Medizinrecht

Zahnarzthaftung – Behandlungsdokumentation und Sachverständigenbeweis

Aktenzeichen  3 U 753/13

Datum:
14.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 16487
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 156 Abs. 1, § 531 Abs. 2 Nr. 3, § 540 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Eine Behandlungsdokumentation, die den Eindruck nachträglicher Veränderungen aufweist, ist nach Einschätzung des Senats nicht zum Nachteil des Patienten zu verwerten.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine mündliche Anhörung des Sachverständigen war nach dem Vorbringen der Klägerin nicht erforderlich. Wenn sich die Partei weigert, auch nur in groben Zügen mitzuteilen, wozu der Sachverständige angehört werden soll, ist seine Anhörung nicht geboten, auch wenn diese beantragt wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

41 O 1382/07 2013-02-04 Endurteil LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Endurteil das Landgerichts Ingolstadt vom 4.2.2013 in Ziffer 1 dahingehend abgeändert, dass der Beklagte zu 1) den dort zuerkannten Betrag von 3.000 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 6.9.2007 an den Sohn der Klägerin zu bezahlen hat und festgestellt wird, dass der Beklagte verpflichtet, ist, dem Sohn der Klägerin alle zukünftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die auf den Verlust des Zahnes 17 durch die Klägerin zurückzuführen sind, soweit diese Ansprüche nicht auf Dritte übergehen oder übergegangen sind.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
3. Die Anschlussberufung des Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.
4. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Auslagen des Beklagten zu 2). Die Klägerin hat dem Beklagten zu 1) 90% seiner außergerichtlichen Auslagen zu erstatten. Der Beklagte zu 1) hat der Klägerin 5% ihrer außergerichtlichen Auslagen zu erstatten. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen im Übrigen die Klägerin 95% und der Beklagte zu 1) 5%.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch die jeweilige Gegenpartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenpartei ihrerseits Sicherheit in selber Höhe leistet.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 35.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
I. Tatbestand (abgekürzt gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)
Die Parteien streiten in einem seit dem 3.8.2007 bei Gericht anhängigen Verfahren über Ansprüche aus Anlass einer Zahnbehandlung.
Die Klägerin war zwischen 1991 und 2003 Patientin in der vom Beklagten zu 1) betriebenen Zahnarztpraxis, in der der Beklagte zu 2) jedenfalls in der Zeit vom 26.03.2001 bis August 2001 als angestellter Zahnarzt tätig war. Hinsichtlich des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 4.2.2013 (Bl. 528/536 der Akte) Bezug genommen.
Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Landgericht der Klägerin gegen den Beklagten zu 1) einen Anspruch in Höhe von 3.000 € als Schmerzensgeld zu. Die weitergehenden Ansprüche sowie die auch gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Klage wies das Landgericht ab. Hinsichtlich der vom Landgericht hierfür gegebenen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 4.2.2013 Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin die erstinstanzlich gestellten Ansprüche mit der Maßgabe weiter, dass die Zahlung nunmehr an ihren Sohn erfolgen solle.
Sie macht insbesondere folgendes geltend:
A) Das Landgericht hätte wieder in die Beweisaufnahme eintreten und die Manipulationen in den Behandlungsunterlagen durch Gutachten klären müssen. Die Klägerin hätte in diesem Prozess voll obsiegt, wenn man die Behandlungsdokumentation vollständig wegdenkt.
B) Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin eine Schädigung durch die Wurzelbehandlung nicht behauptet habe.
C) Das Landgericht habe sich eigene Sachkunde angemaßt. Es hätte zur Ursächlichkeit ein weiteres neurologisches Gutachten eingeholt werden müssen.
D) Die Klageabweisung gegen den Beklagten zu 2) beruhe allein auf der Auswertung der Behandlungsdokumentation, die aber nachträglich manipuliert worden sei.
E) Das Landgericht hätte ein Obergutachten einholen müssen.
F) Der gerichtliche Sachverständige ziehe aus dem Umstand, dass aus der Behandlungsdokumentation die Fertigung eines Röntgenbildes folge, unzulässiger Weise Schlüsse, die das Erstgericht übernommen habe.
G) Die Pulpaüberkappung sei behandlungsfehlerhaft.
H) Das Landgericht habe verkannt, dass die von der Klägerin geklagten Beschwerden für Nervenverletzungen typisch seien.
I) Die Geschmacksfasern der Klägerin seien zu Unrecht nicht überprüft worden.
J) Der gerichtliche Sachverständige, dem das Landgericht folge, habe unrecht, wenn er behaupte, dass auf Röntgenbildern nicht das Wurzelkanalsystem dargestellt werden könne. Dies sei durch ein Röntgen in mehreren Ebenen möglich.
K) Die Aufklärung vor der Entscheidung für die Überkappung sei fehlerhaft gewesen.
Hätte die Klägerin gewusst, dass durch Injektionen ein dauerhafter Nervenschaden entstehen kann, hätte sie der Injektion nicht zugestimmt.
L) Das Landgericht hätte ein toxikologisches Gutachten einholen müssen.
M) Das Landgericht hätte dem Feststellungsantrag zumindest im Hinblick auf den Verlust von Zahn 17 entsprechen müssen.
Die Klägerin beantragte zuletzt:
I. Unter Abänderung des Ersturteils des Landgerichts Ingolstadt vom 9.8.2012 werden die Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Sohn der Klägerin Alexander A. aufgrund der zahnärztlichen Behandlung vom 26.03.2001 ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zumindest jedoch weitere EUR 27.000,00 nebst Zinsen aus dem zuzusprechenden Betrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Sohn der Klägerin alle zukünftigen materiellen Schäden wegen der Behandlung ab 26.03.2011 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Dritte übergehen oder übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen:
I. Die Berufung der Klägerin und Berufungsklägerin gegen das Urteil des LG Ingolstadt vom 04.02.2013 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin und Berufungsklägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Im Wege der unselbstständigen Anschlussberufung beantragt der Beklagte zu 1) außerdem:
I. Das Endurteil des LG Ingolstadt vom 09.08.2012 – AZ 41 O 1382/07 – wird in Ziffer 1 aufgehoben.
II. Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Die Klägerin beantragt hierzu:
Die Anschlussberufung des Beklagten zu 1) ist zurückzuweisen.
