Medizinrecht

versammlungsrechtliche Auflagen, Höhenbeschränkung von Seitentransparenten, Gefahrenprognose, Erkenntnisse aus früheren Veranstaltungen

Aktenzeichen  B 7 S 21.1184

Datum:
11.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41324
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG Art. 15 Abs. 1
GG  Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen versammlungsrechtliche Beschränkungen hinsichtlich des Einsatzes von Kundgebungsmitteln.
Die Antragstellerin hat für den 13.11.2021 eine sich fortbewegende Versammlung unter dem Motto „Gegen Neonazis und Rassismus“ in … mit 200 zu erwartenden Teilnehmern beim Landratsamt … angezeigt. Die Versammlung wird von der „Initiative gegen den Naziaufmarsch in … 2021“ organisiert. Die Klägerin ist verantwortliche Leiterin.
Mit Bescheid vom 08.11.2021 bestätigte das Landratsamt … die Anmeldung der Versammlung und ordnete unter Ziff. III. 2 b) unter der Überschrift „Beschränkungen hinsichtlich des Einsatzes von Kundgebungsmitteln“ u.a. Folgendes an: „Seitentransparente dürfen eine Länge von maximal 3 m und eine Höhe von maximal 1 m haben. Zwischen mehreren mitgeführten Seitentransparenten muss ein Mindestabstand von 3 m eingehalten werden.“
Zur Begründung der streitgegenständlichen Bestimmung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, durch die Verwendung von Seitentransparenten dürfe die seitliche Sicht auf die Demonstrationsteilnehmer nicht vollkommen behindert werden. Dies sei erforderlich, um eventuelle Vorbereitungshandlungen für Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die von einzelnen Versammlungsteilnehmern ausgehen können, rechtzeitig zu erkennen. Nur dadurch sei es möglich, solche Störungshandlungen auch zu verhindern. Bei völlig geschlossenen Seitentransparenten ohne entsprechende Lücken dazwischen sei ein ggf. notwendiger Zugriff durch Polizeikräfte auf Versammlungsstörer nicht gewährleistet.
Mit Schriftsatz vom 10.11.2021 erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin Klage (B 7 K 21.1185) gegen die Ziffer III. 2 b) des Bescheids des Landratsamts … vom 08.11.2021 (mit der Ausnahme der Beschränkung hinsichtlich der Länge der Transparente auf maximal drei Metern) und beantragt zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung des Eilantrags wird im Wesentlichen ausgeführt, im Rahmen des Eilverfahrens sei aufgrund überwiegender Erfolgsaussichten der Klage deren aufschiebende Wirkung in Bezug auf die angegriffene Beschränkung anzuordnen. Die angegriffene Beschränkung sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Beschränkungen von Versammlungen seien nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG möglich, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet sei. Hierfür sei eine Gefahrenprognose anzustellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose seien konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen seien hierzu nicht ausreichend. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Beschränkung liege bei der Behörde. Der Bescheid führe keinerlei Anhaltspunkte für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an. Es sei schon nicht erkennbar, welche Störungen durch Teilnehmer der Versammlung die Versammlungsbehörde befürchte. In der Begründung werde auf „eventuelle Vorbereitungshandlungen“ und einen „ggf. notwendigen Zugriff“ abgestellt. Mit diesen Formulierungen werde offensichtlich, dass die Versammlungsbehörde bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen anstelle einer konkret nachvollziehbaren und tatsachenbasierenden Gefahrenprognose setze. Diese seien keinesfalls geeignet, die Versammlungsfreiheit der Klägerin zu beschränken. Die Gestaltung des Demonstrationszuges sei grundsätzlich Sache der Veranstalter. Eine polizeiliche Vorgabe, wo und wie Kundgebungsmittel getragen werden müssten, greife in das Selbstbestimmungsrecht der Veranstalter ein. Hinsichtlich der Breite der Transparente sei insbesondere noch auszuführen, dass die Standardausführung von Stoffbahnen für die Herstellung von Transparenten verwendet werde, die 1,40 oder 1,50 Meter breit seien. Die Längenvorgabe im Bescheid von drei Metern stelle hingegen voraussichtlich keine Beschwer dar, da es sich um die insoweit übliche Länge für Transparente handle.
