Medizinrecht

Wirtschaftlichkeitsprüfung – Vergleichsgruppe Fachzahnarzt für Oralchirurgie

Aktenzeichen  S 38 KA 5178/16

Datum:
5.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
HeilBerG NRW § 51
HKaG HKaG Art. 45 Abs. 2 S. 3
SGB V SGB V § 106 Abs. 1, Abs. 2
SGG SGG § 197a

 

Leitsatz

1. Ist Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung die Gesamtabrechnung, sind die Prüfgremien grundsätzlich verpflichtet, einen Fachzahnarzt für Oralchirugie mit Zahnärzten mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” zu vergleichen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Facharzt für Oralchirugie ausschließlich oder fast ausschließlich chirurgische Leistungen erbringt und auf Überweisung hin tätig wird. (Rn. 14)
2. Zur Bildung von sog. “verfeinerten Vergleichsgruppen” durch die Prüfgremien. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beschluss des Beschwerdeausschusses – Kammer … vom 24.11.2016 sowie der Beschluss des Beschwerdeausschusses – Kammer … vom 24.02.2017 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, über die Widersprüche des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Der Beklagte trägt die Kosten der Verfahren.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegten Klagen sind zulässig und erweisen sich auch als begründet. Die Bescheide des Beklagten sind als rechtswidrig anzusehen.
In beiden Quartalen (Quartale 3/14 und 4/14) fand eine statistische Durchschnittsprüfung des Gesamtfallwerts statt. Der Beklagte stellte fest, dass der Kläger den Fallwert der Vergleichsgruppe (Vertragszahnärzte) erheblich überschreite und zwar im Quartal 3/14 um 126% und im Quartal 4/14 um 147% bei gleichzeitig unterdurchschnittlichen Fallzahlen (-36% im Quartal 3/14 und -17% im Quartal 4/14). Ferner stellte der Beschwerdeausschuss fest, in der Praxis des Klägers gebe es überdurchschnittlich viele schwere Fälle ab 400 € Fallwert. Er kam dann zu dem Ergebnis eines bereinigten Fallwerst, der knapp über dem Fallwert der Vergleichsgruppe lag. Im Anschluss daran fand eine Untersuchung der sogenannten kostenintensiven Fälle statt. Als Ergebnis gelangte der Beschwerdeausschuss schließlich zu einer geschätzten Unwirtschaftlichkeit in Höhe von 20% bzw. 15%. Dem Kläger werde eine Restüberschreitung in Höhe von 103% bzw. von 110% belassen, die nach wie vor im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses liege.
Rechtsgrundlage für die durchgeführte statistische Durchschnittsprüfung ist § 106 Abs. 2 S. 2 SGB V in Verbindung mit §§ 18, 20 der Anlage 4a zum GV-Z. Bis zum 31.12.2003 sah der Gesetzgeber in § 106 Abs. 2 Ziff. 1 SGB V die Durchschnittsprüfung als Regelprüfung vor. Mit Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) zum 01.01.2004 wird diese Prüfmethode in § 106 Abs. 1 SGB V nicht mehr als Prüfmethode vorgesehen. Hintergrund hierfür war die Skepsis des Gesetzgebers, was die qualitative Wertigkeit dieser Prüfmethode betrifft (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 14.01.2015, Az. L 12 KA 43/13; SG Hannover, Urteil vom 19.10.2016, Az. S 78 KA 191/14). Allerdings sieht § 106 Abs. 2 S. 4 SGB V vor, dass die Landesverbände der Krankenkassenverbände und der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus auch Prüfungen ärztlicher Leistungen nach Durchschnittswerten vereinbaren können. Von dieser Ermächtigung wurde Gebrauch gemacht. So wird in § 18 Abs. 2c der Anlage 4a zum GV-Z die Durchschnittsprüfung als Prüfmethode genannt. In § 20 der Anlage 4a zum GV-Z werden die Voraussetzungen aufgeführt. Danach wird die Prüfung nach Durchschnittswerten auf der Grundlage einer Gegenüberstellung der Einzelleistungswerte bzw. der durchschnittlichen Fallkosten des geprüften Vertragszahnarztes einerseits, und aller Vertragszahnärzte andererseits auf der Grundlage der von der KZVB gemäß Abs. 1 erstellten Statistiken durchgeführt ( § 20 Abs. 5 der Anlage 4a zum GV-Z). Nach § 27 Abs. 2 der Anlage 4a zum GV-Z findet für alle Wirtschaftlichkeitsprüfungen ab dem 01.07.2009 unabhängig vom Zeitpunkt des Abrechnungsquartals und der Antragstellung diese Prüfvereinbarung Anwendung.
Der Kläger ist Fachzahnarzt für Oralchirurgie. Er wurde verglichen mit den Vertragszahnärzten; dies, obwohl er ausschließlich auf Überweisung und chirurgisch tätig ist.
Was die Tätigkeit aufgrund von Überweisungen betrifft, hindert dies nicht daran, dass der Kläger einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen wird. Nach § 20 der Anlage 4a zum GV-Z unterliegen Leistungen aufgrund von Überweisungen zu einer nach Art und Umfang festgelegten Behandlung nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung, soweit der Vertragszahnarzt den Inhalt der Überweisung nachweist. Überprüfungen, ob der Überweisungsauftrag eingehalten worden ist, sind zulässig.
