Medizinrecht

Versammlung, Autokorso, Beschränkungen, Begrenzung der Zahl der Fahrzeuge, Kooperationsgespräch

Aktenzeichen  10 CS 21.1023

Datum:
10.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9413
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8
BayVersG Art. 15 Abs. 1
BayVersG Art. 14

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 4 S 21.671 2021-04-09 VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Unter Abänderung von Nr.
I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. April 2021 wird die aufschiebende Wirkung der Klage auch gegen Nr. 2.3. des Bescheides der Antragsgegnerin von 8. April 2021 angeordnet mit der gerichtlichen Maßgabe, dass die Anzahl der Fahrzeuge auf maximal 250 beschränkt ist.
II. In Abänderung von Nr.
II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. April 2021 trägt der Antragsteller die Kosten beider Rechtszüge zu einem Drittel, die Antragsgegnerin zu zwei Dritteln.
III. In Abänderung von Nr.
III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. April 2021 wird der Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. April 2021 angeordnete Begrenzung auf 150 Fahrzeuge für den von ihm für den 11. April 2021 angezeigten Autokorso in L. anzuordnen.
Der Antragsteller teilte der Antragsgegnerin mit Anzeige vom 1. April 2021 zwei Freiheitsfahrer-Versammlungen unter dem Thema „Fahrzeug-Korso für die Gesundheit“ für den 11. April 2021 sowie den 25. April 2021 in L. mit. Als Leiterin der Versammlung wurde eine dritte Person benannt (im Folgenden: Versammlungsleiterin). Unter der Rubrik „Teilnehmerzahl“ vermerkte der Antragsteller „150 Fahrzeuge“. Unter der Rubrik „Beginn“ gab der Antragsteller zusätzlich an: „(Erweiterung + 250 Fahrzeuge zusätzlich)“. Um 16.00 Uhr sollten am Parkplatz W1. straße in L. Aufstellung und Dekoration der Fahrzeuge erfolgen.
Mit Bescheid vom 8. März April bestätigte die Antragsgegnerin die Anzeige und traf – neben weiteren Beschränkungen − folgende Verfügung:
„2. Infektionsschutz […]
2.3. Die Zahl der Versammlungsteilnehmer wird auf 150 Fahrzeuge begrenzt.“
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin Folgendes an: Am Mittwoch, den 24. März 2021, um 15:30 Uhr habe ein Kooperationsgespräch zwischen ihr, der Versammlungsleiterin und der Polizei L. stattgefunden. Die Beschränkung auf 150 Fahrzeuge unter Nr. II.2.3 entspreche den Angaben des Veranstalters in der Versammlungsanzeige. Im Rahmen des Kooperationsgesprächs sei vereinbart worden, die Teilnehmerzahl auf 150 Fahrzeuge festzulegen und von einer Erweiterung abzusehen, da der Autokorso am 27. März 2021 erstmalig auf der neu festgelegten Strecke durchgeführt worden sei und hier insoweit Erfahrungswerte hinsichtlich der Aufnahmekapazität des im Bescheid festgelegten Streckenverlaufs fehlten. Zudem solle durch die Beschränkung eine Behinderung und Störung von unbeteiligten Verkehrsteilnehmern, Anwohnern und Passanten auf ein verträgliches Maß beschränkt bleiben und ein Abreißen der Fahrzeugschlange verhindert sowie ein geregelter Ablauf das Autokorsos sichergestellt werden. Bei dem am 27. Februar 2021 durchgeführten Autokorso sei es zu massiven Standzeiten sowie Verkehrsbehinderungen gekommen, weshalb die Polizei L. eine Reduzierung der Teilnehmerzahl angeregt habe. Die Begrenzung auf 150 Fahrzeuge im Zuge des neuen Streckenverlaufs mit großzügigeren Straßenverhältnissen erscheine aber insoweit noch verhältnismäßig.
