Medizinrecht

Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis

Aktenzeichen  24 CS 20.2211

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36153
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5, § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 45 Abs. 2 S. 1, § 46 Abs. 2 S. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 6, § 154 Abs. 2
AWaffV § 4 Abs. 6 S. 1
BayVwVfG Art. 24 Abs. 1 S. 1
GKG § 47, § 52 Abs. 1, Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Für die Beantwortung der Frage, ob die Eignung zum Umgang mit Waffen wegen eines beginnenden Parkinson-Syndroms zu verneinen ist oder ob diese Erkrankung hinreichend kompensiert ist, bedarf es einer fachärztlichen Einschätzung. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Voraussetzung für die auf § 4 Abs. 6 S. 1 AWaffV gestützte Annahme der fehlenden waffenrechtlichen Eignung wegen Nichtbeibringung eines geforderten ärztlichen Gutachtens ist, dass die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens selbst rechtmäßig war. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Falls die Behörde bei der Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens bestimmte Gutachter vorgibt, muss sie bei der Auswahl die Regelung des § 4 Abs. 2 S. 1 AWaffV, wonach ein Gutachten (nur) von Gutachtern bestimmter Fachrichtungen erstellt werden soll, insoweit berücksichtigen, als sie entweder eine entsprechende Fachrichtung auswählt oder aber darlegt, warum ausnahmsweise ein Gutachter beauftragt werden muss, der einer anderen, in § 4 Abs. 2 S. 1 AWaffV nicht genannten Fachrichtung angehört. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 4 S 20.1386 2020-09-04 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.500, – € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Sofortvollzug u.a. des Widerrufs seiner Waffenbesitzkarten.
Der Antragsteller beantragte am 22. Mai 2018 beim zuständigen Landratsamt die Verlängerung seines Jagdscheins. Nachdem Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme des Antragstellers bekannt wurden, forderte die Behörde diesen zur Beibringung eines Eignungsgutachtens auf.
Das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten des Dr. B., Facharzt für Neurologie, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie vom 22. Oktober 2018 stellte folgende Diagnosen: „Zustand nach Stammganglienischämie linksseitig 05/2016 ohne funktionelle Einschränkungen der rechten Extremitäten (ehemals gelähmt gewesen). Zittern (Tremor) der linken oberen und der rechten unteren Extremität bei Verdacht auf beginnendes vaskuläres Parkinson-Syndrom. Leichte kognitive Störung.“ Im Ergebnis formulierte der Gutachter erhebliche Bedenken, dass der Antragsteller geeignet sei, jederzeit ordnungsgemäß mit Waffen und Munition umzugehen. Letztlich könne nur durch ein weiteres Gutachten, das auch den praktischen Umgang mit verschiedenen Waffen berücksichtige, festgestellt werden, in welcher Weise es aufgrund des Händezitterns linksseitig negative Auswirkungen im Bereich der Fein- und Grobmotorik gebe und falls ja, ob der Proband dies kompensieren könne.
Mit Schreiben vom 6. November 2018 forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, sich bei einem Jagdgutachter vorzustellen und durch diesen abklären zu lassen, ob die im Gutachten vom 22. Oktober 2018 festgestellten Defizite einen manuell sicheren Umgang mit Waffen und Munition zuließen. Dieser Aufforderung kam der Antragsteller nicht nach.
Mit Schreiben vom 2. Oktober 2019 hörte das Landratsamt den Antragsteller u.a. zum beabsichtigten Widerruf der Waffenbesitzkarten an.
