Medizinrecht

Zulassung einer Versammlung im befriedeten Bezirk des Landtags

Aktenzeichen  10 CE 18.2274

Datum:
31.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28746
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 17, Art. 18, Art. 19

 

Leitsatz

1. Das Verbot von Versammlungen unter freiem Himmel innerhalb des befriedeten Bezirks um den Bayerischen Landtag stellt ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dar. Die Schutzzwecke dieser Regelung sind die Gewährleistung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtags, seiner Mitglieder, Fraktionen, Organe und Gremien sowie des freien Zugangs zu seinen im befriedeten Bezirk gelegenen Gebäuden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zulassung einer Versammlung innerhalb des befriedeten Bezirks um den Bayerischen Landtag kommt nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn eine Beeinträchtigung der Schutzzwecke nicht ernsthaft zu besorgen ist, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Versammlung in der sitzungsfreien Zeit stattfinden soll. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Beurteilung, ob eine Gefährdung der Schutzzwecke des Versammlungsverbots vorliegt, besteht kein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum der Landtagspräsidentin. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Berufung allein auf ein Hausrecht kann das sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ergebende Selbstbestimmungsrecht über den Ort, an dem eine Versammlung stattfinden soll, nicht überwiegen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 13 E 18.5254 2018-10-26 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Oktober 2018 wird der Antrag auf einstweilige Anordnung abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen in erster Instanz.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 26. Oktober 2018 hat das Verwaltungsgericht München den Antragsgegner verpflichtet, die Versammlung der Antragstellerin im befriedeten Bezirk des Bayerischen Landtags am 5. November 2018 auf der Grünfläche vor der Westpforte des Bayerischen Landtags (um den Springbrunnen) gemäß Art. 19 Abs. 1 und 3 BayVersG zuzulassen. Anders als vor der Ostpforte bestehe bei der von der Antragstellerin beabsichtigten Versammlung vor der Westpforte des Bayerischen Landtags keine ernstliche Gefahr der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Bayerischen Landtags.
Der Antragsgegner und der Beigeladene haben jeweils Beschwerde erhoben mit dem Antrag, den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und den Antrag auf einstweilige Anordnung abzulehnen. Sie weisen auf die besondere verfassungsrechtliche Bedeutung der am 5. November 2018 stattfindenden konstituierenden Sitzung hin und führen aus, dass eine Beeinträchtigung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bayerischen Landtags ernsthaft zu befürchten sei. Der vorgesehene Versammlungsort befinde sich sehr nahe an der Tiefgaragenein- und -ausfahrt. Es sei zu besorgen, dass es dort wegen der Vielzahl der Abgeordneten und sonstigen Gäste zu Behinderungen kommen werde; auch sei nicht auszuschließen, dass durch die Anwesenheit einer größeren Anzahl von Schaulustigen und ein besonderes Medieninteresse die Versammlung erheblich mehr Zulauf haben werde als vom Veranstalter erwartet und dass dadurch eine Situation entstehe, die vom Veranstalter nicht mehr gesteuert werden könnte.
Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die vorgetragenen Befürchtungen der Beschwerdeführer deckten sich weder mit den Verhältnissen vor Ort noch mit der konkret beabsichtigten Versammlung.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Beschwerden des Antragsgegners und des Beigeladenen sind begründet. Die von ihnen dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses und die Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), dass ihr ein zu sichernder Anspruch auf Zulassung der von ihr geplanten Versammlung gemäß Art. 19 Abs. 1 BayVersG zusteht.
