Medizinrecht

Zu den Voraussetzungen vorbeugenden Eilrechtsschutzes zur Sicherung der Versammlungsfreiheit nach erledigten polizeilichen Maßnahmen

Aktenzeichen  Au 8 E 20.62, Au 8 E 20.64

Datum:
16.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 941
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO  § 123
BayVersG Art. 15 Abs. 5
GG Art. 8 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Zur vorläufigen Sicherung der Rechte aus Art. 8 Abs. 1 GG und aus Art. 21 Abs. 1 GG, soweit die Teilnahme an weiteren, zukünftigen öffentlichen Versammlungen – auch als Vertreter einer politischen Partei – im Raum steht, kann Eilrechtsschutz nur durch § 123 VwGO erlangt werden.  (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Erfolg eines solchen Antrags setzt voraus, dass der Antragsteller durch erledigte polizeiliche Maßnahmen in rechtswidriger Weise in Grundrechtspositionen verletzt wurde und die Gefahr besteht, dass sich dies bei einer (unmittelbar) bevorstehenden Versammlung wiederholt.  (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Verfahren Au 8 E 20.62 und Au 8 E 20.64 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt.
III. Die Antragsteller tragen die Kosten des jeweiligen Verfahrens.
IV. Der Wert des Streitgegenstandes wird für jedes Verfahren auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die beiden Antragsteller begehren die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für eine Teilnahme an einer für den 17. Januar 2020 geplanten Demonstration.
1. Die Antragstellerin im Verfahren Au 8 E 20.62 (im Folgenden: Antragstellerin zu 1) ist eine zugelassene Partei i.S.d. Art. 21 Abs. 1 GG. Der Antragsteller im Verfahren Au 8 E 20.64 (im Folgenden: Antragsteller zu 2) hat zusammen mit Herrn B. jeweils als Privatpersonen für diese Partei bei einer am Freitag, 29. November 2019, durchgeführten öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel der sogenannten „Fridays for Future“-Bewegung teilgenommen. Von diesen beiden Personen wurde bei dieser Versammlung ein Plakat mit der Aufschrift „Rettet die Umwelt vor der Profitwirtschaft – Umweltgruppe der MLPD *“ mitgeführt. Während der Teilnahme wurden der Antragsteller zu 2 und Herr B. zunächst vom Versammlungsleiter der Versammlung aufgefordert, das Plakat zu entfernen, da die Versammlung nach dem Willen des Veranstalters als politisch neutrale Demonstration durchgeführt werden sollte und der Versammlungsleiter darauf zu Beginn der Versammlung ausdrücklich hingewiesen hatte. Da der Antragsteller zu 2 und Herr B. die Entfernung des Plakats ablehnten und dies in der Folge zu weiteren Diskussionen und Auseinandersetzungen mit anderen Versammlungsteilnehmern geführt hat, hat der polizeiliche Einsatzleiter den Antragsteller zu 2 und Herrn B. zunächst ebenfalls zur Entfernung des Plakats aufgefordert und, nachdem dies nicht erfolgt war, dem Antragsteller zu 2 und Herrn B. anschließend einen Platzverweis erteilt. Der Antragsteller zu 2 und Herr B. haben sich dann von der Versammlung entfernt.
Mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 18. Dezember 2019 wandte sich die Antragstellerin zu 1 sowie Herr B. an den Antragsgegner und begehrte die Feststellung der Rechtswidrigkeit des am 29. November 2019 erteilten Platzverweises. Weiter wurde geltend gemacht, dass der Antragsgegner unter Fristsetzung mitteilen solle, dass bei weiteren Versammlungen der „Fridays for Future“-Bewegung in, insbesondere am 20. Dezember 2019, die jeweils eingesetzten Polizeibeamten des Präsidiums Schwaben Nord darüber zu belehren seien, dass dem Versammlungsleiter kein Recht auf inhaltliche Zensur durch den willkürlichen Ausschluss von Versammlungsteilnehmern aufgrund der von ihnen vertretenen politischen Meinung zustehe und es nicht Aufgabe der Polizei sei, solche rechtswidrige Maßnahmen durchzusetzen.