Auf eine Nachfrage des Bevollmächtigten des Antragstellers betreffend eines in Frage kommenden Gutachters teilte die Behörde am 14. Oktober 2019 mit, die vorliegende spezielle Fragestellung in der Aufforderung vom 6. November 2018 könne nur von einem Mediziner mit jagdfachlichen bzw. waffenrechtlichen Kenntnissen beantwortet werden und nannte namentlich vier Ärzte, die Inhaber eines Jagdscheins seien.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2020, dem Antragsteller gegen Postzustellungsurkunde zugestellt, forderte die Behörde den Antragsteller nochmals zur Beibringung eines ergänzenden Gutachtens auf und wies auf die bereits am 14. Oktober 2019 benannten Ärzte als eventuell mögliche Gutachter hin. Zugleich hörte sie den Antragsteller nochmals u.a. zum beabsichtigten Widerruf der Waffenbesitzkarten an.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 8. Juli 2020 widerrief die Waffenbehörde unter anderem die Waffenbesitzkarten des Antragstellers. Hiergegen ließ der Antragsteller Anfechtungsklage erheben und gleichzeitig einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Zur Begründung bezog er sich unter anderem auf ein von ihm vorgelegtes Attest des Dr. E. vom 30. August 2020 sowie eine Ergänzung hierzu vom 18. September 2020. Dort kommt Dr. E., Facharzt u.a. für Allgemeinmedizin, hinsichtlich der Tauglichkeit des Antragstellers bzgl. des Umgangs mit Waffen zu dem Ergebnis, der Umgang mit der Waffe sowie das Schussergebnis ließen keinerlei Schwächen erkennen. Er sehe keinen Grund, an der Waffentauglichkeit des Antragstellers zu zweifeln.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 4. September 2020 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ab. Das behördliche Vorgehen sei im Ergebnis nicht zu beanstanden. Insbesondere obliege es dem Antragsteller, die in dem nachvollziehbaren Gutachten vom 22. Oktober 2018 formulierten Eignungsbedenken auszuräumen. Dies sei ihm nicht gelungen. Die Bescheinigungen des Dr. E seien unzureichend.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Sein Bevollmächtigter trägt vor, der Antragsteller habe das Attest des Dr. E. vom 30. August 2020 sowie eine ergänzende Stellungnahme hierzu vom 18. September 2020 vorgelegt. Damit sei die Frage der Eignung beantwortet. Alle von der Behörde gesetzten Fristen seien eingehalten worden. Lediglich die letzte Frist sei überschritten worden, was aber auf der fehlerhaften Zustellung des entsprechenden behördlichen Schreibens beruhe. Ein anderes Gutachten hätte im Übrigen auch nicht zum Erfolg geführt, da sich die Behörde telefonisch dahingehend geäußert habe, dass ein praktischer Arzt, nur weil er über einen Jagdschein verfüge, für die Erstellung des erforderlichen Gutachtens nicht geeignet sei.
Er beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juli 2020 hinsichtlich der Nummern 2. und 5. anzuordnen und hinsichtlich der Nummern 3. und 4. wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
und verteidigt den angegriffenen Beschluss.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben. Im Ergebnis zutreffend hat das Verwaltungsgericht das einstweilige Rechtsschutzbegehren abgelehnt.
1. Die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus. Die Frage der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Erlaubnis zum Besitz von Waffen wegen fehlender Eignung ist bei der im vorläufigen Rechtsschutz nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offen zu bewerten. Unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Argumente kann eine Aussage über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nicht mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden (1.1). Ausgehend von einem offenen Verfahrensausgang führt die vorzunehmende Interessenabwägung dazu, dass das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt (1.2).
1.1 Die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren sind nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung offen.
Rechtsgrundlage der Anordnung des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnisse ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Danach ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, ohne dass der Behörde Ermessen eingeräumt wäre, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Einen solchen Versagungsgrund normiert § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG, wonach die Erlaubnis voraussetzt, dass der eine waffenrechtliche Erlaubnis Beantragende die erforderliche Zuverlässigkeit gemäß § 5 WaffG und die persönliche Eignung gemäß § 6 WaffG besitzt. Die erforderliche Eignung besitzt nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG ein Betroffener nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er aufgrund in der Person liegender Umstände mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren kann. Es spricht viel dafür, dass sich – bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses – bereits auf Grundlage des vom Antragsteller vorgelegten und damit verwertbaren neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. B. vom 22. Oktober 2018 die Eignung des Antragstellers zum Umgang mit Waffen verneinen lässt, nachdem dort ein beginnendes Parkinson-Syndrom beschrieben und erhebliche Bedenken hinsichtlich der waffenrechtlichen Eignung des Antragstellers zum Ausdruck gebracht werden. Nachdem sich der Gutachter aber nicht abschließend festlegt, bedarf es insoweit noch einer weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren, etwa durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme dieses Gutachters oder einer Vernehmung des Gutachters als sachverständigen Zeugen. Denn die Frage der Kompensation der Erkrankung kann nicht allein durch einen entsprechend angepassten praktischen Umgang mit Waffen geklärt werden. Vielmehr bedürfte es insoweit auch einer fachärztlichen Einschätzung, ob die Erkrankung des Antragstellers medikamentös derart behandelt werden kann, dass zuverlässig kein Tremor auftritt und der Antragsteller insoweit über die notwendige Compliance verfügt.
