Medizinrecht

Versammlungsrecht, Eilrechtsschutz gegen Versammlungsbescheid, FFP2-Maskenpflicht im Freien;, Landeshauptstadt München

Aktenzeichen  M 33 S 22.332

Datum:
26.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1220
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8
BayVersG Art. 15
BayIfSMV § 9 15.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage zum Tragen einer qualifizierten Mund-Nasen-Bedeckung.
Die Antragsteller haben für den … Januar 2022 eine Versammlung auf der … … von 14:00 bis 16:00 Uhr mit 10.000 Personen angezeigt.
Mit Bescheid vom … Januar 2022 traf die Landeshauptstadt München u.a. folgende Anordnungen: In Ziffer 6 wurde eine grundsätzliche FFP2-Maskenpflicht für alle Teilnehmer angeordnet und mit Ausnahmen – u.a. unter Bezugnahme auf § 2 Abs. 3 15. BayIfSMV – versehen. In Ziffer 7 wurde eine Visierpflicht für Personen eingeführt, die aufgrund § 2 Abs. 3 15. BayIfSMV von der Ziffer 6 befreit sind. Ziffer 7 enthält wiederum unter Bezugnahme auf § 2 Abs. 3 15. BayIfSMV eine Befreiung für die Visierpflicht. Ziffer 8 enthält Regelungen zur Glaubhaftmachung der Befreiungen. Im Bescheid wird zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, dass aufgrund der derzeitigen infektiologischen Lage entsprechende infektionsschutzrechtliche Auflagen zu treffen seien. Die 7-Tage-Inzidenzen seien derzeit sehr hoch, in … liege der Wert derzeit bei 986,4, und steige rasant an. Dies gelte umso mehr, als die derzeit vorherrschende Omikron-Variante durch Tröpfchen und Aerosole sehr leicht von Mensch zu Mensch übertragbar sei. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19 Patienten sei weiterhin sehr hoch; mit Stand 20. Januar 2022 seien noch immer 61 Intensivbetten mit diesen belegt. Es stünden nur wenig freie Intensivbetten zur Verfügung; eine ausreichende Entlastung im intensivmedizinischen Bereich bestehe in … noch nicht. Ohne Ergreifung weiterer infektionspräventiver Maßnahmen sei in der aktuellen Situation wieder mit einer erheblichen Überlastung des … Kliniksystems zu rechnen. Die angeordnete FFP2-Maskenpflicht und subsidiär die ersatzweise geltende Visierpflicht seien aufgrund der hohen Teilnehmerzahl und der Gefahr der nicht zuverlässigen Einhaltung von Mindestabständen geeignete, erforderliche und angemessene infektionspräventive Maßnahmen. Die FFP2-Maske biete, anders als eine medizinische Maske, beim richtigen Tragen auch einen geeigneten Eigenschutz.
Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit anwaltlichem Schriftsätzen vom 25. und 26. Januar 2022 und erheben eine Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid sowie ein vorläufiges Rechtsschutzbegehren. Zur Begründung lassen sie vortragen, dass bis auf die Maskenpflicht in den Ziffern 6, 7 und 8, die Auflagen der Antragsgegnerin akzeptiert würden. Die Ziffern 6, 7 und 8 seien jedoch rechtswidrig. Hierzu führen die Antragsteller im Wesentlichen aus, dass sich die Antragsgegnerin der Textbausteine des Robert Koch-Instituts bediene und daher laufend mit völlig schwammigen Begriffen arbeite, mit Einschätzungen, Vermutungen und Hochrechnungen sowie Befürchtungen. Zusammenhänge mit der Frage, ob die Auflage, Masken zu tragen, gerechtfertigt sei, seien oft schwer nachvollziehbar. Eine Überlastung des Gesundheitssystems sei in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar; insbesondere sei der Verlauf der Omikron-Variante nicht so gefährlich, wie bei den vorausgehenden Virusvarianten. Auch seien die Antragsteller, anders als im Verfahren M 13 S 21.6688 vor dem Verwaltungsgericht München, auf die Wünsche der Antragsgegnerin eingegangen und hätten eine stationäre Versammlung angemeldet. So werde insbesondere die Clusterbildung, die im engen Zusammenhang zur Maskenpflicht stehe, akzeptiert. Die angeordnete Maskenpflicht sei daher überflüssig und rechtswidrig. Die Stellungnahme der DGKH vom 24. Januar 2022 komme zu dem Ergebnis, dass eine Mund-Nasen-Bedeckung überflüssig sei, wenn Abstände im Freien eingehalten würden; das Tragen einer FFP2-Maske sei nur im professionellen Bereich sinnvoll.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage der Antragsteller gegen die Ziffern 6., 7. und 8. des Bescheides der Antragsgegnerin vom 21.01.2022 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung nimmt sie auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug und führt ergänzend aus.
