Medizinrecht

Ungeeignetes ärztliches Gutachten

Aktenzeichen  M 26 S 15.5410

Datum:
13.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 2
VwGO VwGO § 80 Abs. 3

 

Leitsatz

1 § 80 Abs. 3 VwGO erfordert nicht, wenn bei wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, dass die Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung auf den konkreten Sachverhalt zutrifft. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Behörde kann eine Fahrerlaubnis entziehen, wenn ein zu Recht gefordertes ärztliches Gutachten iSd § 11 FeV nicht fristgerecht vorgelegt wurde. Dies gilt auch, wenn das vorgelegte ärztliche Gutachten nicht den Anforderungen des § 11 Abs. 2 FeV entspricht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S.
Aufgrund einer Anfrage des Amtsgerichts A. vom … Dezember 2014 in einer Strafsache gegen die Antragstellerin zu fahrtauglichkeitsrelevanten Erkenntnissen, die Rückschlüsse auf die Reise- und Verhandlungsfähigkeit der Antragstellerin zulassen, erhielt der Antragsgegner Kenntnis von einem ärztlichen Attest des Dr. A. …, Facharzt für Neurologie am …Zentrum B./…Zentrum C., vom … Mai 2013, wonach die Antragstellerin, die seit Juli 2012 ambulant neurologisch mitbehandelt werde, seit ihrem … Lebensjahr an einer pharmako-resistenten Epilepsie leide, aufgrund der sie auf absehbare Zeit nicht verhandlungsfähig sei. Das Attest war dem Amtsgericht mit anwaltlichem Schreiben vom … September 2014 und dem darin enthaltenen Hinweis übersandt worden, dass sich der Zustand nach Auskunft der Antragstellerin nach wie vor nicht gebessert habe.
Mit Schreiben vom … Juli 2015, welches in der Anschrift der Antragstellerin die Postleitzahl … für D. an Stelle von … für den Ortsteil E. aufwies, forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zur Vorlage eines Gutachtens eines Arztes bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung bis spätestens … September 2015 zu der Fragestellung auf, ob bei ihr eine Erkrankung nach Nr. 6.6 (Epilepsie) der Anlage 4 zur FeV vorliege, die die Fahreignung in Frage stelle und falls ja, ob sie trotzdem in der Lage sei, den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 gerecht zu werden. Für den Fall einer regelmäßigen Medikation infolge dieser Erkrankung sei ergänzend dazu Stellung zu nehmen, ob die verordneten Medikamente auch bei bestimmungsgemäßer Einnahme dazu geeignet seien, die psychische Leistungsfähigkeit herabzusetzen und hierzu eine weitere Untersuchung (psychologisches Testverfahren) erforderlich sei. Auch der Frage der Fahrerlaubnis unter Auflagen und Beschränkungen sowie der Erforderlichkeit von Nachuntersuchungen sei nachzugehen. Der Postzustellungsurkunde zu Folge wurde das Schreiben am … Juli 2015 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt.
Mit Schreiben vom … September 2015 teilte die Antragstellerin mit, dass ihr von der …-kasse des Landratsamtes Miesbach eine Kostenmahnung zugesandt worden sei. Sie habe jedoch den dort erwähnten Bescheid bezüglich eines ärztlichen Gutachtens nicht erhalten. Die Adresse des an sie adressierten Schreibens sei falsch.
Mit Schreiben vom … September 2015 übersandte der Antragsgegner eine Kopie der Gutachtensanordnung und verwies auf die beurkundete Zustellung.
Mit Schreiben vom … September 2015, ausweislich der Postzustellungsurkunde durch Niederlegung zugestellt am … September 2015, hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an.
