Medizinrecht

Verlängerung der Stellungnahmefrist zu Hinweisbeschluss nur bei Glaubhaftmachung triftiger Gründe

Aktenzeichen  19 U 1098/20

Datum:
24.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36286
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 224, § 522 Abs. 2

 

Leitsatz

Die erheblichen Gründe iSv § 224 ZPO sind vor dem Hintergrund des gesetzlichen Regelungszwecks sowohl des Verfahrens zur Fristverlängerung wie des Verfahrens zur Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss zu beurteilen. Die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nach § 224 ZPO hat sich nicht einzig an den Interessen der antragstellenden Partei, sondern ebenso an denen der Gegenpartei und den übergeordneten Belangen der Prozessförderung und der Prozesswirtschaftlichkeit zu orientieren  (Rn. 13). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

19 U 1098/19 2020-05-25 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Der Antrag der Klägerin vom 19.06.2020, die Frist zur Stellungnahme zur Verfügung vom 25.05.2020 bis zum 07.07.2020 zu verlängern, wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.01.2020, Aktenzeichen 27 O 1650/19, wird zurückgewiesen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Der Antrag der Klägerin, den Rechtstreit gemäß § 148 ZPO auszusetzen, wird zurückgewiesen.
5. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
6. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
7. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
8. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin verfolgt mit der Berufung ihre erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche wegen des Widerrufs eines Darlehensvertrages zur Finanzierung eines Kraftfahrzeuges und dessen Rückabwicklung gegenüber der Beklagten weiter.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 27.01.2020 Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, welche beantragt,
Unter Aufhebung des am 27.01.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts München
I (Az.: 27 O 16501/19) in Gestalt des Berichtigungsbeschlusses des Landgerichts München I vom 19.02.2020 (Az.: 27 O 16501/19) wird beantragt zu erkennen wie folgt:
„1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin der Beklagten ab ihrer Widerrufserklärung vom 20.01.2019 aus dem mit der Beklagten zwecks Finanzierung des Fahrzeuges des Fabrikats: BMW, Modell 118d Cabrio, Fahrgestell-Nr.: …45, abgeschlossenen Darlehensvertrag zu der Darlehensvertrag-Nr.: …46 weder Zins- noch Tilgungsleistungen gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB mehr schuldet.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 12.701,44 nebst Zinsen in Höhe von 5% – Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB zu zahlen nach Herausgabe des Fahrzeuges des Fabrikats: BMW, Modell 118d Cabrio, Fahrgestell-Nr.: …45 nebst Fahrzeugschlüsseln und -papieren durch die Klägerin an die Beklagte.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Annahme des Fahrzeuges des Fabrikats: BMW, Modell 118d Cabrio, Fahrgestell-Nr.: …45 in Verzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von € 1.358,86 nebst Zinsen in Höhe von 5% – Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.“
Hilfsweise beantragt die Klägerin:
1. Die Revision zum Bundesgerichtshof zuzulassen.
2. Das Verfahren entsprechend § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsverfahren des Landgerichts Ravensburg vom 07.01.2020 (Az.: 2 O 315/19) auszusetzen.
3. Das Verfahren entsprechend § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsverfahren des Landgerichts Ravensburg vom 05.03.2020 (Az.: 2 O 280/19; 2 O 328/19; 2 O 334/19) auszusetzen.
4. Das Verfahren entsprechend § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsverfahren des Landgerichts Ravensburg vom 31.03.2020 (Az.: 2 O 2 O 294/18; 2 O 249/19) auszusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 25.05.2020 (Bl. 363/375 d.A.), auf die Bezug genommen wird, wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 19.06.2020 (Bl. 376 d.A.), eingegangen am 19.06.2020, 16:49 Uhr, dem Senat vorgelegt am 23.06.2020, beantragten die Klägervertreter aufgrund erheblicher Arbeitsüberlastung des allein sachbearbeitenden Rechtsanwalts die Frist zur Stellungnahme um zwei Wochen bis zum 07.07.2020 zu verlängern. Eine Stellungnahme des Klägers zu dem Hinweis des Senats ging nicht ein.
Im Übrigen und ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren eingegangenen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
Der am Freitag, den 19.06.2020, eingegangene und dem Senat am 23.06.2020 vorgelegte Antrag der Klägervertreter vom 19.06.2020, die Frist zur Stellungnahme zu dem Hinweis vom 25.05.2020 bis zum 07.07.2020 zu verlängern, ist zurückzuweisen.
Den Klägervertretern wurde im Hinweisbeschluss vom 25.05.2020 eine Frist zur Stellungnahme binnen drei Wochen gesetzt. Diese Frist ist nicht nur ausreichend, sondern deutlich länger bemessen als die an sich gebotene Stellungnahmefrist von zwei Wochen.
Dass diese Frist dennoch nicht zur Fertigung einer Stellungnahme ausreicht, haben die Klägervertreter unter Darlegung erheblicher Gründe für eine Fristverlängerung glaubhaft zu machen (§ 224 ZPO).