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (M 33 K 22.415 und M 33 S 22.332) sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
I. Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffern 6, 7 und 8 des streitgegenständlichen Bescheids hat keinen Erfolg.
Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn diese keine aufschiebende Wirkung hat. Die erhobene Klage entfaltet gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung.
Das Gericht hat eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Bei dieser Abwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von maßgeblicher Bedeutung, soweit sie bereits überschaubar sind (BayVGH, B.v. 4.6.21 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 14). Dabei muss unter Berücksichtigung der Bedeutung des Versammlungsrechts die Prüfungsdichte im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO umso eingehender sein, als die angegriffenen Maßnahmen Unabänderliches bewirken; die Fragen der Offensichtlichkeit von der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der behördlichen Maßnahmen ist dann – insoweit über die summarische Prüfung hinausgehend – erschöpfend im Sinne einer vollständigen Rechtsprüfung unter – den Umständen nach tatsächlich möglicher – Sachverhaltsaufklärung vom Gericht zu klären (BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – juris Rn. 18; B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE, 69, 315/363 f. = Juris Rn. 96; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 104). Lassen sich die Erfolgsaussichten bei dem hiernach gebotenen Prüfungsmaßstab nicht abschließend beurteilen, hat das Gericht unter Berücksichtigung der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit im Rahmen einer eigenen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der behördlichen Verfügung, das private Interesse des Betroffenen und die Interessen Dritter, vorläufig von deren Wirkung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen.
1. Der Antrag ist unbegründet, da die Ziffern 6, 7 und 8 im streitgegenständlichen Bescheid vom 21. Januar 2022 voraussichtlich rechtmäßig sind und die Antragsteller insoweit nicht in ihren Rechten verletzen.
Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16). Art. 8 GG schützt aber nicht die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen (BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 – BVerfGE 104, 92/104f. = juris Rn. 44)
Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Beschränkungen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a.− BVerfGE 104, 92/111 = juris Rn. 63). Insoweit gilt die Regel, dass kollektive Meinungsäußerungen in Form einer Versammlung umso schutzwürdiger sind, je mehr es sich bei ihnen um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (stRspr, vgl. BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 – BVerfGE 73, 206/258 = juris Rn. 102).
2. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. § 9 Abs. 1 15. BayIfSMV kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
2.1 Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, wie etwa Leben Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und dessen allgemeine Persönlichkeitsrechte, den Bestand staatlicher Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates sowie die Rechtsordnung als Ganzes, zu der neben den Strafgesetzten auch verwaltungsrechtliche Gebots- und Verbotsnormen gehören (BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2246 – juris Rn. 53; BVerfG B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE 69, 315/352 = juris Rn. 77). Mit der Aufnahme von Versammlungsbeschränkungen in den Katalog möglicher Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) gemäß § 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG hat der Bundesgesetzgeber die Wertung vorweggenommen, dass solche Beschränkungen grundsätzlich geeignet sind, Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner zu begegnen und einer Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken (vgl. BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – Rn. 17 ff.). Der Bayerische Landtag stellte gemäß § 28a Abs. 8 IfSG für das Gebiet des Freistaates fest, dass eine konkrete Gefahr einer epidemischen Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bestehe (BayMBl. 2021 Nr. 826). Auf diesen Grundlagen muss nach § 9 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV bei Versammlungen unter freiem Himmel zwischen allen Teilnehmern ein Mindestabstand von 1,5 m gewahrt werden. Nach Satz 2 haben die zuständigen Versammlungsbehörden im Einzelfall sicherzustellen, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein vertretbares Maß beschränkt bleiben. Diese Bestimmungen konkretisieren auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 28a IfSG (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2020 – 10 CS 20-2103 – juris Rn. 7).
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen aber keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.). Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten; gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9 m.w.N.). Speziell für die infektionsschutzrechtliche Gefahrenprognose verlangt § 9 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren insgesamt auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben. Dabei verlangt infektionsschutzrechtliche „Vertretbarkeit“ gerade keine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen „Unbedenklichkeit“. Vielmehr muss die Behörde bei ihrer Prüfung eigene Überlegungen zur Minimierung von Infektionsrisiken anstellen und vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit sich zunächst um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.2020 – 1 BvQ 37/20 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 10 CS 20.999 – juris Rn. 24).
2.2 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Tatbestand des Art. 15 Abs. 1 BayVersG voraussichtlich erfüllt. Nach den zur Zeit des Erlasses der Anordnungen erkennbaren Umständen ist die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet.