Nach Art. 18 Satz 1 BayVersG sind innerhalb des befriedeten Bezirks um den Bayerischen Landtag (Art. 17 BayVersG) Versammlungen unter freiem Himmel verboten. Gemäß Art. 19 Abs. 1 BayVersG können jedoch nicht verbotene Versammlungen in diesem Bereich (ausnahmsweise) zugelassen werden. Es handelt sich somit um ein generelles Verbot von Versammlungen mit Erlaubnisvorbehalt (Dürig-Friedl in Enders/Dürig-Friedl, Versammlungsrecht, 2016, § 16 VersammlG Rn. 26). Der Schutzzweck dieser Regelung ist die Gewährleistung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtags, seiner Mitglieder, Fraktionen, Organe und Gremien sowie des freien Zugangs zu seinen im befriedeten Bezirk gelegenen Gebäuden (vgl. LT-Drs. 15/10181, S. 25). Eine Zulassung nach Art. 19 Abs. 1 BayVersG kommt daher nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn eine Beeinträchtigung dieser Schutzzwecke nicht ernsthaft zu besorgen ist, was insbesondere dann der Fall sein kann, wenn die Versammlung in der sitzungsfreien Zeit stattfinden soll (BayVGH, B.v. 12.4.2017 – 10 CE 17.751 – juris Rn. 9). Über Anträge auf Zulassung entscheidet nach Art. 19 Abs. 3 BayVersG das Staatsministerium des Innern und für Integration im Einvernehmen mit der Präsidentin des Landtags. Damit kann eine Zulassung durch das Staatsministerium des Innern und für Integration nur erfolgen, wenn die Zustimmung der Präsidentin des Landtags vorliegt. Bei einer Zulassung nach Art. 19 Abs. 1 BayVersG handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (BayVGH, B.v. 12.4.2017 – 10 CE 17.751 – juris Rn. 9; ebenso Dürig-Friedl in Enders/Dürig-Friedl, Versammlungsrecht, 2016, § 16 VersammlG Rn. 31; a.A.: Kniesel in Dietel/Gintzel/ Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Aufl. 2016, § 17 VersammlG Rn. 33; Merk in Wächtler/Heinhold/Merk, Bayerisches Versammlungsgesetz, 2011, Art. 17-19 Rn. 6).
Bei der Beurteilung, ob eine Gefährdung des genannten Schutzzwecks vorliegt, besteht kein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum der Landtagspräsidentin (BayVGH, B.v. 12.4.2017 – 10 CE 17.751 – juris Rn. 9). Ein solcher gerichtlich nicht oder nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum ergibt sich entgegen dem Beschwerdevorbringen des Beigeladenen weder unmittelbar aus der Stellung des Bayerischen Landtags als Verfassungsorgan noch aus der gesetzlichen Regelung (Art. 17 bis 19 BayVersG), mit der der Gesetzgeber einen Ausgleich der kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen vorgenommen hat. Allerdings kommt bei der aus ex-ante-Sicht zu treffenden Beurteilung (Prognose), ob durch die konkrete Versammlung eine Beeinträchtigung des oben dargestellten Schutzzwecks der Normen zu befürchten ist, der Einschätzung der Präsidentin des Bayerischen Landtags schon aufgrund ihrer Stellung und Funktion ein nicht unerhebliches Gewicht zu.
Es ist somit eine (sicherheitsrechtliche) Gefahrenprognose anzustellen und aufgrund von konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkten zu beurteilen, ob bei der fraglichen Versammlung eine Beeinträchtigung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtags droht. Dabei ist zwar nicht, wie der Antragsgegner geltend macht, wegen der besonderen Bedeutung der an dem fraglichen Tag stattfindenden konstituierenden Sitzung des Landtags ein abgesenkter Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden, weil sich jedenfalls der Rang des Schutzguts der Art. 17 bis 19 BayVersG dadurch nicht verändert. Doch sind die vorgetragene besondere verfassungsrechtliche Bedeutung der konstituierenden Sitzung sowie die damit verbundene besondere öffentliche Aufmerksamkeit im Rahmen der Gefahrenprognose angemessen zu berücksichtigen. Zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Landtags gehört – wie bereits dargelegt – auch der freie Zugang zu den Gebäuden des Landtags, also sowohl über die Ostpforte (Haupteingang) wie auch über die Tiefgarageneinfahrt unterhalb der Westpforte unmittelbar an dem für die Versammlung vorgesehenen Ort. Gerade vor Beginn der konstituierenden Sitzung des Bayerischen Landtags ist mit einer gegenüber der „üblichen“ Frequenz erhöhten Zahl von Ankünften von Fußgängern wie Kraftfahrern zu rechnen, eventuell auch mit einer größeren Anzahl von Schaulustigen. Insbesondere Schwierigkeiten bei der Ankunft wie Stauungen oder versperrte Zufahrten können zu Verspätungen von Abgeordneten oder Mitarbeitern und damit zu Verzögerungen und Behinderungen der Arbeit des Landtags führen.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze war das Ermessen des Antragsgegners bei seiner Entscheidung nach Art. 19 Abs. 1 und 3 BayVersG jedenfalls nicht „auf Null“ reduziert.