Mit Schreiben vom … September 2015, dem Antragsgegner zugegangen am … September 2015, teilte die Antragstellerin mit, dass Gelegenheit gegeben werde, die Fahrerlaubnisakte an Herrn Dr. D. …, einen Verkehrsmediziner mit …jähriger Gutachtertätigkeit beim TÜV., zu senden. Die Antragstellerin werde sich dort am … Oktober 2015 einer Begutachtung unterziehen und „notfalls“ ein Privatgutachten erstellen lassen. Es sei auch bereits ein Neurologe eingebunden worden, was bei dieser Erkrankung nach den „neuesten BASt-Vorschriften“ unbedingt erforderlich sei. Mit Schreiben vom … September 2015 bat die Antragstellerin um Fristverlängerung hinsichtlich der Vorlage des ärztlichen Gutachtens und erläuterte dieses Begehren sowie die Wahl des von ihr benannten Gutachters. Telefonische Rücksprachen mit von Antragsgegnerseite vorgeschlagenen Gutachterstellen hätten ergeben, dass diese ein Gutachten bei der Erkrankung der Antragstellerin nicht erstellen könnten. Der benannte Gutachter sei von der Antragstellerin gewählt worden, da er sich im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten bewege. Ihrer Tätigkeit im Immobilienwesen gehe die Antragstellerin auf Provisionsbasis nach. Bis zum Nachweis eines Verdienstes beziehe sie Grundsicherung.
Mit Schreiben vom … Oktober 2015 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass der von ihr benannte Arzt nicht dem festgelegten Kreis der Gutachter aus der Gutachtensanordnung vom … Juli 2015 entspreche und von einer Übersendung der Unterlagen daher abgesehen werde. Ein Privatgutachten werde zurückgewiesen. Erfahrungsgemäß bereite es den Begutachtungsstellen für Fahreignung keine Schwierigkeiten, Begutachtungen zu Erkrankungen nach Anlage 4 zur FeV durchzuführen.
Mit Schreiben vom … Oktober 2015 übersandte die Antragstellerin ein „Fachärztliches Attest“ des Dr. B. …, Universitätsklinikum F., Neurologische Klinik mit Poliklinik vom … Juli 2011 und ein „Fachärztliches Gutachten“ des Dr. C. …, Facharzt für Neurologie, vom … Juli 2015, die beide die Fahreignung der Antragstellerin bestätigen. Außerdem wird jeweils ausgeführt, dass die Medikation mit Keppra und Vimpat keine Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit der Antragstellerin habe und dass die jeweiligen Aussagen Gültigkeit hätten, solange sich das Krankheitsbild nicht gravierend ändere.
Internetrecherchen des Antragsgegners zu Dr. B. … ergaben, dass dieser zum Zeitpunkt der Ausstellung des vorgelegten Attests vom … Juli 2011 in G. und nicht in F. tätig war. Herr Dr. B. teilte dem Antragsgegner telefonisch am … Oktober 2015 auf dessen in anonymisierter Form vorgenommene schriftliche Anfrage vom … Oktober 2015 hin mit, dass er sich das Attest nicht erklären könne, da er seit Anfang 2010 in G. als Oberarzt tätig sei. Die Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners erstattete hierauf bei der Polizei Anzeige wegen Fälschung eines Gesundheitszeugnisses bzw. Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses.
Mit der Antragstellerin am … November 2015 mit Postzustellungsurkunde zugestelltem Bescheid vom … November 2015 entzog der Antragsgegner der Antragstellerin die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen B, L, M und S (Nr. 1 des Bescheids), forderte die Abgabe des Führerscheins innerhalb von drei Tagen nach Zustellung des Bescheids (Nr. 2), drohte für den Fall der nicht rechtzeitigen Abgabe des Führerscheins ein Zwangsgeld von a. EUR an (Nr. 3) und ordnete unter Nr. 4 die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Schluss auf die Nichteignung der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 11 Abs. 8 FeV gerechtfertigt sei, da sie das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beigebracht habe. Die Gutachtensanordnung sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erfolgt. Auch die Festlegung des Kreises der Gutachter stehe im Auswahlermessen der Behörde. Die Echtheit des vorgelegten Attests vom … Juli 2011 stehe in Frage. Das ärztliche Gutachten vom … Juli 2015 entspreche als Privatgutachten nicht den Anforderungen aus der Anordnung vom … Juli 2015. Es stehe hinsichtlich der Angabe zur Medikation seit 2010 auch im Widerspruch zur noch am … Mai 2013 attestierten pharmako-resistenten Epilepsie. Die Eignungszweifel seien daher nicht ausgeräumt.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2015, zugegangen am selben Tag, erhob der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid vom … November 2015 (M 26 K 15.5409) und stellte außerdem den Antrag,