Dass von einer durch die angezeigte Versammlung ausgehenden Infektionsgefahr ausgegangen wird, ist nicht zu beanstanden. Aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Versammlung ist es dem Gericht nicht möglich, sich eine eigene belastbare Sachkenntnis von den Infektionsgefahren zu verschaffen. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin der Einschätzung des Verordnungsgebers und des Robert Koch-Instituts (RKI) dahingehend folgt, dass die aktuelle epidemiologische Lage besondere Schutzmaßnahmen bei Versammlungen erforderlich macht. Das RKI empfiehlt in seiner aktuellen Risikobewertung vom 14. Januar 2022 zur nachhaltigen Senkung der Infektionszahlen unter anderem die Kontaktreduktion und Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln sowie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen im Alltag; die Verbreitung der Omikronvariante verstärke dabei die Notwendigkeit intensiver kontaktreduzierender Maßnahmen und eine konsequente Einhaltung der zuvor erwähnten Maßnahmen (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html abgerufen am 26.1.22). Die Übertragung von Viren über Aerosole komme im Freien zwar seltener vor, dies gilt nach den fachlichen Einschätzungen des RKI aber nicht bei engem Kontakt, z.B. Gesprächskontakt (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2021 – 25 NE 21.1814 – juris Rn. 23) und in Menschenmengen mit geringen Abständen (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2021 – 10 CS 21.249 – juris Rn. 33). Dass sich die Antragsteller nicht gegen die übrigen infektionsschutzrechtlichen und sonstigen Beschränkungen im streitgegenständlichen Bescheid wehren, vermag die zutreffende Gefahrenprognose der Antragsgegnerin nicht zu erschüttern. Auch die weiteren antragstellerischen Ausführungen unter der Überschrift „Annex: Rechtslage im Lichte der Entscheidung des BVerfG vom 19.11.2021“ teilt das Gericht nicht.
3. Die versammlungsrechtlichen Beschränkungen erweisen sich aus Sicht des Gerichts voraussichtlich als verhältnismäßig.
3.1 Versammlungsbeschränkungen dürfen als Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen allerdings nur verfügt werden, wenn sie geeignet und erforderlich sind und der hierdurch bewirkte Grundrechtseingriff insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den die Beschränkung zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit betroffenen Rechten Dritter, ist eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris Rn. 32).
3.2 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweisen sich die getroffenen behördlichen Anordnungen in den Ziffern 6, 7 und 8 aus Sicht des Gerichts voraussichtlich als verhältnismäßig.
Eine angeordnete FFP2-Maskenpflicht bei Versammlungen unter freiem Himmel stellt eine grundsätzlich geeignete Infektionsschutzmaßnahme zur Bekämpfung von COVID-19 dar; bzgl. der Begründung wird auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu §§ 3 i.V.m. 9 Abs. 1 Satz 3 der Dreizehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung verwiesen (BayVGH, B.v. 20.7.2021 – 25 NE 21.1814 – juris Rn. 22 ff.). Dies wird auch nicht durch die Stellungnahme der DGKH vom 24. Januar 2022, die ebenfalls dem Tragen von FFP2-Masken einen hocheffektiven Schutz vor Übertragungen des Virus zusprechen, in Frage gestellt. Die FFP2-Maskenpflicht ist auch erforderlich, insbesondere stellen das in Ziffer 5 angeordnete Clustergebot sowie das Abstandsgebot des § 9 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV keine ausreichenden milderen, aber gleich effektiven Mittel zur Gefahrenbekämpfung dar. Bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung kommt es bei größeren Menschenansammlungen, wie der zu erwartenden Versammlung mit bis zu 10.000 Teilnehmern aufgeteilt in Clustern zu je 500 Teilnehmern, durch die natürlichen Bewegungsabläufe der Versammlungsteilnehmer innerhalb des Versammlungsortes regelmäßig zu einer Unterschreitung des Mindestabstandes von 1,5m, womit die Weiterverbreitung des Coronavirus, welches sich mittels Tröpfcheninfektion überträgt, begünstigt wird. Die Maskenpflicht bietet hier einen zusätzlichen, wichtigen Beitrag zur Verhinderung der Weiterverbreitung des Coronavirus, insbesondere bei längeren Gesprächen und gesichtsnahen Kontakten der Versammlungsteilnehmer untereinander sowie in unübersichtlichen Situationen während der Versammlung (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 25 NE 21.2066 – juris Rn. 64). Die mit der angeordneten Maskenpflicht einhergehenden Grundrechtseinschränkungen der Antragsteller sowie der übrigen Versammlungsteilnehmer (Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG) stehen derzeit auch nicht außer Verhältnis zu Gewicht und Dringlichkeit der die Maßnahmen rechtfertigenden antragsgegnerischen Gefahrenprognose; auf obige Ausführungen zur vorliegenden unmittelbaren Gefahrenlage wird verwiesen. Der mit der angeordneten Maskenpflicht verfolgte individuelle Gesundheitsschutz sowie der Schutz des Gesundheitssystems vor Überlassung überwiegt gegenwärtig nach wie vor. Insbesondere enthält die angeordnete Maskenpflicht auch einen Befreiungstatbestand für Kinder bis zum sechsten Lebensjahr sowie bei Vorliegen gesundheitlicher Gründe. Dass hier entsprechend § 2 15. BayIfSMV die angeordnete Maskenpflicht insoweit als spezielle Maskenpflicht i.S.e. Pflicht zum Tragen einer sog. FFP2-Maske ausgestaltet ist, begegnet ebenfalls keinen Bedenken; für Kinder und Jugendliche zwischen dem sechsten und dem vollendeten 16. Lebensjahr besteht im Übrigen auch nur eine Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske.
