Medizinrecht

Voraussetzungen der Schlüssigkeit eines Anspruchs auf Krankentagegeld

Aktenzeichen  22 O 330/15

Datum:
4.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
MB/KT MB/KT § 1 Abs. 1
ZPO ZPO § 138 Abs. 4, § 139, § 371

 

Leitsatz

Zur Schlüssigkeit eines Anspruchs auf Krankentagegeld gehört, dass der Versicherungsnehmer im Einzelnen vorträgt, wie sich sein Beschwerdebild darstellt und inwiefern es ihm die Ausübung seines Berufs unmöglich macht. (redaktioneller Leitsatz)
Ein gerichtlicher Hinweis auf die Unschlüssigkeit einer Klage ist entbehrlich, wenn die Partei von der Gegenseite die nötige Unterrichtung erhalten hat. (redaktioneller Leitsatz)
Ein angebotener Beweis durch Augenschein ist nicht zu erheben, wenn sich das Beweisangebot an umfangreiches Vorbringen anschließt, das zum Teil dem Augenscheinsbeweis nicht zugänglich ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage ist unschlüssig.
1.1. Der Kläger vermag mit dem gegen den Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld nicht durchzudringen, weil der von ihm zur Begründung vorgetragene Sachverhalt nicht schlüssig ist. Zudem wurde für die bestrittenen Angaben auch kein aufnehmbarer Beweis angeboten.
a) Der vorgetragene Sachverhalt ist bereits nicht schlüssig.
Der zwischen den Parteien geschlossene Krankenversicherungsvertrag setzt gemäß § 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung Arbeitsunfähigkeit des Klägers voraus, welche auf Grundlage der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung nach der vertraglichen Definition dann gegeben ist, wenn der Kläger seine berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbtätigkeit nachgeht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen ständiger Arbeitsunfähigkeit liegt dabei beim Versicherungsnehmer, hier also dem Kläger (vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 3. Auflage, 2015, § 45, Rn. 103).
Dieser Beweis kann nicht bereits durch die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen behandelnder Ärzte geführt werden, weil darin lediglich die medizinische Würdigung des Gesundheitszustandes eines Patienten zum Ausdruck kommt, jedoch keine Auseinandersetzung mit den konkreten Anforderungen erfolgt, die die ausgeübte berufliche Tätigkeit des Betroffenen mit sich bringt. Insofern lässt sich insbesondere die hundertprozentige Arbeitsunfähigkeit auf derartige Bescheinigungen nicht stützen.
Der Versicherungsnehmer hat folglich im Einzelnen darzutun, wie sich sein Beschwerdebild darstellt und inwiefern es ihm die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit vollständig unmöglich macht. Zur schlüssigen Darlegung der Arbeitsunfähigkeit ist es dabei erforderlich, dass der Versicherungsnehmer eine konkrete Beschreibung seines Berufsbildes vorlegt (vgl. OLG Köln, Urteil vom 18.02.2008, AZ.: 5 U 1/07). Diese muss so präzise sein, dass sie im Prozess als Grundlage für eine sachverständige Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit dienen kann (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht, Urteile vom 29.08.2007, AZ.: 5 U 163/07; BGH, Beschluss vom 12.11.2008, AZ.: IV ZR 273/07).
Diesen dargestellten Anforderungen wird der klägerseitige Vortrag zu seiner Arbeitsunfähigkeit nicht gerecht. Er gibt an, einen Druck auf der Brust zu verspüren, unter Atembeschwerden zu leiden, Diabetiker zu sein, unter Doppelsichtigkeit zu leiden, in beiden Händen Rheuma sowie Neurodermitis in den Knochen zu haben. Zudem habe er Schmerzen in beiden Knien sowie in der rechten großen Zehe einschließlich des Zehengrundgelenks. Zu seinen beruflichen Tätigkeiten schildert der Kläger sodann die Arbeitszeit von täglich 8 bis 20 Uhr bzw. 6 bis 18 Uhr. Er gibt an, dass es zu seinen Tätigkeiten gehöre, Brecheranlagen ab- und aufzubauen. Er schildert, welche schweren Tätigkeiten dies mit sich bringt, trägt jedoch nicht dazu vor, welchen Anteil seines Arbeitseinsatzes dies ausmacht. Es bleibt offen, aus welchen weiteren Anteilen sich die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit zusammensetzt und wie sich ein typischer Arbeitsalltag für ihn gestaltet. Auch bei einer Bestätigung seiner Leiden im Wege der Beweisaufnahme könnte auf dieser Grundlage nicht ermessen werden ob bzw. zu welchen Anteilen ihm dadurch die Ausübung seines Berufes unmöglich ist.
