Medizinrecht

Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit

Aktenzeichen  RN 5 K 15.1137

Datum:
28.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 46601
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BÄO § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Unwürdigkeit zur Ausübung des Arztberufs liegt vor, wenn ein Arzt durch sein Verhalten nicht mehr das Ansehen und Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötig ist (BVerwG NJW 1991, 1557). Erforderlich ist ein schwerwiegendes Fehlverhalten eines Arztes, das bei Würdigung aller Umstände seine Berufsausübung zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung als untragbar erscheinen lässt, wobei es einer Prognoseentscheidung in Bezug auf die künftige ordnungsgemäße Erfüllung der Berufspflichten – anders als bei der Zuverlässigkeit – nicht bedarf (BVerwG, NJW 1993, 806). (redaktioneller Leitsatz)
2. Unzuverlässigkeit eines Arztes ist gegeben, wenn er nicht mehr die Gewähr für die ordnungsgemäße Ausübung seines Berufes bietet, was vor allem dann der Fall ist, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Arzt werde entsprechend seinem bisherigen Verhalten in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten nicht beachten (VGH München BeckRS 2000, 24054). (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei schweren, gemeingefährlichen oder gemeinschädlichen oder gegen die Person gerichteten, von der Allgemeinheit besonders missbilligten Vorsatztaten eines Arztes, insbesondere bei Verbrechenstatbeständen, ist der objektive Unrechtsgehalt so erheblich, dass dieser grundsätzlich und völlig unabhängig davon, ob die Tat bei Begehung unmittelbar oder mittelbar im Zusammenhang mit der ärztlichen Berufsausübung steht, den Widerruf der Approbation rechtfertigt. (redaktioneller Leitsatz)
4 Im Falle eines Widerrufs der Approbation allein wegen Unwürdigkeit ist es erforderlich, dass zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Prognose gerechtfertigt ist, dass vom betroffenen Arzt eine Gefahr für ein wichtiges Gemeinschaftsgut ausgeht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 28.4.2015 (Geschäftszeichen 55.2-2-…-2015) wird aufgehoben.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III.
Das Urteil ist in Ziffer II vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 28.4.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Regierung von Oberbayern war nicht berechtigt, die Approbation der Klägerin als Ärztin nach den §§ 5 Abs. 2 Satz 1, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO zu widerrufen. Nach den zitierten Vorschriften ist die Approbation zu widerrufen, wenn nach Erteilung der Approbation Tatsachen eintreten, aus denen sich die Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit des Arztes zur Ausübung des Arztberufs ergibt.
1. Unwürdigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn ein Arzt durch sein Verhalten nicht mehr das Ansehen und Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötig ist (BVerwG vom 14.4.1998, NJW 1999, 3425; vom 9.1.1991, NJW 1991, 1557; BayVGH vom 25.9.2012, Az. 21 BV 11.340 ). Erforderlich ist ein schwerwiegendes Fehlverhalten eines Arztes, das bei Würdigung aller Umstände seine Berufsausübung zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung als untragbar erscheinen lässt. Einer Prognoseentscheidung in Bezug auf die künftige ordnungsgemäße Erfüllung der Berufspflichten bedarf es – anders als bei der Zuverlässigkeit – nicht (BVerwG vom 2.11.1992, NJW 1993, 806; BayVGH vom 25.9.2012, Az. 21 BV 11.340 ). Unwürdigkeit liegt dann vor, wenn ein bestimmtes Fehlverhalten gegeben ist, das nicht mit der Vorstellung in Einklang gebracht werden kann, die mit der Einschätzung der Persönlichkeit eines Arztes gemeinhin verbunden wird. Der Begriff der Unwürdigkeit ist daran gebunden, ob ein bestimmtes Verhalten eines Arztes mit dem gesamten Berufsbild und den Vorstellungen übereinstimmt, die die Bevölkerung allgemein von einem Arzt hat (BayVGH vom 25.9.2012, Az. 21 BV 11.340 ).
