Medizinrecht

Versammlungsrecht

Aktenzeichen  3 B 411/21 MD

Datum:
3.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 3. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0103.3B411.21MD.00
Spruchkörper:
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Leitsatz

Teilnehmer sog. „Spaziergänge“ können als Teilnehmer einer nicht angemeldeten Versammlung im Vorfeld der Versammlung mit einem Platzverweis/Betretungsverbot nach § 36 Abs. 1 SOG LSA belegt werden, damit sie nicht an den Versammlungsort gelangen.

Tenor

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbefehls gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.12.2021 wiederherzustellen, wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragssteller.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage gegen eine gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärte Verfügung ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung und dem privaten Interesse des Antragstellers daran, von den Folgen der sofortigen Vollziehung bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben. Im Rahmen dieser Abwägung ist von besonderer Bedeutung, ob sich der angefochtene Bescheid nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nur gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweist, da ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheides nicht bestehen kann.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze fällt die Abwägung hier zu Ungunsten des Antragstellers aus. Denn die polizeiliche Anordnung eines Platzverweises/Betretungsverbotes für den in der Verfügung vom 29.12.2021 zeitlich und örtlich näher und ausreichend bezeichneten Straßenteil der Innenstadt von H. ist voraussichtlich nach § 36 Abs. 1 SOG LSA rechtmäßig. Danach kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Orts verbieten.
Der (einfache) Platzverweis setzt eine Sachlage voraus, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird (vgl. § 3 Nr. 3 lit. a] SOG LSA [konkrete Gefahr]). Der Schadenseintritt braucht nicht mit Gewissheit zu erwarten sein. Andererseits ist aber die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts nicht ausreichend. Der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist dabei abhängig vom Rang des Rechtsgutes, in das eingegriffen werden soll, sowie vom Rang des polizeilichen Schutzgutes (vgl. VGH BW, Urteil vom 12. Juli 2010 – 1 S 349/10 -, juris Rn. 62). Geht es – wie hier – auch um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, nämlich Leben und Gesundheit von Menschen, dürfen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes nicht überspannt werden (vgl. VGH BW, Urteil vom 12. Juli 2010, a. a. O.). Der damit erforderlichen Gefahrenprognose ist das Tatsachenwissen zugrunde zu legen, das der Verwaltungs- und Polizeibehörde zum Zeitpunkt ihres Einschreitens bekannt war; anhand dieses Tatsachenwissens muss aus Sicht eines objektiven, besonnenen Amtswalters das Vorliegen einer solchen (spezifischen) Gefahr bejaht werden können (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 27. Juni 2006 – 2 M 224/06 -, juris Rn. 3 [m. w. N.]). Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung (vgl. § 3 Nr. 1 SOG LSA), so dass eine Platzverweisung grundsätzlich bei jedem Verstoß gegen Rechtsvorschriften erfolgen kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 2. Juli 2014 – 10 C 12.2728 -, juris Rn. 40; OVG LSA, Beschluss vom 23. April 2018 – 3 L 85/16 –, Rn. 50, juris).
Die streitbefangene Verfügung führt zutreffend die augenblickliche Problematik der sogenannten „Spaziergänge“ als nicht angemeldete Versammlungen und die dadurch für die Polizei bestehenden Schwierigkeiten zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung aus. Die Antragsgegnerin verweist dazu auf nicht angemeldete Versammlungen und Aufzüge am 01., 06., 13., und 27.12.2021 mit bis zu 1800 Teilnehmern in H.. Bei der unangemeldeten Versammlung am 27.12.2021 habe der Antragsteller augenscheinlich unter anderen den Aufzug angeführt. Dem widerspricht der Antragsteller in seiner Antragsschrift nicht und führt aus, dass er regelmäßig an politischen Versammlungen teilgenommen habe. So habe er in der Vergangenheit an verschiedenen sog. „Montagsprotesten“ in Sachsen-Anhalt und auch in H. teilgenommen. Er wolle sich auch am Montag, den 03.01.2022, einer Versammlung anschließen, wenn eine solche stattfinde.
Demnach liegt es auf der Hand, dass sich der Antragsteller zu der in der Verfügung genannten Zeit und dem Ort in H. zu einem – bislang – nicht angemeldeten Aufzug versammeln wird. Dem kann nur wirksam mit dem von der Antragsgegnerin gewählten Mittel nach § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA begegnet werden. Dies hat die Antragsgegnerin zutreffend erkannt und in der Verfügung entsprechend ihrer Ermessensausübung ausgeführt. Ebenso ist zu befürchten, dass zu der besagten Zeit und dem besagten Ort erneut nicht angemeldete Versammlungen und Aufzüge stattfinden und es dort zu Rechtsverstößen kommen wird, wie z. B. Missachtung der Maskenpflicht und Nichteinhaltung der Abstände. Auch zur Überzeugung des Gerichts ergibt sich dies aus den Erkenntnissen der in der Vergangenheit stattgefundenen Aufzüge und der medienbekannten Berichterstattung und sogar aus den eigenen Angaben des Antragstellers als regelmäßiger Teilnehmer sog. „Montagsproteste“. Anders als bei einer angemeldeten Versammlung haben die Sicherheitsbehörden – und hier vordringlich die Antragsgegnerin als Polizeibehörde – keine Möglichkeit im Vorfeld durch Auflagen und Verbote auf die Versammlung zu reagieren und diese zum Schutz der Versammlungsfreiheit und der Teilnehmer, aber auch zum Schutze sonstiger Rechtsgüter zu steuern. Daher bleibt der Antragsgegnerin aufgrund der augenblicklichen polizeilichen Lage, die sich aufgrund der unangemeldeten Versammlungen und Aufzüge als sogenannte „Spaziergänge“ oder „Montagsproteste“ unter Umgehung des Versammlungsrechts ergibt, nur die Möglichkeit nach § 36 Abs. 1 SOG LSA zu reagieren. Demnach haben die Behörden gerade nicht die Möglichkeit, wie der Antragsteller meint, mit Auflagen zu reagieren.
Da der Antragsteller sich erkennbar nur gegen den angeordneten Sofortvollzug wendet, den das Gericht auch als formell hinreichend begründet ansieht, sind die weiteren angedrohten Zwangsmaßnahmen nicht zu prüfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG. Für eine Halbierung besteht kein Anlass.


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