Medizinrecht

Versammlungsverbot, Einstweiliger Rechtsschutz, Versammlung auf einer Bundesautobahn, Versammlung auf einer autobahnähnlichen ausgebauten Bundestraße, Interessenabwägung

Aktenzeichen  Au 8 S 22.150

Datum:
21.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3451
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die Untersagung seiner geplanten Versammlung.
Der Antragsteller zeigte am 12. Januar 2022 per E-Mail bei der Antragsgegnerin eine Versammlung unter freiem Himmel für Sonntag, den 23. Januar 2022, 08:00 bis 08:30 Uhr zum Thema „Spruchbänder an Autobahnbrücken sind kein Verbrechen – im Gegensatz zu der fatalen Verkehrspolitik von Stadt, Land und Bund, die trotz Klimakrise und Verkehrstoten immer noch kein Tempolimit von 60 km/h auf der A. und von 50 km/h auf der B. beschließt – Klimaschutz und Mobilitätswende statt Autostädte: A. und B. als Symbole einer fatalen Verkehrspolitik, die unverzüglich eine Mobilitätswende statt einer Antriebswende benötigt“ mit einer erwarteten Teilnehmerzahl von zwanzig bzw. einer vorgesehenen Ordneranzahl von zwei an. Als Kundgebungsort wurde angezeigt: „N. Straße Brücke über der A. (alternativ .), alternativ G. Straße Brücke bei Haltestelle . über der B. oder O. Straße über der B.“. Als Kundgebungsmittel wurden „Lautsprecher, Transparente, Klettermaterial“ angezeigt. Während der Versammlung würden sich zwei Personen geringfügig, in jedem Fall oberhalb des Lichtraumprofils der unter der Brücke verlaufenden Straße bleibend, von der Brücke abseilen, und würden so ein Spruchband, das vom fließenden Verkehr ähnlich wie sonst Werbeanzeigen wahrgenommen werden solle, über der Straße entrollen.
Auf die Anzeige der geplanten Versammlung wird im Einzelnen Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin holte daraufhin u.a. folgende Stellungnahmen ein:
– Stellungnahme der A. GmbH vom 18. Januar 2022
– Stellungnahme des Tiefbauamtes der Stadt . – Abteilung Brückenbau vom 18. Januar 2022
– Stellungnahme der Verkehrspolizeiinspektion . vom 19. Januar 2022
Den Stellungnahmen ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass die Brückengeländer prinzipiell Fußgänger-Rückhaltesysteme und für Lasten aus „Abseilaktionen“ nicht bemessen seien. Die Aktion des Abseilens gefährde die Verkehrssicherheit der Verkehrsteilnehmer und stelle ein lebensgefährliches Risiko für die sich abseilenden Personen durch den Sog der Fahrzeuge dar. Aus langjähriger Erfahrung sei bei illegal befestigten Bannern stets die Beschichtung der Geländer beschädigt worden. Es bestehe die Gefahr, dass die sich abseilenden Personen auf die Fahrbahn abstürzen. Mitgeführte Gegenstände oder Werkzeug könne auf darunter fahrende Kraftfahrzeuge fallen. Darüber sei mit Reaktionen der Fahrzeugführer zu rechnen, wie Erschrecken, Ablenkung, Ausweichen oder starkem Abbremsen, und daraus resultierenden Verkehrsunfällen, auch mit Unfällen aufgrund Rückstaus. Zulassen des Verkehrs auf der Gegenfahrbahn würde ebenfalls zu Ablenkung bzw. zu langsamen Fahrten führen und dadurch Unfälle verursachen. Für die B. wäre eine Vollsperrung erforderlich. Dabei könne der Verkehr nicht störungsfrei ausgeleitet werden. Ausleitungen würden regelmäßig zu Staubildungen führen, erfahrungsgemäß sei mit Auffahrunfällen zu rechnen. Durch das Aufhängen der Transparente bzw. beim Abseilen von Personen würde es nicht zu einem Kommunikationsprozess zwischen Versammlungs- und Verkehrsteilnehmer kommen. Von der Anbringung von Spruchbändern dürfe keine Gefahr ausgehen. Die Anbringung müsste verkehrssicher erfolgen und sollte technisch den Anforderungen der Befestigung der Banner „Rettungsgasse“ entsprechen. § 9 Abs. 6 FStrG verbiete das Anbringen von Werbeanlangen an Brücken über Bundesstraßen. Die Anbringung von politischen Forderungen werde aufgrund der gleichen Gefahr analog gesehen.
Auf die Stellungnahmen wird im Einzelnen verwiesen.
