Medizinrecht

Verbot einer Ersatzversammlung

Aktenzeichen  AN 4 S 21.00102

Datum:
15.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 788
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8
GRCh Art. 11, Art. 12
BayVersG Art. 15
11. BayIfSMV § 7

 

Leitsatz

1. Allein aufgrund der Übereinstimmung bzw. Vergleichbarkeit der Themen verschiedener Versammlungen kann nicht ohne weiteres auf die Zugehörigkeit des Veranstalters oder der Versammlungsteilnehmer zu einer bestimmten Gruppe geschlossen werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sofern eine Versammlung in erkennbarem Zusammenhang zu früheren Versammlungen steht, kann der Gefahrenprognose insofern auch das Verhalten der dortigen Versammlungsteilnehmer zugrunde gelegt werden. Eine Gefahrenprognose ist nicht bereits deswegen zu beanstanden, weil sie auf Erfahrungen mit früheren Versammlungen abstellt, die nicht vom Anmelder der in Rede stehenden Versammlung veranstaltet werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller zeigte gegenüber dem Landratsamt …am 12. Januar 2021 die für den 17. Januar 2021 geplante Versammlung „Coronoia 2020. Nie wieder mit uns. Wir stehen heute auf! Wir bestehen auf die ersten 20 Artikel unserer Verfassung. Wir bestehen auf Beendigung des Notstands-Regimes. Frieden, Freiheit keine Diktatur“ an. Die beabsichtigte Veranstaltung sei ortsfest auf dem Festplatz …von 17:00 bis 20:00 Uhr, die erwartete Teilnehmerzahl betrage 199.
Das Landratsamt … erließ am 14. Januar 2021 folgenden Bescheid:
„Die angezeigte Veranstaltung unter freiem Himmel am 17.01.2021 von 17:00 bis 20:00 Uhr am Festplatz … mit dem Versammlungsthema „Coronoia 2020. Nie wieder mit uns. Wir stehen heute auf! Wir bestehen auf die ersten 20 Artikel unserer Verfassung. Wir bestehen auf Beendigung des Notstands-Regimes. Frieden, Freiheit keine Diktatur“ wird verboten.“
Zur Begründung wird auf den Bescheid verwiesen.
Der Antragsteller ließ durch seine Bevollmächtigten mit einem am 15. Januar 2021 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen Schriftsatz seiner Bevollmächtigten beantragen,
„Es wird beantragt, bezüglich der für den 17.01.2021 von 17 Uhr bis 20 Uhr auf dem Festplatz … (…) in …angemeldeten Versammlung mit dem Thema „Coronoia 2020. Nie wieder mit uns. Wir stehen heute auf! Wir bestehen auf die ersten 20 Artikel unserer Verfassung. Wir bestehen auf Beendigung des Notstands-Regimes. Frieden, Freiheit keine Diktatur“ die aufschiebende Wirkung des noch einzulegenden Rechtsbehelfs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.01.2021 (Az. 31-134-2021-Coronoia2020-SA) herzustellen.“
Zur Begründung wird ausgeführt, das Verbot verstoße insbesondere gegen Art. 8 GG und Art. 12 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Die Rechte aus der EUGrundrechte-Charta seien anwendbar, weil die Versammlung einen grenzüberschreitenden Bezug habe. Da die Corona-Beschränkungen in allen EU-Mitgliedsstaaten parallel verliefen, kämen zu jeder Demonstration und Versammlung gegen Corona-Beschränkungen zahlreiche EUAusländer. Vorliegend würden auch Initiativen aus der Schweiz und Frankreich einladen, was sich auch aus der Werbung für die Veranstaltung ergebe.
Die Verbotsverfügung sei damit unionsrechtswidrig und es komme auf die Frage einer möglichen Rechtfertigung nicht an, da der Wesensgehalt konterkariert werde. Die unmittelbare Gefahr eines Schadenseintritts müsse zwingend von der Versammlung selbst ausgehen, was vom Antragsgegner verkannt werde.
Die Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid wurde am 15. Januar 2021 eingelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage kraft Gesetzes – wie vorliegend gemäß Art. 25 BayVersG – entfällt, diese ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der es zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abwägt. Wesentliches – aber nicht alleiniges – Kriterium für die Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ergibt die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Prüfung, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich Erfolg hat, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 VwGO). Erweist sich der Verwaltungsakt hingegen als voraussichtlich rechtmäßig und das Hauptsacheverfahren damit als voraussichtlich erfolglos, überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, dem der Gesetzgeber in Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO generell den Vorrang eingeräumt hat, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände des Einzelfalls eine abweichende Entscheidung rechtfertigen (vgl. zu allem BayVGH, B.v. 23.2.2012 – 14 CS 11.2837 – juris Rn. 38; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 146, 152 f., 158 f.).