Der Begriff der Unzuverlässigkeit wird – im Gegensatz zum Begriff der Unwürdigkeit – durch eine Zukunftsprognose charakterisiert, die auf der Basis des bisherigen Verhaltens des Arztes zu treffen ist. Unzuverlässigkeit ist gegeben, wenn ein Arzt nicht mehr die Gewähr für die ordnungsgemäße Ausübung seines Berufes bietet. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Arzt werde entsprechend seinem bisherigen Verhalten in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten nicht beachten (BayVGH vom 15.2.2000, Az. 21 B 96.1637 ).
2. Eine Unzuverlässigkeit der Klägerin zur Ausübung des ärztlichen Berufs liegt nicht vor, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Das der Klägerin vorgeworfene Fehlverhalten bezieht sich nicht auf die eigentliche Ausübung der Heilkunst und die einen Arzt unmittelbar treffenden Verpflichtungen. Die ärztliche Tätigkeit als solche hat die Klägerin in der Vergangenheit stets unbeanstandet ausgeübt, weshalb auch nicht zu erwarten ist, dass sie künftig ihren ärztlichen Verpflichtungen nicht nachkommen werde.
3. Die Klägerin ist auch nicht unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufs.
In der Rechtsprechung ist zwar grundsätzlich anerkannt, dass ein schwerwiegendes Fehlverhalten, welches zur Bejahung der Unwürdigkeit führt, nicht allein die eigentliche Ausübung der Heilkunst betreffen muss. Es entspricht vielmehr der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass auch erhebliche Straftaten eines Arztes, die in keinerlei Zusammenhang mit einer als solchen unbeanstandet ausgeübten ärztlichen Tätigkeit stehen, zur Unwürdigkeit führen können (BVerwG vom 2.11.1992, NJW 1993, 806 sowie vom 28.8.1995, NVwZ-RR 1996, 477; BayVGH vom 7.2.2002, Az. 21 ZS 01.2890 ; VGH BW vom 24.9.1993, NVwZ-RR 1995, 203). Mit Blick auf den grundgesetzlich gewährleisteten Schutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und das Verhältnismäßigkeitsgebot ist die Feststellung der Berufsunwürdigkeit jedoch an hohe Voraussetzungen geknüpft. Anlass für den Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit können nur gravierende Verfehlungen sein, die geeignet sind, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig zu erschüttern, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos. Der Betroffene muss demgemäß ein schwerwiegendes Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes nicht zu vereinbaren ist (BVerwG vom 16.2.2016, Az. 3 B 68/14 m. w. N. sowie vom 28.1.2003, Az. 3 B 149/02 ). Für die Frage, ob ein schwerwiegendes Fehlverhalten im eben beschriebenen Sinn vorliegt, ist mit dem Verwaltungsgericht München davon auszugehen, dass eine berufsbezogene Beurteilung des jeweiligen Delikts erfolgen muss. Für die Frage der Einschätzung der Unwürdigkeit kann nicht allein auf das im Strafverfahren verhängte Strafmaß abgestellt werden. Vielmehr muss der Unwertgehalt der verwirklichten Straftatbestände im Lichte der beruflichen Tätigkeit ausgelegt werden. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein schwerwiegendes Delikt vorliegt, mag auch die Strafzumessung im Strafverfahren eine gewisse Signalwirkung entfalten. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass im Strafverfahren bei der Strafzumessung auch eine Prognose für künftiges Verhalten des Täters getroffen wird. Eine solche Prognose spielt berufsrechtlich aber nur im Rahmen der Zuverlässigkeit, nicht jedoch im Rahmen der hier im Raum stehenden Unwürdigkeit eine Rolle. Die Frage, ob ein schwerwiegendes Fehlverhalten vorliegt, ist dabei stets anhand des konkret ausgeübten Berufs zu beantworten; denn für verschiedene Berufsbilder gibt es auch unterschiedliche „Ansehenserfordernisse“ (vgl. zum Ganzen: VG München vom 16.10.2007, Az. M 16 K 06.4847 ).
