Medizinrecht

Werbung einer Zahnarztpraxis mit der Aussage “Zahnspezialisten”

Aktenzeichen  29 U 830/19

Datum:
5.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MedR – 2021, 739
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3, § 3a, § 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, § 8 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 1
Berufsordnung der bayerischen Zahnärzte § 21 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die objektive Reichweite der Rechtshängigkeitssperre des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO hängt vom allgemeinen Streitgegenstandsbegriff ab. Das vor dem Berufsgericht für Heilberufe anhängig gemachte Verfahren eines Zahnarztes, mit dem er die Aufhebung von Rügebescheiden der Landeszahnärztekammer begehrt, erfasst einen anderen Streitgegenstand als die von der Zahnärztekammer anhängig gemachte Klage auf Unterlassung bestimmter werblicher Äußerungen des Zahnarztes  (Rn. 16 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Verkehr entnimmt der Bezeichnung “Zahnspezialisten” – sofern sie nicht mit weiteren Zusätzen versehen wird – nur einen allgemeinen Hinweis auf eine Zahnarztpraxis ohne besonderen Tätigkeitsschwerpunkt und ohne wirkliches Spezialgebiet der Inhaberinnen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Werbung fällt auch nicht unter das Verbot der Werbung mit Selbstverständlichkeiten, denn es ist für den angesprochenen Verbraucher offenkundig, dass er von den Berufsträgern der Zahnarztpraxis keine Leistungen erwarten darf, die über diejenigen hinausgehen, die normale Zahnärztinnen erbringen. Die Selbstverständlichkeit besteht in der Spezialisierung auf Zähne („Zahnspezialisten“), da sich alle Zahnärztinnen auf Zähne spezialisieren. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 O 778/18 2019-02-15 Urt LGPASSAU LG Passau

