Medizinrecht

Vorbeugende Unterlassungsklage betreffend die Speicherung und Nutzung von Telekommunikations-Metadaten durch den Bundesnachrichtendienst

Aktenzeichen  6 A 6/16

Datum:
13.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:131217U6A6.16.0
Normen:
Art 10 Abs 1 GG
§ 5 G10 2001
§ 3 Abs 6 BDSG 1990
§ 2 BNDG
§ 6 BNDG
§ 19 BNDG
§ 42 Abs 2 VwGO
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

1. Die Kette von Eingriffen in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG, die auf der Erhebung von individualisierbaren Daten durch den Bundesnachrichtendienst aufbaut, wird durch eine Anonymisierung der Daten vor ihrer Speicherung und weiteren Nutzung nicht unterbrochen.
2. Für Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis der durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten Personen im Zusammenhang mit dem Betrieb der Datei VERAS steht dem Bundesnachrichtendienst eine gesetzliche Ermächtigung nicht zur Verfügung.

Tatbestand

1
Der Kläger ist Rechtsanwalt. Er wendet sich gegen die Speicherung und Nutzung von Metadaten aus seinen Telekommunikationsverkehren durch den Bundesnachrichtendienst, insbesondere in der von dem Bundesnachrichtendienst betriebenen Datei VERAS (Verkehrsdatenanalysesystem).
2
Der Bundesnachrichtendienst betreibt Dateien, die er seinem Aufklärungsauftrag aus § 1 Abs. 2 BNDG zuordnet und als geheim einstuft. In der Datei VERAS speichert er Metadaten von auslandsbezogenen leitungsvermittelten Telefonie-Verkehren für eine Dauer von in der Regel sechs Monaten. Er nutzt sie für nachrichtendienstliche Analysen, die dazu dienen, Kommunikationsbeziehungen von nachrichtendienstlich relevanten Personen zu erkennen und auf diesem Weg noch unbekannte, ebenfalls nachrichtendienstlich relevante Personen zu detektieren sowie Informationsflüsse nach und aus Deutschland bzw. deren Veränderung festzustellen. Der Bundesnachrichtendienst speist die Datei VERAS aus drei Quellen: Im Rahmen der strategischen Fernmeldeüberwachung nach §§ 5 ff. G10 erhebt er in einem eigenen Strang alle Telefonie-Metadaten der Rohdatenströme, die ihm auf der Grundlage von ergangenen Beschränkungsanordnungen von den hierzu verpflichteten Telekommunikationsunternehmen zur Verfügung gestellt werden. Ausgenommen sind die innerdeutschen Telefonie-Verkehre. Entsprechend verfährt der Bundesnachrichtendienst im Zusammenhang mit Maßnahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach §§ 6 ff. BNDG. Die dritte Quelle bildet der Informationsaustausch mit befreundeten Nachrichtendiensten. Bevor der Bundesnachrichtendienst die Metadaten in der Datei VERAS speichert, unterzieht er diejenigen von ihnen, die nach seiner Einschätzung die Identifizierung von durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten natürlichen oder juristischen Personen ermöglichen, einer auf eine Anonymisierung nach den Maßstäben des § 3 Abs. 6 BDSG abzielenden Behandlung. Hierzu tauscht er bei Telefon- und Telefaxnummern des Festnetzes sowie Telefon-, IMSI- und IMEI-Nummern des Mobilfunks in bestimmtem Umfang Ziffern durch X-Zeichen aus. Beispielsweise ersetzt er bei den Telefonnummern die Ziffern nach der sechsten Stelle unabhängig von ihrer konkreten Anzahl durch sechs X-Zeichen. Durch die Nutzung auch derart behandelter Metadaten sieht sich der Bundesnachrichtendienst in der Lage, die Entwicklung von Informationsflüssen zwischen dem Ausland und Deutschland nachzuvollziehen und gegebenenfalls Telekommunikationsmerkmale von ausländischen Teilnehmern, die als Suchbegriffe im Rahmen der strategischen Fernmeldeüberwachung nach §§ 5 ff. G10 verwandt werden können, festzustellen.
3
Der Kläger begehrt vorbeugenden Rechtsschutz. Er macht geltend, Metadaten auslandsbezogener Telekommunikationsverkehre, die er berufsbedingt in großer Zahl führe, würden mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einer der drei Quellen von VERAS in diese Datei gelangen sowie dort gespeichert und genutzt werden. Durch diese Datenspeicherung und -nutzung drohe er in seinem Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG verletzt zu werden. Der Bundesnachrichtendienst könne sich hierfür auf keine Rechtsgrundlage stützen. Die Behandlung, der er die für individualisierbar erachteten Metadaten unterziehe, stelle keine wirksame Anonymisierung dar. Rechtlich geboten sei in jedem Fall eine Löschung der Daten.
4
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, durch den Bundesnachrichtendienst Metadaten des Klägers, das heißt Verbindungsdaten, die im Rahmen von Telefongesprächen, SMS- und E-Mail-Verkehr, Kommunikation in sozialen Netzwerken sowie Besuchen von Internetseiten angefallen sind, in Datenbanken des Bundesnachrichtendienstes oder in anderen Datenbanken zu speichern oder zu nutzen.
5
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
6
Sie hält die vorbeugende Unterlassungsklage für unzulässig, jedenfalls für unbegründet. Zwar seien in den Dateien des Bundesnachrichtendienstes auch individualisierbare Daten enthalten. Es bestehe jedoch keine konkretisierte Wahrscheinlichkeit dafür, dass personenbezogene Daten des Klägers Eingang in diese Dateien, insbesondere in die Datei VERAS finden könnten. Jedenfalls würden Metadaten, die durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten Personen wie dem Kläger zugeordnet werden könnten, vor einer Einstellung in die Datei VERAS anonymisiert. Die dieser Datei zuzuordnenden Metadaten würden in rechtmäßiger Weise erhoben und verwandt, etwa im Rahmen von Beschränkungsanordnungen nach § 5 ff. G10. Überdies stehe als Rechtsgrundlage § 19 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 BNDG zur Verfügung.
7
In Bezug auf den von dem Kläger angebrachten Antrag, die Beklagte zu verurteilen, von dem Bundesnachrichtendienst bereits gespeicherte Metadatensätze des Klägers sowie alle mit diesen im Zusammenhang stehenden, Verbindungen des Klägers dokumentierenden Datensätze zu löschen, haben die Beteiligten übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben. Der Kläger hat ferner hilfsweise beantragt, über die Wirksamkeit der von dem Bundesnachrichtendienst vorgenommenen Anonymisierungsbehandlung von Daten Beweis zu erheben.
8
Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 14. Dezember 2016 von dem Verfahren zum Aktenzeichen BVerwG 6 A 9.14 abgetrennt. Zuvor hat er in jenem Verfahren eine abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet und durchgeführt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.


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