Medizinrecht

Witwengeld

Aktenzeichen  14 B 20.1283

Datum:
1.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15365
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Im Hinblick auf die Frage einer Witwengeldbewilligung ist die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer witwengeldschädlichen Versorgungsehe in § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG nach den Umständen des Einzelfalls auch dann nicht ausgeschlossen, wenn im Zeitpunkt der Eheschließung eine lebensbedrohliche Erkrankung vorgelegen hat (im Anschluss an BVerwG, U.v. 28.1.2016 – 2 C 21.14 – BVerwGE 154, 137 Rn. 17 ff.).
2. Auch in Fällen, bei denen ein Heiratstermin in einem Zeitpunkt vereinbart worden war, als keine lebensbedrohliche Erkrankung im Raum stand, und später nach Auftreten einer lebensbedrohlichen Erkrankung der Heiratstermin vorverlegt worden ist, ist – nicht anders als bei sonstigen Fällen – eine Widerlegung der Versorgungsehevermutung (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG) möglich, wenn unter Gesamtbewertung der Umstände des Einzelfalls die Ehe jedenfalls auch aus nicht-versorgungsorientierten Beweggründen geschlossen worden ist, die neben der Versorgung mindestens als gleichgewichtig zu bewerten sind (im Anschluss an BVerwG, U.v. 28.1.2016 – 2 C 21.14 – BVerwGE 154, 137 Rn. 18 ff.).

Verfahrensgang

M 21 K 17.1500 2019-04-09 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. April 2019 sowie der Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2016 und der Widerspruchsbescheid vom 15. März 2017 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin das beantragte Witwengeld zu bewilligen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässig erhobene Berufung der Klägerin hat Erfolg – die erhobene Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet, weswegen sowohl der dem entgegenstehende Ablehnungsbescheid der Beklagten und ihr Widerspruchsbescheid als auch das die Klage zu Unrecht abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben sind.
1. Dabei kann der Senat entscheiden, obwohl seitens der ordnungsgemäß gemäß § 102 Abs. 1 VwGO geladenen Beklagten niemand zur Senatsverhandlung erschienen ist, was die Beklagte vorab auch angekündigt hatte. Auf diese Möglichkeit zur Verhandlung und Entscheidung war die Beklagte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO im Ladungsschreiben vom 7. März 2022 (dazu Empfangsbekenntnis der Beklagten vom 9.3.2022), auf das wiederum das Umladungsschreiben vom 31. März 2022 (dazu Empfangsbekenntnis der Beklagten vom 4.4.2022) Bezug genommen hat, hingewiesen worden.
2. Streitgegenständlich war sowohl erst- als auch zweitinstanzlich allein die Frage, ob die Klägerin von der Beklagten verlangen kann, ihr Witwengeld nach den Bestimmungen des Beamtenversorgungsrechts des Bundes zu bewilligen. Dass die ursprüngliche Antragsformulierung der Klagepartei neben der Bewilligung auch eine Verpflichtung zur „Auszahlung“ thematisiert hatte, ändert daran nichts. Wie bereits im gerichtlichen Anhörungsschreiben vom 18. Mai 2022 mitgeteilt, ist dies nicht als Klagehäufung auszulegen, zumal mangels Bewilligungsbescheids bislang eine Auszahlung ohnehin nicht im Raum stand und nicht ansatzweise ersichtlich ist, weshalb im Fall einer Verpflichtung zur Bewilligung von Beklagtenseite nicht ausgezahlt werden sollte. Vielmehr war diese Formulierung im ursprünglichen klägerischen Antrag von Anfang an gemäß § 88 VwGO als rein deklaratorischer Hinweis zu verstehen, dass im Falle einer Bewilligung von Witwengeld dieses selbstverständlich auch auszuzahlen ist. Angesichts dessen war die in der Senatsverhandlung von der Klagepartei vorgenommene Umformulierung ihrer Anträge weder eine Klageänderung (§ 91 VwGO) noch eine teilweise Klagerücknahme (§ 92 VwGO), sondern nur eine treffendere Fassung des für das Gericht allein bindenden Klagebegehrens (§ 88 VwGO), das von Anfang an allein auf Witwengeldbewilligung gerichtet war, sodass bereits die ursprüngliche klägerische Antragsformulierung ebenso auszulegen war, wie die zuletzt gestellten Anträge.