Die Beklagten machen geltend, die Behauptung der Klägerin, die Behandlungsdokumentation sei ver- bzw. gefälscht, was sie durchweg bestreiten, sei falsch. Das diesbezügliche Angebot eines Sachverständigengutachtens mit klägerischem Schriftsatz vom 2.11.2012 sei vom Landgericht zu Recht nicht berücksichtigt worden, zumal die Beklagten mit Schriftsatz vom 12.12.2012 diesen Vortrag als neu und verspätet gerügt hätten. Ein Behandlungsfehler sei nicht nachgewiesen. Außerdem fehle es – abgesehen vom Verlust des Zahnes 17 – an einem kausalen Schaden. Es liege auch kein Aufklärungsfehler vor. Das Vorliegen eines Entscheidungskonflikts werde ausdrücklich bestritten.
Im Hinblick auf die Anschlussberufung machen sie geltend, die Indikation zur Extraktion des Zahnes 17 folge entgegen der Auffassung des Landgerichts aus der Behandlungsdokumentation sowie aus den abhanden gekommenen Röntgenaufnahmen. Da die Beklagte für die Pflege ihrer Software externe Fachleute einsetzte, treffe sie am Abhandenkommen der Röntgenbilder kein Verschulden.
Das Schmerzensgeld sei zudem weit überhöht.
Mit Schriftsatz vom 2.7.2013 machen die Beklagten geltend, dass das Erstgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass am 24.07.2001 keine Perkussionsprobe durchgeführt worden sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Sache wird insbesondere auf die Schriftsätze der Klägerin vom 8.4.2013 (Bl. 594/607 d. A. = Berufungsbegründung), vom 18.10.2013 (Bl. 614/642 d. A.), vom 14.03.2016 (Bl. 917/921 d. A.) sowie vom 22.04.2016 (Bl. 984/985 d. A.) und der Beklagten vom 19.06.2013 (Bl. 611/617 d. A. = Berufungserwiderung und Begründung der Anschlussberufung), vom 2.7.2013 (Bl. 618/619 d. A.) sowie vom 13.04.2016 (Bl. 975/977 d. A.) Bezug genommen.
Der Senat hat am 11.09.2013 (Bezugnahme auf die Sitzungsniederschrift Bl. 627/629), am 23.10.2013 (Bezugnahme auf die Sitzungsniederschrift Bl. 645/647) und am 28.04.2016 (Bezugnahme auf die Sitzungsniederschrift; Bl. 1020/1024) mündlich verhandelt, wobei am 11.09.2013 die Klägerin anwaltlich nicht vertreten war. Mit Beschluss vom 27.11.2013 (Bl. 656/659) erholte der Senat ein Sachverständigengutachten, das, datiert auf den 27.02.2015, am 6.3.2015 bei Gericht einging (Bl. 719/738). Nachdem mit Schriftsatz vom 30.04.2015 (Bl. 742) für die Klägerin die Ladung des Sachverständigen beantragt wurde, wies der Senat mit Verfügung vom 8.5.2015 (Bl. 751) darauf hin, dass er nicht beabsichtige, den Sachverständigen zu laden, weil innerhalb der vom Senat hierfür gesetzten und auf Antrag der Klägerin verlängerten Frist seitens der Beklagten gar keine und seitens der Klägerin keine Einwendungen in prozessordnungskonformer Weise erhoben worden waren.
II. Entscheidungsgründe (abgekürzt gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO)
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Der Umstand, dass im Berufungsantrag für das angegriffene Urteil ein falsches Datum genannt ist, ist unschädlich, weil sich durch Auslegung des Antrags zwanglos ersehen lässt, dass das Urteil vom 4.2.2013 gemeint sein muss. Das im Antrag genannte Datum ist das Datum der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz, aufgrund derer das Urteil ergangen war.
Die Berufung der Klägerin ist nur in sehr geringem Umfang begründet.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführlichen Entscheidungsgründe, die sich der Senat, vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen zu einzelnen Gesichtspunkten, ausdrücklich zu eigen macht, Bezug genommen.
A) Zur Rüge, das Erstgericht hätte wieder in die Beweisaufnahme eintreten müssen.
Die Annahme der Berufung, das Erstgericht hätte wieder in die Beweisaufnahme eintreten müssen, um die von der Klägerin behaupteten Manipulationen der Behandlungsdokumentation aufzuklären, teilt der Senat nicht.
1. Die Behauptung, die Behandlungsdokumentation sei komplett gefälscht, findet sich so erstmals in der Berufungsbegründung. Noch in ihrem Schriftsatz vom 2.11.2011 (Bl. 496/501 d. A.), den sie im Rahmen der in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 9.8.2012 gewährten Schriftsatzfrist zum „Ergebnis der Begutachtung und zur heutigen Beweisaufnahme“ (vgl. Seite 15 der Sitzungsniederschrift vom 9.8.2012 = Bl. 486 d. A.) einreichte, trug die Klägerin vor, es bestehe der „Verdacht der Manipulation, insbesondere liegt die Vermutung nahe, dass von Seiten der Beklagtenpartei nachträglich Angaben und Einträge hinzugefügt worden sind. In Anbetracht der Auffälligkeiten ist davon auszugehen, dass im Nachhinein Textergänzungen vorgenommen worden sind“ (Bl. 497 d. A.). Davon ging ausweislich der Urteilsgründe auch das Landgericht in dem angefochtenen Urteil aus und hat dargelegt, warum aus seiner Sicht die Frage keiner weiteren Beweisaufnahme bedürfe. Von einer Totalfälschung hatte das Landgericht demgegenüber nicht auszugehen, zumal dann die kriminalistische Plausibilitätserwägung, aufgrund des Erscheinungsbildes sei von nachträglichen Einfügungen auszugehen, ihre Grundlage verlieren würde. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 28.04.2016 ließ die Klägerin die Umstände vortragen, die ihrer Meinung nach für nachträgliche Manipulationen der Original-Behandlungsdokumentation sprechen und die mit der Annahme einer Totalfälschung unvereinbar wären.