Mit Schriftsatz vom 11.11.2021 beantragt der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt der Antragsgegner im Wesentlichen aus, die im Bescheid getroffenen Regelungen zu den Seitentransparenten seien aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgt. Rechtsgrundlage hierfür sei Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Es sei konkret zu erwarten, dass von einem Teil der Versammlungsteilnehmer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Zumindest ein Teil der „Initiative gegen den Naziaufmarsch in … 2021“ sei die Gruppierung „Nicht Lange Fackeln!“. Unter https://nichtlangefackeln.noblogs.org finde eine Mobilisierung für die streitgegenständliche Versammlung statt. Die Homepage beinhalte links oben die Bezeichnung „Nicht Lange Fackeln!“, darunter die Zeile „Nazitraditionen – Sabotieren – Blockieren – Angreifen“. Eine Vielzahl von Aufrufen auf Twitter beinhalte teilweise optisch besonders herausgehoben den Slogan „Sabotieren – Blockieren – Angreifen“. Beispielhaft sei hier auch die Website „dasschweigendurchbrechen.wordpress.com“ genannt. Auch hier beinhalte der Aufruf folgende Formulierung: „Daher wollen wir nicht nur ein Zeichen setzen, sondern haben das klare Ziel: direkt intervenieren und das ganze Nazispektakel verhindern – uns gemeinsam und erfolgreich den Nazis in den Weg stellen.“ Diese Aufrufe beinhalteten einerseits die Absicht, eine Blockade einer anderen Versammlung durchzuführen und andererseits aufgrund des klaren Mottos auch den Aufruf zu konkreten Angriffen gegen eine Versammlung. Diese Aufrufe stünden im unmittelbaren Zusammenhang mit der Teilnahme der Aufgerufenen an der streitgegenständlichen Versammlung. Es sei daher konkret zu erwarten, dass Personen, die konkrete Absichten zu Blockadehandlungen und deren Vorbereitungen sowie entsprechende Angriffe auf andere Versammlungen hätten, die vorliegende Versammlung zunächst als Basis der Vorbereitung nutzen würden. Ein weiteres Indiz für die durchaus bestehende Gewaltbereitschaft zumindest eines Teils der Versammlungsteilnehmer sei die von der Versammlungsanmelderin am …2021 in … durchgeführte Versammlung, bei der einerseits sogenannte „schwarze Blocks“ Brandbarrikaden errichteten und andererseits aus der Versammlung heraus mit einem Transparent Morddrohungen gegen Polizeibeamte ausgesprochen worden seien. Zudem hätten massive Mobilisierungen für die streitgegenständliche Versammlung in Mittelfranken stattgefunden. Auch die Versammlung der „AntiFa“ im Jahr 2019 gegen das Heldengedenken des … habe in erheblichem Umfang Teilnehmer aus diesem Raum angezogen. Damals seien entgegen dem Beschränkungsbescheid nach der Auftaktkundgebung die mitgeführten Transparente miteinander verknotet und über Augenhöhe rund um die Teilnehmer getragen worden. Während der Abschlusskundgebung sei ein bengalisches Feuer gezündet worden. Mehrere Personen hätten sich vermummt. Bei der Versammlung „Demonstration gegen Repression“ am …2021 in … sei am Versammlungsende für die Versammlung in … geworben worden. Auch bei dieser Versammlung sei aus dem Aufzug heraus Pyrotechnik und ein Rauchtopf gezündet worden. Dies zeige, dass konkret damit zu rechnen sei, dass zum einen der Schutz durch Verdeckungen und zum anderen die möglichst weitgehende Anonymität dafür genutzt werde, um Übergriffe aus der Versammlung heraus vorzubereiten. Dass dies auch bei der streitgegenständlichen Versammlung drohe, sei darin begründet, dass mit einem teilweisen identischen Teilnehmerkreis in Bezug auf die zitierten Versammlungen zu rechnen sei.