b) Unbesehen der dargelegten Unschlüssigkeit der Klage mangelt es klägerseits auch an erforderlichen Beweisangeboten für seinen typischen Arbeitsalltag.
Schon in der Klageerwiderung vom 01.09.2015 (Bl. 28 d. A.) wurden die beklagtenseits angeregten Schilderungen durch den Kläger zu seiner beruflichen Tätigkeit im Vorgriff hierauf bestritten. Dieses Bestreiten wurde im Schriftsatz vom 05.10.2015 (Bl. 42 d. A.) wiederholt. Es war gemäß § 138 IV ZPO als einfaches Bestreiten ausreichend, weil es sich bei der vom Kläger ausgeübten beruflichen Tätigkeit um Tatsachen handelt, die sich der Wahrnehmung der Beklagtenseite entziehen.
aa) Soweit der Kläger als Zeugen „N.N.“ anbietet, ist der Beweis mangels hinreichend genauer Angabe des Beweismittels nicht ordnungsgemäß angetreten. Der Beweis wäre daher auch bei schlüssigem Vortrag nicht zu erheben gewesen, § 373 ZPO.
Die Benennung des Disponenten … im Schriftsatz vom 18.01.2016 (Bl. 83 d. A.) als Zeugen für die Angaben zur Tätigkeit des Klägers kann gemäß § 286 a ZPO nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in deren Anschluss auch keine Schriftsatzfrist gewährt wurde, nicht mehr berücksichtigt werden. Im Übrigen heißt es – unter Bezugnahme auf die Tätigkeit des Klägers als Maschinist und Fahrer der mobilen Brecheranlage – erneut lediglich, die Tätigkeit sei körperlich sehr anstrengend, schmutzig, laut und der Witterung ausgesetzt. Auch hierdurch erhellt der typische Arbeitsalltag des Klägers nicht.
bb) Auch der angebotene Beweis durch Augenschein wäre selbst im Fall der Schlüssigkeit der klägerseitigen Angaben nicht zu erheben gewesen, weil das Beweisangebot den Anforderungen in § 371 ZPO, nach welchem die zu beweisende Tatsache und der Gegenstand des Augenscheins zu bezeichnen sind, nicht ordnungsgemäß angetreten ist. Eingeleitet wird das Beweisangebot mit dem Passus „Beweis zum Ganzen“. Dies steht unter dem Drucktext einer DIN A 4-Seite, in welchem eine Vielzahl von Tätigkeitsabläufen, aber auch innerem Erleben des Klägers geschildert werden. Teile dieses Vortrags sind einem Augenscheinsbeweis bereits nicht zugänglich.
cc) Auch eine Parteieinvernahme des Klägers hätte – auch bei schlüssigem zugrundeliegenden Vortrag – nicht erfolgen können.
Allein auf Antrag wäre dies nicht möglich gewesen, weil sich der Beklagte nicht mit einer Vernehmung des Klägers einverstanden erklärt hat, § 447 ZPO. Das Einverständnis des Gegners stellt eine Prozesshandlung dar. Es muss ausdrücklich erklärt sein (Zöller, ZPO, 30. Auflage, 2014, § 447 Rn. 2). Das Unterlassen einer ausdrücklichen Verwahrung gegen die Parteieinvernahme führt dabei nicht zu einem schlüssig erklärten Einverständnis. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, auf das Fehlen einer solchen Erklärung hinzuweisen oder darauf hinzuwirken (vgl. Zöller a. a. O.). Für eine Vernehmung des Klägers von Amts wegen gemäß § 448 ZPO hätte es gewichtiger Anhaltspunkte dafür bedurft, dass die Angaben der zu vernehmenden Partei richtig, also eher wahrscheinlich sind, als die Angaben der gegnerischen Partei. Dies war bis dato – vor schlüssigem Sachvortrag – nicht abzusehen.
c) Ein – weiterer – Hinweis auf die Unschlüssigkeit der Klage und die unzureichenden Beweisangebote war nicht veranlasst.
Die materielle Prozessleitung des Gerichts soll rechtliches Gehör und ein faires Verfahren gewährleisten. Zudem soll ein effektiver Verfahrensablauf gefördert werden. Andererseits hat das Gericht das Verfügungsrecht der Parteien über den Prozessstoff zu respektieren und Neutralität zu wahren (vgl. Beck’scher Online-Kommentar, ZPO, Vorwerk/Wolf, 18. Edition, Stand: 01.09.2015, § 139, Rn. 5-8).
Ein gerichtlicher Hinweis ist dabei dann entbehrlich, wenn die Parteien von der Gegenseite die gebotene Unterrichtung erhalten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2007, AZ.: IX ZR 207/05 m. w. N.). Vorliegend hat der Beklagte bereits in der Klageerwiderung vom 01.09.2015 (insbesondere Blatt 27, 28 d. A.) ausführlich dargelegt, welcher konkrete Vortrag klägerseits für die Schlüssigkeit einer Klage auf Krankentagegeld erforderlich ist. Dies geschah in klarer, verständlicher Sprache und unter Heranziehung von Urteilszitaten.