Im Rahmen einer vorherigen Kooperation zwischen den Beteiligten habe nach Angaben der Antragsgegnerin der Antragsteller zunächst die Ausführungen der Versammlungsanzeige dahingehend bestätigt, dass der Verkehr während der Versammlung nicht ruhen solle, sich zwei Personen von der Brücke der Autobahn bzw. Bundesstraße bei regulär fließenden Straßenverkehr abseilen sollen, ein Abweichen von der angezeigten Versammlungsart und den genannten Örtlichkeiten nicht beabsichtigt sei, und es sich um erfahrene Aktionskletter handele, die jedoch nicht über Zertifikate, Bescheinigungen oder eine Ausbildung als Industriekletterer verfügen würden. Mit E-Mail vom 19. Januar 2022 führt der Antragsteller aus, dass die Versammlung über dem fließenden Verkehr stattfinde, sei integraler Bestandteil des Versammlungskonzepts. Er möchte jedoch einen Rechtsstreit vermeiden, und überlege eine Blockade des fließenden Verkehrs und eine Brücke über der B. statt der A. als Zugeständnisse zu akzeptieren.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2022 untersagte die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung.
Die Untersagung stütze sich auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Es bestünden konkrete Gefahren für die öffentliche Sicherheit. Betroffen seien zum einen die Schutzgüter Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer wie auch von den unbeteiligten Verkehrsteilnehmern, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie die Rechtsordnung. Das Abseilen von Personen, die oberhalb des fließenden Verkehrs einer mehrspurigen Autobahn oder mehrspurigen autobahnähnlich ausgebauten Bundesstraße ein Spruchband spannen würden, berge ein enormes Gefahrenpotential in sich. So sei nicht auszuschließen, dass die sich abseilenden Personen durch Unachtsamkeit, mangelnde Kenntnisse oder der Anbringung der Kletterausrüstung an nicht dafür vorgesehenen Stellen bei einem Absturz selbst verletzen und zudem weitere Verletzungen infolge des Fahrzeugverkehrs zu befürchten hätten. Zum anderen würden die sich abseilenden Versammlungsteilnehmer sowie das Banner, Teile der Sicherheitsvorkehrungen wie auch Werkzeuge bzw. anderweitige Gegenstände, die in den Bereich des fließenden Verkehrs fallen und damit Autofahrer zu Ausweichmanövern oder unerwarteten Bremsvorgängen zwingen, eine erhebliche Gefahr für die Verkehrsteilnehmer, die die Brücke unterfahren, darstellen. (Auffahr-)Unfälle sowie ein unkontrolliertes Verlassen der Fahrspuren seien zu erwarten. Somit wäre der Straftatbestand des § 315b StGB erfüllt. Die Untersagung erfolge in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens. Diese stelle ein geeignetes Mittel dar, um Gefahren entgegenzusteuern. Ferner würden derartige Brücken hinsichtlich einer solchen Nutzung nicht bemessen und geprüft. Ein milderes, gleich effektives Mittel sei nicht ersichtlich. Der Antragsteller hätte im Rahmen der Kooperationsgespräche geltend gemacht, dass die Aktion während des fließenden Verkehrs erfolgen solle. Eine Ausleitung des Verkehrs würde lediglich eine als Zugeständnis bezeichnete Alternative darstellen. Auch durch das bloße Spannen und Befestigen von Bannern an der Brücke ohne gleichzeitig stattfindende Abseilaktion bestehe eine Gefahr. Im Übrigen sei die Maßnahme auch angemessen. Durch die thematische Ausgestaltung sei zwar grundsätzlich eine Nähe zum Veranstaltungsort hergestellt. Den Autofahrern komme aber keine gesteigerte Pflicht zur Hinnahme der mit der Kundgebung einhergehenden Beeinträchtigungen zu. Die Aufmerksamkeit vorbeifahrender Autofahrer werde auch durch weitere Ablenkungsfaktoren in Gestalt der auf der Brücke stehenden Demonstrationsteilnehmern und eventuell in der Nähe bereitstehenden Sicherheitskräften beeinträchtigt. Das Klettern und Abseilen von Personen stelle wie auch das bloße Aufhängen eines Banners im Rahmen des fließenden Verkehrs eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Behinderungen und Zwangswirkungen seien nur insoweit durch Art. 8 GG gerechtfertigt, wie sich als sozial-adäquate Nebenfolge einer rechtmäßigen Demonstration durch zumutbare Beschränkungen nicht vermeiden lassen. An dieser Voraussetzung fehle es, wenn die Behinderung Dritter nicht als Nebenfolge in Kauf genommen werde, sondern beabsichtigt werde. Das Umdenken des Antragstellers vermittle den Eindruck, dass es ihm nicht darauf ankomme, dass den Verkehrsteilnehmern eine politische Botschaft vermittelt werde, sondern diese durch die Versammlung beeinträchtigt werden.
Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen Bezug genommen.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 21. Januar 2022 Klage (Au 8 K 22.149), über die noch nicht entschieden ist.
Gleichzeitig beantragt der Antragsteller im vorliegenden Verfahren
die aufschiebende Wirkung dieser Klage des Antragstellers gegen das Versammlungsverbot aus der Verfügung der Antragsgegnerin vom 20. Januar 2022, die Versammlung des Antragstellers am 23. Januar 2022 betreffend, wiederherzustellen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass die Antragsgegnerin pauschal entgegen der Versicherung des Antragstellers eine mangelhafte Befähigung der Aktionskletter/innen unterstelle. Als milderes Mittel gegenüber einem Versammlungsverbot käme die Auflage, ein konkretes Mittel zur Glaubhaftmachung vorzulegen, in Betracht. Alle Brückengeländer würden ein Vielfaches der entstehenden Last, die an das Geländer lehnende oder mit Wucht mit dem Geländer kollidierende Menschen aushalten. Die Geländerbelastung erfolge beim Abseilen in vertikaler Richtung, in der die Traglast noch einmal um ein Vielfaches größer sei. Die Aktionskletter/innen würden keinerlei unbefestigte Gegenstände mit sich führen. Auch blinkende Werbetafeln hätten grundsätzlich das Potenzial, Autofahrer abzulenken. Durch den fließenden Verkehr würden zahlreiche Bürger die politische Botschaft sehen. Für den Fall, dass eine polizeiliche Verkehrsblockade errichtet werde, erreiche die Versammlung immer noch eine Vielzahl von Menschen. Die Versammlung richte sich speziell an den Autoverkehr auf der A. und der B. und thematisiere diesen. Aus der von der Antragsgegnerin unterstellten Motivation lasse sich keine konkrete Gefahr i.S.d. BayVersG begründen. Es seien mildere Mittel als ein vollständiges Versammlungsverbot vorstellbar. Der Versammlungsort könne mit einer Auflage auf eine Brücke über der B17 statt der A8 verschoben werden. Zur Reduzierung der Ablenkungsgefahr könnten temporäre Geschwindigkeitsbeschränkungen eingerichtet werden, wie sie auch bei Baustellen eingesetzt werden. Höhenarbeiten in der Nähe bzw. über diesen fänden regelmäßig statt, ohne dass deshalb die komplette Straße gesperrt werde. Die Sicherung der Aktionskletter/innen am Geländer sei sicher. Die Antragsgegnerin könnte als milderes Mittel einen anderen Sicherungspunkt als das Geländer vorschreiben. Schließlich sei er auch bereit, eine polizeiliche Verkehrsblockade hinzunehmen.
Auf die Antragsbegründung wird im Einzelnen Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, dass es für den Schutz der Versammlungsteilnehmer notwendig sei, die Befähigung zum Abseilen nachzuweisen. Welche Art des Nachweises vorgelegt werde, habe die Antragsgegnerin ausdrücklich offengelassen. Hinsichtlich der Traglast der Brückengeländer sei sie auf die Kenntnisse und Einschätzungen der Fachdienststellen angewiesen. Eine Freigabe zum Abseilen sei durch die jeweils zuständige Behörde nicht erfolgt. Eine eigenständige Bestimmung von Befestigungspunkten zum Abseilen durch die Antragstellerin selbst und ohne Freigabe der dafür fachlich ausgebildeten und zuständigen Stellen wäre grob fahrlässig und würde Gesundheit und Leben der Versammlungsteilnehmer gefährden. Der Vortrag des Antragstellers, auch „blinkende Werbetafeln“ würden eine Ablenkung von Autofahrern darstellen, sei nicht mit der vorliegenden Situation vergleichbar. Die vom Antragsteller vorgetragenen milderen Mittel seien nicht gewählt worden, da er in den Kooperationsgesprächen ausdrücklich auf die genannte Ausführung als „Abseilaktion“ bestanden habe. Die Antragsgegnerin sehe jedoch gerade im Abseilen die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, namentlich die Schutzgüter Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer, sowie – sofern der fließende Verkehr nicht umgeleitet werde – auch von Dritten. Es stehe dem Antragsteller weiterhin offen, andere Versammlungsformen zur Mitteilung seiner Versammlungsinhalte zu wählen.