2. Der Vortrag, die Behandlungsdokumentation stelle eine Totalfälschung und nicht lediglich eine nachträglich veränderte Fassung der Originaldokumentation dar, ist als neuer Sachvortrag im Sinne des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht berücksichtigungsfähig. Die Klägerin hatte in dem seit 2007 anhängigen Verfahren hinreichend Gelegenheit, Sachvortrag dem Erstgericht zu unterbreiten. Die Problematik der Authentizität wurde von ihr auch frühzeitig ins erstinstanzliche Verfahren eingeführt. Wenn sie – aufgrund welcher Erwägungen auch immer – hätte geltend machen wollen, dass die Karteikarte mit den handschriftlichen Eintragungen nachträglich komplett fingiert worden ist, hätte sie dies in erster Instanz tun müssen. Es werden mit der Berufungsbegründung auch keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die erklären, warum diese Behauptung nicht schon früher hätte aufgestellt werden können.
3. Soweit die Klägerin erstmals mit Schriftsatz vom 14.03.2016 vorbringt, sie habe erst kürzlich in ihren Unterlagen ein Bonusheft aufgefunden, aus dem sich ergebe, dass sie am 20.03.2000 zur Durchführung einer zahnärztlichen Untersuchung in der Praxis des Beklagten zu 1) war, was in der handschriftlichen Behandlungsdokumentation des Beklagten zu 1) nicht vermerkt ist, rechtfertigt dies die Annahme, die Karteikarte sei komplett fingiert, nicht. Dass die Untersuchung am 20.03.2000 in einem irgendwie gearteten Zusammenhang mit den streitgegenständlich den Beklagten vorgeworfenen Behandlungsfehlern stehen soll, wird nicht behauptet. Im Übrigen ist der Senat der Auffassung, dass dieser – von den Beklagten bestrittene – Sachvortrag aus prozessualen Gründen nicht zu berücksichtigen ist. Gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ist dieser in erster Instanz nicht vorgebrachte Sachvortrag nur berücksichtigungsfähig, wenn der Umstand, dass er nicht in erster Instanz vorgebracht wurde, nicht auf Nachlässigkeit beruht. Die Klägerin trägt hierzu lediglich vor, sie habe das Bonusheft erst kürzlich in ihren Unterlagen gefunden. Im Hinblick auf den seit 2007 anhängigen Rechtsstreit und den Umstand, dass auch schon vorprozessual geraume Zeit zwischen den Parteien Auseinandersetzungen geführt worden sind, erschließt sich für den Senat nicht, was die Klägerin daran gehindert hat, ihre Unterlagen nicht schon – spätestens – während des Laufs der ersten Instanz durchzusehen. Im Übrigen rechtfertigt der Umstand, dass die Untersuchung vom 20.03.2000, wenn sie denn an diesem Tag stattgefunden hat, nicht in der Karteikarte der Beklagten vermerkt ist, für sich genommen auch nicht den zwingenden Schluss auf eine Totalfälschung der Karteikarte.
4. Wie das Erstgericht geht auch der Senat davon aus, dass die Frage, in welchem Umfang die Beklagten für von der Klägerin berichtete gesundheitliche Beeinträchtigungen einzustehen haben, aus tatsächlichen Gründen im vorliegenden Fall von der Frage, ob die Beklagten eine nachträglich manipulierte Behandlungsdokumentation vorlegen ließen, unabhängig ist. Mit dem Landgericht ist – wie nachfolgend darzulegen sein wird – davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) für den Verlust des Zahnes 17 einzustehen hat. Die weiteren von der Klägerin beschriebenen Beschwerden stehen aber mit der Extraktion dieses Zahnes, die unstreitig erfolgt ist, nicht in Zusammenhang, sondern werden von der Klägerin Injektionen zugeschrieben, die sie im Verlauf der Behandlung in der Praxis des Beklagten zu 1) erhalten haben will. Da diese Injektionen nach Auffassung der erstinstanzlich gerichtlich bestellten Sachverständigen ebenso wie nach der Auffassung des vom Senat eingeschalteten Sachverständigen nicht die Ursache für die geklagten Beschwerden sein konnten, spielt die Frage, was die Behandlungsdokumentation zu diesen Injektionen aussagt, keine Rolle, da insoweit auch bei Zugrundelegung der Darstellung durch die Klägerin kein ihr günstigeres Ergebnis in diesem Rechtsstreit zu rechtfertigen wäre.
5. Gemäß § 156 Abs. 1 ZPO kann das Gericht wieder in die Beweisaufnahme eintreten. Nur in den Fällen des § 156 Abs. 2 ZPO ist es hierzu verpflichtet. Das Landgericht hat sich in den Entscheidungsgründen mit dieser Frage ausführlich auseinandergesetzt und insbesondere dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hier nicht vorgelegen haben. Die Berufung macht geltend, der nach Schluss der mündlichen Verhandlung unterbreitete Sachvortrag hätte Anlass geboten, durch Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens zu klären, dass von einer Manipulation der Behandlungsunterlagen auszugehen ist. Das Landgericht ist indes ausweislich der Entscheidungsgründe davon ausgegangen, dass die Behandlungsdokumentation der Beklagten nicht verwertbar ist, weil sie ihrem äußeren Erscheinungsbild nach eine nachträgliche Manipulation als möglich erscheinen lässt. Das von der Klägerin gewünschte Schriftsachverständigengutachten hätte nichts anderes bewirken können als die Feststellung, dass die Behandlungsdokumentation nicht verwertbar ist. Da das Landgericht aber ohnehin davon ausging, kann die Klägerin das Unterbleiben der von ihr hierzu gewünschten Beweisaufnahme nicht rügen. Die von der Klägerin auch in diesem Zusammenhang thematisierte Frage, ob der vom Gericht eingeschaltete Sachverständige seinerseits die Behandlungsdokumentation gleichwohl berücksichtigt hat, ist bei der Frage, ob die vom Landgericht zu dieser Frage durchgeführte Beweisaufnahme mittels Sachverständigengutachtens eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bildet, zu prüfen. Das von der Klägerin monierte Schriftsachverständigengutachten spielt dafür keine Rolle, wenn man nicht unterstellt, die Beweisaufnahme hätte den vom Landgericht geäußerten Manipulationsverdacht ausgeräumt. Letzteres kann die Klägerin unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mit der Berufung geltend machen.