Es stellt sich die Frage, ob der Beklagte nicht gehalten gewesen wäre, eine sogenannte verfeinerte Vergleichsgruppe für die Prüfung heranzuziehen. Das Bundessozialgericht (Urteil vom 14.12.2005, Az. B 6 KA 4/05R) hat die Meinung vertreten, die Prüfgremien seien nicht verpflichtet, einen Zahnarzt mit der Gebietsbezeichnung „Oralchirurgie“ nur mit denjenigen zu vergleichen, die ebenfalls diese Zusatzbezeichnung führten. Insgesamt sei es Sache der Prüfgremien, ob sogenannte spezielle bzw. verfeinerte Vergleichsgruppen gebildet werden (BSG, Urteil vom 27.04.2005, Az. B 6 KA 39/04 R). Die Prüfgremien hätten hier einen Entscheidungsspielraum, es sei denn, die Tätigkeiten sind zu verschieden, dass von vornherein keine verwertbaren Aussagen über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit gemacht werden könnten. Ärzte, die eine Gebietsbezeichnung führten, könnten grundsätzlich nur mit Ärzten verglichen werden, die ebenfalls diese Gebietsbezeichnung führten. Für Nordrhein-Westfalen kam das Bundessozialgericht zu dem Ergebnis, das Führen einer Gebietsbezeichnung entspreche hinsichtlich der normativen Wirkungen derjenigen einer Zusatzbezeichnung im ärztlichen Bereich. Dies wurde damit begründet, § 51 HeilBerG NRW gelte nicht für Zahnärzte. Zahnärzte mit der Gebietsbezeichnung „Oralchirurgie“ müssten sich nicht auf oralchirurgische Behandlungen beschränken und seien nicht einmal verpflichtet, solche Behandlungen anzubieten, sondern könnten ausschließlich oder in großem Umfang allgemeinzahnärztlich tätig sein. In B. darf nach Art. 34 Abs. 1. Heilberufekammergesetz (HKaG) ebenfalls grundsätzlich nur in dem Gebiet tätig sein, wer die Gebietsbezeichnung führt. Diese Vorschrift gilt auch für Zahnärzte, es sei denn die Weiterbildungsordnung für die Bayerischen Zahnärzte sieht etwas anderes vor (Art. 45 Abs. 2 S. 3 HKaG). Dies ist der Fall. Denn nach der Weiterbildungsordnung für die Bayerischen Zahnärzte braucht ein Fachzahnarzt für Oralchirurgie seine Tätigkeit nicht auf das Gebiet der zahnärztlichen Chirurgie beschränken (§ 23 Abs. 6 der Weiterbildungsordnung für die Bayerischen Zahnärzte vom 22.01.1985, zuletzt geändert durch Satzung vom 12.12.2015). Insofern ist der streitgegenständliche Fall mit dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall grundsätzlich vergleichbar. Allerdings ist anzumerken, dass das Verfahren vor dem Bundessozialgericht, wie in den Entscheidungsgründen ausdrücklich hervorgehoben wurde, nur den Fall der Wirtschaftlichkeitsprüfung von Einzelleistungen betraf, die typischerweise von allen Zahnärzten erbracht werden. In den hier streitgegenständlichen Fällen wurde jeweils die Gesamtabrechnung des Klägers gekürzt. Ist Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung die Gesamtabrechnung, sind die Prüfgremien grundsätzlich verpflichtet, einen Fachzahnarzt für Oralchirurgie mit Zahnärzten mit der Gebietsbezeichnung „Oralchirurgie“ zu vergleichen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Fachzahnarzt für Oralchirurgie ausschließlich oder fast ausschließlich chirurgische Leistungen erbringt und auf Überweisung hin tätig wird. Denn der Vergleich mit den Zahnärzten, die ihrerseits wesentlich weniger chirurgische Leistungen erbringen, lässt keine verwertbaren Aussagen über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Gesamtabrechnung zu. Genauso wenig kommt nach Auffassung des Gerichts ein Vergleich mit den MKG-Chirurgen in Betracht, auch wenn diese ebenfalls in großem Umfang oder ausschließlich chirurgische Leistungen erbringen. Aufgrund deren Doppelzulassung sowohl im ärztlichen, als auch zahnärztlichen Bereich haben diese die Möglichkeit, ihre Leistungen sowohl gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung, als auch gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung abzurechnen. Aus diesem Grund können Statistiken, die MKG-Chirurgen betreffen, nur bedingt zu Vergleichszwecken herangezogen werden.
Übertragen auf das streitgegenständliche Verfahren bedeutet dies, dass der Kläger bereits nicht mit der richtigen Vergleichsgruppe verglichen wurde und insofern die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten als fehlerhaft anzusehen ist. Abgesehen von dem Problem der zutreffenden Vergleichsgruppe erscheint es äußerst fraglich, ob den bestehenden Praxisbesonderheiten ausreichend Rechnung getragen wurde, wenn nach den Bescheidgründen des Beklagten einerseits schwere Fälle über 400 € berücksichtigt werden sollen, andererseits nach Sichtung der kostenintensiven Fälle anhand der vorliegenden Einzelfalldarstellungen sowie der eingesandten Röntgenaufnahmen, Krankenblattauszüge, histologischen Befunde und Überweisungsaufträge überraschenderweise ohne nähere Begründung die Unwirtschaftlichkeit festgestellt und geschätzt wird. Diese Prüfung ist nicht nachvollziehbar und stellt auch nicht die zu fordernde intellektuelle Prüfung dar. Ein Vergleich mit den Fachärzten für „Oralchirurgie“ ist aber nicht möglich, da hierzu keine Statistiken existieren.
Daraus folgt, dass der Beklagte für die erneute Prüfung der Wirtschaftlichkeit des Klägers eine andere Prüfmethode anwenden muss. Aus Sicht des Gerichts kommt lediglich eine Einzelfallprüfung (§ 21 der Anlage 4a zum GV-Z) oder eine Einzelfallprüfung mit Hochrechnung (§ 22 der Anlage 4a zum GV-Z) in Betracht.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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