Medizinrecht

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Aktenzeichen  B 7 S 21.151

Datum:
12.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3115
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG Art. 15 Abs. 1
BayIfSMV § 7 der 11.
BayVersG Art. 13 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Ablehnung ihrer Person als stellvertretende Versammlungsleiterin für eine am 13.02.2021 geplante Versammlung in … Am 31.01.2021 zeigte Frau …B. als Veranstalterin bei der Antragsgegnerin für den 13.02.2021, 20.02.2021 und 27.02.2021 die geplante Durchführung von Versammlungen unter freiem Himmel auf dem … in … an. Als Beginn wurde jeweils 16:20 Uhr und als Ende 19:00 Uhr angegeben, der Aufbau solle um 15:20 Uhr beginnen, der Abbau um 19:45 Uhr enden. Als Versammlungsthema wurde angegeben: „Gegen Maskenpflicht, für Freiheit und Selbstbestimmung, gegen Diktatur, für Demokratie, für Menschenrechte und Menschenwürde“. Als Leiterin ist die Veranstalterin benannt, als stellvertretende Leiterin soll die Antragstellerin fungieren. An Teilnehmenden erwarte die Veranstalterin 400 Personen und als Kundgebungsmittel sind Auto mit Anhänger, Musikanlage mit Zubehör, Beamer und Leinwand, vier Stehtische, drei Gartenstühle, Laptop, Kerzen, Wunderkerzen, Plakate und Banner sowie ein Regenpavillon vorgesehen. Es seien 80 Ordner vorgesehen. Die Leitung der Versammlungen solle bei Frau B. liegen; die stellvertretende Leitung bei der Antragstellerin.
Die Versammlung wurde mit identischem Thema, jedoch einer auf 200 Personen beschränkten Teilnehmerzahl bereits am 23.01.2021, 30.01.2021 und 06.02.2021 durchgeführt, sowie in ähnlicher Form u.a. am 16.01.2021. Entsprechende Erfahrungsberichte der Polizeiinspektion … sind Teil der Behördenakte, auch in Bezug auf weitere thematisch ähnlich gelagerte Veranstaltungen im Jahr 2020.
Mit Schreiben vom 02.02.2021 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin dazu an, dass beabsichtigt sei, sie als Mitglied der Versammlungsleitung für alle angezeigten Versammlungen bis einschließlich 27.02.2021 abzulehnen. Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 04.02.2021 wurde die angezeigte Versammlungsleitung (Leiterin und Stellvertreterin) als solche für die Versammlung am 06.02.2021 abgelehnt. Hiergegen gerichtete Eilanträge von Frau … und der Antragstellerin blieben erfolglos (VG Bayreuth, B. v. 5.2.2021 – Az. B 7 S. und B 7 S.). Das zugehörige Klageverfahren der Antragstellerin ist weiter anhängig (B 7 K …). Die Versammlungsleitung bei der Versammlung am 06.02.2021 nahm Frau A. wahr, die Funktion der Stellvertreterin Frau Br. Mit E-Mail vom 11.02.2021 nahm die PI … zu den angemeldeten Versammlungen am 13., 20. und 27.02.2021 Stellung. Demnach habe sich die am 06.02.2021 eingesetzte Versammlungsleiterin bewährt; es sei wünschenswert, wenn die Versammlung erneut von dieser betreut würde.
Mit Bescheid vom 12.02.2021, dem Bevollmächtigten der Antragstellerin zugegangen am selben Tag, bestätigte die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung für den 13.02.2021 unter verschiedenen Auflagen. Insbesondere wurde die angezeigte Versammlungsleitung (Leiterin und Stellvertreterin) auch für die Versammlung am 13.02.2021 als solche abgelehnt (Nr. 2.1). Die Veranstalterin wurde aufgefordert, bis zum 12.02.2021, 14.00 Uhr, für die Versammlung eine neue Versammlungsleiterin zu benennen und gegenüber der Antragsgegnerin anzuzeigen. Für den Fall eines Rechtsstreits werde die Frist bis eine Stunde nach rechtskräftiger Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verlängert.
Auf die umfangreichen Bescheidsgründe wird verwiesen.