B) Zur Rüge, das Landgericht habe fälschlich angenommen, die Klägerin hätte in erster Instanz nicht geltend gemacht, die von ihr geklagten Beschwerden seien durch eine fehlerhafte Wurzelbehandlung verursacht worden.
Zutreffend stellt die Berufungsbegründung dar, dass das Landgericht festgestellt hat, dass die Klägerin selbst ihre Beschwerden nicht auf die Wurzelbehandlung zurückgeführt hat. Zutreffend ist weiterhin, dass die Klägerin mit Schriftsatz vom 2.11.2012 (Bl. 500/501 d. A.) folgendes vorbringen ließ: „Deshalb wird nunmehr ein Obergutachten beantragt, das neurologisch klärt, ob und wie gegebenenfalls durch eine Kombination falsch gesetzter Injektionspunkte, oder gegebenenfalls durch sonstige zahnmedizinische Fehlbehandlung, die Schäden der Klägerin erzeugt worden sein können“ (Kursivsetzung durch den Senat). Zutreffend ist weiterhin der Ausgangspunkt der Erwägungen der Berufungsbegründung, dass im Arzthaftungsprozess der Patient nicht verpflichtet ist, die Schadensursache genau zu spezifizieren. Hätte das Landgericht vor diesem Hintergrund allein wegen des Umstands, dass die Klägerin selbst angegeben hat, sie führe ihre Beschwerden auf die Injektionen zurück, eine Verursachung ihrer Beschwerden durch die Wurzelbehandlung und die anschließende Extraktion des Zahnes 17 nicht in Betracht gezogen, so wäre dies rechtlich fehlerhaft.
Das hat das Landgericht indes gerade nicht getan. Es hat vielmehr die Angaben der Klägerin lediglich als ein Indiz neben weiteren dafür genannt, warum es das Behandlungsgeschehen um Zahn 17 als Ursache der von ihr geklagten Beschwerden ausgeschlossen hat. Es verwies auf den Arztbrief des Dr. W. vom 12.11.2001, wonach kein Hinweis auf eine Radix relicta vorliege und auf die Angaben des erstinstanzlich bestellten Sachverständigen, wonach die von der Klägerin geklagten Beschwerden nur durch eine Verletzung mehrerer Nerven erklärt werden könnten, wobei ausgeschlossen sei, dass durch eine Injektion alle diese Nerven verletzt werden können. Vor diesem Hintergrund und auch wegen der Feststellungen des vom Senat hinzugezogenen Sachverständigen, wonach als Ursache für die Beschwerden der Klägerin eine Verletzung des nervus palatinus major im Zusammenhang mit der Wurzelbehandlung an Zahn 17 nicht in Betracht kommt, ist die Annahme des Erstgerichts, die – auch von der Klägerin nicht ausdrücklich als insoweit schadensursächlich beschriebene – Wurzelbehandlung an Zahn 17 sei nicht schadensursächlich, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
C) Zur Rüge, das Landgericht habe sich eigene Sachkompetenz angemaßt.
1) Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob die Annahme der Berufungsbegründung, das Gericht hätte ohne explizite Aussage des Sachverständigen eine Schädigung des Nervus palatinus major nicht ausschließen dürfen, zutrifft. Hierzu hat der vom Senat hinzugezogene Sachverständige in seinem Gutachten dezidiert Stellung genommen (S. 7/9 des Gutachtens): „… das von der Patientin geschilderte komplexe Beschwerdebild (ständige Sekretion aus dem Wundbereich bei gleichzeitig vorliegender Mundtrockenheit, Taubheit im Bereich des re. Zungenrandes u. der Unterlippe bis hin zu Schluck- u. Geschmackstörungen) kann durch eine einzelne Injektion nicht hervorgerufen werden, insbesondere nicht durch eine Verletzung des Nervus palatinus major. Im Gegenteil, gerade bei einer Injektion im Bereich des Nervus palatinus major besteht eine leichte Zugänglichkeit des Injektionsortes u. eine gute Überprüfbarkeit der Lage der Kanülenspitze durch Kontakt mit dem harten Gaumen. Es ist so, dass die Gaumenschleimhaut im Bereich des Austrittes des Nervus palatinus major (Abb. 1, 2,3) nur eine Dicke von wenigen Millimetern aufweist. Darunter liegt die knöcherne Gaumenplatte. Bei der Injektion ergibt sich dadurch ein klarer u. eindeutiger Stopp beim Eindringen der Injektionsnadel, die nun nicht mehr weiter vorgeschoben werden kann. Anzumerken ist, dass der Nervus palatinus major sich alsbald nach seinem Austritt aus dem Foramen palatinum major faserig aufteilt u. daher kein größerer Nervenstrang mehr vorhanden ist, der unterbrochen werden könnte. Das Ausbreitungsgebiet bei der Lokalanästhesie des Nervus palatinus major ist ebenfalls klar umrissen u. wird in der Abb. 3 im Anhang deutlich gemacht. … Bei einer Wurzelbehandlung des zweiten Mahlzahnes 17 ist in aller Regel eine palatinale Injektion am Nervus palatinus major erforderlich, um eine Schmerzhaftigkeit bei der Wurzelbehandlung der gaumenwärtigen Wurzel des Zahnes 17 auszuschalten. Die Anästhesie dieses Gebietes ist mitunter durch eine alleinige mundvorhofseitige („vestibuläre“ „bukkale“) Injektion problematisch, weil, in Abhängigkeit von der transversalen Dicke des knöchernen Alveolarfortsatzes keine genügende Diffusion des Lokalanästhetikums zur gaumenwärtigen („palatinalen“) Wurzel eintritt. Aus diesem Grund ist bei der Wurzelbehandlung des Zahnes 17 fast regelhaft eine mundvorhofseitige Injektion in der Nähe der dort liegenden bukkalen Wurzelspitze (Abb. 4, 5) u. eine weitere gaumenwärtige Injektion, ebenfalls in der Nähe der palatinalen Wurzelspitze des Zahnes 17, erforderlich. Bei beiden Injektionen wird der Eintritt der Injektionsnadel ganz eindeutig durch die darunterliegende knöcherne Struktur gestoppt, so dass ein Einstechen der Nadel etwa bis in die Region des Nervus glossopharyngeus nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen ist. … Eine Verletzung des Nervus glossopharyngeus durch die genannten Injektionen ist nach menschlichem Ermessen auszuschließen.“
2) Der Senat sieht keinen Anlass, an diesen Feststellungen des Sachverständigen, die ersichtlich nicht auf der Behandlungsdokumentation der Beklagten beruhen, sondern zahnmedizinisches Allgemeinwissen wiedergeben, zu zweifeln. Selbst wenn das Landgericht zu Unrecht sich eigene Sachkunde angemaßt hätte, könnte das Urteil also deshalb nicht fehlerhaft sein, weil die diesbezüglichen Erwägungen nach den Darlegungen des Sachverständigen inhaltlich zutreffend waren.