Am 9. April 2021 hat der Antragsteller – neben weiteren Beschränkungen − gegen die in Nr. 2.3 angeordnete „Beschränkung auf 150 Fahrzeuge“ Klage erhoben (RN 4 K 21.672) und zugleich insoweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Zur Begründung lässt er vortragen: Die Ausführungen zur Gefahrenlage und zur Verhältnismäßigkeit würden inhaltlich an keiner Stelle ausgefüllt. Einer Beschränkung auf lediglich 150 Fahrzeuge sei nicht zugestimmt worden. Ein Kooperationsgespräch habe nicht stattgefunden. Straßenrechtliche Gründe sprächen nicht gegen die Durchführung der Versammlung. Es seien weder Baustellen noch Engstellen oder Volksfeste im Streckenbereich vorhanden. Auch die Antragsgegnerin habe ausgeführt, dass die festgelegte Strecke über „großzügigere Straßenverhältnisse“ verfüge. Die massiven Standzeiten am 27. Februar 2021 seien nicht auf den Antragsteller, sondern die Polizei zurückzuführen gewesen, die wiederholt „Stopps“ durchgeführt habe.
Mit Beschluss vom 9. April 2021 hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich einer weiteren Beschränkung die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und im Übrigen den Eilantrag abgelehnt. Zur Begründung führt es Folgendes an: Die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage seien insoweit offen, die Interessenabwägung gehe zu Lasten des Antragstellers aus.
Im Rahmen der Hauptsache sei aufzuklären, ob die Begründung der Antragsgegnerin zu dem Streckenverlauf trage und wie viele Fahrzeuge antragstellerseits schlussendlich angezeigt worden seien. Aufzuklären sei in diesem Zusammenhang auch, inwieweit die oben genannten Punkte im Rahmen des Kooperationsgespräches vom 24. März 2021 besprochen worden seien. Dieses Kooperationsgespräch habe sich zwar nicht explizit auf die streitige Versammlung vom 11. April 2021 bezogen. Dieser habe aber eine gleichlautende Anzeige des Antragstellers für u.a. eine Versammlung am 10. April 2021 zugrunde gelegen. Allein die Änderung des Datums bei ansonsten gleichbleibender Sachverhaltsgestaltung führt nach summarischer Prüfung jedenfalls nicht notwendigerweise dazu, dass ein erneutes Kooperationsgespräch hätte stattfinden müssen. Insbesondere sei auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller ein erneutes Kooperationsgespräch eingefordert hätte.
Bei Abwägung der hier einander gegenüberstehenden Interessen sei das Interesse an einem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, gerade auch der Gesundheit, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des Infektionsgeschehens, höher zu bewerten als das Interesse des Antragstellers daran, die Versammlung mit mehr als 150 Fahrzeugen durchzuführen. Der Korso bewege sich bereits bei den zugelassenen 150 Fahrzeugen in einem kilometerlangen Zug durch die L. Innenstadt. Dieser würde durch die Zulassung von zusätzlichen 250 Fahrzeugen in nicht unerheblicher Weise verlängert. Unabhängig von Fragen der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs, welche als originär versammlungsrechtlich einzustufen sind, würden hier auch infektionsschutzrechtliche Probleme aufgeworfen. Es sei etwa davon auszugehen, dass es in stärker frequentierten Bereichen der L. Innenstadt/Altstadt insbesondere im Bereich von Ampeln und Fußgängerüberwegen durch die Verkehrsbehinderung zu Ansammlungen von Personen kommen werde. Die Einhaltung der allgemeinen Abstandsgebote wird dadurch in einer Weise erschwert, die keine sichere Befolgung mehr erwarten lässt. Auch sei nicht außer Acht zu lassen, dass bei der Aufstellung und Dekorierung der Fahrzeuge vor dem eigentlichen Autokorso die Gefahr bestehe, dass dort die Einhaltung der Mindestabstände nicht mehr gewährleistet sei. Insofern gebühre dem Gesundheitsschutz durch Vermeidung der infektionsschutzrechtlichen Gefahren aus Sicht des entscheidenden Gerichts der Vorrang.