3. Gemäß §§ 19 ff., 27 BeamtVG hat die Klägerin gegen die unstreitig passivlegitimierte Beklagte (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 3, § 14 Abs. 1 Postpersonalrechtsgesetz) einen Anspruch, ihr das beantragte Witwengeld zu bewilligen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), wobei sich sowohl der Bewilligungsanspruch als solcher als auch dessen Höhe direkt und ohne Verwaltungsermessen aus dem Gesetz ergeben, sodass weder im klägerischen Antrag noch in der Tenorierung eine Bezifferung erforderlich war (vgl. VGH BW, U.v. 15.6.2016 – 4 S 1562/15 – BeckRS 2016, 48196).
Anspruchsgrundlage ist dabei § 19 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BeamtVG, wobei der verstorbene Ehemann im Zeitpunkt seines Todes Ruhestandsbeamter der Beklagten und mit der Klägerin verheiratet war, diese also seine Witwe ist.
4. Der Anspruch ist nicht ausgeschlossen gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG. Zwar erfolgte die Eheschließung am 27. Januar 2016 erst nach dem Ruhestandseintritt des verstorbenen Ruhestandsbeamten zum 30. November 2013; jedoch hatte der am 14. Juli 1965 geborene, zum Zeitpunkt der Eheschließung 50-jährige Ruhestandsbeamte noch nicht die Regelaltersgrenze i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG i.V.m. § 51 Abs. 1 BBG erreicht.
5. Der Anspruch ist auch nicht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG ausgeschlossen; zwar hatte die Ehe im Zeitpunkt des Todesfalls noch nicht ein Jahr gedauert, jedoch ist nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt, dass es der „alleinige oder überwiegende“ Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen.
5.1. Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 28.1.2016 – 2 C 21.14 – BVerwGE 154, 137 Rn. 18), der der Senat folgt, erfordert die Auslegung und Anwendung des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG eine Gesamtbetrachtung der Beweggründe beider Ehegatten. Eine Witwengeldbewilligung ist dabei nicht schon dann ausgeschlossen, wenn für die Eheschließung nicht ausschließlich „andere“ Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte ausschlaggebend waren (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2016 a.a.O. Rn. 18 m.w.N.). Vielmehr ist es für die Annahme, dass eine Witwenversorgung nicht der „alleinige oder überwiegende“ Heiratszweck i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Halbs. 2 BeamtVG war, hinreichend, aber auch notwendig, dass der Eheschließung zumindest gleichwertige andere – von einer Versorgungsabsicht verschiedene – Beweggründe zugrunde lagen (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2016 a.a.O. Rn. 18). Zwar liegt die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nahe, wenn im Zeitpunkt der Heirat mit dem Tod des Ruhestandsbeamten gerechnet werden muss – etwa bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung -, jedoch kann diese Vermutung auch in solchen Fällen widerlegt werden (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2016 a.a.O. Rn. 17). Zwar müssen dabei die gegen eine Versorgungsehe sprechenden Umstände umso gewichtiger sein, je offenkundiger und lebensbedrohlicher die Krankheit des Ruhestandsbeamten im Zeitpunkt der Heirat war, und steigen die Anforderungen an die Wirklichkeitsnähe der Gründe für einen Aufschub der Heirat mit der Dauer des zeitlichen Abstands zwischen dem Heiratsentschluss und der später in Kenntnis der lebensbedrohlichen Erkrankung erfolgten Eheschließung (BVerwG, U.v. 28.1.2016 a.a.O. Rn. 19 m.w.N.). Allerdings kann auch ein bereits vor der Kenntnis von einer lebensbedrohlichen Erkrankung getroffener Heiratsentschluss ein „besonderer Umstand“ i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG sein, sofern die Heirat aus wirklichkeitsnahen Gründen nur aufgeschoben wurde, der Heiratsentschluss aber nicht aufgegeben worden ist (BVerwG, U.v. 28.1.2016 a.a.O. Rn. 17). Art und Umfang der gerichtlichen Ermittlung werden dabei durch den Vortrag der Witwe bestimmt (BVerwG, U.v. 28.1.2016 a.a.O. Rn. 23) – werden von der Witwe, wie hier, auch (höchst-)persönliche Beweggründe vorgebracht, ist auch insoweit die volle gerichtliche Überzeugung erforderlich (BVerwG, U.v. 28.1.2016 a.a.O. Rn. 22 f.).
5.2. Vor diesem Hintergrund ist im vorliegenden Fall die Annahme nicht gerechtfertigt, dass es der „alleinige oder überwiegende“ Zweck der Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen.