Auf die Antragserwiderung wird im Einzelnen Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren Au 8 K 22.149, und der beigezogenen Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Da die von dem Antragsteller erhobene Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung hat, ist bei dahingehender Auslegung (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zulässig, § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO.
2. In der Sache bleibt dieser Antrag erfolglos, da bei summarischer Prüfung die von der Antragsgegnerin verfügte Untersagung der Versammlung voraussichtlich rechtmäßig ist und den Antragsgegner dadurch nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, respektive die aufgrund offener Erfolgsaussichten der Hauptsache insoweit vorzunehmende allgemeine Interessensabwägung nicht zu einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage zu führen vermag.
In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Es hat zu prüfen, ob das Vollzugsinteresse so gewichtig ist, dass der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden darf, oder ob das gegenläufige Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (bzw. seines Widerspruchs) überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, so wird das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse des Antragsgegners. Umgekehrt wird eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, sondern nur tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen – dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers einerseits und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners andererseits – nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 65 ff. m.w.N.). Auch die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 GG ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen.
a) Rechtsgrundlage der Untersagung ist Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Das in Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; B. v. 14.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 39 ff.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet die Regelung in Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16). Hierbei ist dem Grundrechtsträger das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung gewährleistet (vgl. BVerfG, B.v. 14.05.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – juris Rn. 61). Soweit Beschränkungen verfügt werden, ist dies nach Art. 8 Abs. 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich, allerdings nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit (zuletzt etwa BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6; B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH B.v. 24.1.2021 – n.v. Rn. 12 des BA). Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Auflagen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 54, 63). Insoweit gilt die Regel, dass kollektive Meinungsäußerungen in Form einer Versammlung umso schutzwürdiger sind, je mehr es sich bei ihnen um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (stRspr, vgl. BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 – BVerfGE 73, 206 – juris Rn. 102). Nur soweit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegt, kann von dem Veranstalter nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG verlangt werden, dass er den geplanten Ablauf seiner Versammlung ändert, oder kann eine Versammlung gänzlich untersagt werden (BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m. w. N.; SächsOVG, B.v. 11.12.2020 – 6 B 432/20 – juris Rn. 11, B.v. 13.3.2021 – 6 B 96/21 – juris Rn. 6). Mit dem Merkmal der unmittelbaren Gefährdung ist ein hoher Gefahrenmaßstab angesprochen, den nicht schlechterdings jede zu erwartende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit erreicht.
Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die gesamte Rechtsordnung und damit auch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, welche die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1989 – 7 C 50/88 – BVerwGE 82, 34 – juris Rn. 15). Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 10 CS 20.2655 – juris Rn. 22; VGH Hessen, B.v. 30.10.2020 – 2 B 2655/20 – juris Rn. 5 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 64).
Auch Bundesfernstraßen sind, obwohl sie von ihrem eingeschränkten Widmungszweck her anders als andere öffentliche Verkehrsflächen nicht der Kommunikation dienen, sondern ausschließlich dem Fahrzeugverkehr, nicht generell ein „versammlungsfreier Raum“ (OVG NW, B.v. 30.1.2017 – 15 A 296/16 – juris Rn. 17, 19; HessVGH, B.v. 30.10.2020 – 2 B 2655/20 – juris Rn. 6; B.v. 9.8.2013 – 2 B1740/13 – juris). Zu berücksichtigen ist aber, dass jedenfalls Verkehrsinteressen im Rahmen von versammlungsrechtlichen Anforderungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG erhebliche Bedeutung beigemessen werden darf (HessVGH, B.v. 30.10.2020 – 2 B 2655/20 – juris Rn. 6 für Bundesautobahnen). Das Interesse des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer an der ungehinderten Nutzung einer Bundesfernstraße hat je nach Lage der Dinge hinter die Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zurückzutreten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob es sich nach § 1 Abs. 3 FStrG um eine nur für den Schnellverkehr von Kraftfahrzeugen bestimmte Bundesautobahn handelt oder (nur) um eine Bundesstraße (OVG NW, B.v. 30.1.2017 – 15 A 296/16 – juris Rn. 19). Die Einstufung einer Straße als Bundesautobahn oder Bundesstraße entscheidet mit anderen Worten nicht darüber, ob auf dieser Straße grundsätzlich eine Versammlung stattfinden darf und entbindet Versammlungsbehörden und Gerichte nicht von einer Güterabwägung. Sie entfaltet allenfalls Indizwirkung für das Gewicht der gegen eine Versammlung sprechenden Interessen der Öffentlichkeit oder Dritter (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 21).
b) Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben erweist sich in Würdigung aller Gesamtumstände des Einzelfalls die Untersagung der geplanten Versammlung auf Brücken über der A. voraussichtlich als rechtmäßig (1). Die aufgrund wegen offener Erfolgsaussichten in der Hauptsache hinsichtlich der geplanten Versammlung auf Brücken über der B. insoweit gebotene allgemeine Interessensabwägung vermag nicht zu einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage führen (2).