2. Bei summarischer Prüfung wird die Anfechtungsklage des Antragstellers voraussichtlich keinen Erfolg haben, da das streitgegenständliche Versammlungsverbot rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Soweit die Bevollmächtigte des Antragstellers einwendet, dass es sich bei der Annahme der Behörde, die vorliegende Veranstaltung sei eine Ersatzveranstaltung für andere Versammlungen, um eine reine Vermutung handele, die Behörde sich nicht ansatzweise mit Gegenindizien beschäftigt habe, es mit dem Antragsteller noch keine negativen Erfahrungen gegeben habe und aus dem Verhalten der Teilnehmer anderer Versammlungen keine negative Prognose für die streitgegenständliche Versammlung gezogen werden können, ist mit der Bevollmächtigten davon auszugehen, dass allein aufgrund der Übereinstimmung bzw. Vergleichbarkeit der Themen verschiedener Versammlungen nicht ohne weiteres auf die Zugehörigkeit des Veranstalters oder der Versammlungsteilnehmer zu einer bestimmten Gruppe geschlossen werden kann. Es ist gerade Inhalt der Versammlungsfreiheit, das Thema frei wählen und auch bewusst inhaltliche Kritik an Hoheitsträgern üben zu dürfen.
Es kann dahinstehen, ob sich der Antragsteller selbst zum Kreis der sogenannten Querdenker zählt oder insoweit bereits negativ in Erscheinung getreten ist, da ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Teilnehmerkreis der streitgegenständlichen Versammlung voraussichtlich größtenteils aus Anhängern der sogenannten Querdenken-Bewegung zusammensetzen wird, da es sich bei der streitgegenständlichen Versammlung um eine Ersatzveranstaltung für die am 17. Januar 2021, 17:00 bis 19:30 Uhr vom Antragsteller in …angemeldete und mittlerweile verbotene Versammlung handelt, welche wiederum in einer Reihe anderer Versammlungen stehen sollte, die von Querdenkern besucht wurden.
Dies ergibt sich bereits aus dem vom Antragsteller auf seiner Facebook-Seite geteilten Flyer folgenden Inhalts: „…ist verboten! Wir sind flexibel! auf nach …! bei … (…) Kundgebung Sonntag, 17.1.2021 17:00 Uhr 90547 … – Festplatz“. Überschrieben ist dieser Post mit „Die Stadt …hat die Versammlung am 17.01.2021 in …verboten unter dem Motto Söder wir kommen wieder und wir sind viele. Darum hat … Bayern eine Versammlung in … bei … angemeldet“. Damit stellt der Antragsteller selbst einen eindeutigen Bezug zur verbotenen Versammlung am 17. Januar 2021 in …her und fordert diejenigen Personen, die an der Versammlung in … teilnehmen wollten, zu einer Teilnahme an der streitgegenständlichen Versammlung in … auf.
Bei lebensnaher Auslegung ist zu erwarten, dass sich der Teilnehmerkreis der Versammlung in … in nicht unerheblichem Umfang mit demjenigen der Versammlung vom 3. Januar 2021 decken wird.
Dies fördert der Antragsteller selbst durch seinen Facebook-Post vom 12. Januar 2021, in dem er auf die Versammlung am 3. Januar 2021 in … Bezug nimmt („03.01.2021 war ein Toller Erfolg“). Am 3. Januar 2021 wurde eine Versammlung in …zum Thema „Freiheit, Frieden und Menschenrechte“ angemeldet, die auf der Facebook-Seite von Querdenken911 beworben wurde. Diese Versammlung wurde von der Stadt …verboten. Daraufhin rief die Vereinigung „Schüler/innen gegen Maskenpflicht“ dazu auf, an einer genehmigten Versammlung am selben Tag auf dem* … in … teilzunehmen. Statt der üblichen ca. 50 Teilnehmer kamen ca. 300 Teilnehmer. Auf dieser Versammlung kam es zu zahlreichen Verstößen gegen infektionsschutzrechtliche Schutzmaßnahmen sowie zu Widerstandshandlungen gegenüber der Polizei.
Des Weiteren wird in derselben Telegramgruppe Werbung für die streitgegenständliche Versammlung gemacht, in der bereits die Versammlung am 3. Januar 2021 in …beworben wurde. Dort werden auch Busreisen, andere Mitfahrgelegenheiten und Übernachtungsmöglichkeiten für die streitgegenständliche Versammlung angeboten. Der Antragsteller ist einer der vier Administratoren dieser Gruppe, die aktuell 2.971 Teilnehmer umfasst.