Sofern Straftaten die Unwürdigkeit begründen sollen, sind die Art der Straftat, das Ausmaß der Schuld und der Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Arztes zu würdigen (BayVGH vom 28.3.2007, Az. 21 B 04.3153 ; VG München vom 27.10.2009, Az. M 16 K 09.2003 ). Bei schweren, gemeingefährlichen oder gemeinschädlichen oder gegen die Person gerichteten, von der Allgemeinheit besonders missbilligten Vorsatztaten, insbesondere bei Verbrechenstatbeständen, ist der objektive Unrechtsgehalt so erheblich, dass dieser grundsätzlich und völlig unabhängig davon, ob die Tat bei Begehung unmittelbar oder mittelbar im Zusammenhang mit der ärztlichen Berufsausübung steht, den Widerruf der Approbation rechtfertigt (Schelling in: Spickhoff, Medizinrecht, § 5 BÄO, Rn. 21 m. w. N.). Ist somit die Berufsbezogenheit der Tat bei Kapitaldelikten keine Voraussetzung für die Annahme der Unwürdigkeit, so kommt dem Kriterium der Berufsbezogenheit jedoch umso mehr Relevanz und Gewicht zu, je geringer die Schwere und der Unrechtsgehalt der in Rede stehenden Straftat ist (Schelling in: Spickhoff, Medizinrecht, § 5 BÄO, Rn. 29). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass den Vertretern der Heilberufe heute nicht mehr eine in jeder Beziehung integre Lebensführung als Berufspflicht auferlegt wird (VGH BW vom 29.9.1981, DÖV 1982, 557).
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Fehlverhalten so schwer wiegt, dass es zur Unwürdigkeit des Arztes führt, ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Dementsprechend spielt es keine Rolle, ob das Verhalten des Arztes überhaupt in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Auch individuelle Umstände des Einzelfalls, wie etwa die Treue des Patientenstammes, das relativ hohe Lebensalter des Arztes, die Gefahr längerer Arbeitslosigkeit, die Vermögenssituation der Familie oder bereits stattgefundene berufsrechtliche Sanktionierungen sind nicht zu berücksichtigen. Ferner spielt auch der Aspekt der Schadenswiedergutmachung keine Rolle, weil hierzu ohnehin eine rechtliche Verpflichtung besteht (Schelling in: Spickhoff, Medizinrecht, § 5 BÄO, Rn. 30 m. w. N.).
a) Das Verwaltungsgericht macht die im Urteil des Amtsgerichts … vom 20.10.2014 (Az. 4 Ls 312 Js 2781/12) enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen zur Grundlage seiner Beurteilung der Persönlichkeit der Klägerin für die Entscheidung darüber, ob die Approbation der Klägerin zu Recht widerrufen wurde. In der Rechtsprechung ist es anerkannt, dass die Behörden und auch die Verwaltungsgerichte tatsächliche und rechtliche Feststellungen in einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung im berufsrechtlichen Verfahren zugrunde legen können, ohne dass diese selbst auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden müssen. Ein Abweichen von den Feststellungen in einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung kann allerdings ausnahmsweise dann geboten sein, wenn gewichtige Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestehen (BVerwG vom 16.1.1991, NJW 1991, 1530; vom 26.9.2002, NJW 2003, 913 und vom 6.3.2003, Az. 3 B 10.03 ; BayVGH vom 25.9.2012, Az. 21 BV 11.314 sowie vom 10.5.2012, Az. 21 ZB 11.1883 m. w. N.). Ein derartiger Ausnahmefall ist etwa dann gegeben, wenn Wiederaufnahmegründe i. S. d. § 359 StPO gegeben sind, die maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts erkennbar auf einem Irrtum beruhen oder die Behörde oder das Verwaltungsgericht ausnahmsweise in der Lage ist, eine für die Entscheidung erhebliche, aber strittige Tatsache besser als das Strafgericht aufzuklären (BayVGH vom 25.9.2012, Az. 21 BV 11.340 ; vom 28.4.2010, Az. 21 BV 09.1993 sowie vom 28.3.2007, Az. 21 BV 04.3153 ; vgl. zur gesamten Problematik der Verwertung von im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnissen: Schelling in: Spickhoff, Medizinrecht, § 5 BÄO, Rn. 44).