Soweit die Antragsgegnerin ersatzweise für die FFP2-Maskenpflicht eine – insoweit ebenfalls mit gleichgerichteten Ausnahmetatbeständen versehene – Pflicht zum Tragen eines Gesichtsvisiers bzw. einer Klarsichtmaske angeordnet hat, begegnet dies nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keinen Bedenken (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2021 – 10 CS 21.1135 – juris Rn. 20 f.). Zwar kann die Verwendung von Visieren nach Einschätzung des RKI aufgrund des gegenwärtigen Erkenntnisstandes nicht als Alternative zur Mund-Nasen-Bedeckung angesehen werden, weil die Rückhaltewirkung von Visieren auf ausgestoßene respiratorische Flüssigkeitspartikel deutlich schlechter sei (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/ NCOV2019/gesamt.html – abgerufen am 26.1.2022). Laut dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte dienen Visiere aber einem zusätzlichen Schutz der Augen und des Gesichts vor Tröpfchen und Spritzern und können daher als Teil der persönlichen Schutzausrüstung angesehen werden (https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/schutzmasken.html – abgerufen am 26.1.2022). Demnach ist mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs davon auszugehen, dass Gesichtsvisiere bzw. Klarsichtmasken nicht völlig ungeeignet sind, sondern ihnen eine grundsätzliche, wenngleich gegenüber Mund-Nasen-Bedeckungen herabgesetzte Eignung, der Gefahr einer Tröpfcheninfektion zu begegnen, um die es bei Versammlungen unter freiem Himmel unter anderem geht, zukommt BayVGH, B.v. 19.4.2021 – 10 CS 21.1135 – juris Rn. 21).
4. Die behördlichen Anordnungen in Nrn. 6, 7 und 8 beruhen voraussichtlich auf einer pflichtgemäßen Ermessensausübung.
Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG sieht auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen der Versammlungsbehörde vor. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage steht die Anordnung von Beschränkungen der Versammlung im Ermessen der Behörde. Dieses ist von ihr im Rahmen des Art. 40 BayVwVfG auszuüben. Insoweit ist die Ermessensausübung der Versammlungsbehörde durch die Gerichte nach § 114 Satz 1 VwGO überprüfbar. Die Versammlungsbehörde hat das ihr auf Grundlage von Art. 15 Abs. 1 BayVersG zustehende Ermessen erkannt. Auch im Übrigen leidet der streitgegenständliche Bescheid nicht an sonstigen Ermessensfehlern. Die Antragsgegnerin hat insbesondere auch eine Abwägung der in den Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenen verfassungsrechtlich garantierten Rechte der Antragsteller durchgeführt.
5. Im Übrigen wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die dem streitgegenständlichen Bescheid zugrundeliegende zutreffende Begründung Bezug genommen.
6. Auch bei isolierter, reiner Interessensabwägung überwiegt das private Aussetzungsinteresse der Antragssteller das öffentliche Vollzugsinteresse nicht. Hierbei ist dem Gericht bewusst, dass es im Rahmen des privaten Aussetzungsinteresses des Antragsstellers zum einen die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit, als die für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierende Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, und zum anderen der Umstand der Unabänderlichkeit des Vollzugs der versammlungsrechtlichen Beschränkungen zu berücksichtigen hat. Zu berücksichtigen ist vorliegend zugunsten des öffentlichen Vollzugsinteresse, dass die Versammlung trotz einiger Modifizierungen in Gestalt der angegriffenen Auflagen weitgehend ermöglicht wird und ihr Charakter insoweit gewahrt wird und dass auch keine Beschränkung mit dem Gewicht eines faktischen Verbots vorliegt.
II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Das Gericht hält aufgrund der vorwegnehmenden Wirkung der Entscheidung eine Anhebung des Streitwerts bis zur Höhe des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens für geboten.


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