5.2.1. Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Ruhestandsbeamte im Zeitpunkt der Eheschließung (27.1.2016) seit Ende Dezember 2015 unter einer metachronen Hirnmetastase litt und dass dies zweifelsohne eine schwerwiegende Erkrankung darstellt.
Allerdings ist dabei zu sehen, dass auch diese Krebserkrankung von medizinischer Seite zunächst – und auch im Zeitpunkt der Eheschließung – durchaus noch behandelt worden ist und dass nach dem im Berufungszulassungsverfahren vorgelegten Bericht des behandelnden Klinikums vom 4. Juli 2016 (dort S. 2) im April 2016 zunächst kein Anhalt für vitales Metastasenrestgewebe mehr gefunden wurde, was jedenfalls gegen die im Widerspruchsbescheid ohne jede medizinische Untermauerung aufgestellte These spricht, dass „praktisch keine Lebenserwartung mehr“ vorgelegen habe.
Doch selbst dann, wenn man im Ansatz der Beklagten folgt und die Hirnmetastase bereits aus der Perspektive des Zeitpunkts der Eheschließung (27.1.2016) als „lebensbedrohlich“ einstuft – obwohl zu diesem Zeitpunkt die Hirnmetastase behandelt wurde, sich im April 2016 dann keine Anhaltspunkte für vitales Metastasenrestgewebe mehr zeigten und der Ruhestandsbeamte bereits zuvor seine ursprüngliche Tumorerkrankung überwunden hatte -, ist festzuhalten, dass nach der besagten Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts (siehe 5.1.) selbst in Fällen lebensbedrohlicher Erkrankungen eine Widerlegung der Vermutung einer Versorgungsehe durchaus möglich ist.
Dabei verkehrt die Beklagte die bundesverwaltungsgerichtliche Gewichtung eines aus wirklichkeitsnahen Gründen aufgeschobenen früheren Heiratsentschlusses zugunsten der Witwe geradezu ins Gegenteil, wenn im Widerspruchsbescheid argumentiert wird, wer „noch schnell“ eine Ehe eingehe, um vor dem Tod noch den Ehestand nachweisen zu können, habe die Versorgungsabsicht „auf keinen Fall widerlegt“ – denn damit wird gerade der Grundaussage des Bundesverwaltungsgerichts nicht Rechnung getragen, dass eine Widerlegung eben selbst dann noch möglich bleibt, wenn die Ehe in Kenntnis einer lebensbedrohlichen Erkrankung geschlossen worden ist (siehe 5.1.). Dabei wird auch die vorliegende Fallkonstellation durchaus vom Argumentationsansatz des Bundesverwaltungsgerichts erfasst und sind im Wege einer Gesamtabwägung neben dem Umstand, dass die Eheschließung in einer Zeitphase einer schwerwiegenden Erkrankung des Ruhestandsbeamten erfolgte, auch diejenigen Umstände in den Blick zu nehmen, die auf andere Beweggründe der Eheleute als Versorgungsgesichtspunkte hindeuten, wobei es ausreicht (siehe 5.1.), dass diese anderen Gesichtspunkte das gleiche Gewicht aufweisen wie etwaige Versorgungsgesichtspunkte.
Dieser bundesverwaltungsgerichtlichen Erkenntnis ist auch das Verwaltungsgericht nicht gerecht geworden. Zwar hat es im Ansatz gesehen, dass „gleichwertige“ versorgungsunabhängige Beweggründe ausreichen (UA S. 10 zweiter Absatz Zeile 4). Jedoch hat es zu einseitig die „Vorverlegung“ für „maßgeblich“ gehalten (UA S. 9 zweiter Absatz ab Zeile 9) und dabei darauf abgestellt, es sei anzunehmen, dass die Eheleute „nicht bereits im Januar 2016 geheiratet hätten, wenn der verstorbene Ruhestandsbeamte nicht im Dezember 2015 eine weitere Krebserkrankung erlitten hätte“ (UA S. 9 zweiter Absatz Zeilen 17 bis 19) – dieses verwaltungsgerichtliche Kriterium (ob ohne die Erkrankung erst später geheiratet worden wäre) gibt aber keinen Aufschluss für die nach bundesverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung wesentliche und zu ermittelnde Frage, ob die Heirat am 27. Januar 2016 nicht zumindest auch auf mindestens gleichgewichtigen anderen (nicht versorgungsbezogenen) Beweggründen der Eheleute beruhte und wird dem vom Bundesverwaltungsgericht herausgearbeiteten Prüfungsmaßstab deshalb nicht gerecht.