Keine Rolle spielt es dabei im vorliegenden Fall, dass das strafgerichtliche Urteil auf einer Verständigung nach § 257c StPO beruht. Gegenstand einer Verständigung nach § 257c StPO kann nämlich weder der Sachverhalt noch der Schuldspruch sein. Vielmehr besteht auch im Falle einer Verständigung die aus dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip folgende Verpflichtung des Strafgerichts, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen (NdsOVG vom 17.2.2015, Az. 8 LA 26/14 unter Hinweis auf BVerfG vom 19.3.2013, NJW 2013, 1058, 1067 f.). Dabei kann sich das Strafgericht zwar auf die geständige Einlassung des Angeklagten stützen, es muss aber von deren Richtigkeit überzeugt sein. Hierzu hat es jedenfalls zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (NdsOVG vom 17.2.2015, Az. 8 LA 26/14 unter Hinweis auf BGH vom 9.1.2014, Az. 3 StR 304/13 , Rn. 20 m. w. N.).
Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Strafgericht seiner Sachverhaltsaufklärungspflicht nicht genügend nachgekommen ist. Im Strafurteil wird ausdrücklich betont, dass der Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der geständigen Einlassung der Angeklagten, die sich mit der Aktenlage decke und welche die Angeklagte im Rahmen einer Verständigung gemäß § 257c StPO abgegeben habe, feststehe.
Deshalb kann auch das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der approbationsrechtlichen Würdigkeit der Klägerin seiner Entscheidung zugrunde legen, dass sich die Klägerin des Betruges in 22 Fällen schuldig gemacht hat, weil sie gegenüber ihrer Krankentagegeldversicherung wiederholt erklärt hat, arbeitsunfähig zu sein, während ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht zu arbeiten und sich am Wohnort aufzuhalten. Deshalb erhielt sie von ihrer Krankenversicherung Krankentagegeld, auf das sie jedoch keinen Anspruch hatte, weil sie in den genannten Zeiträumen an einzelnen Tagen bzw. an zusammenhängenden Zeitabschnitten gearbeitet hat oder sich an anderen Orten als ihrem Wohnort aufgehalten hat. Aufgrund der Verurteilung und des Geständnisses der Klägerin muss ferner davon ausgegangen werden, dass sie insoweit vorsätzlich handelte und ihr insbesondere bewusst gewesen ist, an den im Strafurteil aufgeführten Tagen bzw. Zeiträumen keinen Anspruch auf Auszahlung des Krankentagegeld gehabt zu haben.
b) Der von der Klägerin begangene Betrug in 22 Fällen führt nach Auffassung der Kammer gleichwohl nicht dazu, dass sie unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufs ist.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Klägerin einen sehr hohen Schaden verursacht hat (65.188,20 €) und dass sich die einzelnen Taten über einen relativ langen Zeitraum erstreckt haben. Für die Schwere ihrer Verfehlung spricht zudem, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten durch das Amtsgericht … verurteilt worden ist. Dadurch hat das Amtsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei den von der Klägerin begangenen Taten nicht um Bagatelldelikte gehandelt hat.