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 15.02.2019, Az. 4 O 778/18, abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
I. Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Unterlassung der Verwendung des Begriffs „Zahnspezialisten“ als Bezeichnung für sich selbst und ihre Mitarbeiter, als Praxisname und als Internetdomain sowie in Werbemitteln aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 3a, § 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 und Nr. 1 UWG i.V.m. § 21 Abs. 1 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte zu.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht aufgrund des parallelen berufsrechtlichen Verfahrens vor dem Landgericht München I keine doppelte Rechtshängigkeit im Sinne von § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO.
Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, hängt die objektive Reichweite der Rechtshängigkeitssperre des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO vom auch hier maßgeblichen allgemeinen Streitgegenstandsbegriff ab. Demnach ist objektive Identität gegeben, wenn Klageantrag und Lebenssachverhalt im zweiten mit dem ersten Prozess übereinstimmen. Unterschiedliche Anträge bei identischem Sachverhalt oder identische Anträge bei verschiedenen Sachverhalten, erst recht die Verschiedenheit von Anträgen und Sachverhalten schließen das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre aus (BGH NJW 2001, 3713; NJW 2002, 1503; MüKoZPO/Becker-Eberhard, ZPO, 5. Aufl., § 261, Rn. 56).
Wie aus der Anlage B3 ersichtlich ist, ist der Antrag der Beklagten im Verfahren vor dem Landgericht München I – Berufsgericht für Heilberufe – auf die Aufhebung der Rügebescheide des hiesigen Klägers vom 30.07.2015 in Gestalt der Beschwerdebescheide vom 04.06.2016 gerichtet. Im hiesigen Verfahren begehrt der Kläger demgegenüber von den Beklagten die Unterlassung, die Bezeichnung „Zahnspezialisten“ für sich selbst oder ihre Mitarbeiter, als Praxisname, als Internetdomain sowie in Werbemitteln zu verwenden. Damit unterscheiden sich bereits die Anträge in beiden Verfahren, so dass es auf die Frage, ob identische oder unterschiedliche Lebenssachverhalte vorliegen, nicht ankommt.
Zutreffend hat das Landgericht im Hinblick auf die umgekehrten Parteirollen angenommen, dass es sich bei den Anträgen im hiesigen Verfahren auch nicht um das kontradiktorische Gegenteil der Anträge im berufsgerichtlichen Verfahren handelt, was eine Klage ebenfalls unzulässig machen würde (BGHZ 123, 137, 139; NJW 1995, 967; NJW 1996, 395, 396). Die Aufhebung der Rügebescheide ist nicht das kontradiktorische Gegenteil der Unterlassung, den Begriff „Zahnspezialisten“ zu benutzen, da insoweit keine wechselseitige Ausschließbarkeit der Klagebegehren besteht und die Unzulässigkeit der Verwendung für die Entscheidung im berufsrechtlichen Verfahren allenfalls vorgreiflich sein kann. Darüber hinaus sind jedoch vielfältige andere Aufhebungsgründe im Hinblick auf die Rügebescheide denkbar.
Soweit die Beklagten rügen, der Unterschied der Klagebegehren in beiden Verfahren sei allein den Besonderheiten des berufsrechtlichen Verfahrens geschuldet, spielt das im Rahmen der für § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO maßgeblichen Streitgegenstandslehre keine Rolle. Eine Ausnahme von der Regel, dass für die Rechtshängigkeitssperre sowohl Antrag als auch Lebenssachverhalt identisch sein müssen, ist für berufsrechtliche Verfahren weder im Gesetz vorgesehen, noch von der Rechtsprechung anerkannt.
2. Die Klage ist unbegründet, da die Verwendung der Bezeichnung „Zahnspezialisten“ durch die Beklagten nicht irreführend im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Nr. 1 UWG oder § 3a UWG i.V.m. § 21 Abs. 1 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte ist
a) Maßgeblich für das zu berücksichtigende Verständnis des Begriffs „Zahnspezialisten“ ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht das im Duden zugrunde gelegte Verständnis, sondern dasjenige der angesprochenen Verkehrskreise, an die sich die Werbung richtet (st. Rspr.; BGH GRUR 1955, 38, 40 – Cupresa-Kunstseide; GRUR 1961, 193, 196 – Medaillenwerbung; GRUR 1987, 171, 172 – Schlussverkaufswerbung I; GRUR 1991, 852, 854 – Aquavit; GRUR 1995, 612, 614 – Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie; GRUR 1996, 910, 912 – Der meistverkaufte Europas; GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; GRUR 2015, 1019 Rn. 19 – Mobiler Buchhaltungsservice; GRUR 2016, 521 Rn. 10 – Durchgestrichener Preis II). Der Senat kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, wie die angesprochenen Verkehrskreise die angegriffene Aussage verstehen, da er ständig mit Wettbewerbssachen befasst ist (BGH GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; GRUR 2014, 682 Rn. 29 – Nordjob-Messe) und überdies zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehört.
Die angesprochenen Verkehrskreise sind potentielle Patienten, die eine Praxis aufsuchen möchten, um sich zahnärztlich behandeln zu lassen, und sich hierzu über Zahnarztpraxen – insbesondere auch neu gegründete – informieren möchten.
b) Die angesprochenen Verkehrskreise entnehmen der Bezeichnung „Zahnspezialisten“ nicht die im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG irreführende Aussage, dass die Beklagten und ihre Mitarbeiter Fachleute sind, die über besondere Erfahrungen in einem engeren medizinischen Bereich als der allgemeinen Zahnheilkunde verfügen.