5.2.2. Vorliegend sprechen mehrere Umstände dafür, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann jedenfalls auch aus anderen, nicht versorgungsorientierten Beweggründen geheiratet haben, die für den Heiratsentschluss zumindest nicht weniger Gewicht hatten als die Versorgung.
Ein deutliches objektives Indiz ist dabei zunächst der Umstand, dass die beiden ausweislich der standesamtlichen Stellungnahme vom 20. Oktober 2016 bereits im Herbst 2015 im Standesamt vorstellig geworden sind, um einen Termin anlässlich der geplanten Hochzeit zu reservieren. Dem kommt vorliegend schon deshalb großes Gewicht zu, weil sich ausweislich des Berichts des behandelnden Klinikums vom 4. Juli 2016 (dort S. 2) im Februar, Mai und November 2015, also gerade im Zeitpunkt der standesamtlichen Terminvereinbarung, beim Ruhestandsbeamten keine Hinweise auf ein Fortbestehen der Tumorerkrankung mehr gefunden haben, sodass die späteren Eheleute bei der Vereinbarung des Heiratstermins im Herbst 2015 gerade nicht damit rechnen mussten, dass der Ruhestandsbeamte lebensbedrohlich erkrankt sein könnte; angesichts dessen vermag die verwaltungsgerichtliche Einschätzung, für eine Versorgungsabsicht, spreche unter anderem ein enger zeitlicher Bezug der Eheschließung zur Kenntnis (auch) von der Krebserkrankung des Ruhestandsbeamten „im Juni 2014“ (UA S. 9 zweiter Absatz Zeilen 1 bis 4), nicht zu überzeugen.
Der Umstand, dass die Klägerin und der Ruhestandsbeamte nicht schon im Jahr 2015 geheiratet, sondern im Herbst 2015 einen Heiratstermin für den 6. Juni 2016 vereinbart haben, spricht nicht für die Annahme alleiniger oder überwiegender versorgungsorientierter Motive. Durchaus wirklichkeitsnah erscheint dabei die von der Klägerin bei ihrer informatorischen Anhörung gegebene Begründung, der 6. Juni 2016 sei gewählt worden, weil es der „Kennenlern-Tag“ gewesen sei, wobei die Klägerin bereits in ihrer ursprünglichen Stellungnahme im Verwaltungsverfahren vom 29. September 2016 (dort S. 1) den 6. Juni 2013 als Tag des Kennenlernens benannt hatte. Auch ist zu sehen, dass das Standesamt in der vom Senat eingeholten Stellungnahme vom 23. November 2021 mitgeteilt hat, dass dort Eheschließungstermine auf Wunsch der Brautpaare bis zu einem Jahr vorab reserviert werden können, sodass auch die zeitliche Distanz zwischen Terminvereinbarung (Herbst 2015) und Heiratstermin (6.6.2016) sich durchaus im Rahmen des Üblichen bewegt. Dabei ist auch zu sehen, dass die Klägerin erst ab der Scheidung ihrer früheren Ehe am 27. Juli 2015 rechtlich einwandfrei dazu in der Lage war, den Ruhestandsbeamten zu heiraten. Gerade unter „wirklichkeitsnaher“ Betrachtung deutet deshalb – ausgehend von der frühestmöglichen Heiratsmöglichkeit (also erst nach dem 27.7.2015) – die Vereinbarung des Heiratstermins bereits im Herbst 2015, also weniger als ein Quartal nach der Scheidung der Vorehe, auf einen versorgungsunabhängigen Heiratsentschluss hin.