Die in der Antragsbegründung zitierte Entscheidung des VG München vom 17.09.2021 gehe primär von der Thematik aus, ob die Beschränkung des Mitführens von Seitentransparenten dazu diene, Teilnehmer der Versammlung identifizieren zu können. Im vorliegenden Fall gehe es aber vielmehr darum, zu verhindern, dass das konkrete Versammlungsgeschehen uneinsehbar werde. Sinn und Zweck der Festlegung eines erforderlichen Mindestabstands zwischen den Seitentransparenten sei es, zu verhindern, dass von Teilnehmern der Versammlung völlig unbemerkt Vorbereitungshandlungen für Übergriffe und Angriffe nach außen vorbereitet werden könnten. Sobald solche Vorbereitungen von Störungshandlungen, die potenziell in einer Straftat münden, erfolgten, sei eine entsprechende Unterbindung durch die eingesetzten Polizeikräfte erforderlich. Hier sei ggf. ein Zugriff auf Störer erforderlich, wobei es zweitrangig sei, die Person bereits von außen zu identifizieren, sondern vielmehr die Feststellung, welche Person hier eine Sicherheitsstörung vorbereite, um diese gezielt zu verhindern. Die reine Identifizierung könne ggf. nach Zugriff auf diese Person erfolgen. Die Tatsache, dass ein von außen nicht einsehbarer Block durch die Straßen ziehe, erhöhe deutlich die Wahrscheinlichkeit, dass gewaltbereite Versammlungsteilnehmer dieses uneinsehbar abgeschlossenes Umfeld nutzten, um entsprechende sicherheitsrelevante Übergriffe vorzubereiten. Um eine entsprechende Einsehbarkeit zu erreichen, sei eine entsprechende Lücke von drei Metern zwischen den einzelnen Transparenten erforderlich.
Ein weiterer Aspekt des Mindestabstands sei die Tatsache, dass im Rahmen einer Versammlung auch medizinische Notfälle auftreten können. Auch hierbei sei es erforderlich, dass ein schneller Zugriff auf die betroffenen Personen erfolgen könne. Soweit die Seitentransparente miteinander verbunden seien, wie es zum Beispiel bei der Versammlung im Jahr 2019 versucht worden sei, sei ein Durchdringen von Rettungskräften noch mehr erschwert.
Die Beschränkung der Höhe der Seitentransparente auf einen Meter sei ebenfalls erforderlich, da bei höheren Seitentransparenten der gesamte menschliche Aktivitätsraum verdeckt werde. Die von der Antragstellerin geforderte Höhe von Seitentransparenten von 1,40 bzw. 1,50 Meter ermögliche es beispielsweise beim Halten in einer Höhe von über 0,5 Metern über dem Boden, dass bis zu einer Höhe von 2 Metern über dem Boden der gesamte Raum, in dem sich Menschen typischerweise bei Vorbereitungshandlungen für entsprechende Übergriffe körperlich betätigen, uneinsehbar verdeckt bliebe. Das Argument, die Höhe von 1,40 bzw. 1,50 Meter sei die übliche Bahnenhöhe, sei nicht ausschlaggebend. Es sei für einen Versammlungsanmelder und auch für die Versammlungsteilnehmer problemlos möglich, größere Stoffflächen auf die vorgeschriebene Höhe von einem Meter zu reduzieren.
Die im Bescheid vorgenommene Beschränkung hinsichtlich der Seitentransparente sei rechtmäßig und verletze die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sei daher abzulehnen.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die angegriffene Beschränkung (Ziffer III. 2. b) des Bescheids vom 08.11.2021) – mit Ausnahme der Transparentlänge von max. drei Meter – bleibt ohne Erfolg.
Gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage anordnen, wenn diese keine aufschiebende Wirkung hat. Dies ist gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG bei einer Klage gegen Versammlungsbeschränkungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG der Fall. Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Suspensivinteresse des Antragsstellers am Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs vorzunehmen. Dabei trifft das Gericht eine eigene originäre Interessensabwägung, für die in erster Linie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich sind. Im Falle einer demnach voraussichtlich aussichtslosen Klage besteht dabei kein überwiegendes Interesse an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Wird dagegen der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein, so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Bei offenen Erfolgsaussichten ist eine Interessensabwägung vorzunehmen, etwa nach den durch § 80 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO getroffenen Grundsatzregeln, nach der Gewichtung und Beeinträchtigungsintensität der betroffenen Rechtsgüter sowie der Reversibilität im Falle von Fehlentscheidungen. Dem Charakter des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht dabei grundsätzlich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage. Zum Schutz von Versammlungen ist jedoch schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt (vgl. insoweit auch VG München, B.v. 17.9.2021 – M 13 S 21.4924 – juris m.w.N.).
Gemessen hieran war der Antrag abzulehnen, da die Hauptsacheklage aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird und auch keine sonstigen Gründe es erfordern, die angegriffene Versammlungsbeschränkung gerichtlich „außer Vollzug“ zu setzen.
1. Gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde (Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 BayVwVfG) eine Versammlung verbieten oder beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei die Unverletzlichkeit und den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und Ehre des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und den Bestand der staatlichen Einrichtungen.