Dennoch hat auch das Gericht in der Verfügung vom 08.09.2015 den Hinweis erteilt, dass es für die Schlüssigkeit der Klage an einem entsprechenden Vortrag zur konkreten Ausgestaltung der letzten beruflichen Tätigkeit des Klägers fehlte.
Dieser Hinweis wurde im Verhandlungstermin vom 08.12.2015 (Bl. 43 R. d. A.) unter Bezugnahme auf die hierzu bereits vorhandenen Akteninhalte wiederholt. Dabei wurde ausgeführt, dass auch der Sachvortrag des Klägers im Schriftsatz vom 24.09.2015 keinen hinreichend substantiierten Vortrag zur bisher ausgeübten Berufstätigkeit des Klägers beinhaltete. Die prozessrechtlichen Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der Klage wurden ergänzend auch damit begründet, dass der zwischenzeitlich getätigte klägerseitige Vortrag durch den Beklagten bestritten wurde. Nachdem dargelegt wurde, weshalb die Klage immer noch unschlüssig war, erfolgte der Hinweis auf die mangelnden Beweisangebote dabei nachrangig. Konkrete Ausführungen dazu, dass das Beweisangebot „Zeugnis N.N.“ keinen hinlänglichen Beweisantritt darstellt, waren nicht angezeigt, weil sich aus dem Umstand des Angebots dieses Beweises bereits ergibt, dass die Klägerseite die Beweisbedürftigkeit der fraglichen Tatsache erkannte. Das Kürzel „N.N.“ steht für „Nomen Nominandum“, mithin einen Namen, der noch zu benennen ist. Es beinhaltet damit die Selbstmahnung, ein solches Beweisangebot noch zu vervollständigen. Insofern bedarf es auch keiner Fristsetzung nach § 356 ZPO, weil nichts dafür ersichtlich ist, einem korrekten Beweisangebot ein behebbares Hindernis ungewisser Dauer entgegensteht (vgl. Beck’scher Online-Kommentar, ZPO, 18. Edition, Stand: 01.09.2015, § 139, Rn. 28.1).
Der legitime Aufklärungsbedarf des Klägers wurde durch die erteilten Hinweise hinlänglich befriedigt. Diese waren erforderlich, aber auch ausreichend und bedurften insbesondere keiner – erneuten – Wiederholung. Im Gegenteil wären damit für das Gericht, welches auch die jeweiligen prozessualen Rechte und Interessen der Gegenseite zu berücksichtigen hat, die Grenzen der Unparteilichkeit überschritten gewesen. Nachdem der Klägervertreter auch nicht nach § 139 V ZPO eine Frist für die Stellungnahme auf die gerichtlichen Hinweise beantragte, war das Verfahren entscheidungsreif und die mündliche Verhandlung zu schließen. Dem stand auch keineswegs entgegen, dass es sich um den ersten Termin in diesem Rechtsstreit handelte, denn nach § 272 I ZPO ist der Rechtsstreit in der Regel in einem umfassend vorbereiteten Termin zur mündlichen Verhandlung (Haupttermin) zu erledigen. An eine gescheiterte Güteverhandlung soll sich die mündliche Verhandlung dabei unmittelbar anschließen, § 279 I 1 ZPO.
Die gesamte Verhandlung vom 08.012.2015 war geprägt von der sich vor dem Hintergrund des klägerseitigen Vortrags abzeichnenden Entscheidungsreife des Verfahrens. Um dennoch zu einer sach- und interessengerechten Lösung zu kommen, wurden intensive Vergleichsgespräche geführt. Die Äußerung des Klägervertreters dahingehend, für seine Klageerweiterung nach Sitzungsschluss keine prozessualen Hinderungsgründe zu sehen (Bl. 43 Rs d. A.), erfolgte als Erwiderung auf die insofern geäußerten Bedenken des Gerichts. Hieran anknüpfend – nämlich um auf diesem Wege einen sich abzeichnenden zweiten Rechtsstreit über die Forderungen des Klägers, die Gegenstand der Klageerweiterung sein sollten, zu vermeiden – beabsichtigten die Parteivertreter, die Zeit bis zum Verkündungstermin für intensive Vergleichsgespräche zu nutzen. In der Tat wurden sie hierin zur Vermeidung einer Beweislastentscheidung durch das Gericht bestärkt.
d) Die Klageerweiterung der Klägerseite im Schriftsatz vom 09.12.2015 (Bl. 48 ff. d. A.) welche nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte, kann im hiesigen Verfahren prozessual keine Berücksichtigung mehr finden, da Sachanträge, wie aus §§ 261 II, 297 ZPO folgt, spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung zu stellen sind (vgl. Zöller, ZPO, 30. Aufl., 2014, § 296 a, Rn. 2 a).
1.2 Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.
2. Die Kostenentscheidung gemäß § 91 I ZPO beruht auf dem vollständigen Unterliegen der Klägerseite.
3. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich für das nur für die Beklagtenseite in den Kosten vollstreckbare Endurteil aus § 709 1, 2 ZPO.


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