3) Die Feststellungen des Sachverständigen decken sich insoweit auch inhaltlich mit den von den Mitgliedern des Senats in ihrer mehrjährigen Tätigkeit im Spezialsenat für Zahnarzthaftung gesammelten Erfahrungen. Der Senat sieht durchaus, dass der von der Klägerin erstinstanzlich vorgelegte ärztliche Bericht von Dr. K. vom 3.6.2005 zu anderen Schlussfolgerungen gelangt. „Es könnte sein, dass der Nerv direkt durch die Injektion getroffen wird… Die weiteren Angaben, die die Patientin … macht, (Brennen im Mund, Schwellungsgefühl am Gaumen, Kloßgefühl mit Schluckproblemen, schlechter Geschmack im Bereich der Einstichstelle, Zwang zu dauerndem Schlucken, Notwendigkeit, dauernd die Lippen zu befeuchten und extreme Mundtrockenheit) passen zu einer Schädigung des Nervus glossopharyngeus.“ Diese Erwägungen rechtfertigen die Annahme einer Verletzung durch eine Injektionsnadel als Krankheitsursache aufgrund der von dem vom Senat bestellten Sachverständigen geschilderten anatomischen Gegebenheiten hier gleichwohl nicht, zumal der Sachverständige, wie nachfolgend noch darzulegen sein wird, die geschilderten Symptome als zwanglos mit einer Erkrankung der Mundschleimhaut in Einklang stehend bezeichnet.
4) Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. J. ist dem Senat, der seit vielen Jahren eine Spezialzuständigkeit für Schadensersatzansprüche aus zahnärztlicher Behandlung im OLG-Bezirk München innehat, als kompetent und zuverlässig bekannt. Einwendungen gegen sein Gutachten wurden innerhalb der vom Senat hierfür gemäß § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO gesetzten Frist (vgl. Bl. 719 d. A.) nicht in prozessordnungskonformer Weise erhoben. Die Frist zur Stellungnahme wurde auf Antrag des Klägervertreters vom 15.04.2015 (Bl. 740 d. A.) antragsgemäß verlängert. Mit Ablauf dieser Frist teilte der Klägervertreter mit, dass er die Ladung des Sachverständigen beantrage und die diesem zu stellenden Fragen noch mitgeteilt werden würden (Bl. 742 d. A.). Mit Schreiben vom 30.04.2015 (Bl. 743/749 d. A.) lehnte die Klägerin selbst den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab, wobei sie das Gutachten inhaltlich kritisierte. Mit Verfügung vom 8.5.2015 (Bl. 751 d. A.) wies der Vorsitzende des Senats darauf hin, dass, unabhängig von der noch zu erfolgenden Entscheidung über den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen, seitens der Klägerin Einwendungen gegen das Gutachten nicht in prozessordnungskonformer Weise erhoben wurden und der Senat jedenfalls nicht beabsichtige, den Sachverständigen auf den zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 8.7.2015 anberaumten Termin zu laden.
Auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arzthaftungsrechts bestand für den Senat kein Anlass, für den Fall der Unbegründetheit des Ablehnungsgesuchs den Sachverständigen von Amts wegen nochmals mündlich anzuhören. Dazu hätte nur dann Anlass bestanden, wenn in einem Anwaltsschriftsatz zumindest im Allgemeinen angegeben worden wäre, in welche Richtung die Partei durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGH NZV 2005, 463) oder dort im selben Sinne Einwendungen bezeichnet worden wären, zu denen der Sachverständige anzuhören wäre. Wenn sich die Partei weigert, auch nur in groben Zügen mitzuteilen, wozu der Sachverständige denn angehört werden soll, ist seine Anhörung nicht geboten, auch wenn diese beantragt wurde. Das Schreiben der Klägerin vom 30.04.2015 ist insoweit unbeachtlich, da der Rechtsstreit vor dem OLG gemäß § 78 Abs. 1 ZPO durch Anwälte zu führen ist.
5) Die im Schriftsatz der letzten Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 14.03.2016 (Bl. 917/921 d. A.; die Urheberschaft der Zeilen soll nicht thematisiert zu werden) aufgenommene Bezugnahme auf das Schreiben der Klägerin vom 30.04.2015 reicht nicht aus, um insoweit von einer prozessordnungskonformen Erhebung von Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten auszugehen.