Die Annahme der fehlenden Eignung des Antragstellers kann demgegenüber nicht auf § 4 Abs. 6 Satz 1 AWaffV gestützt werden. Nach dieser Vorschrift kann die Behörde auf die Nichteignung schließen, wenn das geforderte Gutachten aus vom Betroffenen zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beigebracht wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens selbst rechtmäßig war (OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 21.2.2014 – 16 A 2367/11). Das Waffenrecht trifft keine Regelung zu der Frage, ob die Behörde in der Aufforderung dem Betroffenen den Kreis der in Betracht kommenden Gutachter mitteilen oder diese gar namentlich benennen muss oder nicht, sondern legt nur fest, dass der Gutachter „sachkundig“ sein muss (§ 4 Abs. 1 AWaffV). In der Rechtsprechung ist diese Frage umstritten (vgl. einerseits VG Stuttgart, U.v. 28.8.2020 – 5 K 8253/19 – juris und andererseits VG Göttingen, U.v. 22.7.2020 – 1 A 458/18 – juris). Falls die Behörde aber – wie hier – tatsächlich bestimmte Gutachter vorgibt, muss sie bei der Auswahl die Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 AWaffV, wonach ein Gutachten (nur) von Gutachtern bestimmter Fachrichtungen erstellt werden soll, insoweit berücksichtigen, als sie entweder eine entsprechende Fachrichtung auswählt oder aber darlegt, warum ausnahmsweise ein Gutachter beauftragt werden muss, der einer anderen, in § 4 Abs. 2 Satz 1 AWaffV nicht genannten Fachrichtung angehört. Daran fehlt es hier in Bezug auf das im Gutachten vom 22. Oktober 2018 vorgeschlagene Ergänzungsgutachten. Weder ein „Jagdgutachter“ noch ein Arzt, der selbst im Besitz eines Jagdscheins ist, werden in § 4 Abs. 2 Satz 1 AWaffV genannt. Die Behörde hat auch nicht dargelegt, warum ein (etwa polizeilicher und damit waffenkundiger) Amtsarzt, der in § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AWaffV genannt wird, und dessen Beauftragung sich hier angeboten hätte, nicht in der Lage sein sollte, die Eignung des Betroffenen zum Umgang mit Waffen unter Einbeziehung der im Gutachten vom 22. Oktober 2018 getroffenen Feststellungen abschließend zu beurteilen. Sollte im Hauptsacheverfahren eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters Dr. B oder dessen Einvernahme als sachverständiger Zeuge eine abschließende Beweiswürdigung dahingehend, ob der Antragsteller zum Umgang mit Waffen geeignet ist oder nicht, nicht ermöglichen, wird zu erwägen sein, gerichtlicherseits einen Amtsarzt mit der Erstellung des dann notwendigen Ergänzungsgutachtens zu beauftragen.
Dem Erstgericht ist zwar dahingehend zuzustimmen, dass verbleibende Zweifel über die gesundheitliche Eignung eines Betroffenen zum Umgang mit Waffen zu dessen Lasten gehen müssen. Das gilt jedoch nur dann, wenn die Behörde ihre grundsätzlich bestehende Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG), wobei der Betroffene grundsätzlich zur Mitwirkung angehalten ist, ausreichend wahrgenommen hat. So liegt der Fall hier nicht, nachdem das Landratsamt selbst davon ausgegangen ist, dass in Ansehung des Gutachtens vom 22. Oktober 2018 eine weitere Begutachtung notwendig sei und den Antragsteller auch wiederholt – wenn auch letztlich in Bezug auf die Gutachterauswahl fehlerhaft – aufgefordert hat, ein entsprechendes Ergänzungsgutachten beizubringen.
1.2. Kann nach alldem keine zuverlässige Prognose über den Verfahrensausgang getroffen werden, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332; B.v. 9.2.2018 – 21 CS 17.1964; B.v. 18.6.2020 – 24 CS 20.1010 – juris).