(1) Im Hinblick auf eine Versammlung auf der Brücke N. Straße bzw. .weg über der Autobahn A. wird das sich aus der Einstufung als Bundesautobahn ergebende Indiz für ein Überwiegen der Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gegenüber den versammlungsrechtlichen Belangen des Antragstellers im Lichte der vorstehenden Maßgaben bei einer vorzunehmenden Güterabwägung vorliegend nicht widerlegt. Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass das Versammlungsthema des Antragstellers, eingebunden in die allgemeine, überregionale Diskussion der sog. Verkehrswende bzw. Mobilitätswende im Zuge des Klimaschutzes, von großer öffentlichen Bedeutung ist, und es sich damit um ein schutzwürdiges Anliegen im Rahmen von Art. 8 GG handelt. Jedoch ist gleichsam einzustellen, dass trotz der gegebenen Nähe von Versammlungsthema und -ort, ein spezifischer Nexus i.e.S. nicht ohne Weiteres erkennbar ist – anders als etwa bei einem bundesweit oder überregional organisierten Aktionswochenende oder einer regionalen Kundgebung, die sich konkret auf ein bestimmtes – bevorstehendes – Straßenbauvorhaben bezieht (vgl. auch VG Augsburg, B.v. 4.6.2021 – Au 8 S 21.1265 – juris Rn. 46 ff.). Die Dauer der geplanten Versammlung von 30 Minuten sowie das voraussichtlich geringere Verkehrsaufkommen an einem Sonntag vermögen daran nichts zu ändern, dass die Interessen des Antragstellers und der Versammlungsteilnehmer hinter die besonders gewichtigen Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf Bundesautobahnen im vorliegenden Falle zurückzutreten haben. Im Übrigen befahren Kraftfahrzeuge Bundesautobahnen mit (sehr) hohen Geschwindigkeiten. Es herrscht auch an Wochenenden in Süddeutschland bei entsprechenden Wintersportbedingungen bereits um diese Uhrzeit womöglich ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, sodass die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin insoweit nicht zu beanstanden ist.
(2) Im Hinblick auf eine Versammlung auf der Brücke …. Straße Haltestelle …. bzw. O. Straße über der Bundesstraße B. stellen sich in Anbetracht der dem Gericht zur Verfügung stehenden Zeit zur Entscheidung im hiesigen Verfahren die Erfolgsaussichten in der Hauptsache insbesondere mit Blick auf die Frage, inwieweit mildere Mittel gegenüber der Untersagung der geplanten Versammlung in Betracht kämen, als offen dar. Insoweit hat das Gericht eine von den Erfolgsaussichten unabhängige, allgemeine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen anzustellen. Diese führt nicht dazu, dass die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage anzuordnen ist. Hierbei ist zunächst einzustellen, dass die gesetzgeberische Wertung von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG vorliegend für einen Sofortvollzug streitet. Das Gericht verkennt nicht, dass der Versammlungsfreiheit überragende Bedeutung für die freiheitlich demokratische Staatsordnung zukommt. Allerdings stehen dem vorliegend insbesondere die in Art. 2 Abs. 2 GG normierten Schutzgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit von Versammlungs- und bei fehlender Straßensperrung auch von Verkehrsteilnehmern entgegen. Ferner stellt das Gericht ein, dass es sich bei der sog. Verkehrs- bzw. Mobilitätswende um eine allgemeine, überregionale Diskussion im Zuge des Klimaschutzes von großer öffentlichen Bedeutung handelt, allerdings im vorliegenden Fall eine spezifisch „gesteigerte“ Eilbedürftigkeit – wie zum Beispiel bei einem unmittelbar bevorstehenden Straßenbauprojekt – nicht ohne Weiteres erkennbar ist. Dem öffentlichen Vollzugsinteresse kommt grundsätzlich nach der benannten gesetzgeberischen Entscheidung Vorrang vor dem Aufschiebungsinteresse zu. Besondere Umstände, die zu einer anderen Beurteilung führen, sind nicht erkennbar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an den Festsetzungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Danach ist für ein Versammlungsverbot die Hälfte des Auffangwertes i.H.v. 5.000,00 EUR in Ansatz zu bringen (Nrn. 1.5 und 45.4 des Streitwertkatalogs).


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