die sofortige Vollziehung im Bescheid vom … November 2015 bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Angelegenheit aufzuheben.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Antragstellerin mit der Infragestellung der Echtheit des Attests vom … Juli 2011 Urkundenfälschung unterstellt werde. Insoweit behalte man sich alle Rechte gegenüber dem behördlichen Sachbearbeiter vor. Es sei zu rügen, dass das ärztliche Gutachten vom … Juli 2015 unberücksichtigt geblieben sei. Dieses stamme immerhin von einem Neurologen und betreffe eine Verkehrsteilnehmerin, die seit a. Jahren eine Fahrerlaubnis besitze, zu der keine Punkte in Flensburg geführt würden und die unter als merkwürdig zu bezeichnenden Umständen in den Fokus der Fahrerlaubnisbehörde gelangt sei. Mit Schriftsatz vom … Dezember 2015 überreichte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Faxkopie eines Arztberichtes vom … August 2009 seitens des Universitätsklinikums F. (Dr. B. …, PD Dr. D. …) zum Nachweis der Fahrgeeignetheit der Antragstellerin. Das Universitätsklinikum F. sei als größte Epilepsie-Ambulanz bekannt. Angesichts der eindeutig zugunsten der Antragstellerin sprechenden medizinischen Sachlage bestünden Gründe, von der sofortigen Vollziehung der behördlichen Entscheidung abzusehen. Die Antragstellerin habe bereits unter der streitigen Krankheit ihren Führerschein gemacht und sei im Straßenverkehr unauffällig geblieben. Sie arbeite in der Immobilienbranche als A., erstelle Exposés, mache Fotos vor Ort, führe Besichtigungen durch und besuche Schulungen der kooperierenden Fertighausfirmen. Medizinisch sei von Bedeutung, dass bei der Antragstellerin lediglich einfach-fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörungen vorlägen und im EEG, das die Antragstellerin regelmäßig durchführen lasse, sowie in MRTs noch nie Auffälligkeiten gesehen worden seien.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2015 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verwies er auf die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens vom … Juli 2015 und den Bescheid vom … November 2015. Das Vorbringen des Bevollmächtigten der Antragstellerin in den gerichtlichen Verfahren führe zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ersetzten nicht das zur Beurteilung der Kraftfahreignung geforderte Gutachten eines Arztes bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung. Die darin enthaltenen Angaben stünden zudem im Widerspruch zum Attest des Dr. A. … vom … Mai 2013. Es könne offenbleiben, ob das Schreiben des Universitätsklinikums F. vom … August 2009 in Anbetracht des für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkts der letzten Behördenentscheidung berücksichtigt werden könne. Jedenfalls ersetze es ebenfalls nicht das angeordnete Gutachten.
Mit Beschluss vom … Januar 2016 wurde der Rechtsstreit auf die Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 26 K 15.5409 sowie auf die vorgelegte Behördenakte ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag, der gemäß § 88 VwGO dahingehend zu verstehen ist, dass die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom … Dezember 2015 gegen die in Nr. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom … November 2015 enthaltenen Regelungen (zur Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Abgabeverpflichtung hinsichtlich des Führerscheins s. BayVGH, B. v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris) sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der in Nr. 3 verfügten Zwangsgeldandrohung (s. Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG) begehrt, ist zulässig. Eine Abgabe des Führerscheins von Seiten der Antragstellerin ist weder der Behördenakte noch den von den Beteiligten im Laufe des gerichtlichen Verfahrens eingereichten Schriftsätzen zu entnehmen.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage war in Bezug auf die in Nr. 4 des Bescheids vom … November 2015 angeordnete sofortige Vollziehung hinsichtlich der Nr. 1 und 2 des Bescheids nicht wiederherzustellen und hinsichtlich der Nr. 3 nicht anzuordnen.
2.1. Der Antragsgegner hat das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug im vorliegenden Fall ausreichend einzelfallbezogen im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO begründet (zu den Anforderungen Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Zwar bedarf es regelmäßig der Darlegung besonderer Gründe, die über die Gesichtspunkte hinausgehen, die den Verwaltungsakt selbst rechtfertigen. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verpflichtet die Behörde aber nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Sachverhalt zutrifft. Gerade dann, wenn wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, diese Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch die Fälle des Fahrerlaubnisentzugs wegen fehlender Fahreignung gehören. Denn es liegt in der Regel auf der Hand, dass die Teilnahme eines für ungeeignet erachteten Kraftfahrers am Straßenverkehr zu erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer führt, und dass ein solcher Kraftfahrer zur Vermeidung der von ihm ausgehenden akuten Gefahr durch die Anordnung des Sofortvollzugs des Entziehungsbescheids schnellstmöglich von der weiteren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen ist (BayVGH, B. v. 10.8.2011 – 11 CS 11.1271 – juris Rn. 6, B. v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16).
2.2. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Grundlage dieser Entscheidung ist eine Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs zu berücksichtigen sind (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 72 ff.).
Hier überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners, da die Klage der Antragstellerin nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die persönlichen Interessen der Antragstellerin – auch solche beruflicher Art – müssen deshalb hinter den Interessen der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurücktreten.
2.2.1. Nr. 1 des Bescheids ist rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (s. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der der letzten Behördenentscheidung, hier also wegen der unmittelbaren Klageerhebung der des Erlasses bzw. der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids vom … November 2015 (BayVGH, B. v. 4.12.2012 – 11 ZB 12.2267 – juris).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, wenn sich der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Fahrerlaubnisbehörde darf auf die Nichteignung einer Person zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, wenn diese ein zu Recht gefordertes Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hat (§ 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Dieser Schluss ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (BVerwG, U. v. 9.6.2005 – 3 C 25.4 – BayVBl. 2006, 129).
Das erkennende Gericht sieht im vorliegenden Fall diese Voraussetzungen als erfüllt an. Der Antragsgegner hat in der Gutachtensanordnung vom … Juli 2015 zutreffend die für die Zweifel an der Fahreignung der Antragstellerin relevanten Tatsachen berücksichtigt und benannt. Das in § 11 Abs. 2 FeV der Fahrerlaubnisbehörde eingeräumte Ermessen hat er erkannt und rechtsfehlerfrei ausgeübt. Es wurde in zulässiger Weise bestimmt, durch welche Stelle das Gutachten zu erstellen sei (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV). Die Gutachtensanordnung enthält zulässige Fragestellungen zu der bei der Antragstellerin in Frage kommenden Krankheit (Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV). Ein hinreichender Grund zur Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens bestand nicht. Die Frist zur Vorlage war ausreichend lang bemessen. Die Gutachtensanordnung enthielt auch den erforderlichen Hinweis nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV.
Die vom Amtsgericht A. übermittelte Kopie eines ärztlichen Attestes des Dr. A. … über eine bei der Antragstellerin seit deren … Lebensjahr bestehende pharmako-resistente Epilepsie, auf das sich der Antragsgegner in seiner Gutachtensanordnung vom … Juli 2015 bezogen hat, bot ausreichenden Anlass zur Überprüfung der Fahreignung der Antragstellerin im Hinblick auf Nr. 6.6 (Epilepsie) der Anlage 4 zur FeV. Bei Vorliegen einer Epilepsieerkrankung besteht nur ausnahmsweise Fahreignung in Bezug auf die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1. Epilepsien sind komplexe Erkrankungen des Gehirns mit dem Leitsymptom epileptischer Anfälle. Diese gehen häufig mit Störungen des Bewusstseins und der Motorik einher, treten in aller Regel spontan, plötzlich und unvorhersehbar auf und können willentlich nicht unterdrückt werden. Hierdurch ist der Betroffene nicht mehr in der Lage, jederzeit ein Kraftfahrzeug sicher zu führen (s. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Heft M 115, Stand 1.5.2014, S. 29 ff.). Soweit – was auch in Anbetracht der Attestierung einer pharmako-resistenten Epilepsie von der Fahrerlaubnisbehörde nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden konnte (die Antragstellerin nimmt den von ihr später vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen zu Folge tatsächlich Epilepsiemedikamente ein) – die angeordnete ärztliche Begutachtung die regelmäßige Einnahme von Medikamenten in Folge der Erkrankung ergeben hätte, wäre auch zu Recht der Frage nachzugehen gewesen, ob sich dies im Fall der Antragstellerin auf deren Leistungsfähigkeit auswirken kann und weitergehende Untersuchungen nötig sind (vgl. auch Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV). Die zur Behandlung einer Epilepsie eingesetzten Medikamente können aufgrund von Nebenwirkungen negative Einflüsse auf die Fahreignung haben (s. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung a. a. O.). Es bestand zudem Anlass zu klären, inwieweit Nachuntersuchungen erforderlich sein würden (s. Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV unter Beschränkungen/Auflagen bei bedingter Eignung).