Der Antragsteller beantragt mit seiner Beschwerde ebenfalls vom 9. April 2021 der Sache nach,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 9. April 2021 die aufschiebende Wirkung der Klage auch gegen Nr. 2.3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 8. April 2021 anzuordnen.
Zur Begründung trägt er Folgendes vor: Gerügt werde ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG. Das Verwaltungsgericht habe die gebotene Abwägung unzulässigerweise auf die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage beschränkt. Die Antragsgegnerin behaupte weiterhin wahrheitswidrig, mit dem Antragsteller ein Kooperationsgespräch zu der Veranstaltung vom 11. April 2021 geführt zu haben, was dann einvernehmlich zu einer Beschränkung auf 150 Fahrzeuge geführt hätte. Dazu fänden sich in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts keine Ausführungen, es habe sich den wahrheitswidrigen Standpunkt zu eigen gemacht. Die Aufnahmekapazität einer Straße sei potentiell unbegrenzt. Da die Fahrzeuge jeweils hintereinanderführen, mache es keinen Unterschied, ob es 150 oder 250 oder letztlich 400 Fahrzeuge seien. Der Antragsteller habe bereits in der Begründung des Eilantrags vom 9. April 2021 ausgeführt, dass er zwischenzeitlich davon ausgehe, dass für die Veranstaltung am 11. April 2021 nur 250 Fahrzeuge erscheinen würden. Die Anzeige habe auf 150 plus zusätzliche 250, also insgesamt 400 Fahrzeuge gelautet. Eine Unklarheit, wie viele Fahrzeuge angezeigt worden seien, die im Hauptsacheverfahren aufzuklären sei, gebe es nicht. Auch sei ein Prüfungsbedarf hinsichtlich des Kooperationsgesprächs nur vorgeschoben. Zwar habe das Verwaltungsgericht in der Abwägung auf den Gesundheitsschutz Bezug genommen, konkretisierende Angaben zu dem Infektionsrisiko in Fahrzeugen fänden sich dazu indes nicht. Angeführt würden lediglich das (Fremd-)Risiko, dass ein Fußgänger über die Straße laufen und hierbei angefahren werden könnte. Die Annahme sei völlig unsubstantiiert und könne dem Antragsteller nicht angelastet werden. Die Versammlung sei kein Störer. Fragen der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs könnten dem Antragsteller nicht entgegengehalten werden, weil in dem Bescheid ausdrücklich festgehalten sei, dass die aktuelle Strecke über „großzügigere Straßenverhältnisse“ verfüge.
Mit Telefax vom 10. April 2021 bat der Senat die Antragsgegnerin um Übersendung von Nachweisen für das Kooperationsgespräch vom 24. März 2021 sowie des Bescheides vom 25. März 2021, worauf diese den vorgenannten Bescheid und eine Stellungnahme des Ordnungsamtes im Beschwerdeverfahren übermittelt hat.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die Stellungnahme des Ordnungsamtes im Beschwerdeverfahren.
Ergänzend wird auf die vorliegenden Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die getroffene Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
a) Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. Art. 25 BayVersG). Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen.