Dort heißt es (Bl. 918 d. A.): „ Insofern ist die Frist zur Stellungnahme auf das Gutachten zu gewähren. In dem Zusammenhang bezieht sich die Klage zumindest bis zum weiteren Vortrag auf die Äußerungen der Klägerin in den Ablehnungsgesuchen gegen den Gutachter und zum Gutachten, die bereits von der Klägerin eingereicht wurden. Der Gutachter wäre entsprechend zu den Fragen und der Frage des Aktenzustandes zu laden.“
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass er sich im Beschluss vom 8.7.2015 (Bl. 757/762 d. A.), mit dem er das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen zurückwies, mit dem Schreiben vom 30.04.2015 auseinandergesetzt und dabei insbesondere deutlich gemacht hat, dass die Kritik am Sachverständigengutachten aus sich heraus nicht verständlich und nachvollziehbar ist (so etwa die Behauptung, der Gutachter habe einseitig Tatsachen ignoriert und Diagnosen verschwiegen). Weiter hat der Senat darauf hingewiesen, dass sich aus dem Gutachten selbst ergibt, dass verschiedene Behauptungen der Klägerin nicht zutreffend sind (so etwa die Behauptung, der Sachverständige habe sich mit dem Beschwerdebild der Klägerin nicht auseinandergesetzt). Vor diesem Hintergrund erscheint die acht Monate später – deutlich nach Ablauf der vom Senat gesetzten Frist im Anwaltsschriftsatz vorgenommene summarische Bezugnahme auf Schreiben der Klägerin einfach nicht ausreichend, um eine nochmalige inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen zu rechtfertigen.
6) Der guten Form halber ist festzustellen, dass die Kritik, die in dem statthaften Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen vom 30.04.2015 gegen dessen Gutachten von der Klägerin geäußert wurde, vom Senat geprüft wurde und die dort angesprochenen Gesichtspunkte ersichtlich eine mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht erforderten. Insbesondere ist insoweit folgendes festzustellen: Die Grundlagen des Gutachtens werden in diesem zu Beginn entgegen der Behauptung der Klägerin dargestellt. Bei der Beantwortung der an den Sachverständigen gerichteten Fragen bezieht sich dieser entgegen der Behauptung der Klägerin auch nicht auf die Behandlungsdokumentation der Beklagten. Entsprechend bestand für ihn auch kein Anlass, sich mit den von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zur Aussagekraft dieser – nach Auffassung des Erstgerichts, des Senats und wohl auch der Klägerin – unverwertbaren Unterlagen auseinanderzusetzen. Im Übrigen verweist der Senat auf seine Ausführungen im Beschluss vom 8.7.2015 (Bl. 757/762 d. A.).
D) Zur Klageabweisung gegen den Beklagten zu 2)
Die Berufung macht geltend, die Klageabweisung gegen den Beklagten zu 2) beruhe auf der verfälschten Behandlungsdokumentation. Dies ist indes nicht zutreffend. Das Landgericht hat sich für die Annahme, die Klägerin habe schon nicht nachgewiesen, überhaupt vom Beklagten zu 2) behandelt worden zu sein, gerade nicht auf die Behandlungsdokumentation der Beklagten berufen, aus der in der Tat eine solche Behandlung nicht ersichtlich ist. Vielmehr hat es zur Klärung dieser Frage die Parteien informatorisch angehört und den Sohn der Klägerin und die Lebensgefährtin des Beklagten zu 2) als Zeugen vernommen. Dass das Landgericht sich auf dieser Grundlage keine Überzeugung davon bilden konnte, dass der Beklagte zu 2) die Klägerin jemals behandelt hat, ist in sich rechtsfehlerfrei. Zu erwägen ist allein, ob aufgrund der Unverwertbarkeit der Dokumentation der Beklagten sich insoweit etwas an der Beweislast verändert. Dies ist indes nicht der Fall, da dann im Fall der Unverwertbarkeit von Behandlungsdokumentationen neben dem Praxisinhaber oder Krankenhausbetreiber nicht nur die tatsächlich einen Patienten behandelnden Ärzte, sondern alle dort tätigen angestellten Ärzte haften müssten, wenn ihnen nicht der Beweis gelingen sollte, an der Behandlung nicht mitgewirkt zu haben. Die Frage mag aber auf sich beruhen.
Auch nach dem Vortrag der Klägerin erschöpfte sich die Behandlung durch den Beklagten zu 2) im Setzen von 2 Injektionen am 26.03.2001. Diese waren – wie sich aus dem Sachverständigengutachten, insbesondere der oben zitierten Passage ergibt, nicht geeignet, die von der Klägerin beschriebenen Beschwerden auszulösen. Auch der spätere Verlust von Zahn 17 ist ersichtlich nicht auf diese Injektionen zurückzuführen. Schon aus diesem Grund bestehen gegen die Abweisung der Klage gegen den Beklagten zu 2) keine Bedenken.
E) Zur Rüge, das Landgericht hätte ein Obergutachten einholen müssen
Es kann auf sich beruhen, ob das Landgericht gehalten gewesen wäre, gemäß § 412 Abs. 1 ZPO ein weiteres Gutachten einzuholen. Der Senat hat einen weiteren Sachverständigen hinzugezogen und bezieht sich in der vorliegenden Entscheidung auf dessen Feststellungen.
F) Zur Rüge, der Sachverständige habe unzulässige Schlüsse gezogen
Es kann aus demselben Grund auch auf sich beruhen, ob die Annahme der Berufung, der für das Landgericht tätige Sachverständige habe unzulässige Schlüsse gezogen, zutrifft, da sich der Senat in seiner Beurteilung nicht auf dessen Feststellungen bezieht.
G) Zur Rüge, das Landgericht habe die Pulpaüberkappung nicht als behandlungsfehlerhaft gewertet
Das Landgericht hat die Haftung des Beklagten zu 1) für den Verlust von Zahn 17 bejaht. Soweit die Berufung geltend macht, dem Beklagten zu 1) sei im Zusammenhang mit der Behandlung von Zahn 17 ein weiterer Fehler unterlaufen und die Annahme des Landgerichts, dies sei nicht zutreffend, beruhe auf einer Verwertung der vom Landgericht selbst als unverwertbar eingestuften Behandlungsdokumentation des Beklagten zu 1), spielt diese Frage deshalb keine Rolle. Denn der von der Klägerin behauptete Fehler, wenn er denn stattgefunden haben sollte, hätte nur seinerseits dazu beigetragen, den Versuch, Zahn 17 zu erhalten, zum Scheitern zu bringen. Dafür ist der Beklagte zu 1) aber bereits zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt worden. Andere Ansprüche leitet auch die Klägerin aus diesem Vorgang nicht ab.
