeitsvertrages und zu den konkreten Arbeitsplatzbedingungen vor Ort einholen wollte. Die Besichtigung des Firmengeländes und auch des neuen Hochregallagers waren dagegen nach Auffassung des Gerichts nicht der Hauptzweck des Besuchs, sondern stellten nur einen Teil der dem Abschluss des Arbeitsverhältnisses dienenden Verhandlungen dar und hat damit keine eigenständige rechtliche Bedeutung.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass der Aufenthalt bei der Fa. H. vorrangig auf Veranlassung des potentiellen Arbeitgebers stattgefunden hat und dieser starkes Interesse an einer Mitarbeit der Klägerin hatte, so ist dieser Aspekt für die Begründung eines Versicherungsschutzes nicht relevant. Letztlich konnte die Klägerin frei entscheiden, ob sie dieses Angebot in Anspruch nimmt. Soweit die Klägerin selbst kein Interesse an der Stelle gehabt hätte, hätte sie den Termin nach Auffassung des Gerichts gar nicht wahrgenommen.
Die Beklagte hat den Versicherungsschutz gemäß § 52 Abs. 1 lit. f) ihrer Satzung weiter auf Praktikanten ausgeweitet. Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin kein Praktikum bei der Fa. H. absolviert. Zwar wurde eine auf den 18.04.2017 datierte „Kennenlern-„Praktikums-Vereinbarung vorgelegt. Allein aufgrund der Bezeichnung als „Praktikum“ kann aber kein Versicherungsschutz begründet werden. Vielmehr ist auf die tatsächlichen Verhältnisse am Unfalltag abzustellen. Die Klägerin hat im Rahmen der Erstangaben beim Durchgangsarzt am Unfalltag sowie bei einem Telefonat wenige Tage später gegenüber der Beklagten als Anlass des Besuches auf ein „Vorstellungsgespräch“ abgestellt. Von einem Praktikum war nicht die Rede. Ein Praktikum soll grundsätzlich eine Gelegenheit bieten, für eine begrenzte Zeit in einer Firma zu arbeiten, um Berufserfahrung zu sammeln oder diese zu ergänzen. Damit ist grundsätzlich eine Voraussetzung, dass der Praktikant tatsächlich im Unternehmen mitarbeitet und selbst Tätigkeiten übertragen bekommt, die er eigenständig oder unter Aufsicht erledigt. Nach der vorgelegten Vereinbarung bestand für die Klägerin gerade keine Arbeitspflicht im Unternehmen der Fa. H.. Auch hat die Klägerin selbst in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass sie am Unfalltag keine Tätigkeiten übernommen habe. Die typischen Merkmale eines Praktikums sind damit nicht erfüllt.
Eine den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 SGB VII begründende Tätigkeit lag nicht vor. Damit konnte die Klage keinen Erfolg haben.
II.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 183 Abs. 1, 193 SGG.


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