Weil die streitgegenständliche Versammlung somit in erkennbarem Zusammenhang zu den früheren Versammlungen der Querdenken-Bewegung, z.B. am 3. Januar 2021 in …steht, kann insofern auch das Verhalten der dortigen Versammlungsteilnehmer der hiesigen Prognose zugrunde gelegt werden. Eine Gefahrenprognose ist nicht bereits deswegen zu beanstanden, weil sie auf Erfahrungen mit früheren Versammlungen abstellt, die nicht vom Anmelder der in Rede stehenden Versammlung veranstaltet worden waren. Vielmehr können für eine Gefahrenprognose durchaus Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Orientierungssatz 2).
Für die gerichtliche Überprüfung des Streitstoffes im Rahmen des Eilverfahrens können vordringlich nur die Einwände berücksichtigt werden, die von dem Rechtsschutzsuchenden selbst vorgebracht werden, es sei denn, dass sich andere Einwände bei summarischer Prüfung als offensichtlich aufdrängen. Weitere Gegenindizien als die Unbescholtenheit des Antragstellers hat die Bevollmächtigte nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
b) Soweit in der Antragschrift weiter geltend gemacht wird, dass das Versammlungsverbot ultima ratio sei und mildere Mittel zur Verfügung stünden, um das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zu schützen (Einhalten von Abständen, Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen, polizeiliches Einschreiten bei Verstößen dagegen), ist die Einhaltung solcher infektionsschutzrechtlichen Schutzmaßnahmen durch die Versammlungsteilnehmer gerade nicht zu erwarten. Dies kann aus den zahlreichen Erfahrungen anderer Versammlungen der Querdenken-Bewegung in ganz Deutschland, welche im streitgegenständlichen Bescheid aufgezählt werden, gefolgert werden.
c) Die Grundrechte nach Art. 11 und 12 GRCh gewähren keinen über Art. 5 und 8 GG hinausgehenden Schutz. Durch eine Prüfung am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes wird das Schutzniveau der GRCh regelmäßig mitgewährleistet. Getragen ist die Vermutung von einer übergreifenden Verbundenheit des Grundgesetzes und der GRCh in einer gemeinsamen europäischen Grundrechtstradition (BVerfG, B.v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 – BVerfGE 152, 152 – juris Orientierungssatz 2b).
Im Übrigen werden die Grundrechte nach der GRCh nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRCh). Die gesetzliche Grundlage für das Versammlungsverbot findet sich in Art. 15 Abs. 1 BayVersG.
d) Die Bevollmächtigte wendet weiter ein, dass die Gefahr eines von der Versammlung selbst ausgehenden Schadenseintritts nicht mit hinreichender Gewissheit feststehe.
Die Behörde verweist nicht lediglich pauschal auf die Pandemielage, sondern legt im Einzelnen dar, wie sich die Situation im Landkreis …derzeit darstellt. Die allgemeinen versammlungsrechtlichen Anforderungen des § 7 der 11. BayIfSMV sind vor dem Hintergrund der Pandemie geregelt worden. § 7 Abs. 1 Satz 4 der 11. BayIfSMV führt dabei aus, dass sofern die Anforderungen nach Satz 2 auch nicht durch Beschränkungen sichergestellt werden können, die Versammlung zu verbieten ist. Von einer solchen Sicherstellung kann hier nicht ausgegangen werden, da bei dem zu erwartenden Teilnehmerkreis und mangels Hygienekonzept nicht erkennbar ist, wie der Antragsteller wirksam auf die Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen hinzuwirken in der Lage wäre. Insbesondere legt er nicht dar, durch welche konkreten Maßnahmen er die zu erwartenden Infektionsgefahren auszuschließen bzw. zu minimieren gedenkt.
Im Übrigen schließt sich das Gericht der Begründung des angegriffenen Bescheides in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO an (vgl. hierzu Lambiris in BeckOK, VwGO, Posser/Wolff, 55. Ed, Stand: 01.07.2020, § 117 Rn. 19a; Kraft in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 117 Rn. 20).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Ziff. 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Von einer Absenkung des Streitwerts etwa nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs hat die Kammer abgesehen, da die vorliegende Entscheidung die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnimmt.


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