Eine unmittelbare Gefahr im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Bei der Ermittlung des Vorliegens einer solchen Sachlage dürfen im Hinblick auf die Bedeutung der Versammlungsfreiheit keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden (vgl. beispielsweise BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris; B.v. 4.9.2009 -1 BvR 2147/09 – juris; siehe auch VG München, B.v. 17.9.2021 – M 13 S 21.4924 – juris m.w.N.). Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. insgesamt auch: BayVGH, B.v. 12.4.2013 – 10 CS 13.787 – juris m.w.N.; BayVGH, B.v. 3.10.2014 – 10 CS 14.2156 – juris).
Die von der Antragstellerseite vorgetragene Rechtsprechung des BayVGH (B.v. 12.4.2013 – 10 CS 13.787 bzw. B.v. 3.10.2014 – 10 CS 14.2156) und des VG München (B.v. 17.9.2021 – M 13 S 21.4924) zum Mitführen von Seitentransparenten steht der streitgegenständlichen Ziffer III. 2. b) des Bescheids vom 08.11.2021 schon deswegen nicht entgegen, weil diese Entscheidungen das generelle Verbot des Mitführens von Seitentransparenten zum Gegenstand hatten. Insoweit führte der BayVGH (B.v. 3.10.2014 – 10 CS 14.2156 – juris) u.a. aus: „Dementsprechend kann auch das Mitführen von Seitentransparenten nicht allein wegen der allgemeinen Möglichkeit ihres Missbrauchs zur Verhinderung der Identifizierung von Störern untersagt werden. Es bedarf vielmehr insoweit konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass das Mitführen der Transparente die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet.“
Vorliegend hat der Antragsgegner das Mitführen von Seitentransparenten aber nicht untersagt, sondern lediglich angeordnet, dass die Transparente maximal drei Meter lang und maximal einen Meter hoch sein dürfen, sowie dass zwischen den Seitentransparenten ein Abstand von mindestens drei Metern eingehalten werden muss. Insoweit hat der BayVGH bereits mit Urteil vom 3.11.1997 (24 B 95.3713 – juris) ausgeführt, dass es grundsätzlich möglich ist, auch hinsichtlich der Mitführung von Transparenten Auflagen zu treffen. Es ist also der Versammlungsbehörde nicht verwehrt, hinsichtlich der Art und Weise der Verwendung von Seitentransparenten Auflagen zu treffen, wenn diese nicht lediglich von einer allgemeinen Möglichkeit des Missbrauchs von Seitentransparenten abhängig gemacht werden (BayVGH, B.v. 9.12.2005 – 24 CS 05.3215 – juris; VG Ansbach, U.v. 29.11.2017 – AN 4 K 16.02167 – juris).
Der Antragstellerseite ist zwar beizupflichten, dass die Begründung zur streitgegenständlichen Beschränkung sehr allgemein gehalten ist. Im Rahmen der Antragserwiderung vom 11.11.2021 hat der Antragsgegner seine Ausführungen jedoch präzisiert und dahingehend substantiiert, so dass nach Auffassung der beschließenden Kammer konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei fehlendem Abstand zwischen den Seitentransparenten und bei Zulassung von Seitentransparenten mit einer Höhe von mehr als einem Meter im konkreten Einzelfall die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Der Antragsgegner hat daher im Ergebnis die streitgegenständliche Beschränkung nicht lediglich von einer allgemeinen Möglichkeit des Missbrauchs von Seitentransparenten abhängig gemacht, sondern geht insoweit zutreffend von einer konkreten Gefahr aus, so dass die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG vorliegen.