H) Zur Rüge, das Landgericht habe verkannt, dass die von der Klägerin geklagten Beschwerden für Nervenverletzungen typisch seien
Die Berufung macht geltend, das Landgericht habe verkannt, dass die von der Klägerin geklagten Beschwerden für Nervenverletzungen typisch seien. Aus den Erwägungen des vom Senat eingeschalteten Sachverständigen ergibt sich insoweit, dass einzelne Injektionen das von der Klägerin beschriebene Beschwerdebild gerade nicht zu erklären vermögen, was nicht zwingend ausschließen muss, dass diese mit Nervenverletzungen in Zusammenhang stehen. Daraus folgt im vorliegenden Fall jedoch nichts. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass die im November 2001 vom Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen Herrn Dr. Dr. W. gestellte Verdachtsdiagnose eines Lichen ruber palnus ebenso wie die im Jahr 2010 von der HNO-Ärztin Frau Dr. K. gestellte Diagnose einer oralen Leukoplakie nach den Feststellungen des vom Senat bestellten Sachverständigen das Beschwerdebild ebenfalls erklären würden. In beiden Fällen würde eine Erkrankung der Mundschleimhaut vorliegen, die gerade nicht mit einer Nervenverletzung in Zusammenhang steht und auch nicht durch die Behandlung des Beklagten zu 1) bedingt ist. Die Behauptung, die von der Klägerin geklagten Beschwerden seien daher für Nervenverletzungen typisch, trifft daher in dieser Form nicht zu. Auch insoweit sieht der Senat keinen Zweifel an der Sachkunde und Objektivität des von ihm bestellten Sachverständigen.
I) Zur Rüge, die Geschmacksfasern der Klägerin hätten überprüft werden müssen
Soweit die Klägerin moniert, im Rahmen der Begutachtung hätten die Geschmacksfasern überprüft werden müssen, ist auf der Grundlage der Feststellungen des vom Senat bestellten Sachverständigen folgendes auszuführen:
Danach kommt es aus anatomischen Gründen bei einzelnen Injektionen zu keiner dauerhaften Verletzung der Faseranteile des Nervus lingualis oder des Nervus glossopharyngeus, da diese vom in Betracht zu ziehenden Injektionsgebiet weit entfernt verlaufen. Eine Beeinträchtigung des Geschmacksinns für wenige Stunden sei aufgrund des Diffundierens des Lokalanästhetikums möglich, aber kein dauerhafter Ausfall.
Auch insoweit sieht der Senat keinen Anlass, an den Feststellungen des Sachverständigen zu zweifeln.
Entsprechend war auch eine Untersuchung der Geschmacksfasern der Klägerin nicht geboten.
J) Zur Rüge, das Landgericht hätte dem Sachverständigen erster Instanz nicht darin folgen dürfen, dass mit Röntgenbildern das Wurzelkanalsystem nicht dargestellt werden könne
Die Berufung moniert die Feststellung des Erstgerichts, dass mit Röntgenbildern das Wurzelkanalsystem nicht dargestellt werden könne. Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass durch die Fertigung von Röntgenbildern in mehreren Ebenen kein entscheidender Erkenntnisgewinn in der Darstellung des Wurzelkanalsystems möglich gewesen wäre. Außerdem weist er auf die vom Senat bekräftigte Tatsache hin, dass zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung eine dreidimensionale bildgebende Diagnostik nicht zum zahnärztlichen Facharztstandard rechnete. Nur für die Verletzung dieses Standards müsste der Beklagte zu 1) einstehen.
Anhaltspunkte, insoweit an den Feststellungen des Sachverständigen zu zweifeln, bestehen für den Senat daher auch insoweit nicht.
K) Zum behaupteten Aufklärungsfehler
Die Berufung moniert, die Klägerin hätte vor Einleitung der Behandlung über das mit einer Lokalanästhesie verbundene Risiko einer Nervenverletzung im Bereich des Zahnes 17 gesondert aufgeklärt werden müssen, was unstreitig nicht erfolgt ist.
Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass er ein solches Ansinnen für realitätsfremd hält. Vor dem Hintergrund seiner Ausführungen dazu, dass er die Verletzung der in Betracht kommenden Nervenbahnen, mithin des Nervus palatinus major, des Nervus lingualis, des Nervus mandibularis und der gustatorischen Fasern der genannten Nerven nach menschlichem Ermessen bei einer Lokalanästhesie in diesem Bereich für ausgeschlossen hält, erscheint dies auch konsequent. Auch der Senat vermag insoweit keine Aufklärungspflicht zu erkennen. Unabhängig davon weist der Senat darauf hin, dass im vorliegenden Fall bei lebensnaher Betrachtungsweise die Annahme eines Entscheidungskonflikts bei der Klägerin nicht vorstellbar ist.
L) Zum Erfordernis, ein toxikologisches Zusatzgutachten zu erholen
Die Berufung macht geltend, zur Frage der toxikologischen Wirkung des Lokalanästhetikums hätte ein toxikologisches Gutachten erholt werden müssen. Der Senat vermag nicht nachzuvollziehen, welche Frage von diesem Sachverständigen hätte geklärt werden sollen. Zwar mag man mit der Berufungsbegründung davon ausgehen, dass die Behandlungsdokumentation des Beklagten zu 1) nicht dazu verwertet werden darf, um festzustellen, welches Anästhetikum er verwendet hat. In Ermangelung jeglicher Feststellungen dazu, dass die Beschwerden der Klägerin auf die Verwendung eines unsachgemäßen Anästhetikums zurückzuführen sind, sieht der Senat auch keinen Anlass, diesem Ansatz weiter nachzugehen. Geht man mit dem Sachverständigen davon aus, dass eine dauerhafte Nervenverletzung durch die Spritzenkanüle nicht hervorgerufen werden kann, so impliziert dies, dass er von der Verwendung eines üblichen Anästhetikums ausgegangen ist. Es gibt keinen objektiven Anhaltspunkt dafür, dass in der Praxis des Beklagten zu 1) ein nicht erprobtes Mittel verwendet wurde. Die vom Bundesgerichtshof in einem anderen Fall geforderte Hinzuziehung eines Toxikologen betraf eine Konstellation, in der ein Stoff (in Form eines künstlichen Gelenks) inkorporiert wurde, hinsichtlich dessen gerade noch keine toxikologischen Erfahrungen bestanden haben. Dafür, dass der Beklagte bei der Behandlung die Grundsätze des zahnmedizinischen Facharztstandards dadurch unterschritten hat, dass er toxikologisches Basiswissen missachtet hat, ergeben sich einfach keine Anhaltspunkte.
