Medizinrecht

Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung, Anordnung der Vorlage einer MPU, Untätigkeitsklage

Aktenzeichen  M 26b K 19.3004

Datum:
23.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23287
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 20
FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5
VwGO § 75

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig, da das Landratsamt über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist in der Sache entschieden hat. Maßgeblich für den Zeitpunkt des Ablaufs der angemessenen Entscheidungsfrist nach § 75 Satz 1 VwGO sind nach der Rechtsprechung die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts, da es sich hierbei um eine Sachurteilsvoraussetzung handelt (BVerwG, U.v. 20.1.1966, BVerwGE 23, 135, 137 = NJW 1966, 750; U.v. 23.3.1973, BVerwGE 42, 108, 110). Die dem Kläger gesetzte Frist zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens war bereits am 13. September 2019 ergebnislos abgelaufen. Überdies hat der Kläger erklärt, kein medizinisch-psychologisches Gutachten beibringen zu wollen, sondern per Klage die sofortige Erteilung der Fahrerlaubnis eingefordert. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung war daher die der Behörde zuzubilligende angemessene Entscheidungsfrist hinsichtlich des mit der gegenständlichen Klage verfolgten Wiedererteilungsantrags längst abgelaufen.
2. Die Klage ist unbegründet.
Zum grundsätzlich für die Beurteilung der Sach- und Rechtsalge maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts kann der Kläger die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nicht beanspruchen, weil die Fahrerlaubnisbehörde deren Erteilung vorliegend zu Recht von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig gemacht hat, das der Kläger bis dato nicht beigebracht hat.
Nach § 20 Abs. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis die Vorschriften über die Ersterteilung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist nach §§ 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, 11 Abs. 1 Satz 1 FeV der Fall, wenn sie die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Davon kann nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 der Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegt. Außerdem dürfen die Bewerber nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben, so dass dadurch die Eignung ausgeschlossen wird (§ 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 3 FeV). Gibt es hinreichende Anhaltspunkte, die die körperliche, geistige oder charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Frage stellen, ist die Fahrerlaubnisbehörde nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV berechtigt, in näher bestimmten Fällen verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen. Bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei (mehreren) Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) anordnen, § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV. Wenn sich der Bewerber weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV), wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Dies ist hier der Fall.
2.1 Die Anordnung des Beklagten vom 12. Juni 2019 zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens genügt den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV.
2.1.1 Gemäß § 11 Abs. 6 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 der FeV in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (Satz 1). Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an der Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann (Satz 2).
Nur die Mitteilung der konkreten Fragestellung versetzt den Betroffenen in die Lage, sich innerhalb der nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV gesetzten Frist ein Urteil darüber zu bilden, ob die Aufforderung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist, oder ob er sich ihr verweigern darf, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis unter Berufung auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV wegen Nichteignung entzieht. Nur bei genauer Kenntnis der Fragestellung kann sich der Betroffene auch darüber schlüssig werden, ob er sich – unbeschadet der Rechtmäßigkeit der Anordnung – der Untersuchung seiner Persönlichkeit und gegebenenfalls den körperlichen Eingriffen und der psychologischen Exploration aussetzen will, die mit der Eignungsbegutachtung einhergehen können. Schließlich ist die Mitteilung der Fragestellung an den Betroffenen geboten, um diesem die Prüfung zu ermöglichen, ob sich die Begutachtungsstelle an die Fragestellung der Behörde hält und ob die ihm und dem Gutachter mitgeteilten Fragen identisch sind. (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765).
In jedem Fall hat die Fahrerlaubnisbehörde die konkretisierende Fragestellung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls festzulegen und dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Eignungszweifel mitzuteilen. Etwa eine bloße sinngemäße Wiedergabe der Tatbestandsvoraussetzungen der Befugnisnorm genügt grundsätzlich nicht.
2.1.2 Gemessen hieran ist die Gutachtensanordnung des Beklagten mit Schreiben vom 12. Juni 2019 in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
Es lässt sich dem Schreiben hinreichend deutlich entnehmen, welcher Sachverhalt nach Auffassung der Fahrerlaubnisbehörde die Eignungszweifel begründet. So wird mitgeteilt, dass sich erhebliche Bedenken an der Fahreignung des Klägers aus dessen strafrechtlicher Verurteilung durch das Urteil des Amtsgerichts A …vom … Dezember 2013 ergeben, wobei der vom Kläger verwirklichte Straftatbestand genannt und der der Tatbestandsverwirklichung zugrundeliegende Sachverhalt referiert werden. Daran schließt sich eine Schilderung des weiteren Verfahrensganges mit Beobachtungen über das Verhalten des Klägers bei Vorsprachen in der Fahrerlaubnisbehörde an.