§ 45 Abs. 5 WaffG beseitigt von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen nachträglichen Wegfalls der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit. Der Gesetzgeber hielt in dieser Fallgruppe die Anordnung der sofortigen Vollziehung für dringend angezeigt. In derartigen Fällen sei im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung immer eine umgehende Beendigung des Waffenbesitzes geboten bzw. ein höherwertiges legitimes Interesse an einem weiteren Waffenbesitz bis zum Eintritt von Bestands- oder Rechtskraft (u.U. mehrere Monate oder Jahre) überhaupt nicht zu erkennen. Den berechtigten Belangen der Betroffenen könnte in Ausnahmefällen durch eine abweichende (Eil-) Anordnung der Verwaltungsgerichte Rechnung getragen werden (BT-Drucks. 16/7717, S. 33).
In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung unterscheidet sich die Interessenabwägung von derjenigen, die in den Fällen einer behördlichen Anordnung stattfindet. Während im Anwendungsbereich von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist in Fällen der Nummern 1 bis 3 zu beachten, dass hier der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Hat sich schon der Gesetzgeber für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte – neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21 f.).
Der Antragsteller hat keine Gründe vorgetragen, die auf besondere, über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hingewiesen hätten, aufgrund derer eine Abwägung zugunsten seiner privaten Interessen ausfallen müsste. Der im streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners verfügte Widerruf der Waffenbesitzkarten des Antragstellers dient dem besonderen Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit an einem sicheren und zuverlässigen Umgang mit Schusswaffen und daher dem Schutz überragender Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung. Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse hat das rein private Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung weniger Gewicht. Sein – ohnehin nicht näher substantiiertes – privates Interesse am weiteren Waffenbesitz bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens kann nicht als hinreichend angesehen werden, um besondere Umstände, die eine Abweichung von dem gesetzlich angeordneten Sofortvollzug rechtfertigen, anzunehmen.
Das gilt umso mehr, als nach dem nachvollziehbaren Gutachten des Dr. B. vom 22. Oktober 2018 erhebliche Zweifel an der Eignung des Antragstellers bestehen, die bislang nicht entkräftet wurden. Die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Bescheinigungen des Dr. E. sind nicht geeignet, diese Zweifel zu entkräften. Insoweit fehlt es bereits an den Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 AWaffV. Im Übrigen erfüllt Dr. E nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 AWaffV, da er Allgemeinarzt ist. Schließlich geben die von ihm erstellten „Gutachten“ keine ausreichende Auskunft über die bei Erstellung des Gutachtens angewandte Methode. Es liegt auf der Hand, dass der Umstand, dass der Antragsteller bei dem dem Gutachten vorausgegangenen „Schussversuch“ zweimal die Scheibe getroffen hat, die im Gutachten vom 22. Oktober 2018 formulierten Bedenken nicht zerstreuen kann.
Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) aus Gründen der Gefahrenabwehr besteht regelmäßig auch für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die Waffen unbrauchbar zu machen oder sie einem Dritten zu übergeben (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG) bzw. für die Anordnung der Rückgabe von Erlaubnisurkunden (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG). Diese Folgeentscheidungen dienen der Umsetzung des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnisse und stellen die tatsächliche Umsetzung des Entzugs der formellen Erlaubnisberechtigung durch sofortige Abgabe von Waffen und Erlaubnisurkunden sicher (Lehmann, Aktuelles Waffenrecht‚ Stand Februar 2020, § 46 Rn. 19). Die Verpflichtung, die Waffenbesitzkarten zurückzugeben, folgt ebenso wie die Unbrauchbarmachung bzw. Abgabe der Waffen aus dem Widerruf der Waffenbesitzkarten. Nachdem der Widerruf der Waffenbesitzkarten kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, ist im Regelfall davon auszugehen, dass hinsichtlich der Folgeentscheidungen dem öffentlichen Vollzugsinteresse der Vorrang einzuräumen ist (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2016 – 21 CS 15.2718 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 18.6.2020 – 24 CS 20.1010 – juris Rn. 25).
1.3 Einwendungen gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs oder die weiteren Verfügungen der angegriffenen Entscheidung werden mit der Beschwerde nicht geltend gemacht und sind im Übrigen auch nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 (abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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