In die gleiche Richtung weist der Umstand, dass die Klägerin gerade auch in der Zeit von Juni 2014 bis Februar 2015, als beim Ruhestandsbeamten das Adenokarzinom diagnostiziert, therapiert und nachuntersucht wurde – wobei die erste Nachsorgeuntersuchung nach der Chemotherapie ohne Hinweis auf Fortbestehen der Tumorerkrankung im Februar 2015 erfolgte -, mit dem Ruhestandsbeamten nicht nur weiter zusammengelebt, sondern auch ihre Scheidung vorangetrieben hat. In diesem Zeitraum war schon wegen der Vorverheiratung eine versorgungswirksame Verheiratung mit dem Ruhestandsbeamten ausgeschlossen, was nicht auf versorgungsorientierte Beweggründe hindeutet, sondern darauf, dass es der Klägerin darum ging, mit dem Ruhestandsbeamten zusammenzuleben. Dies deckt sich auch mit den Aussagen beider vom Senat vernommener Zeugen (Sitzungsprotokoll S. 8 letzter Absatz bis S. 9 erster Absatz und S. 12 letzter Absatz bis S. 13 erster Absatz), insbesondere mit der Aussage eines der beiden Zeugen zur bereits im Februar 2014 berichteten Absicht der Klägerin, sich von ihrem früheren Ehemann scheiden zu lassen, und dem dabei vermittelten Eindruck, dass dies für die Klägerin und für den Ruhestandsbeamten ein „freudiges Event“ und das Ziel der beiden damals schon gewesen sei, nach dieser Scheidung selbst zu heiraten (Sitzungsprotokoll S. 12 letzter Absatz). Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen hegt der Senat dabei nicht.
Insgesamt deuten das Zusammenleben der Klägerin mit dem Ruhestandsbeamten während dessen erster, im Jahr 2015 überwundenen Krebserkrankung, die parallel dazu in die Wege geleitete Scheidung der Klägerin von ihrem früheren Ehemann und die im Herbst 2015, weniger als ein Quartal nach der Scheidung (27.7.2015) erfolgte standesamtliche Vereinbarung eines Heiratstermins darauf hin, dass die spätere Eheschließung „auch“ auf nicht-versorgungsorientierten Beweggründen beruhte, nämlich auf dem Wunsch des Ruhestandsbeamten und der Klägerin als Eheleute zusammenzuleben.
5.2.3. Dass im Zeitpunkt des Eheschlusses am 27. Januar 2016 diese anderen (nicht versorgungsorientierten) Beweggründe der Eheleute derart in den Hintergrund getreten wären, dass sie nicht einmal mehr als gleichwertig zu bewerten wären, ist nicht ersichtlich.
Gegen ein derartiges Zurücktreten spricht hier schon die Besonderheit, dass die späteren Eheleute bereits während der ersten Krebserkrankung des Ruhestandsbeamten zusammengeblieben waren (siehe 5.2.2.); es erscheint nicht wirklichkeitsfern, dass ein Paar, das zusammengelebt hat, als der spätere Ehemann an Krebs erkrankt war, aber während dieser Zeit wegen Vorverheiratung der späteren Ehefrau nicht heiraten konnte, das nach der Überwindung der Krankheit (ab Februar 2015) und der Scheidung der Vorehe (27.7.2015) sogleich (Herbst 2015) einen Heiratstermin für den Kennenlern-Tag (6.6.2016) vereinbart hat und das auch nach einer neuerlich diagnostizierten Krebserkrankung des späteren Ehemanns – in einer Zeitphase, in der neuerlich eine medizinische Therapie durchgeführt wurde – weiter zusammenlebt, bei einer dann erfolgten Eheschließung jedenfalls auch diejenigen nicht-versorgungsorientierten Beweggründe verfolgt, aus denen heraus es bereits zuvor zusammengelebt hat, nämlich aus gegenseitiger Zuneigung. Auch in diesem Kontext ist zu berücksichtigen, dass es nicht witwengeldschädlich wäre, wenn neben diesen anderen (nicht versorgungsorientierten) Beweggründen die Ehe „auch“ die Versorgung der Klägerin eine Rolle gespielt hätte, solange nur die „anderen“ Beweggründe zumindest gleichgewichtig sind, wovon aber aus den besagten Gründen (siehe 5.2.1. bis 5.2.3) vorliegend jedenfalls auszugehen ist.
Auch weist der Vortrag der Klägerin zu den Umständen und Motiven der Heirat am 27. Januar 2016 keine Unstimmigkeiten auf, die gebieten würden, Zweifel an der von der Klägerin und den Zeugen übereinstimmend geschilderten Verbundenheit des Ruhestandsbeamten und der Klägerin zu haben. Das gilt auch für die Erläuterung der Klägerin, beiden Eheleuten sei am 27. Januar 2016, als sie die Möglichkeit sofortiger Eheschließung erfahren hätten, ein halbes Jahr nach der Scheidung als angemessener zeitlicher Abstand zur Scheidung erschienen (Sitzungsprotokoll S. 5 letzter Absatz). Dabei stimmen die Ausführungen der Klägerin und die beiden Zeugenaussagen zur unveränderten engen persönlichen Verbundenheit der späteren Eheleute weitestgehend überein. Auch hat die Klägerin die Beklagte zu keinem Zeitpunkt im Unklaren über die Entwicklung der gesundheitlichen Situation des Ruhestandsbeamten gelassen; so hat sie bereits im Verwaltungsverfahren – entsprechend der Aufforderung der Beklagten vom 31. August 2016 – mit ihrem Anschreiben vom 29. September 2016 ärztliche Befunde zugesandt, auf die die Beklagte im Schreiben vom 13. Oktober 2016 entsprechend reagiert hat.