§ 7 Abs. 1 Zwölfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (im Folgenden: 12. BayIfSMV v. 5.3.2021, BayMBl. Nr. 171) bestimmt für Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes unter anderem einen Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Teilnehmern und verlangt, dass jeder Körperkontakt mit anderen Versammlungsteilnehmern oder Dritten vermieden wird (Satz 1). Die nach Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörden haben, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist, durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 BayVersG sicherzustellen, dass die Bestimmungen nach Satz 1 eingehalten werden (Satz 2 Nr. 1) und die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben; davon ist in der Regel auszugehen, wenn die Versammlung nicht mehr als 200 Teilnehmer hat und ortsfest stattfindet (Satz 2 Nr. 2). Sofern diese Anforderungen nicht sichergestellt werden können, ist die Versammlung zu verbieten (§ 7 Abs. 1 Satz 4 der 12. BayIfSMV). Damit konkretisiert § 7 Abs. 1 der 12. BayIfSMV die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG sowohl auf der Tatbestandswie auch auf der Rechtsfolgenseite im Hinblick auf von Versammlungen unter freiem Himmel ausgehende Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie den Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überlastung (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 – 1 BvQ 31/20 – juris Rn. 15; vgl. auch BayVGH, B.v. 11.9.2020 – 10 CS 20.2063).
b) Die primäre Begründung für die im Beschwerdeverfahren noch streitbefangene Beschränkung, dass im Rahmen des Kooperationsgesprächs, das am 24. März 2021 bezüglich vorangehend angezeigter Versammlungen stattgefunden habe, auch vereinbart worden sei, die Zahl künftig auf 150 Fahrzeuge festzulegen und von einer Erweiterung abzusehen, so dass ein weiteres Kooperationsgespräch für den Autokorso am 11. April 2021 nicht mehr erforderlich gewesen sei, erweist sich voraussichtlich als nicht tragfähig.
aa) Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hat einen wesentlichen verfahrens- und organisationsrechtlichen Gehalt. Daraus folgt die Pflicht der staatlichen Behörden zu einer versammlungsfreundlichen Verfahrensweise, zu einem ernsthaften Einsatz für die friedliche Durchführung von Demonstrationen, zu einer fairen Kooperation und einem Bemühen um einvernehmliche Lösungen. Je mehr die Veranstalter anlässlich der Anzeige einer Demonstration zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder sogar zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. BVerfG, B.v. 14.5.1985 −1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 − juris Rn. 82 u. 84).
In Konkretisierung dessen und in Akzentuierung des Beratungsgebots nach Art. 25 BayVwVfG soll nach 14 Abs. 1 Satz 1 BayVersG die zuständige Behörde dem Veranstalter Gelegenheit geben, mit ihr die Einzelheiten der Durchführung der Versammlung zu erörtern. Darunter fällt insbesondere die Erörterung der Gefahrenprognose, der daraus resultierenden Rechtsfolgen und begleitenden Maßnahmen (vgl. Dürig-Friedl, Versammlungsrecht, 2016, § 14 Rn. 30).
Grundsätzlich trägt die Versammlungsbehörde die Darlegungs- und Beweislast für die Durchführung und den Inhalt des Kooperationsgesprächs. Sie hat die Ergebnisse des Kooperationsgesprächs jeweils für alle Beteiligten schriftlich festzuhalten, damit Absprachen verlässlich sind und die Kooperationsbereitschaft dokumentiert ist (vgl. Lembke in Versammlungsrecht des Bundes und der Länder, 2. Aufl. 2020, § 14 Rn. 103). Gesprächspartner der Behörde ist grundsätzlich der Veranstalter, allerdings ist eine Delegation der Gesprächsführung, insbesondere an den Versammlungsleiter, möglich und in der Praxis wohl auch als verbreitet anzusehen. Dabei wird regelmäßig die zu dem übereingekommenen Kooperationsgespräch für den Veranstalter auftretende Person auch insofern als mandatiert gelten.
Der Pflicht der Versammlungsbehörde zur Kooperation entspricht auf Veranstalterseite die Obliegenheit zur Kooperation. Dabei gehört zu den grundsätzlich möglichen und zumutbaren Angaben auch die Information bezüglich der erwarteten Teilnehmerzahl, wobei der Veranstalter etwaige Unklarheiten hierüber gegenüber der Versammlungsbehörde aufzuklären hat (vgl. Dürig-Friedl, Versammlungsrecht, 2016, § 14 Rn. 28).
Dabei erscheint es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass insbesondere bei einer geplanten Versammlungsreihe bindende Vereinbarungen, welche die Kooperationspartner im Hinblick auf erörterte Punkte getroffen haben, auch für zukünftige gleich gelagerte Versammlungen fortgelten sollen. Dies muss sich indes eindeutig aufgrund objektiver Anhaltspunkte, insbesondere aus dem dokumentierten Kooperationsgespräch, ergeben.
bb) Gemessen an diesen Anforderungen ist eine derartige verbindliche Vereinbarung zwischen den Kooperationspartnern bezüglich der hier streitgegenständlichen Beschränkung für die Versammlung am 11. April 2021 nicht feststellbar.
Zwar muss sich der Veranstalter die Handlungen, insbesondere Auskünfte und Willenserklärungen, der Versammlungsleiterin, die zu dem am 24. März 2021 vereinbarten Kooperationsgespräch erschienen war, zurechnen lassen.
Allerdings ist bereits zweifelhaft, ob der streitgegenständliche Autokorso sich in Bezug auf die vorangehenden Versammlungen als gleichgelagerte Folgeversammlung darstellt. Die vorherige Anzeige des Antragstellers vom 12. März 2021, das damit zusammenhängende Kooperationsgespräch vom 24. März 2021 und der daraufhin ergangene Bescheid vom 25. März 2021 beziehen sich unter anderem auf eine teilweise abweichende Fahrstrecke und andere Wochentage.
Jedenfalls aber ergibt sich zur Überzeugung des Senats eine derartige verbindliche Vereinbarung der Zahl der teilnehmenden Fahrzeuge weder aus den im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten noch aus den im Beschwerdeverfahren übersandten Unterlagen. Der vorgelegte Bescheid vom 25. März 2021 stimmt im Wesentlichen mit der einschlägigen Passage aus dem streitgegenständlichen Bescheid überein, ohne dass letzterer in der Sache ersterem etwas an Substanz hinzufügt. Aus der vorgelegten Stellungnahme des Ordnungsamtes ergeben sich ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine verbindliche Vereinbarung. Zum einen handelt es sich insoweit nicht um eine Dokumentation des Kooperationsgesprächs in dem vorgenannten Sinne (s.o.). Zum anderen spricht sie eher gegen eine derartige Vereinbarung. Denn danach hat die Versammlungsbehörde der Versammlungsleiterin sogar − nach Absolvierung der neuen Strecke mit den 150 Fahrzeugen ohne Probleme − in Aussicht gestellt, dass bei künftigen Versammlungen gegebenenfalls die Zahl dementsprechend nach oben angepasst wird.
Die Antragsgegnerin durfte nach alledem die Beschränkung nicht darauf stützen, dass sie mit dem Veranstalter vereinbart und damit zugestanden wurde. Für den Verzicht auf ein Nachfragen bei dem Veranstalter und gegebenenfalls die Durchführung eines weiteren Kooperationsgesprächs bestand daher kein hinreichender Anlass.
c) Auch die gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG als weitere Begründung angeführten Gründe der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie insbesondere die diesbezügliche Gefahrenprognose erweisen sich bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich nicht als tragfähig.
Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen (Beschränkungen) keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 25). Aufgabe der Gerichte ist es zu prüfen, ob die (von der Versammlungsbehörde) für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08 – juris Rn. 20; BayVGH a.a.O.).