Nach dem Verkehrsverständnis handelt es sich bei einem Spezialisten zwar um jemanden, der aufgrund spezieller theoretischer Kenntnisse und spezieller praktischer Erfahrungen auf dem jeweiligen Gebiet über Fähigkeiten verfügt, die über diejenigen hinausgehen, die allgemein von einem entsprechenden Berufsträger erwartet werden können, der also zu einer entsprechenden Spitzengruppe gehört (vgl. BGH GRUR 2015, 286 Rn. 27- Spezialist für Familienrecht; OLG Stuttgart GRUR-RR 2008, 177, 178 – Spezialist für Mietrecht; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2009, 431, 433 – Spezialist für Zahnarztrecht; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Weidert, UWG, 4. Aufl., § 5 Abs. E, Rn. 161). Hinzu kommt, dass sich ein Spezialist nach der Verkehrsauffassung in erheblichem Umfang, wenn nicht gar ausschließlich auf sein Fachgebiet konzentriert und daher andere Gebiete nicht in gleichem Umfang bearbeitet (BGH a.a.O. Rn. 21, 22 – Spezialist für Familienrecht; BVerfG NJW-RR 2006, 345, 346; OLG Karlsruhe a.a.O.).
Der vorliegende Fall weist aber die Besonderheit auf, dass die Beklagten die so verstandene Bezeichnung „spezialisten“ mit dem allgemeinen Begriff „Zahn “ kombinieren, so dass nach der Verkehrsauffassung schon kein spezielles Teilgebiet ausgewiesen ist, auf dem besondere theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen vorhanden sind oder auf das sich die Beklagten bei ihrer Tätigkeit besonders konzentrieren. Infolgedessen entnimmt der Verkehr der Bezeichnung nur einen allgemeinen Hinweis auf eine Zahnarztpraxis ohne besonderen Tätigkeitsschwerpunkt und ohne wirkliches Spezialgebiet der Inhaberinnen. Er geht nicht davon aus, dass mit der Bezeichnung eine besondere zahnärztliche Spezialisierung herausgestellt werden soll, deren konkrete Ausgestaltung bei der Wahl des Begriffs nur offen gelassen wurde. Vielmehr nimmt er an, dass die Beklagten nicht mehr und nicht weniger sind als Zahnärztinnen mit einer normalen zahnärztlichen Approbation nach §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 3 ZahnheilkG in Verbindung mit der Zahnärzteapprobationsordnung (ZAppO). Der Eindruck einer Spezialisierung, insbesondere in Form von durch mehrjährige Weiterbildung erlangten Gebietsbezeichnungen als Fachzahnärztinnen, wird für den angesprochenen Verkehr nicht erweckt, da ein Fachgebiet durch die Bezeichnung gerade nicht ausgewiesen wird.
c) Die Verwendung der Bezeichnung „Zahnspezialisten“ ist auch nicht wegen einer Werbung mit Selbstverständlichkeiten für die angebotenen Dienstleistungen irreführend im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG.
Eine Werbung mit objektiv richtigen Angaben kann gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG unzulässig sein, wenn sie bei einem erheblichen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise einen unrichtigen Eindruck erweckt. Ein solcher unrichtiger Eindruck kann etwa entstehen, wenn Werbebehauptungen etwas Selbstverständliches in einer Weise hervorheben, dass der Adressat der Werbung hierin einen besonderen Vorzug der beworbenen Ware oder Leistung vermutet. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn gesetzlich vorgeschriebene Eigenschaften oder zum Wesen der angebotenen Ware oder Leistung gehörende Umstände besonders hervorgehoben werden, so dass die Werbeadressaten davon ausgehen, es werde mit einem Vorzug gegenüber anderen Waren oder Dienstleistungen gleicher Gattung oder Konkurrenzangeboten geworben, obwohl es sich tatsächlich um Merkmale handelt, die das Leistungsangebot des Werbenden gegenüber anderen Angeboten nicht auszeichnen (BGH GRUR 2014, 498 Rn. 13 – Kostenlose Schätzung).
Nach dem oben Gesagten ist dem angesprochenen Verkehr klar, dass die durch die angegriffene Bezeichnung beworbenen zahnärztlichen Leistungen von zwei Zahnärztinnen mit normaler Approbation und ohne wirkliche Spezialisierung oder zusätzliche Gebietsbezeichnung erbracht werden. Eine Irreführung scheidet aus, weil der Verkehr erkennt, dass es sich bei der betonten Eigenschaft um etwas Selbstverständliches handelt (BGH GRUR 2014, 1007 Rn. 15 – Geld-Zurück-Garantie III). Trotz der Formulierung „Zahnspezialisten“ ist für den angesprochenen Verbraucher offenkundig, dass er von den Beklagten keine Leistungen erwarten darf, die über diejenigen hinausgehen, die normale Zahnärztinnen erbringen. Die Selbstverständlichkeit besteht in der Spezialisierung auf Zähne („Zahnspezialisten“), da sich alle Zahnärztinnen auf Zähne spezialisieren. Dem Verkehr ist das jedoch bewusst, weil es weiß, dass Zahnärztinnen dies tun. Er wird folglich nicht in die Irre geführt.
d) Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch nicht deshalb zu, weil den Beklagten durch die Verwendung der Bezeichnung „Zahnspezialisten“ ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel nach § 3a UWG i.V.m. § 21 Abs. 1 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte zur Last fiele.
aa) Gesetzliche Vorschriften, die eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG darstellen, können zwar alle in Deutschland für die Handelnden verbindlich geltenden Vorschriften sein, also auch Gesetze im nur materiellen Sinne wie autonome Satzungen von Kammern (BGH GRUR 2005, 520, 521 – Optimale Interessenvertretung). § 21 Abs. 1 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte ist eine Marktverhaltensregel, weil sie die Marktteilnehmer vor berufswidriger Werbung in Form von irreführender Werbung der Zahnärzte im Rahmen der beruflichen Kommunikation schützen soll (vgl. BGH GRUR 2011, 343, 344 – Zweite Zahnarztmeinung).
bb) An einer Zuwiderhandlung gegen eine so definierte gesetzliche Vorschrift fehlt es jedoch, weil die Bezeichnung „Zahnspezialisten“ nach dem oben unter I. 2. a) bis c) Gesagten nicht irreführend ist.
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
IV. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.


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