Auch die in der Gutachtensanordnung aufgeworfene Fragestellung, ob trotz der aktenkundigen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehenden Straftat des Klägers zu erwarten ist, dass der Kläger nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Diese mit der Anordnung verbundene Fragestellung konkretisiert das Untersuchungsthema hinreichend in Bezug auf den zugrundeliegenden Sachverhalt. Dabei ist es unschädlich, dass die Formulierung der Fragestellung nicht von einer „erheblichen“, sondern nur von einer aktenkundigen Straftat spricht und somit nicht mit dem Wortlaut der Anordnungsgrundlage des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV identisch ist. Die Fragestellung entspricht im Übrigen dem von der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) empfohlenen Wortlaut für eine auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV gestützte Gutachterfrage (vgl. DGVP/DGVM, Urteilsbildung in der Fahreignung, 3. Aufl., S. 61).
2.1.3 Die Fragestellung ist auch verhältnismäßig; insbesondere beschränkt sie sich auf die Klärung von Zweifeln der charakterlichen Eignung des Klägers, ohne zusätzlich auch umfassend die Erfüllung der (allgemeinen) körperlichen und geistigen Anforderungen für das Führen von Kraftfahrzeugen als Gegenstand der Begutachtung festzulegen.
2.1.4 Sonstige Zweifel an der formellen Richtigkeit der Gutachtensanordnung hat der Kläger nicht geltend gemacht. Es sind auch keine ersichtlich. Insbesondere wurde dem Kläger in der Anordnung auch entsprechend den rechtlichen Vorgaben in § 11 Abs. 6 Satz 2 zweiter Halbsatz FeV mitgeteilt, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann (Anordnungsschreiben, S. 5). Der Kläger wurde auch ausdrücklich auf die Folgen der Nichtbeibringung des Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV hingewiesen (Anordnungsschreiben, ebenda).
2.2 Die Gutachtensanordnung war auch materiell rechtmäßig. Die das behördliche Ermessen zur Gutachtensanordnung eröffnenden tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV lagen hier vor.
2.2.1 § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV setzt auf tatbestandlicher Ebene lediglich voraus, dass der Fahrerlaubnisbewerber bzw. Fahrerlaubnisinhaber eine erhebliche Straftat begangen hat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht. Der weder im Gesetz noch in der FeV definierte Begriff der Erheblichkeit einer Straftat ist dahingehend zu verstehen, dass es gerade auf die Gewichtigkeit der Tat für die Bewertung der Fahreignung ankommt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.04.2017 – 16 E 132/16 – juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 15.09.2010 – 2 A 1197/10.Z – juris).
2.2.2 Die am … März 2013 begangene vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB) ist unzweifelhaft eine Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht. Diese ist auch als erheblich im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV anzusehen, da aufgrund des in der Gutachtensanordnung korrekt wiedergegebenen Tatverhaltens des Klägers sich die Frage aufdrängt, ob er geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Denn der Kläger hat einen anderen Verkehrsteilnehmer durch die Tat für ein – wirkliches oder vermeintliches – Fehlverhalten desselben gleichsam bestrafen wollen und es damit an der im Straßenverkehr geforderten Umsicht und Rücksicht eminent fehlen lassen.
2.3 Die behördliche Gutachtensanordnung ist auch frei von Ermessensfehlern ergangen. Die Fahrerlaubnisbehörde hat das in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV eröffnete Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG). Gemessen hieran hat der Beklagte in seiner Gutachtensanordnung ausreichende Ermessenserwägungen angestellt. Er hat erkannt, dass ihm Ermessen bei der Entscheidung eingeräumt ist und hat im Wege der Abwägung des Interesses des Klägers an der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis mit dem Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs letzterem aufgrund einer Würdigung der Gesamtumstände, die auch das Verhalten des Klägers nach der Tat im Gerichts- und Verwaltungsverfahren zulässigerweise in den Blick nimmt, rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Fahreignung des Klägers in verhältnismäßiger Weise nur durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten geklärt werden kann.
2.4 Die im Fahreignungsregister eingetragene Entscheidung des Amtsgerichts A … ist entgegen der Auffassung des Klägers im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Gutachtensanordnung am 12. Juni 2019 auch noch verwertbar. Die Tilgungsfrist hierfür beträgt nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 4 i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a StVG 10 Jahre und beginnt nach § 29 Abs. 4 und Abs. 5 fünf Jahre nach Rechtskraft der beschwerenden Entscheidung und war mithin weder im maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung noch auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen. Die zitierten Vorschriften gehen den Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) entgegen der Ansicht des Klägers als lex specialis vor, was sich aus § 52 Abs. 2 BZRG ergibt, wonach abweichend von § 51 Abs. 1 eine frühere Tat in einem Verfahren, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, berücksichtigt werden darf, solange die Verurteilung nach den Vorschriften der §§ 28 bis 30b des Straßenverkehrsgesetzes verwertet werden darf. Das Bundeszentralregistergesetz selbst ordnet hiermit einen Anwendungsvorrang der Tilgungsvorschriften des Straßenverkehrsgesetzes an.
Da also der Kläger das zurecht von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hat, hat er keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung ZPO.


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