§ 11 Abs. 2 Satz 3 FeV gibt den Fahrerlaubnisbehörden die Befugnis, dem Pflichtigen verbindlich vorzugeben, von welcher der in dieser Bestimmung aufgeführten Art von Ärzten ein beizubringendes Gutachten erstellt werden muss (s. hierzu BayVGH, B. v. 17.10.2014 – 11 CS 14.1646 – juris Rn. 14 m. w. N.). Von dem ihm insoweit zustehenden Auswahlermessen hat der Antragsgegner in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass die Bestimmung, die Begutachtung durch einen Arzt bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vornehmen zu lassen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), mit Blick auf die Art der Eignungsbedenken nicht von sachlichen Erwägungen getragen oder gar willkürlich wäre, bestehen nicht. Es ist insbesondere auch nicht ersichtlich, dass aufgrund der vorliegenden Fragestellung zur Erkrankung Epilepsie nur ein fachlich zuständiger Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV als Gutachter in Frage kam. Soweit bei der Begutachtung durch einen Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 zur FeV erfüllt, spezielle fachärztliche Fragen zu beantworten sind, wäre dies – etwa durch die Einholung von Vor- und/oder Fremdbefunden – durch den Gutachter sicherzustellen (vgl. Anlage 4a zur FeV sowie Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, a. a. O. S. 8 f.).
Bezogen auf den hier anzunehmenden Zeitpunkt des Zugangs der Gutachtensanordnung am … Juli 2015 setzte der Antragsgegner gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV auch eine ausreichend lang bemessene Frist von über 2 Monaten, innerhalb der das geforderte Gutachten von der beauftragten Gutachterstelle hätte erstellt werden können. Das Gericht hat im summarischen Verfahren keine Zweifel an einem Zugang der Gutachtensanordnung vom … Juli 2015 am … Juli 2015, nachdem trotz der falschen Angabe der Postleitzahl für D. für den zur Gemeinde D. gehörenden Ortsteil E. in der Anschrift ausweislich der Postzustellungsurkunde die Zustellung an diesem Tag durch Einlegung des Schriftstücks in den zur Wohnung der Antragstellerin gehörenden Briefkasten erfolgte (s. Art. 3 Abs. 2 VwZVG i. V. m. § 180 ZPO). Der Tag der Zustellung steht durch den Inhalt der Zustellungsurkunde fest. Diese erbringt gemäß § 418 i. V. m. § 182 Abs. 1 S. 2 ZPO den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Der Beweiswert der Zustellungsurkunde als öffentlicher Urkunde i. S. d. § 418 Abs. 1 ZPO ist allein aufgrund der fälschlichen Verwendung der Postleitzahl für D. statt der für den Ortsteil E. nicht erschüttert (s. auch § 182 Abs. 2 ZPO, § 418 Abs. 2 ZPO).
Die Antragstellerin hat bis zum Ende des Verwaltungsverfahrens kein Gutachten im Sinne der Anordnung vom … Juli 2015 vorgelegt.
Das von der Antragstellerin übermittelte „Fachärztliche Gutachten“ des Dr. C. … vom … Juli 2015 genügt den Anforderungen der Gutachtensanordnung vom … Juli 2015 nicht. Vielmehr kann es unter Berücksichtigung der Vorkorrespondenz zwischen Antragstellerin und Antragsgegner sogar als endgültige Weigerung angesehen werden, sich entsprechend der Gutachtensanordnung von einem Arzt einer Begutachtungsstelle für Fahreignung untersuchen zu lassen (vgl. § 11 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 FeV). Herr Dr. C. entspricht nicht dem Kreis der vom Antragsgegner festgelegten Gutachter. Er erfüllt nicht einmal die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV und ist ausweislich des Gutachtens behandelnder Arzt (s. § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV). Außerdem ist das Gutachten auch nicht im Rahmen des Verwaltungsverfahrens unter Einbeziehung der Fahrerlaubnisakte zu Stande gekommen und lässt nicht erkennen, inwieweit die behördliche Fragestellung berücksichtigt wurde (s. Nr. 1a) der Anlage 4a zur FeV). Würde man von der Richtigkeit des Vortrags der Antragstellerin ausgehen, wonach sie erst mit der Übersendung der Kopie der Gutachtensanordnung mit Schreiben vom … September 2015 Kenntnis von dieser erhalten haben will, könnte das Gutachten des Herrn Dr. C. vom … Juli 2015 nicht einmal zeitlich auf die Gutachtensanordnung vom … Juli 2015 bezogen sein. In diesem Fall würde sich allerdings auch die hier nicht zu beantwortende Frage stellen, was die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt veranlasst haben könnte, ein Gutachten zu ihrer Fahreignung erstellen zu lassen. Das lediglich als Privatgutachten anzusehende Gutachten des Herrn Dr. C. beantwortet die Fragen des Antragsgegners ausgehend von den das Verwaltungsverfahren anstoßenden Hinweisen auf eine Epilepsieerkrankung im Übrigen auch nicht schlüssig und nachvollziehbar. Das im Gutachten attestierte Vorliegen einer seit b. Jahren mit Keppra a. mg und Vimpat b. mg medikamentös behandelten kryptogenen Epilepsie mit seit mehreren Jahren bestehenden einfachen fokalen epileptischen Anfällen und letztmalig in den Jahren 2006 und 2010 im Rahmen von Medikamentenumstellungen aufgetretenen sekundär komplex-fokalen oder tonisch-klonischen Anfällen, die die Fahreignung nicht in Frage stelle, ist nicht vereinbar mit dem Attest des Dr. A. vom … Mai 2013. Nach diesem liege bei der Antragstellerin eine pharmako-resistente Epilepsie vor, die sogar ihre Verhandlungsunfähigkeit bedinge. Die Antragstellerin müsste sich demnach zumindest zum Zeitpunkt der Attestierung im Jahr 2013 in einem krankheitsbedingten Zustand befunden haben, der es ihr unmöglich machte, ihre Interessen in und außerhalb der strafgerichtlichen Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen (s. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7.3.1995 – 2 BvR 1509/94 – juris).
Die von der Antragstellerin im Übrigen vorgelegten weiteren Atteste oder Arztbriefe waren gleichsam nicht geeignet, die Gutachtensanordnung vom … Juli 2015 zu erfüllen. Auf die vorstehenden Ausführungen zum Kreis der Gutachter kann verwiesen werden. Die Atteste sind zudem ausweislich der in ihnen vermerkten Daten deutlich älter als die Gutachtensanordnung und sogar älter als das Attest des Dr. A. vom … Mai 2013, dem folglich die aktuellere – im Übrigen mit den Attesten auch nicht ohne weiteres vereinbare – Einschätzung des Gesundheitszustandes der Antragstellerin zu entnehmen ist.
Tragfähige Gründe dafür, dass das von Antragsgegnerseite geforderte Gutachten nicht vorgelegt wurde, sind nicht ersichtlich. Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin im Verwaltungsverfahren das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel für die Beauftragung einer Begutachtungsstelle anspricht. Finanzielles Unvermögen begründet die Verweigerung der Begutachtung im Regelfall nicht (BayVGH, B. v. 12.10.2006 – 11 CS 05.1897 – juris Rn. 23 m. w. N.). Besondere Umstände, die es der Antragstellerin unzumutbar machten, die Kosten des Gutachtens aus eigenen Mitteln oder mit fremder Hilfe aufzubringen, wurden schon nicht substantiiert dargelegt.
2.2.2. Die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids (Abgabe des Führerscheins) ist ebenfalls rechtmäßig. Sie ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 FeV. Gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids sind Einwände weder erhoben worden, noch begegnet sie sonst Bedenken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i. V. m. den Empfehlungen in den Nr. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand November 2013).


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