M) Zum Feststellungsantrag
Die Berufung moniert, dass das Landgericht den Feststellungsantrag insgesamt abgewiesen hat, obwohl es den Beklagten zu 1) als verantwortlich für den Verlust von Zahn 17 angesehen hat und nicht absehbar sei, dass der Klägerin dadurch noch Folgekosten entstehen werden.
Mag man mit dem Landgericht schon wegen des Zeitablaufs Zweifel daran haben, dass es angesichts der Lage dieses Zahns noch zu solchen Folgekosten kommen kann, ist der Senat gleichwohl der Auffassung, dass jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu solchen Folgekosten, etwa auch im Zusammenhang mit der prothetischen Versorgung des benachbarten Zahns noch kommt. Deshalb war insoweit das landgerichtliche Urteil abzuändern.
N) Zur Klageumstellung
Erstinstanzlich hatte die Klägerin Zahlung an sich beantragt. Im Lauf des Berufungsverfahrens hat sie diesen Anspruch sowohl hinsichtlich des Zahlungsanspruchs als auch hinsichtlich des Feststellungsantrages dahingehend umgestellt, dass ihr Sohn Anspruchsinhaber sein sollte. Die Beklagten sind dieser Antragsumstellung nicht entgegengetreten. Mit dieser Umstellung ist auch kein prozessualer Nachteil für die Beklagten verbunden. Entsprechend war das landgerichtliche Urteil im Tenor abzuändern.
O) Zur Anschlussberufung
1) Die Anschlussberufung ist zulässig, insbesondere fristwahrend im Sinne von § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO erhoben worden, wobei der Senat davon ausgeht, dass diese nur namens des Beklagten zu 1) erhoben worden ist. Auch im Hinblick auf die Anschlussberufung ist die Benennung eines falschen Datums für das angefochtene Urteil unschädlich.
2) Soweit der Beklagte zu 1) mit der Anschlussberufung moniert, das Landgericht hätte nicht von der Unverwertbarkeit der Behandlungsdokumentation ausgehen dürfen, schließt sich der Senat ausdrücklich den Erwägungen des Erstgerichts an. Eine Behandlungsdokumentation, die den Eindruck nachträglicher Veränderungen aufweist, ist nach Einschätzung des Senats nicht zum Nachteil des Patienten zu verwerten. Hier hat das Landgericht nicht nur das Erscheinungsbild der gedrängten Schrift herangezogen, sondern auch auf den Umstand verwiesen, dass in den Datenanalysen vom 15.09.2005 und vom 24.10.2005 kein Hinweis auf die Durchführung einer Klopfprobe zu finden ist, die in der handschriftlichen Karteikarte aber aufscheinen. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Annahme des Landgerichts, dass die handschriftliche Karteikarte nachträglich verändert wurde, einem unbefangenen Betrachter tatsächlich auf. Erst recht ist damit entgegen dem Ansinnen der Anschlussberufung nicht davon auszugehen, dass die Klopfprobe stattgefunden hat.
3) Soweit der Beklagte zu 1) geltend macht, er sei für den Verlust der Röntgenbilder nicht verantwortlich, ist dieses Vorbringen aus Rechtsgründen unbehelflich. Der Umstand, dass er sich externer Hilfe bei der Pflege seiner Software bedient, ändert daran, dass er den Patienten gegenüber zur ordnungsgemäßen Aufbewahrung der Behandlungsdokumentation und insbesondere auch der Röntgenbilder verpflichtet ist, nichts. Ein Verschulden der von ihm insoweit eingeschalteten Personen muss er sich nach § 278 BGB zurechnen lassen.
4) Vor diesem Hintergrund ist auch sein Einwand, bei der Behandlung des Zahnes 17 habe er keinen schuldhaften Behandlungsfehler begangen, nicht erfolgversprechend. Ohne die im Rahmen der Behandlung zu fertigenden Röntgenbilder lässt sich nicht prüfen, ob seine diesbezüglichen Angaben zutreffen oder nicht. Entsprechend ist die landgerichtliche Entscheidung schon wegen des Nichtvorliegens der Röntgenbilder zutreffend.
5) Soweit der Beklagte zu 1) geltend macht, das Schmerzensgeld sei mit 3.000 € für den Verlust eines Backenzahns im Oberkiefer zu hoch bemessen, ist der Senat der Auffassung, dass im vorliegenden Fall das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld sich im Rahmen des in vergleichbaren Konstellationen üblichen, wenn auch tatsächlich an der oberen Grenze bewegt und hier auch angemessen ist.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO.
Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Klägerin bei dem ursprünglich mit 5.000,- € bewerteten, sich auf alle zukünftigen materiellen Schäden wegen der Behandlung ab 26.03.2011 beziehenden Feststellungsantrag nur teilweise Erfolg hatte, nämlich insoweit, als die zuerkannte Feststellung sich lediglich auf Schäden richtet, die sich auf den Verlust des Zahnes 17 gründen. Insoweit bewertet der Senat das Obsiegen der Klägerin im Verhältnis zum Beklagten zu 1) mit 500 €.
IV. Vorläufige Vollstreckbarkeit
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V. Revisionszulassung
Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen ist, liegen nicht vor.
VI. Streitwert
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 3 ZPO unter Berücksichtigung des erstinstanzlich festgesetzten Wertes, gegen den die Parteien keine Einwendungen erhoben haben.

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