Eine Äußerung des Antragsgegners zu diesem Begehren erfolgte nicht.
2. Mit Antrag vom 13. Januar 2020 wandten sich die Antragsteller zu 1 und zu 2 an das Verwaltungsgericht und beantragten,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, es zu unterlassen, Teilnehmer der am 17. Januar 2020 in der Innenstadt von * stattfindenden Versammlung unter freiem Himmel (Kundgebung und Demonstration) „Fridays for Future“ deswegen von der Teilnahme auszuschließen und/oder ihnen einen Platzverweis zu erteilen, weil sie Plakate, Transparente, Fahnen, Flugblätter oder sonstige Versammlungsmittel mitführen, auf denen der Name oder Symbole der Antragstellerin zu 1 erkennbar sind.
Zur Begründung des Antrags ist ausgeführt, dass aufgrund des rechtswidrigen Ausschlusses des Antragstellers zu 2 von der Versammlung am 29. November 2019 und der fehlenden Reaktion des Antragsgegners auf das Schreiben vom 18. Dezember 2019 damit zu rechnen sei, dass Polizeibeamte den Antragsteller zu 2 bei einer Teilnahme an der für den 17. Januar 2020 geplanten Demonstration erneut beim Mitführen entsprechender Kundgebungsmittel, die den Namen der Antragstellerin zu 1 erkennen ließen, von der Versammlung ausschließen würden. Es bestehe hinreichende Wiederholungsgefahr. Im Hinblick auf das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG sei es dem Antragsgegner verwehrt, eine inhaltliche Kontrolle der Teilnehmer der Versammlung durchzuführen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass es an einer hinreichenden Wiederholungsgefahr fehle. Dem Antragsteller zu 2 sei bei der Versammlung am 29. November 2019 kein Platzverweis erteilt worden, weil er Kundgebungsmittel mitgeführt habe, die den Namen oder Symbole der Antragstellerin zu 1 erkennen ließen. Dem polizeilichen Einsatzleiter, ebenso wie den weiter eingesetzten Polizeibeamten sei bekannt, dass Teilnehmer an einer Versammlung nicht deshalb ausgeschlossen werden könnten, weil sie Ansichten vertreten würden, die nicht vollständig mit der des Veranstalters der Versammlung übereinstimmen würden. Ebenso sei den Polizeibeamten bekannt, dass ein Ausschluss nur wegen des Mitführens von Kundgebungsmitteln, die die Parteisymbole der Antragstellerin zu 1 erkennen ließen, nicht zulässig sei. Der Platzverweis vom 29. November 2019 wurde alleine in Anwendung von Art. 15 Abs. 5 BayVersG ausgesprochen. Die Situation drohte zu eskalieren, dem Antragsteller zu 2 habe aufgrund der zunehmenden Schärfe der Auseinandersetzungen mit weiteren Versammlungsteilnehmern und der dadurch auch entstandenen Gefahrenlage für eine sichere Durchführung der Versammlung ein Platzverweis erteilt werden können.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässig erhobenen Anträge, die nach § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden, sind nicht begründet.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung). Voraussetzung für einen in der Sache erfolgreichen Antrag ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO).
Mit der Durchführung der Versammlung vom 29. November 2019 und den dabei dem Antragsteller zu 2 und dem Herrn B. durch Polizeibeamte des Antragsgegners erteilten Platzverweisen haben sich diese polizeilichen Maßnahmen erledigt. Rechtsschutz gegen diese Maßnahme ist nur im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO möglich, gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des erteilten Platzverweises (vgl. Kopp/ Schenke/R. P. Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 113 Rn. 95 ff.).