Gemessen daran ergeben sich entgegen der Bewertung des Verwaltungsgerichts hinreichend tragfähige Gesichtspunkte und Erwägungen für die Gefahrenprognose bezüglich der streitbefangenen Beschränkung weder unmittelbar aus der Begründung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 8. April 2021 noch (ergänzend) aus den vorliegenden Behördenakten oder sonstigen (zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung) erkennbaren Umständen. Abgesehen von der behaupteten einvernehmlichen Festlegung auf (zunächst) 150 Fahrzeugen im Hinblick auf die neu festgelegte Aufzugsstrecke und insoweit fehlende Erfahrungswerte wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt, zudem solle „hierdurch sichergestellt werden, dass die Behinderung der unbeteiligten Verkehrsteilnehmer und die Störung von Anwohnerinnen und Anwohnern bzw. Passanten am Rande des Streckenverlaufs auf ein verträgliches Maß beschränkt“ blieben; ein Abreißen der Fahrzeugschlange solle verhindert und ein geregelter Ablauf des Korsos sichergestellt werden. Insoweit verweist der Bescheid weiter auf „massive Standzeiten sowie Verkehrsbehinderungen von unbeteiligten Dritten und auch mehreren Stadtbussen“ bei dem am Samstag, 27. Februar 2021, durchgeführten Autokorso.
Abgesehen davon, dass die angegebene Begründung entgegen der Überschrift dieses Abschnitts des Bescheids einen (unmittelbaren) Zusammenhang mit „Infektionsschutz“ nicht erkennen lässt und sich vielmehr allein auf straßenverkehrsrechtliche bzw. Gründe der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bezieht, erweist sich diese voraussichtlich als ebenfalls nicht tragfähig.
Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst zwar die gesamte Rechtsordnung und damit auch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1989 – 7 C 50/88 – BVerwGE 82, 34 – juris Rn. 15). Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 10 CS 20.2655 – juris Rn. 22). Derartige Erwägungen fehlen im streitbefangenen Bescheid aber weitgehend. Dass ohne diese Beschränkung eine unzumutbare Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs droht, wird von der Antragsgegnerin nicht aufgrund konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte begründet. Der pauschale Verweis auf massive Verkehrsbehinderungen anlässlich des Autokorsos am 27. Februar 2021 genügt nicht, weil diese Behinderungen ja gerade Anlass für die nunmehrige Streckenänderung mit nach eigener Einschätzung der Antragsgegnerin „großzügigeren Straßenverhältnissen“ (als bei dem Autokorso am 27.02.2021) waren und neuere entsprechende Erfahrungswerte hinsichtlich der geänderten Aufzugsstrecke und der Versammlung am 27. März 2021 von der Antragsgegnerin nicht angegeben bzw. geltend gemacht werden. Die weiteren Erläuterungen bleiben inhaltlich, zeitlich und örtlich im Vagen. Auch sonst kann der Senat aufgrund der hier nur möglichen summarischen Prüfung nicht erkennen, dass – wie von der Antragsgegnerin behauptet – nur eine Begrenzung auf 150 Fahrzeuge im Zuge dieses (neuen) Streckenverlaufs eine unverhältnismäßige Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer bzw. Störung von Anwohnern und Passanten sicherzustellen vermag.
Die vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Interessenabwägung angestellten infektionsschutzrechtlichen Erwägungen (vgl. BA S. 8 f.; Probleme der Einhaltung des Abstandsgebots bei der Aufstellung und Durchführung des Autokorsos, Vermeidung infektionsschutzrechtlicher Gefahren) finden im streitbefangenen Bescheid keine hinreichenden und tragfähigen Anknüpfungspunkte.
Daher ist für den Senat nicht erkennbar, dass das sicherlich beeinträchtigte öffentliche Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vorliegend die Versammlungsfreiheit des Antragstellers letztlich überwiegt.
Ausgehend von dem sich zuletzt aus der Beschwerde ergebenden Rechtsschutzbegehren des Antragstellers und den, wie dargelegt, auch zu berücksichtigenden Belangen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs hält der Senat die im Tenor verfügte Maßgabe, dass die Anzahl der Fahrzeuge auf maximal 250 beschränkt ist, für im Sinne einer praktischen Konkordanz der konkurrierenden Rechtsgüter und Interessen für erforderlich und angemessen. Der Antragsteller selbst rechnet im Übrigen nicht mit mehr als 250 teilnehmenden Fahrzeugen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, sieht der Senat keinen Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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