Dem Antragsgegner liegen hinreichende Erkenntnisse vor, wonach bei einer von der Antragstellerin am …2021 in … durchgeführten Versammlung von sogenannten „schwarzen Blocks“ Brandbarrikaden errichtet und aus der Versammlung heraus Morddrohungen gegen Polizeibeamte ausgesprochen worden sind (vgl. Bl. 98 ff. der Behördenakte). Nach plausiblen Darlegungen des Antragsgegners ist zu erwarten, dass ein Teil dieser Teilnehmer auch bei der streitgegenständlichen Versammlung aufschlagen wird. Ein Teil der gegenständlichen „Initiative gegen den Naziaufmarsch in … 2021“ ist zudem die Gruppierung „Nicht Lange Fackeln!“. Diese Gruppe verbreitet über die Soziale Medien und über das Internet Slogans wie „Sabotieren – Blockieren – Angreifen“. Es wird konkret dazu aufgerufen, „den Naziaufmarsch zu sabotieren, blockieren und anzugreifen“ (s. https://nichtlangefackeln.noblogs.org/ u. https://dasschweigendurchbrechen.wordpress.com). Insoweit wird von Teilen des Teilnehmerkreises unmissverständlich zu einer Blockade und sogar zu konkreten Angriffen gegen eine andere Versammlung (* …*) in … aufgerufen, mithin erfolgt also ein direkter Aufruf zur Gewalt (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2013 – 10 CS 13.787 – juris). Weiterhin hat der Antragsgegner nachvollziehbar dargelegt, dass für die streitgegenständliche Versammlung massive Mobilisierungen deutschlandweit, insbesondere auch im Raum Mittelfranken, stattgefunden haben. Bereits bei einer vergleichbaren Versammlung im Jahr 2019 in … sind in erheblichem Umfang Teilnehmer aus dem mittelfränkischen Raum angereist. Entgegen dem Beschränkungsbescheid sind damals die mitgeführten Transparente miteinander verknotet und über Augenhöhe getragen worden. Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen können insoweit auch als Indizien für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit herangezogen werden, soweit die damalige Versammlung bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der streitgegenständlichen Versammlung aufweisen (BayVGH, B.v. 3.10.2014 – 10 CS 14.2156 – juris). Auch bei einer Versammlung am …2021 in …, bei der für die streitgegenständliche Versammlung geworben wurde, ist aus dem Aufzug heraus Pyrotechnik und ein Rauchtopf gezündet worden.
Für das Gericht ist daher plausibel dargelegt, dass auch in … konkret damit zu rechnen ist, dass der Schutz durch Verdeckungen und die weitgehende Anonymität dafür genutzt wird bzw. werden soll, Übergriffe aus der Versammlung heraus vorzubereiten. Dementsprechend ist es gerichtlich auch nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner einen Abstand von mindestens drei Metern zwischen den einzelnen Seitentransparenten fordert, damit Vorbereitungshandlungen für Übergriffe und Straftaten zeitnah erkannt werden und um diese ggf. noch gezielt verhindern oder zumindest eindämmen zu können, insbesondere auch um störende Teilnehmer effektiv aus der Menge entfernen zu können, ohne dass die Polizeikräfte durch eine „Wand“ aus Transparenten daran gehindert werden oder es diesen nahezu unmöglich gemacht wird, Störer effektiv herauszugreifen (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2005 – 24 CS 05.3215 – juris).
Unter den vorstehenden Gesichtspunkten ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Höhe der Seitentransparente auf einen Meter begrenzt wurde. Insoweit teilt die Kammer die Auffassung des Antragsgegners, dass bei höheren Seitentransparenten auch bei nur drei Meter langen Transparenten und bei Einhaltung eines Abstandes von drei Metern zumindest jeweils nicht unerhebliche Teile des Versammlungszuges hinter einer Art hohen „Mauer“ so verdeckt werden können, dass diese Bereiche für die Sicherheitsbehörden über Gebühr schwer einzusehen sind und dementsprechend in diesen Bereichen die Vorbereitungen für Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung deutlich erleichtert werden.
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Beschränkung eine nachvollziehbare und glaubhafte Prognose einer konkreten und unmittelbaren Störung der öffentlichen Sicherheit zugrunde liegt.
Durch die streitgegenständliche Beschränkung wird zudem auch nicht in unverhältnismäßiger Weise in die Versammlungsfreiheit der Teilnehmer eingegriffen. Die Höhenbegrenzung der Seitentransparente und der Abstand von drei Metern zwischen den einzelnen Seitentransparenten stellt eine verhältnismäßig geringe Belastung der Versammlungsteilnehmer dar. Ein nennenswerter Eingriff in die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit ist damit nicht verbunden (so auch BayVGH, B.v. 9.12.2005 – 24 CS 05.3215 – juris). Es ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich, warum die Versammlung zwingend auf höhere Seitentransparente angewiesen ist und warum der geforderte Abstand zwischen den Seitentransparenten nicht möglich ist bzw. warum sich der Versammlungszug – bildlich gesprochen – seitlich „einmauern“ und von der Öffentlichkeit abschotten muss, zumal ein derartiges Ansinnen auch der gesetzgeberischen Intention (vgl. u.a. Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG) zuwiderläuft.
Angesichts der geringen Belastung der Versammlungsteilnehmer einerseits und der konkreten Gefahren für die öffentliche Sicherheit andererseits ist die streitgegenständliche Beschränkung im gerichtlichen Eilverfahren nicht zu beanstanden.
2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache vorwegnimmt, besteht kein Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben