Medizinrecht

Zahnarzthaftungsprozess: Inhaltliche Anforderungen an die Berufungsbegründung nach erstinstanzlicher Klageabweisung

Aktenzeichen  VI ZB 18/20

Datum:
21.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:211221BVIZB18.20.0
Normen:
§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO
§ 280 BGB
§ 630a BGB
§§ 630aff BGB
§ 823 Abs 1 BGB
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung.

Verfahrensgang

vorgehend KG Berlin, 19. Februar 2020, Az: 20 U 124/19vorgehend LG Berlin, 13. August 2019, Az: 5 O 24/15

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 20. Zivilsenats des Kammergerichts vom 19. Februar 2020 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Der Gegenstandswert wird auf 85.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der im Mai 1992 geborene Kläger nimmt die beklagte Zahnärztin wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in den Jahren 1997 bis Juli 2012 auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Die Beklagte führte in dieser Zeit mehrfach Untersuchungen und Behandlungen am Gebiss des Klägers durch. Sie nahm insbesondere Kariesbehandlungen und Zahnversiegelungen vor.
2
Der Kläger behauptet, er leide an einem genetisch bedingten Defekt, der sich in einer Störung des Zahnschmelzes äußere (Amelogenesis Imperfecta, nachfolgend: AI). Diese genetische Prädisposition habe die Beklagte angesichts der hohen Anzahl von Karies betroffener Zähne differenzialdiagnostisch abklären und frühzeitig eine ausreichende Versiegelung und Überkronung der Zähne vornehmen müssen.
3
Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines humangenetischen und eines zahnärztlichen Gutachtens und Anhörung des zahnärztlichen Sachverständigen abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht zu erkennen, dass der Kläger unter einer AI leide. Selbst wenn die Beklagte nach Hinzuziehung eines Humangenetikers davon hätte ausgehen müssen, dass der Kläger über die behauptete genetische Prädisposition verfüge, wäre keine andere Behandlung geboten gewesen als die von der Beklagten durchgeführte. Die Beklagte habe die Maßnahmen vorgenommen, die erforderlich seien, wenn eine Schmelzstrukturstörung – wie z.B. eine AI – vorliege. Denn sie habe die betroffenen Zähne versiegelt. Eine Überkronung sei erst nach Abschluss des Kieferwachstums lege artis gewesen. Dieses Alter habe der Kläger im Behandlungszeitraum nicht erreicht. Abgesehen davon ständen die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht im Zusammenhang mit der Behandlung durch die Beklagte. Erfolglos seien die Angriffe auf die Sachkunde des zahnärztlichen Sachverständigen. Für die Beurteilung eines Behandlungsfehlers in Bezug auf die Behandlung eines durch einen Zahnschmelzdefekt angegriffenen Gebisses komme es nicht darauf an, ob der Sachverständige über Spezialwissen in Bezug auf die Diagnostik des Schmelzdefektes, insbesondere auf dem Gebiet der genetischen Subvarianten, verfüge, sondern allein darauf, dass er in der Lage sei, die Behandlung des angegriffenen Gebisses zutreffend zu beurteilen. Dies sei der Fall.
4
Die Berufung des Klägers hat das Kammergericht durch Beschluss als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
5
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind aber nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss weder den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) noch den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
6
1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO. Sie nehme keine Stellung zu den das Urteil tragenden Ausführungen des Landgerichts, wonach dem Kläger mangels Behandlungsfehlers auch dann kein Anspruch zustehe, wenn er unter der Erkrankung AI leiden sollte und eine ausreichende Mundhygiene betrieben habe. Die Angriffe des Klägers in der Berufungsbegründung fokussierten sich auf die Ablehnung der Annahme des Vorliegens einer Zahnschmelzerkrankung durch den zahnärztlichen Sachverständigen, nachdem die Erkrankung außergerichtlich histologisch-pathologisch gesichert sein solle und der humangenetische Gerichtssachverständige zumindest eine besondere Auffälligkeit des Zahnschmelzes bejaht habe. Weder ein Pathologe noch ein Humangenetiker seien indes fachlich in der Lage, eine zahnärztliche Behandlung einer vorhandenen Zahnschmelzstrukturstörung zu begutachten. Dies falle ersichtlich in den Fachbereich eines Zahnmediziners. In diesem Sinne habe sich das Landgericht explizit mit dem Vorwurf des Klägers der mangelnden Sachkunde des zahnärztlichen Sachverständigen auseinandergesetzt und ausgeführt, dass es für die Frage eines Behandlungsfehlers nicht darauf ankomme, ob der zahnärztliche Sachverständige Spezialwissen in Bezug auf die Diagnosestellung der AI aufweise, sondern allein darauf, dass er in der Lage sei, die durchgeführte zahnärztliche Behandlung des ggf. aufgrund der AI angegriffenen Gebisses zutreffend zu beurteilen. Im Hinblick darauf habe sich der Kläger, um das Urteil in den tragenden Erwägungen infrage zu stellen, nicht darauf beschränken dürfen, die Ausführungen anzugreifen, welche die Diagnosestellung durch den zahnärztlichen Sachverständigen betreffen, sondern er hätte zudem dartun müssen, warum entgegen den Ausführungen des Landgerichts aus seiner (medizinisch laienhaften) Sicht der zahnärztliche Sachverständige ebenso wenig die Befähigung aufweise, eine zahnärztliche Behandlung unter der Annahme des Vorliegens einer Zahnschmelzstrukturstörung zu begutachten.
7
2. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
8
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 2020 – VI ZB 6/20, WM 2020, 2290 Rn. 8; vom 27. Januar 2015 – VI ZB 40/14, VersR 2015, 728, Rn. 7 f., jeweils mwN).
9
b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung nicht gerecht. Hinsichtlich der das landgerichtliche Urteil selbständig tragenden Annahme, die Beklagte habe den Kläger unabhängig vom Vorliegen einer AI nicht fehlerhaft behandelt, fehlt es an einem hinreichenden Berufungsangriff. Gegen diese Erwägung des Landgerichts bringt die Berufungsbegründung nichts vor.
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aa) Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, beschränkt sich der Kläger in der Berufungsbegründung darauf, die Beweiswürdigung in Bezug auf die Diagnose einer AI als fehlerhaft zu rügen. Er beanstandet, das Landgericht habe sich nicht mit der Stellungnahme von Frau Dr. J. auseinandergesetzt, die die Diagnose einer AI gestellt habe. Frau Dr. J. sei Spezialistin auf diesem Gebiet, wohingegen der zahnärztliche Sachverständige selbst beschrieben habe, nur zwei bis drei Mal in Kontakt mit der Erkrankung gewesen zu sein. Aus der Stellungnahme von Frau Dr. J. ergebe sich, dass ihre Diagnose histologisch bestätigt worden sei. Ohne sich hiermit zu befassen, behaupte das Landgericht, dass eine AI nicht gegeben sei. Es kopiere hierbei ohne eigene Würdigung die Stellungnahme des zahnärztlichen Gutachters. Wegen dieses Widerspruchs sei das Landgericht aber verpflichtet gewesen, ein Obergutachten einzuholen. Denn eine pathologisch-histologische Untersuchung werde gerade durchgeführt, um einen Verdacht (auf AI) zu erhärten oder zu entkräften. Der zahnärztliche Sachverständige stehe überdies nicht nur im Widerspruch zu Frau Dr. J., sondern auch zum humangenetischen Gutachter, der eine besondere Auffälligkeit des Zahnschmelzes, was entscheidend für eine Zahnschmelzerkrankung spreche, bejaht habe. Auch wegen dieses Widerspruchs sei ein Obergutachten einzuholen gewesen.
11
Mit diesen Ausführungen wendet sich der Kläger lediglich gegen die Beurteilung des Landgerichts, eine AI sei beim Kläger nicht festzustellen. Dass er darüber hinaus auch die selbständig tragende Beurteilung des Landgerichts angreifen wollte, die Beklagte habe die Maßnahmen durchgeführt, die durchzuführen seien, wenn eine Schmelzstrukturstörung (wie z.B. eine AI) vorliege, ist der Berufungsbegründung dagegen nicht zu entnehmen.
12
bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde richtet sich der in der Berufungsbegründung erhobene Angriff in der Sache nicht deshalb auch gegen die Verneinung eines Behandlungsfehlers, weil der Kläger in der Berufungsbegründung die Sachkunde des zahnärztlichen Sachverständigen in Abrede gestellt hat. Zwar sind Angriffe gegen die Kompetenz und Sachkunde eines Sachverständigen, dessen Aufgabe in der medizinischen Bewertung des Gesamtgeschehens, der Behandlung selbst, ihrer möglichen schädlichen Auswirkungen und deren Eintritt beim Patienten, liegt, in der Regel geeignet, die Aussagekraft der gutachterlichen Stellungnahmen insgesamt zu erfassen. Dies gilt aber nicht, soweit sie erkennbar auf bestimmte Punkte beschränkt sein sollen (BGH, Urteil vom 13. November 2001 – VI ZR 414/00, VersR 2002, 999, juris Rn. 17).
13
So verhält es sich im Streitfall. Die Berufungsbegründung spricht dem Sachverständigen die Kompetenz ersichtlich lediglich in Bezug auf die Feststellung der vom Kläger behaupteten AI, nicht hingegen in Bezug auf die Behandlung des von einer Zahnschmelzerkrankung betroffenen Gebisses ab. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, beschränkt sich der Berufungsangriff auf die Beantwortung der Frage, die Gegenstand des Beweisbeschlusses des Landgerichts vom 12. Mai 2016 war. Danach sollte – allerdings mit Hilfe eines humangenetischen Sachverständigen – die Frage geklärt werden, ob der Kläger unter einer AI leidet. Insbesondere die in der Berufungsbegründung erhobene Forderung nach einem Obergutachten zielte allein auf ein anderes Ergebnis hinsichtlich des Vorliegens einer AI beim Kläger ab.
14
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, bezieht sich der Berufungsangriff des Klägers nicht deshalb auch auf die Bekundung des Gutachters, die Behandlung hätte auch bei Vorliegen einer AI dem zahnärztlichen Standard entsprochen, weil einem zahnärztlichen Sachverständigen, der bisher nur vereinzelt mit einer AI konfrontiert gewesen sei, zwangsläufig die Fähigkeit fehlte, über die sachgemäße Behandlung einer solchen Erkrankung zu befinden. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist zwischen der Diagnose der genetisch bedingten Erkrankung und der Behandlung der mit dieser Erkrankung einhergehenden Symptomatik, hier einer Zahnschmelzstrukturstörung, zu differenzieren. Auf diesen Gesichtspunkt hatte das Landgericht in seinen Entscheidungsgründen ausdrücklich abgehoben, ohne dass die Berufungsbegründung hiergegen etwas vorbringt.
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