Zur vorläufigen Sicherung der Rechte der Antragsteller aus Art. 8 Abs. 1 GG und aus Art. 21 Abs. 1 GG, soweit die Teilnahme an weiteren, zukünftigen öffentlichen Versammlungen – auch als Vertreter einer politischen Partei – im Raum steht, kann Eilrechtsschutz in dieser Konstellation nur durch § 123 VwGO erlangt werden. Allerdings setzt der Erfolg des vorliegenden Antrags voraus, dass die Antragsteller durch den am 29. November 2019 erteilten Platzverweis (in Bezug auf den Antragsteller zu 2 unmittelbar und die Antragstellerin zu 1 in mittelbarer Weise) in rechtswidriger Weise in Grundrechtspositionen verletzt worden sind und die Gefahr besteht, dass sich dies bei der (unmittelbar) bevorstehenden Versammlung wiederholt. Dies ist zu verneinen.
Entgegen der Antragstellerseite ist vorliegend bereits das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr zu verneinen. Die Antragsteller machen mit den vorliegenden Anträgen geltend, dass der Antragsteller zu 2 oder (andere) Vertreter der Antragstellerin zu 1 bei der Versammlung der „Fridays for Future“-Bewegung am 17. Januar 2020 in * nicht von der Teilnahme durch die Erteilung eines Platzverweises ausgeschlossen werden dürfen, weil sie Kundgebungsmittel mitführen, auf denen Namen oder Symbole der Antragstellerin zu 1 erkennbar sind. Der Antragsgegner hat mit dem Schriftsatz vom 15. Januar 2020 insoweit bereits bestätigt, dass ein derartiger, von der Antragstellerseite als rechtswidrig angesehener Ausschluss von der Versammlung, auch vom Antragsgegner als rechtswidrig angesehen und nicht erfolgen wird („Ebenso ist bekannt, dass der Antragsteller nicht alleine deswegen von der Versammlung auszuschließen ist, weil er Plakate, Flugblätter oder sonstige Versammlungsmittel mitführt, auf denen allein oder auch der Name der Antragstellerin zu 1 erkennbar ist“; zu II., Absatz 5 – S. 3 – des Schriftsatzes des Antragsgegners vom 15.1.2020).
Weiter ist nicht erkennbar, dass die Antragsteller durch den am 29. November 2019 erteilten Platzverweis für den Antragsteller zu 2 und Herrn B. in ihren Rechten verletzt worden sind und insoweit – für die bevorstehende Versammlung – vorbeugender Rechtsschutz erfolgreich begehrt werden kann. Wie der Antragsgegner nachvollziehbar dargelegt hat, wurden dem Antragsteller zu 2 und Herrn B. am 29. November 2019 im Rahmen ihrer Teilnahme an der Versammlung Platzverweise in Anwendung von Art. 15 Abs. 5 BayVersG erteilt, da die beiden Teilnehmer durch ihr Verhalten die Ordnung erheblich gestört haben. Mit dem Mitführen des Plakates durch den Antragsteller zu 2 und Herrn B. kam es im Rahmen der Versammlung zu Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden und einer, vom Antragsgegner mit etwa 30 bis 40 Personen geschätzten, Anzahl weiterer Versammlungsteilnehmer. Diese Auseinandersetzung stellte eine erhebliche Gefährdung des sicheren Ablaufs der Versammlung dar, eine ordnungsgemäße Durchführung des Aufzugs war deshalb nach der Stellungnahme des Einsatzleiters der Polizei erkennbar nicht mehr gewährleistet. In Ausübung des in Art. 15 Abs. 5 BayVersG der Polizei (vgl. Dürig-Friedl in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2016, § 15 VersammlG Rn. 198 und § 18 VersammlG Rn. 15) eingeräumten Ermessens wurden dem Antragsteller zu 2 und Herrn B. ein Platzverweis erteilt. Diese Maßnahme stellte ein geeignetes Mittel zur Gefahrbeseitigung dar, insbesondere war es auch statt der Auflösung der Versammlung oder des Ausschlusses einer weiteren erheblichen Anzahl von Teilnehmern, die an der Diskussion mit dem Antragsteller zu 2 und Herrn B. beteiligt gewesen ist, von der Versammlung das mildeste Mittel.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert war nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG zu bestimmen. Das Gericht orientiert sich dabei an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (dort Nr. 35.1 und 1.5).


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