Mit am 12.02.2021 eingegangenem Schriftsatz ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid erheben (Az. B 7 K …) und beantragen,
den Bescheid bezüglich der Beschränkungen zur Versammlungsleitung (Bl. 2 des Bescheids) bezüglich der Antragstellerin aufzuheben. Zugleich beantragte sie mit Blick auf die von der Antragsgegnerin gesetzte Frist im Wege einstweiligen Rechtsschutzes sinngemäß, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Es wurde ausgeführt, die Antragstellerin sei als stellvertretende Leiterin einer Bürgerinitiative „Gegen Maskenpflicht, für Freiheit und Selbstbestimmung, gegen Diktatur, für Demokratie, für Menschenrechte und Menschenwürde“ der Antragsgegnerin benannt worden. Diese Bürgerinitiative habe Versammlungsanzeigen für mehrere Termine eingereicht, an denen die Antragstellerin – mit Ausnahme des 06.02.2021 – auch als stellvertretende Leiterin beteiligt gewesen sei. Mit dem angegriffenen Bescheid sei die Antragstellerin aufgefordert worden, bis zum 12.02.2021 um 14.00 Uhr für die Versammlung am 13.02.2021 eine neue Versammlungsleitung zu benennen und gegenüber der Antragsgegnerin anzuzeigen. Der Bescheid sei dem Bevollmächtigten per E-Mail am 12.02.2021 um 09.45 Uhr zugegangen.
Im Hinblick auf dieses unzumutbare Verfahren liege offensichtlich ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG vor. Die Entscheidung des Gerichts im Verfahren B 7 S … sei noch nicht rechtskräftig, weil hiergegen Beschwerde eingelegt worden sei. Dieser Beschluss sei schon deshalb fehlerhaft, weil sich weder die Antragsgegnerin, noch das Gericht mit dem hier einschlägigen Art. 13 Abs. 5 BayVersG auseinandergesetzt hätten, der bezüglich der Ablehnung eines Leiters der Versammlung bestimmt, dass diese nur erfolgen dürfe, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet“. Auf die Beschwerdebegründung werde Bezug genommen. Um möglichst zügige Entscheidung werde gebeten, damit evtl. noch eine Beschwerdemöglichkeit zum BayVGH verbleibe. Es werde darauf hingewiesen, dass es sich möglicherweise um eine historische Entscheidung handele.
Die Antragsgegnerin hat sich mit Schriftsatz vom 12.02.2021 geäußert und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verwies insbesondere darauf, dass die Anmelderin die monierten Verzögerungen zu vertreten habe. Die Behörde habe die angegriffene Beschränkung ausdrücklich auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestützt. Ob daneben mit Art. 13 Abs. 5 BayVersG noch eine andere Rechtsgrundlage unter anderen Voraussetzungen existiere, sei irrelevant. Außer einem Auswechseln der Versammlungsleitung existiere keine erfolgversprechende Maßnahme zu Herstellung der infektiologischen Vertretbarkeit der Versammlung mehr. Andernfalls käme nur die Untersagung der Versammlung in Betracht. Die Eignung der Ablehnung der Versammlungsleitung habe sich bei der Versammlung am 06.02.2021 eindrucksvoll bestätigt.
Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei dieser Entscheidung hat es entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sowie hier insbesondere die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 GG.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat der Antrag keinen Erfolg. Die beschränkende Verfügung in Nr. 2.1 des Bescheides der Antragsgegnerin erscheint vielmehr bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, so dass die Antragstellerin dadurch auch nicht in ihren Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen im Wesentlichen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer gesonderten Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
Ergänzend ist zur Sache sowie zum Antragsvorbringen noch Folgendes auszuführen:
a) Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche beschränkende Verfügung ist nicht Art. 13 Abs. 5 BayVersG, sondern § 7 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV i.V.m. Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach hat die zuständige Behörde, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist, durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG u.a. sicherzustellen, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben, wovon in der Regel auszugehen ist, wenn die Versammlung nicht mehr als 200 Teilnehmer hat und ortsfest stattfindet. Sofern diese Anforderungen auch durch Beschränkungen nicht sichergestellt werden können, ist die Versammlung zu verbieten (§ 7 Abs. 1 Satz 4 der 11. BayIfSMV). § 7 der 11. BayIfSMV konkretisiert hierbei Art. 15 Abs. 1 BayVersG auf der Tatbestandswie auf der Rechtsfolgenseite im Hinblick auf von Versammlungen unter freiem Himmel ausgehende Gefahren für die Gesundheit und das Leben einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie den Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überlastung (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2021 – 10 CS 21.249 m.w.N.).