Zwar steht einer Zulassung der Versammlung im befriedeten Bezirk des Bayerischen Landtags nicht bereits entgegen, dass sich die hierfür vorgesehene Grünfläche unterhalb der Westpforte des Landtagsgebäudes im Eigentum der Stiftung Maximilianeum befindet. Antragsgegner wie Beigeladener tragen vor, dass dieser Bereich dem Hausrecht der Präsidentin des Bayerischen Landtags unterliegt. Er befindet sich damit im Nutzungs- und Einwirkungsbereich des Beigeladenen und ist nach dem äußeren Erscheinungsbild – jedenfalls bei summarischer Prüfung – auch allgemein zugänglich. Es handelt sich also nicht um einen „beliebigen“, nicht allgemein zugänglichen Ort, der nicht unter Berufung auf Art. 8 GG für eine Versammlung in Anspruch genommen werden könnte (vgl. BVerfG, B.v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – juris Rn. 65; BVerfG, B.v. 18.7.2015 – 1 BvQ 25/15 – juris Rn. 5). Einer Beiladung der Stiftung Maximilianeum bedurfte es deshalb nicht.
§ 10 Abs. 2 der Hausordnung des Bayerischen Landtags steht einer Zulassung der beabsichtigten Versammlung ebenfalls nicht entgegen, da die Berufung auf ein Hausrecht allein das sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ergebende Selbstbestimmungsrecht über den Ort der Versammlung nicht überwiegen kann (BVerfG, B.v. 18.7.2015 – 1 BvQ 25/15 – juris Rn. 9). Im Übrigen würde die geplante Versammlung die Ruhe und Ordnung sowie die Würde des Hauses nicht „offensichtlich“ beeinträchtigen. Außerdem kann die Präsidentin des Landtages nach § 16 Abs. 1 Satz 2 der Hausordnung ohnehin Ausnahmen zulassen.
Nach Auffassung des Senats ist jedoch die vom Antragsgegner angestellte Prognose einer relevanten Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Landtags durch die geplante Versammlung auch auf der Grünfläche vor der Westpforte gerichtlich nicht zu beanstanden.
Auch das Verwaltungsgericht geht im Übrigen davon aus, dass es an dieser Stelle grundsätzlich zu Behinderungen bei der Zu- und Ausfahrt zur und aus der Tiefgarage des Landtags kommen kann, die jedoch nur zeitlich kurzfristig und zahlenmäßig gering seien. Auch könnten sich in dem Bereich der Tiefgaragenzufahrt unabhängig von der Versammlung Fußgänger aufhalten, auf die der motorisierte Verkehr Rücksicht nehmen müsste. Zudem könnten die Zu- und Abfahrt zur Tiefgarage durch entsprechende Auflagen zu den von den Versammlungsteilnehmern einzuhaltenden Versammlungs- und Aufstellflächen, Auf- und Abbauzeiten sowie Zugangswegen und -zeiten gesichert werden. Ein solcher pauschaler Verweis auf Auflagen zur Beseitigung noch bestehender Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Landtags greift jedoch nicht, weil der Senat erhebliche Zweifel daran hat, ob bei der Entscheidung über die Zulassung nach Art. 19 Abs. 1 und 3 BayVersG und insbesondere bei der Entscheidung über die Erteilung oder Verweigerung des Einvernehmens durch die Präsidentin des Landtags Auflagen als „milderes Mittel“ gegenüber einer Ablehnung zulässig oder sogar rechtlich geboten sind. Dem Wortlaut des Art. 19 BayVersG kann eine „Genehmigung unter Auflagen“ jedenfalls nicht entnommen werden. Eine Ermessensreduzierung „auf Null“ zugunsten der Antragstellerin und damit ein Anspruch auf Zulassung besteht jedenfalls dann nicht, wenn noch bestehenden Gefahren für die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtags nur durch entsprechende Auflagen begegnet werden könnte.
Auch ein Verweis auf die daneben zuständige Versammlungsbehörde genügt insoweit nicht. Das gilt vor allem für die vom Verwaltungsgericht gesehene, „sich aus der sehr nahe am Beginn des westlichen Zugangs zum Gelände des Bayerischen Landtags verlaufenden Trambahn ergebende Problematik einer möglichen Gefährdung von Verkehrsteilnehmern und möglicherweise auch der Versammlungsteilnehmer auf ihrem Weg von und zum Versammlungsort“; diese Frage sei im Rahmen des Art. 15 BayVersG zu lösen. Realisiert sich nämlich eine sich aus dieser Situation ergebende Gefahr, so ist damit unmittelbar die Zugangssituation zur Tiefgarage und damit die Funktionsfähigkeit des Landtags betroffen.
Bei der nach alldem anzunehmenden relevanten Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Landtags und mit Blick auf die erhebliche verfassungsrechtliche Bedeutung gerade der konstituierenden Sitzung des Bayerischen Landtags greift somit die gesetzgeberische Grundentscheidung, dass innerhalb des befriedeten Bezirks Versammlungen verboten sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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