5.2.4. Eine Einvernahme der zwischenzeitlich nicht mehr im Dienst befindlichen Standesbeamtin, die die Trauung am 27. Januar 2016 vollzogen hatte, über die aktenkundigen standesamtlichen Stellungnahmen hinaus, ist nicht angezeigt. Soweit die Beklagte dies bei ihrer Erwiderung im Berufungszulassungsverfahren vom 1. Juli 2019 angesprochen und ausgeführt hatte, die Standesbeamtin habe dem die Antragserwiderung unterzeichnenden Mitarbeiter der Beklagten gegenüber geäußert, es habe „wohl pressiert“, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, inwieweit dies gegen nicht-versorgungsorientierte Beweggründe sprechen sollte, zumal auch nicht-versorgungsbezogene Beweggründe „pressieren“ können. Selbst wenn man zugunsten Beklagten unterstellt, dass es am 27. Januar 2016 „pressiert“ hat, ist damit nichts darüber gesagt, inwieweit hierfür (auch) nicht-versorgungsbezogene Beweggründe maßgebend waren, von denen der Senat aus den besagten Gründen ausgeht (siehe oben). Dass sich die Standesbeamtin zu Beweggründen der Eheleute geäußert hätte oder hierüber Kenntnisse haben könnte, hat die Beklagte schon nicht behauptet. Auch hat die Beklagte weder im besagten Schreiben noch im nachfolgenden Berufungsverfahren hierzu ansatzweise nähere Einzelheiten vorgetragen, insbesondere nicht das Datum der von ihr erwähnten Äußerung der Standesbeamtin, bezeichnet. Schließlich findet sich weder in der dem Verwaltungsgericht vorgelegten Verwaltungsakte noch in der dem Senat im Berufungsverfahren von der Beklagten übersandten ergänzten Verwaltungsakte irgendein Hinweis auf eine direkte Kommunikation der Beklagten mit dem Standesamt, und zwar auch nicht in Form eines Telefonvermerks.
5.2.5. Zusammenfassend ist der Senat aufgrund der besonderen Umstände des Falles (siehe 5.2.1. bis 5.2.4) davon überzeugt, dass die am 27. Januar 2016 geschlossene Ehe zwischen der Klägerin und dem Ruhestandsbeamten jedenfalls auch aus nicht-versorgungsorientierten Beweggründen – nämlich aufgrund der inneren Verbundenheit zwischen den beiden und dem konsequent verfolgten Wunsch, als Ehepaar zusammenzuleben – geschlossen wurde und dass diese nicht-versorgungsorientierten Beweggründe auch mit Blick auf die im Dezember 2015 aufgetretene, bei Eheschließung medizinisch behandelte neuerliche Krebserkrankung des Ruhestandsbeamten zumindest gleichgewichtig neben etwaigen Versorgungsaspekten bestanden haben.
Infolge dessen steht der Umstand, dass die Ehe mit dem verstorbenen Ruhestandsbeamten nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, einer Witwengeldbewilligung nicht entgegen, weil nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der „alleinige oder überwiegende“ Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG) ist widerlegt.
6. Die vollständig unterlegene Beklagte hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Gerichtskosten beider Rechtszüge zu tragen; auch die dem entgegenstehende Kostengrundentscheidung des Verwaltungsgerichts ist deshalb aufzuheben.
7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
8. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war aufgrund der rechtlichen Schwierigkeit der Materie und der beweisbezogenen Anforderungen hinsichtlich der bereits im Widerspruchsverfahren vorgelegten Stellungnahmen der beiden Zeugen notwendig, was gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO entsprechend dem Antrag der Klagepartei (vgl. § 164 VwGO) vom Senat auszusprechen ist.
9. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 127 BRRG, § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.


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