Der Befugnis, unter den Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. § 7 Abs. 1 der 11. BayIfSMV eine Versammlung gar zu verbieten, wenn auf andere Weise infektionsschutzrechtliche Maßgaben nicht eingehalten werden können, ist als milderes Mittel die Befugnis immanent, durch weniger eingreifende Beschränkungen die Durchführung der Versammlung zu ermöglichen. Eine solche Beschränkung kann auch die Ablehnung der Versammlungsleitung sein. Denn mit der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 2 GG wäre es nicht zu vereinbaren, wenn eine Versammlung aus infektionsschutzrechtlichen Gründen in Gänze untersagt würde, obwohl durch Austausch der Versammlungsleitung die Durchführung der Versammlung unter Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen möglich wäre. Sowohl die Versammlungsfreiheit als auch der Schutz von Gesundheit und Leben einzelner und des Gesundheitssystems in seiner Funktionsfähigkeit insgesamt sind Güter von Verfassungsrang und weitestmöglich miteinander in Einklang zu bringen. Ein solcher Ausgleich ist im Falle der Ablehnung der Versammlungsleitung mit einem nur minimalen Eingriff in die Freiheit des Versammlungsveranstalters möglich, da auch der abgelehnte Leiter als Veranstalter und Teilnehmer weiterhin an der Versammlung teilhaben kann (vgl. BVerfG, B.v. 24.11.2006 – 1 BvQ 35/06). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet in diesem Falle die Anordnung einer entsprechenden Versammlungsbeschränkung vorrangig vor der Untersagung derselben.
Bei verfassungskonformer Auslegung verbietet es sich daher, die Möglichkeit der Ablehnung der Versammlungsleitung aufgrund der Spezialität der Norm allein auf Fallgestaltungen nach Art. 13 Abs. 5 BayVersG zu begrenzen. Der Umstand, dass der Gesetzgeber dort die Ablehnung der Versammlungsleitung für den Fall ausdrücklich ermöglicht, dass der Leiter die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet, verbietet jedenfalls in den o.g. Fällen nicht den Rückgriff auf die versammlungsrechtliche Generalklausel. Denn der Grundsatz des Vorranges der spezielleren Norm findet seine Grenze dort, wo seine strikte Anwendung zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen würde.
b) Daran gemessen ist die Ablehnung der Antragstellerin als stellvertretende Leiterin der Versammlung voraussichtlich nicht zu beanstanden. Diesbezüglich wird zunächst umfassend Bezug auf die Ausführungen im Beschluss v. 05.02.2021 – Az. B 7 S … – genommen. Die Auflage hat sich nach den Erkenntnissen der PI … augenscheinlich als geeignet zur Wahrung infektionsschutzrechtlicher Anforderungen erwiesen, denn die bei der Versammlung am 06.02.2021 eingesetzten Leiterinnen verhielten sich nach Angaben der PI … im Erfahrungsbericht vom 08.02.2021 kooperativ. Die Leiterin war demnach sichtbar bemüht, alle Auflagen einzuhalten; es wurden keine Verstöße gegen die Versammlungsauflagen festgestellt.
c) Soweit die Antragstellerin auf die kurze Frist der in Nr. 2.1 des Bescheids enthaltenen Aufforderung der Antragsgegnerin, ihr bis zum 12.02.2021, 14.00 Uhr, bzw. im Falle eines Rechtsstreits bis eine Stunde nach rechtskräftigem Abschluss mindestens eine neue Leitungsperson mitzuteilen, hinweist, ist diese Aufforderung ausdrücklich nur an die Anmelderin Frau B. gerichtet und die Antragstellerin hiervon mithin nicht betroffen.
Auch abgesehen davon begegnet die Aufforderung aller Voraussicht nach keinen rechtlichen Bedenken. Denn die Angabe einer Leitungsperson ist als zwingender Bestandteil der Versammlungsanzeige in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BayVersG gesetzlich vorgesehen. In Anbetracht der Dringlichkeit und des überschaubaren Aufwands für die abgelehnte Versammlungsleitung, die sich bereits seit ihrer Anhörung zur beabsichtigten Ablehnung am 02.02.2021 auf diese Situation vorbereiten konnte, erscheint die gesetzte Frist ausreichend.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht schließt sich der neueren Rechtsprechung des BayVGH an, wonach – auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – ein Streitwert i.H.v. 5.000,00 EUR anzusetzen ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2020 – 10 CS 20.2658).


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