Andererseits ist jedoch zu bedenken, dass der Widerruf der Approbation einem (vorübergehenden) Berufsverbot gleichkommt. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung davon ausgeht, dass eine Wiedererteilung der Approbation grundsätzlich das Durchlaufen einer außerberuflichen Bewährungszeit voraussetzt, innerhalb derer der Arzt unter Beweis stellen muss, dass er wieder zur Berufsausübung würdig ist (vgl. etwa BayVGH vom 15.2.2000, Az. 21 B 96.1637 ; VG Regensburg vom 29.7.2010, Az. RO 5 K 09.2408 ; VG Würzburg vom 8.5.2006, Az. W 7 K 05.928). Das Bundesverfassungsgericht betont stets, dass ein Eingriff in die Berufswahlfreiheit nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft ist (BVerfG vom 28.8.2007, Az. 1 BvR 1098/07 und vom 2.3.1977, BVerfGE 44, 105). Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb angezweifelt, ob die in ständiger Rechtsprechung von den Verwaltungsgerichten vertretene Auffassung, dass ein Arzt erst durch eine Bewährungszeit außerhalb des Berufs nach Eintritt der Bestandskraft des Widerrufs der Approbation überhaupt unter Beweis stellen könne, wieder zur Berufsausübung würdig zu sein, mit den strengen Maßstäben eines Eingriffs in die Berufswahlfreiheit vereinbar sei. Möglicherweise werde dadurch die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Berufsfreiheit verkannt. Insbesondere müsse bedacht werden, ob die konkrete Versagung tatsächlich zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter erforderlich sei oder ihr dann nicht ausschließlich Sanktionscharakter innewohne (BVerfG vom 28.8.2007, Az. 1 BvR 1098/07 , Rn. 22). Das Erfordernis einer Bewährungszeit wird seitens des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere hinsichtlich des Merkmals der Unwürdigkeit als verfassungsrechtlich bedenklich angesehen, da ein Eingriff in die Berufswahlfreiheit verfassungsrechtlich unerlässlich eine Prüfung voraussetze, ob vom betroffenen Arzt prognostisch überhaupt eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehe. Eine solche Prognose werde nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bei der Prüfung der Unwürdigkeit jedoch gerade nicht vorgenommen (BVerfG vom 28.8.2007, Az. 1 BvR 1098/07 , Rn. 23).
Im Hinblick auf diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hält es die entscheidende Kammer jedenfalls im Falle eines Widerrufs der Approbation allein wegen Unwürdigkeit für erforderlich, dass zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Prognose gerechtfertigt ist, dass vom betroffenen Arzt eine Gefahr für ein wichtiges Gemeinschaftsgut ausgeht.
Im Falle der Klägerin ist dies nach Auffassung der Kammer nicht der Fall. Zwar ist das Vertrauen der Patienten in die ärztliche Integrität grundsätzlich ein gewichtiges Gemeinschaftsgut, das es zu schützen gilt. Zu bedenken ist jedoch, dass die Integrität der Ärzteschaft umso weniger tangiert ist, je berufsferner die vom Arzt begangene Straftat ist. Im vorliegenden Fall ist dabei zu berücksichtigen, dass die von der Klägerin begangenen Betrügereien keinen unmittelbaren Bezug zur Ausübung der Heilkunde aufweisen. Zwar wurden die Taten der Klägerin gegenüber einer (privaten) Krankenversicherung begangen. Gleichwohl bestand kein unmittelbarer Zusammenhang mit ärztlichen Berufspflichten, wie dies etwa beim Abrechnungsbetrug gegenüber den Krankenkassen der Fall ist. Die korrekte Abrechnung ärztlicher Leistungen gegenüber den Krankenkassen stellt nämlich einen bedeutsamen Bestandteil einer würdigen Erfüllung der beruflichen Pflichten des Arztes dar (HessVGH vom 24.11.2011, Az. 7 A 37/11.Z). Deshalb und weil durch betrügerische oder leichtfertige Falschabrechnungen die finanzielle Basis der Krankenkassen gefährdet wird, geht die Rechtsprechung in derartigen Fällen von gravierenden beruflichen Verfehlungen aus (BVerwG vom 20.9.2012, Az. 3 B 7/12 ; VG München vom 20.10.2015, Az. M 16 K 15.1873 ).