Zu beurteilen sind die erheblichen Gründe vor dem Hintergrund des gesetzlichen Regelungszwecks sowohl des Verfahrens zur Fristverlängerung (§ 224 f. ZPO) wie des Verfahrens zur Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO). Die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nach § 224 ZPO hat sich nicht einzig an den Interessen der antragstellenden Partei, sondern ebenso an denen der Gegenpartei und den übergeordneten Belangen der Prozeßförderung und der Prozeßwirtschaftlichkeit zu orientieren (vgl. auch Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 61. Aufl., § 224 ZPO Rn. 2). Dieser Regelungszweck trifft sich mit den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen eines Zurückweisungsbeschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO. Er dient zum einen der Verfahrensbeschleunigung und soll der Einlegung von Rechtsmitteln allein in der Absicht, das Verfahren und den Eintritt der Rechtskraft zu verzögern, wirksam begegnen (vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 62, 64).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze rechtfertigt die von den Klägervertretern gleichwohl nur formelhaft und pauschal angeführte erhebliche Arbeitsüberlastung des allein sachbearbeitenden Rechtsanwalts die beantragte Fristverlängerung nicht. Weshalb den Klägervertretern eine rechtzeitige Stellungnahme innerhalb der ohnehin großzügig bemessenen Frist von drei Wochen nicht möglich gewesen sein soll, haben die Klägervertreter nicht substantiiert dargelegt geschweige denn glaubhaft gemacht.
Die „Vertrauensrechtsprechung” des BGH zur Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO) findet auf die Fristverlängerung nach §§ 522 Abs. 2 S. 2, 224 Abs. 2, 225 ZPO keine Anwendung.
Sinn und Zweck von § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO ist die Verfahrensbeschleunigung. Anders als bei der Berufungsbegründung erübrigt sich bei der Stellungnahme auf einen Hinweisbeschluss im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO eine erneute Einarbeitung in die Akten. Mit dem Mandanten konnte in der Regel schon allgemein Rücksprache gehalten werden. Aus diesem Grund sind die „erheblichen Gründe“ für eine Fristverlängerung im Rahmen von § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO restriktiver als im Fall der Fristverlängerung nach § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO zu handhaben.
Hinzu tritt, dass der Antrag erst kurz vor Fristablauf gestellt wurde (vgl. hierzu OLG Rostock, Beschluss vom 23.5.2003 6 U 43/02, OLG-NL 2004, 228/229 f). Denn selbst wenn die von den Klägervertretern angegebenen Gründe dazu geführt haben, die SteIlungnahme nicht mehr rechtzeitig einreichen zu können, handelt es sich ersichtlich nicht um erst bei Fristablauf überraschend eingetretene Umstände. Die Klägerin hätte das Gesuch insbesondere angesichts der erkennbar strengeren Handhabung von Verlängerungsgesuchen durch den Senat früher stellen und die Einhaltung der formalen Anforderungen sicherstellen können. Gerade deshalb, weil der Senat zum Zweck der Prozeßförderung auf seine Absicht hingewiesen hat, Fristverlängerungen restriktiv zu handhaben, hätten die Klägervertreter eingehend und rechtzeitig vor Fristablauf zu den erheblichen Gründen vortragen müssen.
Die Anwendung der angeführten höchstrichterlichen Vertrauensrechtsprechung zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf den hiesigen Fall nur unterstellt, hat der Senat keinen Vertrauenstatbestand für die Klägervertreter auf eine Fristverlängerung aus erheblichen Gründen geschaffen.
In der Hinweisverfügung vom 25.05.2020 wurde die Klägerin unter Anführung der einschlägigen Rechtsprechung darauf aufmerksam gemacht, dass eine Verlängerung der Stellungnahmefrist nur bei Glaubhaftmachung triftiger Gründe in Betracht kommt.
Der Klägerin war die strengere Handhabung von Fristverlängerungsanträgen durch den Senat also bekannt. Dennoch hat sie lediglich formelhaft Gründe vorgetragen und diese im Übrigen weder spezifiziert noch glaubhaft gemacht. Dass ein derartiger Antrag dem Postulat triftiger Gründe, die eine Fristverlängerung im konkret begründeten Einzelfall erfordern, nicht genügt, liegt auf der Hand.
Die Klägervertreter konnten angesichts dessen auch nicht darauf vertrauen, dass der Senat ihrem nur formelhaft begründeten Fristverlängerungsgesuch stattgeben würde (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 25. 7. 2008 – 3 B 69/08).
III.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I, Aktenzeichen 27 O 1650/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Der Senat hält das angefochtene Urteil des Landgerichts München I für offensichtlich zutreffend und nimmt auf dieses Bezug. Bezug genommen wird ferner auf den Hinweis des Senats vom 25.05.2020, wonach er die Berufung im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält. Da eine fristgemäße, sich mit den Argumenten des Senats inhaltlich auseinandersetzende Stellungnahme nicht eingegangen ist, bedarf es insoweit keiner weiteren Ausführungen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
Der Streitwert bis zu 30.000,00 € (Nettodarlehensbetrag in Höhe von 19.762,22 € zzgl. Anzahlung von 7.000.00 €) für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 40, 47, 48 GKG, § 3, 4 ZPO bestimmt.


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