Im vorliegenden Fall weisen die Taten der Klägerin jedoch keinen Bezug zum ärztlichen Beruf auf. Ein entfernter Bezug zum Arztberuf könnte allenfalls insoweit hergestellt werden, als die Klägerin während ihrer Arbeitsunfähigkeit ärztliche Leistungen erbracht und gleichwohl Krankentagegeld erhalten hat. Soweit sie dagegen ihren Wohnort verlassen hat und Krankentagegeld entgegen den Versicherungsbedingungen bezogen hat, ist überhaupt kein Zusammenhang mehr zum Arztberuf herzustellen. Auch hat sie nicht das Vermögen der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten geschädigt; denn der Betrug bezog sich auf eine von der Klägerin abgeschlossene Versicherung, die das Risiko des Verdienstausfalls im Falle einer Arbeitsunfähigkeit abdecken sollte.
Nach alledem vermag das Gericht keine Berufsbezogenheit der strafrechtlichen Verfehlungen der Klägerin zu erkennen, weshalb das durch einen Widerruf der Approbation zu schützende Rechtsgut – nämlich das Ansehen der Ärzteschaft – nur in relativ geringem Umfang beeinträchtigt ist, zumal es sich bei dem von der Klägerin begangenem Betrug nicht um ein Kapitaldelikt handelt. Bedenkt man darüber hinaus, dass die Klägerin ihren Beruf seit 1982 ausübt und sie sich während ihrer Berufsausübung ansonsten nichts hat zu Schulden kommen lassen und dass die von ihr begangenen Taten zwischenzeitlich bereits ca. 4 1/2 bis 8 1/2 Jahre zurückliegen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Ansehen der Ärzteschaft in einem solchen Maße beeinträchtigt ist, als dass der Klägerin die Berufsausübung verboten werden müsste. Zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsgutes ist ein Widerruf der Approbation daher nicht erforderlich, weshalb nach Auffassung des Gerichts nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin das für die Ausübung des ärztlichen Berufs unbedingt erforderliche Ansehen und Vertrauen nicht besitzt.
Zwar sieht auch das Verwaltungsgericht die von der Klägerin begangenen Taten keinesfalls als Bagatelldelikte an. Da die Taten jedoch keinen Berufsbezug aufweisen und aufgrund des hohen verfassungsrechtlichen Rangs der Berufswahlfreiheit, ist es aus Sicht der entscheidenden Kammer aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten geboten, das für einen Widerruf der Approbation erforderliche Merkmal der Unwürdigkeit im Fall der Klägerin zu verneinen.
Der Widerruf der Approbation in Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides ist somit rechtswidrig und war aufzuheben.
4. Da die Ziffern 2. bis 4. des Bescheids der Regierung von Oberbayern vom 28.4.2015 von der Rechtmäßigkeit der Ziffer 1 abhängen, waren auch diese aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg zu stellen (Hausanschrift: Haidplatz 1, 93047 Regensburg; Postfachanschrift: Postfach 110165, 93014 Regensburg).
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen (Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 340148, 80098 München).
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn 1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, 2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, 3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Allen Schriftsätzen sollen jeweils 4 Abschriften beigefügt werden.
Hinweis auf Vertretungszwang: Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich alle Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt bereits für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird, die aber noch beim Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder die anderen in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich auch durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; Einzelheiten ergeben sich aus § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 30.000,- € festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 16.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG), dessen Empfehlungen die Kammer folgt.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- EUR übersteigt, oder wenn die Beschwerde zugelassen wurde.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg einzulegen (Hausanschrift: Haidplatz 1, 93047 Regensburg; Postfachanschrift: Postfach 110165, 93014 Regensburg). Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Allen Schriftsätzen sollen jeweils 4 Abschriften beigefügt werden.


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